Basisdemokratisches Bündnis:

Achtung, Purschen!

Ein Zimmer in einer Villa im Ostviertel zu einem unglaublich günstigen Preis, dazu großes Wohn- und Billiardzimmer sowie Verpflegung durch eine eigens angestellte Köchin - was vielen als hochattraktives Wohnungsangebot erscheinen mag, entpuppt sich in der Regel als Anzeige einer der zahlreichen Göttinger Studentenverbindungen. Gerade zum Semesteranfang versuchen diese wieder verstärkt Erstsemester anzuwerben - zu ‘keilen’, wie es im Verbindungsjargon heißt. Im Folgenden wollen wir euch anhand einiger Aspekte des Verbindungswesens verdeutlichen, warum ihr euch hüten solltet auf diese Werbung hereinzufallen.

Sexismus

In fast allen Verbindungen sind Frauen von der Aufnahme ausgeschlossen. Die Korporationen sind also Organisation die Frauen diskriminieren und Geschlechterhierarchien in der Gesellschaft fördern. Da auch die meisten Verbindungen inzwischen gemerkt haben, dass sich ein offenes Bekenntnis zum Sexismus mitunter schwer vermitteln lässt, berufen sie sich zur Legitimation meist auf ihre Tradition. Auf der Webseite der Dachverbände der Corps liest sich das dann so: ‘Natürlich gab und gibt es einige Tabus in den Corps für das schönere Geschlecht. Corps sind nun einmal tradionell Männerbünde.’

Dass Korporationen traditionell Männerbünde sind, ist zwar kein Argument für die Beibehaltung dieses Zustands, aber doch ein richtiger Hinweis auf die Kontinuität einer Ausgrenzungsstrategie. Populär wurde der Begriff des Männerbundes nämlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als auch Frauen allgemein zum Hochschulstudium zugelassen wurden. Entwicklungen wie das Vordringen von Frauen in den öffentlichen Raum der Universität wurden als Symptom einer drohenden Verweiblichung der Gesellschaft wahrgenommen. Als Reaktion auf diese vermeintliche Gefährdung der männlichen Vorherrschaft wurden ab Beginn des 20. Jahrhunderts Theorien entwickelt, die den bisher selbstverständlich erscheinenden Ausschluß von Frauen auch weiterhin legitimieren sollten – Männerbund-Theorien. Diese Theorien formulierten das Ideal einer auf dem Männerbund aufgebauten Gesellschaft. Grundlage dieser Männerbünde sollte Freundschaft sein. Nur Männer galten als fähig zu dieser Form der Freundschaft. Frauen hingegen seien aufgrund ihrer Natur zu dieser Art der Vergemeinschaftung nicht in der Lage.

Solche Vorstellungen sind leider nicht irgendwann verschwunden, sondern haben sich in den Korporationen bis in die BRD erhalten. Entsprechend machten Verbindungen vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten der Nachkriegszeit, als sie eine erneute Hochphase erlebten, studierenden Frauen das Leben schwer. Gerade die schlagenden Verbände traten als Akteure des Antifeminismus hervor. Die Stabilität von Geschlechterbildern in den Korporationen und ihrem Umfeld ist dabei mitunter erstaunlich. Der Soziologe Hans Anger veröffentlichte 1960 die Ergebnisse einer Mitte der fünfziger Jahre an vier bundesdeutschen Universitäten durchgeführten repräsentativen Erhebung, in der 138 Hochschullehrer befragt wurden:

