Basisdemokratisches Bündnis:

"Sussex not 4 sale"

Übersetzt aus dem Englischen durch: Basisdemokratisches Bündnis

Ein Kommentar zur aktuellen Kampagne an der Sussex Universität (UK) der Black Cat Group Sussex

Die Hochschulen befinden sich gerade in einem internationalen – oder zumindest europäischen - Prozess der Veränderung. Das Vereinigte Königreich ist nicht immun gegen diese Veränderungen. Verteilt über das Land gab es zwar unterschiedliche, kleine Widerstände und Proteste gegen diese Veränderungen, aber bisher gab es noch keine lokale Bewegung. Es existiert eine landesweite Kampagnengruppe mit dem Namen ENS (Education not for Sale – Bildung ist keine Ware), die Teil der Nationalen Studierendenvereinigung NUS ist. Die Kampagne zielt darauf ab, die Probleme zu benennen, die aktuell an den Hochschulen existieren – sie bleibt allerdings vergleichsweise irrelevant: Die Konferenzen werden von Aktivist_innen besucht, aber es fehlt die Basis. Es existiert keine Massenbasis an den unterschiedlichen Universitäten, die in diesem landesweiten Zusammenhang zusammenkommen und aktiv werden könnten. Die Kampagne „Sussex not for Sale“ entstand aus diesem Kontext heraus.

Die Kampagne bestand anfangs aus einer Diskussionsgruppe, an der sich Angestellte der Uni (zu diesem Zeitpunkt beschränkte sie sich auf die philosophische Fakultät) und einige Studierende beteiligten. An diesen Sitzungen nahmen ca. 15 Menschen teil, die sich einmal die Woche getroffen haben. Bald wurde deutlich, dass viele Angestellte unzufrieden waren mit den Veränderungen, mit denen sich die Hochschulen zunehmend konfrontiert sahen und die von Seiten der Regierung vorangetrieben wurden. Zu diesen Veränderungen gehören Studiengebühren, Langzeitstudiengebühren und neue Leistungsvorgaben wie das RAE (Research Assesment Exercise).1 Des Weiteren wurde klar, dass das neue Universitätspräsidium vor hatte, die inneruniversitären Strukturen großflächig zu reformieren. „Sussex not 4 Sale“ fand sich in einer schwierigen Situation wieder: Die Anträge für diese Veränderungen sollten am Ende des ‚Terms‘ (9 Wochen) durchgewunken werden und wir befanden uns bereits in der dritten Woche. Demnach bleiben uns 6 Wochen, um eine Opposition zu organisieren. Die Motivation sowohl von Studierendenseite und von Angestelltenseite war groß, aber die Angestellten hatten genug mit ihrem Alltagsjob zu tun und auf die Studierenden war – wie so oft – kaum verlass. Darüberhinaus waren die Treffen unstrukturiert. Es gab zwar eine Redeleitung und eine_n Protokollant_in, aber es wurde sich nie auf einen Modus zur Entscheidungsfindung geeinigt (die Gruppe bestand inzwischen aus 20 Menschen und jede Woche wurden wir mehr). Weil sich nie über Strukturen unterhalten wurde, musste viel Zeit für Kleinkram aufgebracht werden, so zum Beispiel mit dem Designen eines Flyers.

Ein Mitglied der Gruppe erklärte sich bereit, eine Homepage zu erstellen, was dazu beigetragen hat, unsere Aktivitäten und Veranstaltungen zu veröffentlichen. Es wurden Vorschläge gemacht, dass wir die ersten 45 Minuten darauf verwenden sollten, zu diskutieren, was gerade passiert und warum. Die letzten 15 Minuten sollten darauf verwendet werden, Entscheidungen zu fällen und Aufgaben zu delegieren. Die Gruppe entschied sich unter anderem auch für die Schaffung zweier Arbeitsgruppen, nämlich Kommunikation und Research. Ab jetzt sollten sich diese beiden Gruppen an anderen Terminen treffen, damit Detailfragen dahin ausgelagert werden konnten.

Anhand dieses Mechanismus waren wir in der Lage, eine Öffentlichkeit zu schaffen für das, was langsam, aber sicher die Form einer Kampagne annehmen sollte. In der sechsten Woche hatte die Gruppe über 40 Teilnehmer_innen und einige Texte wurden in der lokalen Studierendenzeitung veröffentlicht. Die Medien begannen auch langsam, Interesse an dem Treffen zu finden. Die Research-Gruppe hatte schon angefangen, Informationen bezüglich der Veränderungen zu sammeln und zusammen zu tragen. Wir kamen zur Einsicht, dass hier eine gravierende Veränderung innerhalb der universitären Strukturen forciert werden sollte.

