Basisdemokratisches Bündnis:

Bildung im Wandel

Veranstaltungsreihe zu Begriff und Organisation von Bildung im nach-bildungsbürgerlichen Kapitalismus

Hier geht es zum Veranstaltungsüberblick mit den einzelnen Terminen

Das, was man gemeinhin den Bildungssektor zu nennen pflegt, befindet sich in einer der größten Umbrüche seit der Humboldtschen Bildungsreform von 1810. Modularisierte Studiengänge, arbeitsmarktnahe Ausbildung, Studiengebühren, Abitur in 12 Jahren, die Aufzählung ließe sich sicherlich noch um eine ganze Reihe von Unannehmlichkeiten erweitern.

Widerstand regt sich nur vereinzelt, auch an der Uni sind die letzten Proteste und Protestversuche schon eine Zeit lang her. Dies ist aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Höchste Zeit einmal genauer zu schauen, was da in den letzten Jahren passiert ist. Eine Veranstaltungsreihe der Fachschaftsräte SoWi, Philo, Bio und Geo versucht auf eine Reihe von Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Bildungsreform stellen, Antworten zu finden und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Welche Veränderungen sind im Bildungsbereich zu verzeichnen? Wer hat sie initiiert und warum? Wann beginnen sie und welche gesellschaftlichen und ökonomischen Verwerfungen liegen ihnen zu grunde? Einen historischen Abriss der neuen Bildungsreform wird Kalle Kunkel vom Basisdemokratischen Bündnis im einleitenden Vortrag nachzeichnen und kritisch kommentieren.

Wie verändert sich dadurch die Struktur des Bildungssektors und der Begriff von Bildung? Löst sich die Abhängigkeit der Universität vom ideellem Gesamtkapitalisten (Staat) in der Autonomie der Hochschule auf? Werden wir dadurch alle freier? Gab es jemals eine „Freiheit der Wissenschaft?“ Felix Silomon-Pflug aus Frankfurt referiert über Universität und Gouvermentalität.

Ist das Studium, das dabei rauskommt, überhaupt noch zu studieren? Schwerlich, so dürften alle antworten, die bereits im BA/MA studieren. Sich überschneidende Veranstaltungen, ständig wechselnde Studienordnungen, 40-Stunden-Woche, ein Jahr Zwangspause, wenn man eine Prüfung nicht geschafft hat und Zeit für ein Auslandssemester bleibt auch nicht. Ganz zu schweigen von dem finanziellen Druck, der durch die Einführung von Studiengebühren immens zugenommen hat. Eine Gruppe Studierender der Humboldt-Universität Berlin hat sich darangemacht, die individuellen Erfahrungen mit den neuen Studiengängen unter die Lupe zu nehmen. Herausgekommen ist eine dicke Studie zur Studierbarkeit der BA/MA-Studiengänge, die die Vertreter_innen der Berliner Gruppe in Göttingen vorstellen werden.

Gab‘s nicht mal ‘nen anderen Begriff von Bildung? Sowas von wegen Individuum, Selbstbestimmung und Freiheit? Ja, gab‘s. Ist auch noch gar nicht solange her. In der öffentlichen Debatte kräht heute kein Hahn mehr danach. Was mensch, der nicht blöde Denkmaschine sein will, heute noch aus den Ideen von damals lernen kann? Der Philosoph und Soziologe Roger Behrens wirft einen kritischen Blick zurück auf die Bildungsdebatten und -konzepte der 60er und 70er Jahre.

Die Boulevardpresse von Spiegel bis Bild jammert über die Übervorteilung von Jungen im Bildungssystem.

Je weiter man in der Bildungshierarchie nach oben geht, desto mehr sind entsprechende Stellen von Männern besetzt, besonders in den Natur- und Wirtschaftswissenschaften und der Juristerei. Und die Verschärfung des Konkurrenzdrucks lässt eher erwarten, dass informellen Seilschaften und Beziehungsnetzwerke eine immer größere Bedeutung nachkommt. Und die entscheidenden Knotenpunkte sind eben von Männern besetzt. Da ist abzusehen, welche Seilschaften wen ziehen werden. Darüber hinaus aber wäre zu fragen, wie die BA/MA-Studiengänge die Geschlechterverhältnisse in der Mikrostruktur, in den Studierenden und ihren Interaktionen, prägt. Sexismus und Homophobie als Ticket im inneruniversitären Konkurrenzkampf? Über den Zusammenhang von Bachelor und Geschlecht spricht eine weitere Referentin.

Wenn eine Demokratie auf die Mündigkeit aller angewiesen ist, um überhaupt ihrem Begriff zu entsprechen, und Mündigwerdung Teil eines Bildungsprozesses ist, was bedeuten die Umstrukturierungen für den Anspruch der bürgerlichen Gesellschaft, eine Demokratie zu sein? Dass die Bildungsreform alles andere als ein demokratisches Projekt ist, lässt sich bereits in der gezielten Ausschaltung universitärer Selbstverwaltung sehen. Tiefergehend aber wäre zu fragen, ob die Ausrichtung von Bildung am ökonomischen Imperativ nicht per se antidemokratisch ist. Ist sie in dieser Gesellschaft nicht anders zu bekommen, will man aber an der Demokratie festhalten, dann wäre eine Veränderung dieser Gesellschaft doch ernsthaft anzuraten. Über den Zusammenhang von Bildungsbegriff und Demokratie spricht Alex Demirovic aus Frankfurt.

Abschließend wäre zu fragen, was sich daraus für den Kampf für ein selbstbestimmtes Leben und Lernen ergibt. Ergebnisse und Perspektiven sollen in einer die Veranstaltungsreihe abschließenden Fishbowl-Diskussion mit allen Interessierten erarbeitet werden.


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