Das Bachelor-Studium
Die zweite grosse Veranderung, die den Hochschulen in den letzten zehn Jahren aufgezwungen worden ist, ist die Abschaffung der traditionellen Diplom-/Magisterstudiengange zugunsten des Bachelor-/Mastersystems.
Dieser Vorgang wird Bolognaprozess genannt, nach der italienischen Stadt, in der 1999 die Kultusminister der europäischen Staaten eine unverbindliche Erklarung abgaben, einen gemeinsamen «international wettbewerbsfahigen Hochschulraum» schaffen zu wollen.
Wichtigster Teil des Bachelor/Masterstudiums ist die Teilung des Studiums in einen «undergraduate» (Bachelor) und einen «graduate» (Master) Abschluss, die nacheinander erworben werden mussen.
Der Bachelor als berufsqualifizierender Hochschulabschluss, der in drei Jahren erworben wird, soll dabei fur Studenten zur Regel werden, wahrend der Masterstudiengang nur den besten Bachelorabsolventen vorbehalten werden soll.
Das Bachelorsystem ist dabei allerdings keineswegs neuentwickelt. Sechsemestrige, berufsbezogene Studiengange gab es schon lange an deutschen Fachhochschulen.
Durch die Einfuhrung des BAs werden die Universitaten mit verheerenden Folgen zu Fachhochschulen umgewandelt werden.
Die Verkurzung der Regelstudienzeit geht einher mit einer starkeren Reglementierung und Kontrolle der Studierenden.
Das Studium wird aufgeteilt in eine Handvoll Module, in denen jeder Student mindestens eine Prufungsleistung ableisten muss, für die er benotet wird.
Die Noten, die er in den einzelnen Modulen erringt, sind entscheidend fur die Endnote.
Die Arbeitsleistung eines Studenten («student workload») wird in sogenannten ECTS-Credits gemessen und buchhalterisch festgehalten. ECTS steht fur «European Credit Transfer and Accumulation System» und stammt ursprunglich aus dem Erasmusprogramm.
Fur jede erfolgreich besuchte Veranstaltung erhalt ein Student eine bestimmte Anzahl an Credits, die den durchschnittlichen Arbeitsaufwand dokumentieren: ein Credit steht fur ca. 30 Stunden studentischer Arbeit, die sich gliedert in den Besuch der Vorlesungen, die private Nachbereitung des Stoffes und die Prufungen.
Pro Jahr soll jeder Student 1800 Arbeitsstunden ableisten, also 60 Credits erarbeiten.
Dieses Kredittransfer (und -anhäufungs) system soll die Vergleichbarkeit des Lernaufwandes an verschiedenen Universitaten herstellen und so den Studenten einen einfachen Wechsel zwischen verschiedenen Hochschulen im gesamten europaischen Bildungsraum ermoglichen.
Diese grossere Mobilitat ist eine der Hauptintentionen des Bolognaprozesses.
In der Realitat lasst sich jedoch keine Erhohung der Auslandssemester bei Bachelorstudenten feststellen. vgl. auch die Studie des HIS: http://www.his.de/publikation/seminar/ForumPruefungsverwaltung032008/02
HISForumPV08MobilitaetAusland.pdf
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich hier Grundlegendes andert, da Auslandsaufenthalte immer noch eine Frage des Geldbeutels sind und im Allgemeinen die Studiendauer erhohen - was wiederum eine finanzielle Belastung bedeutet.
Faktisch bedeutet die Einfuhrung des BA/MA-Systems eine Verkurzung der Regelstudienzeit und ein Qualitatsverlust des Studiums. Der durchschnittliche Bachelorabsolvent wird schlechter qualifiziert sein, als der Absolvent eines Diplomstudienganges.
An erster Stelle wird die Position der Studenten auf dem Arbeitsmarkt geschwacht. Niedrigere Einstiegsgehalter und geringere Karrierechancen werden die Folge der Umstrukturierung sein.