Die Veränderungen

Inneruniversitäre Hierarchien – Eine Gefahr für demokratische Strukturen

Aktuell besteht die Hierarchie innerhalb der Universität daraus, dass das Präsidium Entscheidungen fällt, die an den Vorstand der 5 „Schools“ weiter gegeben werden. Diese geben die Entscheidung weiter an die ca. 20 Vorstände der unterschiedlichen Fachbereiche. Die Vorsitzenden der Fachbereiche werden im jährlichen Rotationsprinzip bestimmt. Das bedeutet, dass der_die jeweilige Professor_in ein Jahr Pause macht, um sich der Aufgabe des Vorstands zu widmen. In den egalitäreren Fakultäten sind die Vorstandssitzungen im Wesentlichen basisdemokratische Versammlungen. Diese stellen also die Arbeiter_innenselbstverwaltung auf dem niedrigsten Level dar.

Die vorgeschlagenen Veränderungen bestehen daraus, dass es keine „Schools“ mehr gibt, sondern diese in 3 Fakultäten zusammengefasst werden und sog. „super-departments“ geschaffen werden, die als die hauptorganisatorische Instanz dienen sollen. Diese Departements sollen dann aus mindestens 25 Mitgliedern der Fakultäten bestehen. Im besten Fall werden die unterschiedlichen Bereiche unter bestimmte Themenschwerpunkte zusammengefasst; im schlimmsten Fall werden diese Zusammenschlüsse als Vorwand genutzt, um Abschlüsse abzuwerten. Darüber hinaus soll der Vorstand dieser Departments für 6 Jahre im Amt sein, was das bisherige Rotationsprinzip zunichte machen würde: Denn ein_e Akademiker_in kann keine 6-jährige Pause machen. Der neue Vorstand wären professionelle Manager_innen oder solche Akademiker_innen die Managementambitionen haben. Es ist klar, dass dies die derzeitige basisdemokratische Verwaltung an der Fakultät untergraben würde: Manager_innen haben ein unmittelbares Interesse an der Umsetzung der Vorgaben von Oben, da sie sich dadurch Karrieresprünge erhoffen. Ein Vorstand der nach dem einjährigen Rotationsprinzip funktioniert, hat ein Interesse an guten Bedingungen an der Fakultät: Nach einem Jahr ist er_sie selber wieder Teil von ihr.

Forschung und Themenschwerpunkte in der Lehre – eine Gefahr für akademische Selbstverwaltung:

Der Universitätsvorstand wollte fünf Forschungs- und fünf Themenschwerpunkte innerhalb der Universität einführen. Es gab einige Bedenken bezüglich des Vorschlags. Das erste Bedenken war, dass es nicht klar war, was das Ziel dieser Schwerpunkte sein sollte. Die Universitätsverwaltung fuhr damit fort, sowohl konfuse als auch verwirrende Informationen zu verbreiten: einerseits sollten diese alle - oder die meisten - akademischen Aktivitäten auf dem Campus beinhalten, andererseits seien es bloße Netzwerkmöglichkeiten für Akademiker_innen. Einerseits sollten sie die verbindlichen Hauptleitlinien, entlang derer die Finanzierung von Seiten nationaler Organe angefragt wird, sein, auf der anderen Seite sollen sie bloße Richtlinien sein, die Unterstützung bieten können, die Finanzierung zu beantragen. Egal wie es kommen sollte, eine Viertelmillion Pfund sollten an jeden Schwerpunkt gekoppelt werden. Das ist viel Geld, welches von andere Stelle her hätte kommen müssen, für eine derart schlecht durchdachte Sache. Das zweite Bedenken zur vorgeschlagenen Einführung der Themenschwerpunkte bezieht sich auf deren Auswahl. Die Universitätsverwaltung wollte selbst fünf ebendieser vorschlagen. Später, nachdem Druck aufgebaut wurde, durften die Akademiker_innen ihre eigenen Vorschläge machen. Von Anfang an wurde ein Schwerpunkt zu Sicherheit vom Vizevorstand Joanne Wright forciert. Sie sollte auch verantwortlich sein für das Thema zur nationalen Sicherheit. Diese zwei Themen scheinen besonders skandalös, sowohl für die akademischen Angestellten, als auch für die Studierenden, da sie aus einem unkritischen Blick auf den „War on Terror“ seitens der Regierung kommen.2