‘Auf die Frage, warum es so wenig weibliche Hochschullehrer an der Universität gebe, reagieren die entschiedenen Befürworter der Korporationen auffallend häufig mit Lachen, Schmunzeln oder anderen Anzeichen der Heiterkeit. Die Frage scheint vielfach als ‘naiv’ empfunden zu werden – man findet es selbstverständlich, daß es nur wenig Dozentinnen gibt und vertritt in der Regel die Ansicht, daß Frauen für die Hochschullaufbahn grundsätzlich ungeeignet seien. In Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Befragten wird dabei oft auf einen gewissen Mangel der Frau an intellektuellen oder produktiv-schöpferischen Fähigkeiten hingewiesen; besonders häufig aber begründen die Anhänger der Korporationen ihre negative Einstellung mit dem Argument, der Beruf des Hochschullehrers lasse sich mit der weiblichen Natur oder mit der biologischen Bestimmung des Weibes schlechterdings nicht vereinbaren. Unter den unbedingten Befürwortern der Korporationen gibt es keinen einzigen Befragten, der weiblichen Universitätslehrern positiv gegenübersteht, und nur einen Fall von bedingt positiver Haltung – alle übrigen nehmen, soweit ihre Einstellung mit hinreichender Sicherheit erkennbar ist, eine mehr oder minder negative, sehr oft sogar grundsätzlich ablehnende Haltung ein. Auch weiblichen Studierenden steht diese Gruppe häufiger als der Durchschnitt der Befragten mit großen Bedenken gegenüber; man glaubt, daß es in den meisten Fächern bereits zu viel weibliche Hörer gebe, neigt nicht selten dazu, das Frauenstudium grundsätzlich abzulehnen und bezweifelt überhaupt die Eignung der Frau für höhere geistige Tätigkeiten. Ein ganz anderes Bild bietet die Gruppe der entschiedenen Korporationsgegner.’

Seit sie ihre starke Stellung an den Hochschulen verloren haben, sind Studentenverbindungen in ihrem öffentlichen Auftreten vorsichtiger geworden. Äußerungen wie die im Folgenden zitierten finden sich daher und weil der Auschluss von Frauen als Selbstverständlichkeit betrachtet wird nur noch selten. Trotz der inzwischen geschickteren Öffentlichkeitsarbeit ist der Einfluß der um die Jahrhundertwende entstandenen Männerbundtheorien unübersehbar. Die eigene Organisation kann sich nur als rein männliche vorgestellt werden, Frauen haben darin keinen Platz: ‘Corpsstudenten sind Männer, eine Integration des weiblichen Geschlechts würde als Fremdkörper wirken, einem Freundschaftsbund hinderlich.’ Männer sind also Männer und Frauen sind eben Frauen. So ‘argumentieren’ kann nur, wer die Vorstellung eines in der Natur wurzelnden Geschlechtergegensatzes internalisiert hat. Davon ausgehend ist dann auch selbstverständlich, dass ‘natürlich’ nur Männer zu ‘wahrer Freundschaft’ fähig sind. Diesen Grundgedanken enspricht eine Gesellschaftskonzeption, in der männliche Vorherrschaft nicht zu bekämpfendes Übel sondern von der menschlichen Natur vorgegebene Norm ist: ‘Unser Burschenbrauchtum ist immer auf eine männliche Gruppe abgestimmt. Die menschliche Weltordnung ist auf das Männliche ausgerichtet.’1 Einen wichtigen Bestandteil dieses Brauchtums, die Mensur, wollen wir nun näher unter die Lupe nehmen.

Habitus ohne Mitleid

Die Korporationen haben den Anspruch, auf die Persönlichkeitsbildung ihrer Mitglieder einzuwirken und sie zu erziehen. Für einen Teil des Verbindungsspektrums, die schlagenden Verbindungen, stellt die Mensur eines der wichtigsten Erziehungsmittel dar. Pflichtschlagende Korporationen verlangen von ihren Mitgliedern eine bestimmte Anzahl von Mensuren zu fechten, bevor sie endgültig aufgenommen werden.

Bei der Mensur stehen sich die zwei Personen, die Paukanten, mit scharfen Degen, sogenannten Schlägern, gegenüber. Der Körper ist größtenteils durch Bandagen geschützt, Teile des Kopfes liegen jedoch frei. Diese freiliegenden Stellen versuchen die Paukanten nun unter Einhaltung bestimmter Regeln zu treffen. Die Fechter dürfen vor den Schlägen des Gegners nicht zurückweichen, sondern müssen Verletzungen ohne äußere Regung in Kauf nehmen.

Hinter diesem seltsam anmutenden Ritual steht ein traditionelles Männlichkeitsideal als Erziehungsziel. In einer verbindungsstudentischen Publikation wird die Mensur zustimmend als ‘geradezu klassisches Initiations- und Mannbarkeitsritual’ bezeichnet. Ein bereits 1906 veröffentlichter, aber unter ‘Waffenstudenten’ bis heute beliebter Korporationsroman beschreibt den Zweck der Mensur mit den Worten: ‘Damit wir lernen, die Zähne zusammenbeißen – damit wir Männer werden’. Auch der Historiker Wolfgang Wippermann, selbst Alter Herr im Kösener Senioren-Convents-Verband (KSCV), äußert sich ähnlich:‘Duelle dienten nun einmal zur Austragung von Ehrenhändeln unter Männern, während die Mensur den Zweck hatte (und hat!) den Mut von Männern zu erproben. So gesehen ist die Mensur wirklich männlich. Männer und Mensuren gehören zusammen.’