Durch die vorgeschriebene routinierte Lernkontrolle mittels Klausuren, wird ein standiger Leistungsdruck auf die Studenten ausgeubt und instrumentalisiert, der zu psychischen Schaden fuhrt vgl. u.A. die Studie der Techniker Krankenkasse: https://www.tk-online.de/centaurus/generator/tk-online.de//b01bestellungendownloads/z99downloadsbilder/pdf/gesund-studieren,property=Data.pdf und nachhaltig die Einstellung der Studierenden zu ihrem Fach und dem gelernten «Stoff» pragt.
Auswendiglernen standardisierter Phrasen und wird in den Vordergrund treten, Interesse an Forschung und Wissenschaft beschadigt.
Die soziale Situation der Studierenden wird entgegen allen Behauptungen noch einmal verscharft.
Zwar werden die Kosten fur ein Studium durch die Verringerung der Studienzeit zunachst einmal reduziert, aber diese Reduktion wird zum einen durch die Gebuhren wieder erhöht und zum anderen sind von der gleichzeitige Erhohung der Arbeitsbelastung gerade diejenigen betroffen, die wahrend des Studiums einer Erwerbstatigkeit nachgehen mussen.
Zugig «durchstudieren» kann nur, wer einen freien Kopf hat und nicht noch zusatzlichen Belastungen, wie einer fruhen Familiengrundung, ausgesetzt ist.
Die Ubergangsquote vom Bachelor zum Master wird einer der Angelpunkte der kunftigen Auseinandersetzungen werden. Die Ministerien streben im Allgemeinen eine Durchlassquote von 20 Prozent an, d.h. vier Funfteln der Bachelorstudenten soll ein vollstandiges Studium verwehrt bleiben.
Auch wenn man zunachst eine derart krasse Regelung verhindern kann, ist anzunehmen, dass die Quote mit der Zeit an die erwunschte angepasst wird.
Wahrscheinlich ist, dass die Durchlassschraube in Zukunft als Kontrollinstrument dient, einmal die Zahl der Masterstudenten an die Anforderungen der Wirtschaft anzupassen, aber auch die Studenten im Falle politischer Konflikte unter Druck zu setzen zu konnen.
Eine weitere ernstzunehmende Gefahr besteht darin, dass, wenn der Bachelor zum Regelabschluss werden sollte, das Masterstudium als Fortbildungsmassnahmen fur schon Berufstatige missbraucht wird.
Schon jetzt werden unter dem Deckmantel des Masters immer mehr auf den Bedarf der (Gross-)Industrie zugeschneiderte Studiengange angeboten: «callcenter management», «Kulturmarketing», «Leitung und Kommunikationsmanagement» oder «Bildungsmanagement» sind nur einige Beispiele.
Fur besagte Studienangebote werden dann auch zusatzliche Gebuhren von bis zu 10.000 Euro erhoben, so dass sie fur regulare Studierende nicht zu bezahlen sind.
Dahinter steckt das Kalkul, dass geringer qualifizierte Bachelorstudenten weniger kosten und (aufgrund der verkurzten Schul- und Studienzeit) fruher zur Verfugung stehen.
Spater notwendige Spezialisierungen konnen dann im Rahmen der von den Universitaten zur Verfugung gestellten Fortbildungsangeboten als Teilzeitstudium berufsbegleitend erworben werden.
Das dahinterstehende Konzept des «lebenslangen Lernens» wurde von den Betriebswirtschaftlern entwickelt und soll die zeitgemasse Antwort auf die rasante Entwicklung in den Wissenschaften und der Technologie sein.
Der Name erinnert nicht umsonst an die «lebenslange Freiheitsstrafe», denn tatsachlich geht es hier nicht um selbstbestimmtes Lernen, also Lernen aus eigener Motivation und nach eigener Gestaltung, das übrigens nachgewiesenermassen effektiver ist, sondern um einen lebenslangen Zwang, sich stereotypen Prozeduren der Wissensaneignung, Abfrage (Klausuren, mundliche Tests), Bewertung und Zertifizierung auszusetzen.
Die Hochschulen werden auf diese Art zu Dienstleistern fur die Industrie degradiert. In Wirklichkeit stehen nicht die Studenten im Vordergrund der neuen Servicekultur, sondern die Partikularinteressen der Privatwirtschaft.