Ein Vetreter der Studierendenschaft bitte zum Lautsprecherwagen!
Wer in den letzten Monaten und Jahren einen Blick in die Tageszeitungen und Blogs wagte, konnte den Eindruck gewinnen, dass Europas Studierendenschaft ein engagierter, ein für den Staat ungemütlicher politischer Akteur ist.
...In ganz Europa? Nein, ein von beugsamen Studierenden bewohnter Staat kennt nur eine kollektive Antwort auf die Zumutungen seines Bildungssystems: Lethargie.
Während in Frankreich, Italien und zuletzt auch in Griechenland ein Großteil der Studierenden zu der Einsicht gekommen ist, dass nur eine offensive Intervention gegenüber dem Staat eine angemessene Reaktion auf Bildungsreformen oder auch den Status quo ist, kommt die Studierendeschaft in der Bundesrepublik über das Lamentieren nicht hinaus.
Warum die Studierenden in der BRD nichts auf die Beine stellen...
Den Unterschied machen wohl kaum die besonders rosigen Zustände und Zukunftsaussichten des deutschen Bildungssystems, sondern eine besonders in Deutschland verbreitenden Ideologie aus. Was für eine Ideologie das ist, zeigt sich, wenn sich dann doch in den deutschen Universitäten Protest formiert: Weder mit der Schülerschaft, noch mit den Lehrenden und Angestellten der Bildungsanstalten findet eine kontinuierliche Zusammenarbeit statt. Die Frage, in welcher Welt wir leben wollen und wie wir Bildung organisieren wollen, die zu einer Einbeziehung aller beteiligten Statusgruppen führen würde, stellt sich den Studierenden gar nicht. Tatsächlich herrscht die Annahme vor, die Universität sei eine Institution, die Service biete und folglich dann zu kritisieren sei, wenn dieser Service mangelhaft ist. So beschränken sich die Theorien und Analysen dieser kleinen studentischen Protestgruppen in der Regel auf hochschulpolitische Aspekte im engsten Sinne. Sie konstatieren eine Verschlechterung an den Unis. Die Bildung sei bedroht, wahlweise von der Abschaffung und Einführung von Studiengängen, wahlweise von kostenpflichtigen Zugang zur Hochschule. Der Begriff von Bildung, welcher sich hinter solchen Vorstellungen verbirgt, wird von diesen Protestgruppen selten thematisiert.
So hängt der Rückzug auf die eigene Statusgruppen an einem elitären Verständnis von Bildung.
Wie sonst ist es zu erklären, dass das Hauptargument gegen Studiengebühren und Bachelor-Studiengänge die erhöhte Belastung für die Immatrikulierten ist, nicht die verstärkte Ausgrenzung der Menschen, die eh schon von „höherer Bildung“ ausgeschlossen sind?
Die Forderung nach besserer Bildung oder kostenloser Bildung bleiben mit dieser Ideologie ebenso unsinnig wie die Forderung nach mehr Bafög. Denn in der Schule und an der Universität geht es nicht um Bildung: Diejenigen, die den Schulstoff nicht so schnell aufnehmen können, dürfen ja nicht einfach länger lernen als die anderen. Stattdessen werden die Schüler*Innen und Studierenden mittels Prüfungen, Noten und unterschiedlichen Schulabschlüssen einem Ausleseprozess unterzogen, an dessen Ende der Ausschluss vieler von der Möglichkeit eines Studiums steht. Dort ist mit der Selektion allerdings auch noch nicht Schluss, wie z.B. anhand der Bachelor-/ Masterquoten sichtbar wird.1
Das verweist auf ein grundsätzliches Problem. Schlussendlich sollte, wer die Augen vor einer Analyse und Kritik der gesamtgesellschaftlichen Zustände verschließt, auch zur Bildungspolitik schweigen. Aber auch die Einbeziehung einer solchen Perspektive muss nicht richtig sein. Die entsprechende, gängige Argumentation ist, man dürfe nicht während des Studiums mit zusätzlichem finanziellen Druck belastet sein, damit man sich besser ausbilden (lassen) kann. Man erhofft sich auf diese Weise später, seine Nützlichkeit auf dem Arbeitsmarkt besser beweisen zu können. Demnach seien die jüngsten Reformen deswegen abzulehnen, weil die privilegierte Elite, dessen Arbeitskraft nach ihrer (Hochschul-)Ausbildung so wertvoll für die Nationalökonomie (Stichwort: Standort Deutschland) alle Zuwendungen verdiene, die es benötige, um eben diese erfolgreich zu machen.
...und warum eine Perspektive über die Grenzen der BRD hinaus für eine Stärkung emanzipatorischer studentischer Bewegungen nützlich sein kann...