Zentrales Element dieses Männlichkeitskonzepts ist offensichtlich ‘Härte’ - sowohl gegen sich selbst, als auch gegen andere. Norbert Elias hat die durch die Mensuren anerzogene Haltung daher als ‘Habitus ohne Mitleid’ bezeichnet. Die Bereitschaft, dem Gegenüber ernsthafte Verletzungen zuzufügen, ist unabdingbare Voraussetzung für die Teilnahme an der Mensur. Wichtiger ist aus Sicht der Verbinder allerdings die Härte gegen sich selbst. Vom Paukanten wird erwartet, dass er die ihm zugefügten Verletzungen ohne äußere Regung hinnimmt. Die Folgen einer solchen Abhärtung beschreibt Theodor W. Adorno in seinem Aufsatz ‘Erziehung nach Auschwitz’:

‘Die Vorstellung, Männlichkeit bestehe in einem Höchstmaß an Ertragenkönnen wurde längst zum Deckbild eines Masochismus, der - wie die Psychologie dartat – mit dem Sadismus nur allzu leicht sich zusammenfindet. Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll, bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer gar nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte, die er verdrängen mußte.’

Die Unterdrückung der eigenen Person, die totale Selbstbeherrschung, kehrt sich nach außen in der Bereitschaft zur Unterdrückung Anderer, zur gnadenlosen Herrschaft. Der vollständigen Ausmerzung des Mitleids mit sich selbst entspricht die Mitleidslosigkeit gegenüber Anderen.

Die Härte gegen sich selbst ist eng mit einem anderen Element der hier konstruierten Männlichkeit verbunden, der Unterordnung des Einzelnen unter das Kollektiv. Die Mensur dient der Korporation stets auch als Binde- und Vergemeinschaftungsmittel. Sie markiert die entscheidende Hürde vor der Aufnahme in die elitäre Gemeinschaft. Der Paukant soll durch die bewusste Inkaufnahme schwerer Verletzungen seine Bereitschaft demonstrieren, seine eigenen Interessen hinter die der Korporation zurück zu stellen. Nur wenn er bereit ist seine körperliche Unversehrtheit zu riskieren, sich verstümmeln und unter Zufügung medizinisch nicht notwendiger Schmerzen2 verarzten zu lassen, wenn er also sich selbst komplett verleugnet, nur dann wird ihm die Aufnahme in die Gemeinschaft gewährt. Gefordert wird also das Durchstreichen der eigenen Person, das vollständige Aufgehen im Kollektiv. Der Vorsitzende des Altherrenverbandes des Corps Friso-Luneburgia, eine der zwei Verbindungen aus denen das heutige Göttinger Corps Frisia hervorgegangen ist, formulierte dieses Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in einem internen Rundschreiben vom 25.11.1935 recht eindeutig: ‘Friso-Luneburgia muss leben und wird leben, auch wenn wir darben und sterben müssen.’

Adorno sah in Ritualen wie der Mensur ‘eine unmittelbare Vorform der nationalsozialistischen Gewalttat.’ Die Konsequenz, die er daraus zieht, bleibt aktuell: ‘Anzugehen wäre gegen jene Art [...] Initiationsriten jeglicher Gestalt, die einem Menschen physischen Schmerz – oft bis zum Unerträglichen - antun als Preis dafür, dass er sich als Dazugehöriger, als einer des Kollektivs fühlen darf.’

Tradition

Bei Organisationen, die so viel Wert auf Tradition legen wie Studentenverbindungen, liegt es nahe noch einen Blick auf ihre Geschichte zu werfen. Wir wollen hier bei weitem keine vollständige Geschichte der Verbindungen liefern, sondern lediglich einige Punkte herausgreifen, die von verbindungsstudentischer Seite in der Regel verschwiegen werden. Die Verbindungen die sich so gerne als Elite sehen, waren nämlich eine ganz besondere Avantgarde – eine ‘Avantgarde des Antisemitismus’.

