Basisdemokratisches Bündnis:

Studiengebühren oder: warum es keine Hochschulpolitik gibt

Die drastischen Kürzungen, die uns derzeit an der Uni ins Haus stehen zeigen in extremer Weise einmal mehr, dass die Hochschulen kein von der Gesellschaft abgekoppelter Elfenbeinturm sind. Pläne zu Schließungen ganzer Fachbereiche und Studiengebühren von 500 bis 1000 Euro für alle liegen auf dem Tisch.

Die Gründe für die Veränderungen an der Hochschule können nur verstanden werden über eine Analyse der gesamtgesellschaftlichen Vorgänge und Verhältnisse. Denn schließlich ist die Uni in die Gesamtgesellschaft eingebettet.

Dazu gehört es beispielsweise, den kollektiven Wahn der „Sparlogik” zu durchbrechen. Woran liegt es denn, dass zur Zeit die öffentlichen Kassen leer sind? Wie kann es sein, das einerseits die Möglichkeiten, Gebrauchsgüter und Dienstleistungen herzustellen, zunimmt und sich gleichzeitig alle immer mehr einschränken sollen? Und wie hängt das mit sinkenden Spitzensteuersätzen und steigenden Gewinnerwartungen der Unternehmen zusammen?

Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist doch: Was sind die gesellschaftlichen Umstände, die dazu führen, dass uns an der Uni der Hals zugeschnürt wird? Solange dieser Zusammenhang zwischen Hochschule und Gesellschaft nicht gesehen oder ausgeblendet wird, kann studentische Politik nicht erfolgreich sein.

Letztendlich wird sich herausstellen, dass eine verkürzte Analyse und eine auf die UNI an sich begrenzte Kritik uns nicht zu einer Verbesserung unserer Situation führen kann. Wer es problematisch findet, das an der Uni die Gelder gekürzt werden, Rüstungsausgaben in Milliardenhöhe aber nicht in Frage stellt, der beschränkt uns in unseren Möglichkeiten. Unser Denken darf nicht an der Campusgrenze aufhören, denn die Vorgänge außerhalb des Campus bestimmen die Struktur des Raumes innerhalb des Campus.

Auch StudentInnen sind nicht nur StudentInnen sondern auch Teil der Gesamtgesellschaft. Als solche Mitglieder der Gesamtgesellschaft haben wir ein Recht auch in unserer Teilidentität als StudentIn auf gesellschaftliche Strömungen und Veränderungen Einfluß zu nehmen. Wer in den Genuss von mehr Bildung kommt, dem erwächst daraus vielmehr sogar so etwas wie eine Verantwortung für die Gesellschaft.

Warum sollen Studentinnen - z.B. die Bios, sich nicht kritisch mit Fragen der Gentechnik oder des Klimawandels befassen, und sich dafür einsetzen, dass eine kritische Behandlung dieser Inhalte sich auch in den Lehrplänen niederschlägt. Fragt doch mal einen vom ADF, was los ist, wenn das Ozonloch direkt überm Stupa steht: Ob das dann Allgemein- oder Hochschulpolitik ist?

Warum sollen Studentinnen - z.B. die in der Physik - sich nicht kritisch mit Fragen der Kernenergie befassen - oder sollen sie erst noch ein paar Jahre warten? Der nächste Super-Gau wird kommen, jedenfalls mit einer nicht zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit. Wenn dann Strahlung auf den Mensatischen gemessen wird (so wie nach Tschernobyl), ist das dann ein Hochschulpolitisches oder allgemeinpolitisches Problem?

Warum sollen Studentinnen - z.B. an der juristischen Fakultät - sich nicht mit den juristischen Aspekten der Atomkraft auseinandersetzen – es gab hier mal einen Lehrstuhl für Atomrecht.

Warum sollen sich Studentinnen - z.B. angehende Medizinerinnen – nicht mit der Bedeutung des derzeit ablaufenden Sozialabbaus im Gesundheitswesen auseinandersetzen dürfen?

Warum sollen Studentinnen - z.B. Sowis, Politik- oder Geschichtswissenschaftlerinnen sich nicht mit Neofaschismus und rassistischen oder antisemitischen Tendenzen in der Gesellschaft und an der Uni auseinandersetzen dürfen. Erst kürzlich wurde der antisemitische Ex-General Günzel von einer national-konservativen Burschenschaft nach Göttingen eingeladen.

Warum sollen sich Studentinnen - z.B. die Wiwis – nicht kritisch mit der ökonomischen Verfasstheit dieser Gesellschaft auseinandersetzen, wo doch bereits ökonomisch begründete Sparmaßnahmen die Uni erfassen. Warum soll man als WiWi nur die heilige Neoklassische Lehre, wie sie vom Katheder gelehrt wird, in religiös anmutender Gläubigkeit nachbeten? Glauben die Vertreter der neoklassischen Wirtschaftslehre und deren Konsumenten angesichts einer strukturellen Arbeitslosigkeit von 4 Mio. Menschen und der damit einhergehenden, immer weiter voranschreitenden sozialen Desintegration von nennenswerten Teilen der Gesellschaft, dass auf eine Kritik dieser führenden ökonomischen Lehren verzichtet werden könne?

Hochschulgruppen, die die in diesem Sinne noch vorhandenen kritischen Ansätze nicht unterstützen, sondern im Gegenteil denunzieren, können nicht wirkungsvoll studentische Interessen vertreten.

Es stellt sich die Frage, ob die bewusste Ausblendung dieser Zusammenhänge nicht der politischen Gesinnung dieser Gruppen, also etwa der ADF oder des RCDS geschuldet ist, so unpolitisch auch immer sie sich geben möchten:

Es ist eine politische Aussage zu sagen

-„Kürzungen sind in Ordnung, aber bloß nicht in Göttingen, lieber in Vechta.”

Politische Aussage: Gekürzt werden muss, weil wir unter anderem damit einverstanden sind, dass die Vermögenssteuer abgeschafft ist und weil wir uns nicht gegen die permanente Senkung des Spitzensteuersatzes positionieren wollen.

Es ist eine politische Aussage zu sagen

„Die Kürzungen im Sozialbereich gehen uns nichts an.”

Politische Aussage: Kürzt bei meiner Oma (Rentnerin), bei Deiner kleinen Schwester (Kindergartenplätze), bei Deinem älteren Freund (arbeitsloser Akademiker).

Natürlich würden das die meisten, die die ADF unterstützen, niemals so deutlich zu Ende denken, geschweige denn öffentlich vertreten. Gerade deswegen ist es wichtig, sich klar zu machen, dass man auch so eine eindeutig unsoziale, ausgrenzende und damit implizit elitäre Einstellung unterstützt.

Nun rollen Sparmaßnahmen auf die Hochschulen zu und zwar von außen. Natürlich ist auch der scheidende Unipräsident Kern für Studiengebüren. Aber er hat sich die Sparbeschlüsse nicht ausgedacht. Die eigentlichen Problemgeneratoren liegen jedoch außerhalb der Uni.

In dieser Hinsicht können wir festhalten, dass eine studentische Vertretung StudentInnen nur dann tatsächlich vertreten kann, wenn sie um die Uni herum nicht nur ein Vakuum sieht oder dieses künstlich-ideologisch konstruiert. Auch studentische Interessen können nur vertreten werden, wenn die Gesellschaft in der die Uni nun mal eingebettet ist, mit einbezogen wird.


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