Als im Herbst die Regierung Berlusconi eine Bildungsreform durchsetzen wollte, die eine massive Kürzung der Ressourcen sowohl in den Unis wie auch in den Schulen bedeutete, gingen landesweit Studierende, Lehrende, Schüler*Innen und solidarische Menschen aus Gewerkschaften und anderen Zusammenhängen auf die Straße. Bis heute haben sich die Proteste nicht gelegt auch wenn die Regierung sie weiter ignoriert oder mit Polizeigewalt droht. Mittlerweile geht es nicht mehr allein um die Bildungsreform, sondern ebenso um die Wirtschaftskrise.
In Frankreich gibt es Bündnisse, wie sie unter anderem bei den Protesten 2006 zum Contrat première embauche (CPE: in deutschen Medien „Ersteinstellungsvertrag“) auftraten.
Bemerkenswert an diesen Protesten ist also zunächst die schlichte Tatsache, dass sie erfolgreich waren. Schlüssel des Erfolgs war eine Mobilisierung der Gesellschaft, die weit über die unmittelbar betroffene Gruppe hinaus ging. Am deutlichsten steht hierfür die hohe Beteiligung von Studierenden der sog. Elite-Universitäten. Die Räumung der Sorbonne durch Spezialkräfte der Polizei erzielte in den Medien höchste Aufmerksamkeit und nun begannen alle über die Wiederkunft von Studierendenprotesten à la 68 zu philosophieren. Die Demos gegen den CPE zeichneten sich v.a. durch die Heterogenität der Beteiligten aus. Alt Eingesessene GewerkschafterInnen demonstrierten an der Seite von Jugendlichen aus den Vororten. Studierende zusammen mit Arbeitslosen. Studierende besuchten die Streikversammlungen von streikenden EisenbahnerInnen und organisierten zusammen mit diesen Proteste gegen den Verkehrsminister.
Auch in Griechenland gibt es solidarische Bündnisse: Anlässlich der Polizeigewalt, dem Mord eines Polizisten an einem Jungen, entzündete sich der Protest, welcher sich aber ebenso aus der Unzufriedenheit über die politisch-soziale Realität des Landes speist. Die massiven Kürzungen z.B. im öffentlichen Sektor und die Universitätsreform führen auch dort zu einer Zusammenarbeit von Studierenden und beispielsweise Schüler*Innen und Arbeiter*Innen.
In der Bundesrepublik ist so etwas kaum denkbar. Stattdessen konstruiert vor allem die studentischen Selbstverwaltung, in Göttingen unter der Führung der ADF, eine strikte Trennung von studentischen Interessen und Interessen des Restes der Gesellschaft. Von Gewerkschaften und anderen Betroffenen des Umbaus der Sozialsysteme distanziert sich diese Hochschulgruppe lieber explizit.
Hier zeigt sich besonders drastisch, wie gut es der Politik gelungen ist den Widerstand in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen zu isolieren. Denn – wie in der Vergangenheit - von den Ergebnissen der Auseinandersetzung zwischen ver.di und den Ländern sind die studentischen Hilfskräfte (HiWis) an der Uni – und das sind nicht wenige – direkt betroffen. Denn deren Gehalt orientiert sich am Stundenlohn im öffentlichen Dienst. Das wird zwar immer dann „vergessen”, wenn es um Lohnerhöhungen geht, bei Lohnsenkungen, werden die HiWis jedoch durchaus mit bedacht. Und um nichts anderes, als um eine Stundenlohnkürzung geht es bei einer Anhebung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich. Diese würde für HiWis wegen des Gebots der „Gleichbehandlung” einen Stundenlohnverlust von 30 Cent bringen. Von 8,02 Euro auf 7,72 Euro. Grund genug eigentlich sich zu wehren und sich zu solidarisieren.
Deshalb wäre es an der Zeit die Mauern, welche diese Ideologie baut, einzureissen und die Solidarität mit dem nächsten Umfeld an der Uni, aber auch weltweit zu leben!
Wir glauben nicht an eine Zukunft, die aus einer Gesellschaft der vereinzelten Individuen erwächst.
Wir wissen, dass die vermeintlich selbstverständlichen, quasi-natürlichen Zustände eine andere Dimension bekommen, wenn wir uns die Mühe machen, Vergleiche mit den Zuständen in anderen Ländern der Welt anzustellen. Wir werden weiterhin die Teilnahme an einer elitäre Debatte ablehnen. Wir fordern ein solidarisches Miteinander! Wir fordern die Solidarität mit sozialen Bewegung weltweit!
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1) ...die auch eine Geschlechterhierachie festigen wie der Fachschaftsrat der Philosophischen Fakultät in seiner Bachelor-Kritik-Broschüre gezeigt hat. ( http://fsr.blogsport.de/2008/12/23/reader-zur-kritik-am-bachelorsystem-2/ )