Die Vorreiterrolle nahmen dabei die Vereine deutscher Studenten ein, die sich mit explizit antisemitischer Zielsetzung gründeten. 1881 schlossen sie sich zu einem Dachverband zusammen - mit einer klaren programmatischen Ansage: ‘Judentum, Franzosentum, wohin wir blicken. Es ist die Aufgabe der christlich-germanischen Jugend, das auszurotten, denn uns gehört die Zukunft.’3 Auch in den Burschenschaftlichen Blättern hieß es schon 1895: ‘Erst nach Beseitigung des jüdischen Elementes war eine Reform des burschenschaftlichen Lebens im deutschen Sinne möglich, erst jetzt kann die Burschenschaft wieder volksthümlich werden: Sie unterscheidet jetzt mit Recht Deutsche und Juden und läßt sich durch keine Versicherung, daß der Jude ein echter Deutscher sei oder werden wolle, mehr irre machen (...) auch die Taufe ändert bekanntlich nichts an der jüdischen Gesinnung.’

Angesichts solcher Äußerungen war es nur folgerichtig, dass der Burschentag 1920 beschloß, dass ‘die deutsche Burschenschaft in der Judenfrage auf dem Rassenstandpunkt stehe, das heißt der Überzeugung ist, daß die ererbten Rasseeigenschaften der Juden durch die Taufe nicht berührt werden.’ Des weiteren wurde ohne Gegenstimme beschlossen: ‘Die Deutsche Burschenschaft lehnt die Aufnahme von Juden und Judenstämmlingen grundsätzlich ab. Es bleibt der einzelnen Burschenschaft überlassen, in welcher Weise sie feststellt, inwieweit die Aufzunehmenden frei von jüdischem oder farbigem Blute sind.’ Darüber hinaus verpflichtete der Burschentag die einzelnen Burschenschaften ‘ihre Mitglieder so zu erziehen, daß eine Heirat mit jüdischen oder farbigen Weib ausgeschlossen ist, oder daß bei solcher Heirat der Betreffende ausscheidet’. Basierend auf diesen Beschlüssen wurde durch den Verfassungsausschuss der folgende Abschnitt in die Grundsätze der Deutschen Burschenschaft (DB) aufgenommen: ‘Die Burschenschaft steht auf dem Rassestandpunkt; nur deutsche Studenten arischer Abstammung, die sich zum Deutschtum bekennen, werden in die Burschenschaft aufgenommen.’

Die Corps wollten da nicht zurückstehen. Der KSCV verfügte 1921: ‘Ein Mischling soll als Jude gelten, wenn ein Teil seiner Großeltern getaufter Jude war oder sonst sich herausstellt, daß er jüdischer Abkunft ist.’ Ähnlich verhielt sich der Weinheimer Senioren-Convent (WSC). So steht in der Weinheimer SC-Chronik von 1927: ‘1920 hielt der WSC eine noch klarere Festlegung des deutschen Rassenstandpunktes für erforderlich, um den Unterschied gegen ‘national’ zu betonen. Denn die Nation umfaßt manche Rassen, der WSC will aber deutschrassig sein. Er schließt deshalb seit 1920 Fremdstämmige von der Aufnahme aus, Angehörige germanischer Staaten, wenn sie Förderer germanischer Ideen und Deutschfreunde sind, dagegen nicht, zum Beispiel Deutschösterreicher und dergleichen.’ Äußerungen und Bestimmungen wie die hier zitierten finden sich auch für andere Korporationsverbände, sie waren nicht die Ausnahme sondern die Regel. Oskar F. Scheuer konstatierte 1927: ‘Ein förmlicher Wettlauf der verschiedenen Studentenverbände setzte ein, einer suchte den anderen von Tagung zu Tagung an Beweisen für seinen ‘Rassenreinheit’ zu übertreffen.’

