Stoppt die Evaluation - wir wollen mehr davon!
An der Universität Göttingen gibt es ein Problem. Evaluationsfragebögen sollen die Lehre verbessern. Doch hinter dem postulierten Ziel steckt viel mehr, als es der erste Eindruck vermuten lässt.
Diejenigen, die schon länger in Göttingen studieren, kennen ihn vermutlich schon. Andere werden ihn noch kennenlernen: den lästigen Fragebogen für die Evaluation der Lehre. Aber warum ist er so lästig? Lästig nicht etwa deshalb, weil er immer dann auftaucht, wenn das Semester seinem Ende entgegen geht. Lästig auch bestimmt nicht deswegen, weil ein Ziel der Fragebögen die Verbesserung der Lehre sein sollte. Nein, ...lästig ist er, weil er nicht nur ein Ziel verfolgt, sondern mehrere. Lästig ist er auch, weil er, nachdem er ausgefüllt worden ist, in der Versenkung verschwindet und wir nicht wissen, wer ihn in die Hände bekommt und welche Konsequenzen daraus gezogen werden.
Aber der Einsatz von Evaluationsfragebögen sollte nicht isoliert, sondern im Kontext der Ökonomisierung der Hochschulen betrachtet werden. Schon seit geraumer Zeit kann mensch beobachten, wie die neoliberalen Reformen die Universitäten zu betriebswirtschaftlichen Dienstleistern degradieren. Die Hochschulen sollen sich dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb unterwerfen. Das sehen auch die Vertreter und Vertreterinnen der Bertelsmann-Stiftung so, die maßgeblich an der Umstrukturierung der Hochschulen beteiligt sind.1
Um wettbewerbsfähig zu sein, muss jedoch zuerst eine Vergleichbarkeit und Messbarkeit geschaffen werden. Bildung aber lässt sich weder messen noch vergleichen. Wie selbstverständlich greifen wir auf Wissen zurück, das Generationen vor uns unentgeltlich an uns weitergegeben haben. Was und wie viel bei den jeweiligen Personen angekommen ist und zu welchen Zweck es benutzt wird, lässt sich nur erahnen. Auch das Wissen, das wir uns selbstständig und außeruniversitär angeeignet haben, entbehrt jeglicher Vergleichbarkeit. Deswegen wird die Vergleichbarkeit künstlich geschaffen. Der Bachelor ist hierbei nur ein Beispiel unter vielen. Die Verschulung, wo alle das gleiche lernen und zu wenig Zeit vorhanden ist, sich über den Lehrplan hinaus zu bilden, durch eine strikte Modularisierung, durch Klausuren oder durch Noten. Dies alles sind Maßnahmen, die ergriffen werden, um eine Vergleichbarkeit herzustellen, welche die Grundlage der kapitalistischen Verwertungslogik ist.
Dieser kapitalistischen Verwertungslogik folgt auch die Idee der Evaluationsfragebögen: Sie sollen über Personalentscheidungen bestimmen, die Verteilung von Mitteln rechtfertigen und können als Entschuldigung für beschlossene Rationalisierungsmaßnahmen missbraucht werden. Die Lehrenden werden somit vermehrt und systematisch unter Druck gesetzt. Immer größer wird dadurch die Bereitschaft, sich den Vorgaben der Uni zu unterwerfen. Der Zugang zur Bildung ist somit nicht nur kostenpflichtig, sondern auch noch autokratisch reglementiert. Wer hier bestimmt, was gelehrt wird, sind diejenigen, die sowieso schon zuviel Macht haben: der Unipräsident und die Vertreter und Vertreterinnen von Wirtschaft und Politik, die im Stiftungsrat die Entscheidungen über die Köpfe der Leute hinweg treffen. "Die Vermarktung von Bildung im Sinne einer "Dienstleistung" wird weltweit von einem Netzwerk von Organisationen, Forschungszentren und privaten Institutionen vorangetrieben."2 Sie alle folgen derselben Logik: Bildung soll verwertbar gemacht werden.
Doch wer will sich schon immer als Opfer der Strukturen beklagen. Wenn die voranschreitende Privatisierung der Bildung den Spielraum verkleinert, dann muss mensch den Spielfeldrand aufbrechen und sich Freiräume erkämpfen. Wir wollen nicht länger tatenlos zusehen, wie die Bildung den Bach hinuntergeht und unsere Einflussmöglichkeiten von Tag zu Tag sinken. Wir wollen unser Studium selbst bestimmen, unsere Lehre selber gestalten, wir wollen gemeinsam arbeiten und nicht gegeneinander. Deshalb hat die Basisgruppe Ethnologie die EVA (Evaluationsgruppe) gegründet. Wir wollen nicht nur nicht den Herrschenden die Gestaltung unserer Seminare und Vorlesungen überlassen, wir wollen sie auch selber evaluieren.
Aber ohne eigene Initiativen funktioniert das nicht und auch nicht ohne eigene Ideen. Wenn die Evaluationsfragebögen also nicht nur die Verbesserung der Lehre im Sinn haben und auch noch in ihren Möglichkeiten begrenzt sind, was für eine Evaluation wollen wir denn dann?
Die EVA versucht es seit diesem Semester mit Gesprächsevaluation. Denn Evaluation ist nicht nur wichtig, um die gemeinsame Arbeit in den Seminaren zu reflektieren, sich Gedanken über positive, wie negative Aspekte zu machen und Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten, sondern auch um die gängigen Redemuster und Geschlechterhierarchien aufzubrechen und zu hinterfragen. Wir wollen auf ein Klima hinarbeiten, in dem Kommunikation nicht von wenigen beherrscht wird, sondern ein möglichst breitgefächertes Stimmungsbild zu Tage fördert.
Das geht aber nur, wenn Studierende und Dozierende gemeinsam an der Verbesserung der Lehre arbeiten, sich freiwillig einbringen und die Anliegen der jeweiligen Personen ernstgenommen werden. Kurz: Wenn eine Verbesserung der Kommunikations- und Arbeitsstrukturen stattfindet. Dies ist ein gemeinsames Projekt, das ohne Partizipation aller an der Lehre nicht zu realisieren ist.
In diesem Sinne: überlasst die Qualität der Lehre nicht anderen, um Euch dann darüber zu beschweren, sondern gestaltet Eure Bildung aktiv mit. Unterwerft Euch nicht der Verwertungslogik des Kapitals, sondern helft mit, die Strukturen anzugehen.
Basisgruppe Ethnologie
1) Die wettbewerbsorientierte Hochschule konkurriert national und international um Studienanfänger, Studierende, Wissenschaftler, Ressourcen und Reputation.“
Leitbild Wettbewerb des CHE (Centrum für Hochschulentwicklung, ein think tank der Bertelsmann-Stiftung) http://www.che-concept.de/cms/?getObject=265&name=Wettbewerb&tabelle=Leitbilder&pk_eintrag=5&getLang=de> “Als Leitbild dient die Idee der „entfesselten Hochschule“ ( 2) Zu ihnen gehört die 1995 gegründete WTO (World Trade Organization - Welthandelsorganisation). Das für Bildung relevante Abkommen ist die GATS-Vereinbarung (General Agreement on Trade in Services - Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen). Alle Bildungsbereiche sollen der öffentlichen Kontrolle entzogen werden und privaten Bildungskonzernen überantwortet werden.