Ein Fokus auf die Drittmittelfinanzierung durch den Markt

Es gab einen starken Trend, die Hochschulbildung von einem öffentlichen Modell zu einem marktorientierten Modell zu verschieben. Die Einführung von Studiengebühren und Langzeitstudiengebühren waren unterschwellige Zeichen hierfür. Auch die Möglichkeit für private Firmen, offiziell anerkannte Abschlüsse innerhalb ihrer Ausbildungskurse ausweiten zu können, ist ein weiteres Zeichen. Als Ergebnis gehen Universitäten dazu über, sich unabhängige Wege zur Selbstfinanzierung zu suchen. Die größte Einkommensquelle ist hierbei Forschungsfinanzierung. Die zweitgrößte sind internationale Studierende, die mehr als das dreifache der Gebühren zahlen, die europäische Studierende zahlen müssen. Diese rassistische Politik bedeutet, dass grundsätzlich nur die außereuropäischen Studierenden überhaupt eine Chance haben hier (im Vereinigten Königreich – Anm. d. Übers.) zu studieren, die sehr reich sind. Des Weiteren bedeutet dies, dass Universitäten ihren Schwerpunkt auf den internationalen Markt verlegen. In Sussex wurde entschieden, dass der beste Weg, um dies zu tun die sog. Ausweitung der ‚Business School‘ sei. Sussex ist keine ‚Business School‘ und wenn sie diese schaffen würde, müssten sie sich gegen den Ruf von der London School of Economics und anderen gefestigten ‚Business Schools‘ bewähren. Es würde einfach keinen Sinn machen!

Die Massenkampagne

Als sich die Unsicherheit über die Probleme, vor denen wir standen, der Entschlossenheit zu Kämpfen gewichen war, entschieden wir uns dafür, ein Massentreffen für die siebte Woche einzuberufen. Das Ziel dieses Treffens war, die Informationen über die zu bewältigenden Probleme zu streuen und den Widerstand gegen die Umstrukturierungen und gegen die Pläne der Universitätsleitung auf eine Massenbasis zu stellen. Das Meeting wurde gut angenommen und so kamen über 250 Studierende und Angestellte der Uni. Dieses Treffen ist als großer Erfolg zu bewerten: Nach anfänglicher Unsicherheit über die Entscheidungsstrukturen, wurde beschlossen, dass es die zentrale Organisationsstruktur der Kampagne werden sollte. Es wurde ebenso beschlossen, dass über eine Entscheidungs- und die Organisationsstruktur auf dem nächsten Treffen diskutiert werden sollte. Zudem sollten Forderungen aufgestellt und für die 9. Woche eine Demonstration auf dem Campus organisiert werden.

Obwohl auf den drei nachfolgenden Massentreffen weit über 200 Menschen anwesend waren, verflog die aufgeregte und motivierte Stimmung des ersten Treffens ziemlich schnell. Es existierte keine Struktur während der Treffen, so dass sich Debatten oft verliefen und sich viel im Kreis gedreht wurde. Erst ab dem dritten Treffen wurden Protokollant_innen und Redeleitung gewählt. Die Tagesordnung wurde von von einer ausgelagerten Gruppe aufgestellt. Das zweite Treffen zog sich über drei Stunden hin, vor allem aufgrund einer weitläufigen Diskussion über die Forderungen. Delegierte des Mittelbaus (die sich gegen Lohnkürzungen zur Wehr setzen wollten) haben das Treffen zu diesem Zeitpunkt verlassen, weil das Plenum entschieden hatte, dass die Verhandlungen von der Studierendenvereinigung geführt werden sollten (diese hatte allerdings den Mittelbau bereits vor einiger Zeit im Stich gelassen).

Trotz alledem war die Demonstration in Woche 9 eine der größten, die Sussex in den letzten 20 Jahren gesehen hat. Es gab daraufhin eine weitere Demonstration vor dem Senat, bei dem die Forderungen diskutiert werden sollten. Auch hier versammelten sich wieder viele Menschen. Gegen Ende des Semesters wurde klar, dass die meisten Angestellten der Universität ebenfalls gegen die vorgelegten Pläne waren: Allein in der philosophischen Fakultät unterzeichneten 75 Angestellte die Forderungen die durch das Meeting aufgestellt worden waren.

Die Kampagne sah sich jedoch in ihrem Kern gespalten: Einerseits war die Auseinandersetzung wichtig und wurde auch als solche von weiten Teile der Uni verstanden – wie man unschwer an der großen Beteiligung sehen konnte. Andererseits war die Kampagne jedoch in der eigenen Unorganisiertheit und durch seinen bürokratischen Charakter gefangen. Woran lag das?

Wir befinden uns in Sussex in einer merkwürdigen Situation: In den meisten anderen Städten im Vereinigten Königreich sind linke Kräfte, wenn sie irgendwo eine Rolle spielen, dominiert von Statist_innen. Unterschiedliche trotzkistische oder leninistische Gruppierungen haben dort eine gewisse Hegemonie. Sussex‘ Linke wird dominiert von Anarchist_innen. Das ist ein zwiespältiger Segen. Während wir uns sicher sein können, dass nicht irgendwelche Verbände sich in die Proteste einklinken, um Mitgliederwerbung für ihre Parteien zu machen, hat es die anarchistische Linke bislang nicht geschafft, sich kontinuierlich für eine Öffentlichkeit einzusetzen oder versucht, eine politische Debatte auf dem Campus zu führen. Das Resultat ist, dass viele Menschen sich mit anarchistischen Idealen identifizieren, aber dass viele von ihnen kein Bewusstsein darüber haben, was Anarchismus im Allgemeinen und Anarcho-Kommunismus im Besonderen bedeutet. Die Meisten orientieren sich an individualistischen Ideen und ihre Politik besteht im Wesentlichen aus der Abwehr von alledem, was sie im Ansatz als Organisation, Bürokratie und autoritär erachten. Es gab kaum oder kein Bewusstsein über organisatorische Grundlagen. Die Konsequenz daraus ist ironischerweise, dass die Massenkampagne dauernd dominiert wurde von selbsternannten Anarchist_innen. Das Massentreffen wurde zu einer bloßen Verwaltungsinstitution degradiert und war ein Pappkamerad, der gegen die Universitätsverwaltung aufgestellt wurde, statt ein Ort zu sein, an denen Menschen entlang basisdemokratischer Prozesse gestalten und ihren Widerstand organisieren konnten. Das wurde schnell erkannt und führte dazu, dass Wahlen gefordert wurden und Delegierte bestimmt werden sollten. Es wurde immer offensichtlicher, als Studierende in Gesprächen nach den Treffen verlautbaren ließen, dass sie sich über die mangelnde Organisation und dessen demotivierende Effekte aufregten.

Eines der entscheidenden Ursachen für die Zentralisierung und Bürokratisierung der Treffen war die permanente Autorität, die von der externen Diskussionsgruppe ausging. Obwohl dass Plenum entschieden hatte, dass es von nun an das entscheidende Organ werden würde, hatte es sich noch keine genaueren Gedanken über die eigene Struktur gemacht. Die kleinere Diskussionsgruppe, die zwangsläufig nur einen kleinen Teil der Diskussion im Plenum darstellen kann und auch nur für solche Menschen zugänglich ist, die bereit sind, auf zwei Treffen in der Woche zu gehen, hatte sich dafür entschieden, dass das Plenum kein geeigneter Ort für Entscheidungsfindung war. Ihrer Meinung nach sei das Treffen zu bürokratisch, formalistisch und autoritär. Beim nächsten Plenum blockierten Teile des kleinen Diskussionszirkels die Debatte über transparente Strukturen, welche der Entscheidungsfindung helfen sollte. Ab jetzt bestimmten individualistische Anarchist_innen die Tagesordnung, Inhalt und die Strategie der Kampagne. Entscheidungen, die im Plenum gefällt wurden, wurden von dem Diskussionszirkel bis ins unendliche diskutiert. Diese Diskussion kann jedoch, wie gesagt, nur einen kleinen Teil der gesamten Diskussion darstellen. Dadurch wurde die Hürde, sich an der Kampagne zu beteiligen, erheblich erschwert und die Last der Arbeit verteilte sich nur auf wenige Schultern.

Obwohl eine solide demokratische Entscheidungsfindung nicht unbedingt perfekt gewesen wäre, hätte es die Partizipationsmöglichkeiten für Teilnehmer_innen der Plena erheblich erleichtert. Es kann nur das Ziel und die Rolle anarchistischer/libertär kommunistischer Gruppen in solchen Auseinandersetzungen sein, das Bewusstsein für kollektive Organisierung und Kämpfe zu schaffen und zu stärken. Denn sobald wir anfangen, Kampagnen an zu führen oder Räte als Instrumente zur Durchsetzung unserer Agenda zu begreifen, wird der Begriff der Emanzipation zu einer hohlen Phrase. An diesem Punkt würden wir nämlich, wie jede politische Partei, bloß unser politisches Interesse durchsetzen wollen.

[Black cat Group Sussex]
Black cat Group Sussex

Wie diese Kampagne weiter geht, wird sich in naher Zukunft zeigen. Wir hoffen, dass unsere Forderungen nach einer demokratischen und transparenten Entscheidungsfindung und die Verbreitung libertär kommunistischer/anarchistischer Ansätze voran schreitet durch die kollektive Organisierung an der Basis. Bis dahin halten wir diese Kampagne bereits jetzt für eine, die die Projekte der vergangenen Jahre in ein anderes Licht rückt.

1) Das RAE regelt, dass Universitäten über die Veröffentlichungszahlen ihrer Fakultäten an Gelder und Finanzierung gelangen.

2) Joanne Wright gehört zum Beratungskomitee des Insituts für Homeland-Security-Management an der Long-Island-University (diese ist eine der führenden Institutionen für Homeland-Security


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