Die Korporationen blieben ihrer Linie treu. Die DB erklärte 1932 offiziell: ‘Die Deutsche Burschenschaft bejaht den Nationalsozialismus als wesentlichen Teil der völkischen Freiheitsbewegung. Den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund mit seiner gegenwärtigen Betätigung und unter seiner gegenwärtigen Führung kann die Deutsche Burschenschaft nicht als Faktor einer gedeihlichen Zusammenarbeit anerkennen [...] Es wird klar unterschieden zwischen der Hochschulpolitik, die uns zu einer Stellungnahme gegen den NSDStB nötigt, und der nationalsozialistischen Bewegung.’. Hier wird deutlich, dass organisatorische Konflikte mit NS-Organisationen und völlige inhaltliche Übereinstimmung durchaus gleichzeitig existieren konnten. Nach der Machtübernahme im nächsten Jahr brach die DB jedenfalls vollends in Begeisterung aus: ‘Was wir seit Jahren ersehnt und erstrebt und wofür wir im Geiste der Burschenschafter von 1817 jahraus jahrein an uns und in uns gearbeitet haben, ist Tatsache geworden.’4 KSCV, WSC, Miltenberger Ring (MR) und zwei andere Verbände schlossen sich am 22. September 1933 zur Nationalsozialistischen Gemeinschaft corpsstudentischer Verbände zusammen, die gelobte, ‘fest und unerschütterlich an unseren großen Führer Adolf Hitler und sein Werk zu glauben und ihm als seine treuesten Soldaten zu folgen.’ Das folgende Zitat aus der Deutschen Corpszeitung von 1934 ist so widerlich wie zutreffend in Bezug auf die Vorarbeit, die die Verbindungen geleistet haben: ‘Wir haben in schärfster Form den Grundsatz des arischen Blutsbekenntnisses durchgeführt, wir haben durch die Einführung des Führerprinzips die parlamentarischen Formen unseres Verbandslebens ausgerottet. Wir haben unsere junge Mannschaft in die SA und SS geschickt [...], wir brachten einen guten Teil der Voraussetzungen für echten Nationalsozialismus mit. Und wir mußten, wenn wir die Grundideen unserer corpsstudentischen Erziehung in uns fortwirken ließen, ganz besonders aufgeschlossen sein für das so urdeutsche Gedankengut des Nationalsozialismus.’

Da auch uns schon reichlich übel ist, wollen wir euch nicht weiter mit derartigen Zitaten quälen. Sowohl die Dachverbände als auch die einzelnen Verbindungen verweigern bisher in ihren öffentlichen Darstellungen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.

Ein durchaus typisches Beispiel ist die Darstellung auf der gemeinsamen Internetseite von KSCV und WSC. Unter dem Titel ‘Die Corps – seit dem 18. Jahrhundert hohe Ziele’ feiert man dort das ‘seit den Anfängen praktizierte, aus der Aufklärung geborene Toleranzprinzip’ und fährt fort: ‘Für die historische Leistung der Corpsstudenten, Wegbereiter eines modernen Verfassungsstaats gewesen zu sein, haben die Studenten vor über 200 Jahren den Grundstein gelegt. Ein Ideal, das sie im Marsch durch die Institutionen (zusammen mit anderen, ähnlich gesinnten Menschen) Wirklichkeit werden ließen.’ Völlig ungeniert wird behauptet: ‘Toleranz gegenüber Angehörigen anderer Nationen, Religionen und Kulturen gehört seit über zwei Jahrhunderten zu den Grundprinzipien der Corpsstudenten.’ Angesichts der Tatsache, dass die antisemitische und rassistische Geschichte der Verbindungen seit Jahrzehnten bekannt und belegt ist, muss man hier von bewusster Geschichtsfälschung sprechen.

Scharnierfunktion zwischen Konservatismus und Neofaschismus

Die Korporationen sehen sich mit dem Problem konfrontiert, dass Studentenverbindungen (zu Recht) ein schlechtes Image haben. Die Corps beklagen sich auf ihrer Internetseite: ‘Keine studentische Institution wird in und von der Öffentlichkeit so kritisch betrachtet, wie die studentischen Korporationen.’ Vor allem die DB, in der völkisch-nationalistische Politik hegemonial ist, fällt immer wieder in krasser Weise durch rechtsextreme Äußerungen und Veranstaltungen, sowie durch Kontakte zum organisierten Neofaschismus auf. Besonderes Aufsehen erregte die Münchner Burschenschaft Danubia als sie nach einem brutalen Übergriff von Neo-Nazis am 13.1.2001, der später als versuchter Mord zur Anklage führte, einen der Täter in ihrem Haus versteckte. Zu ihren Veranstaltungen luden in der DB organisierte Burschenschaften in den letzten Jahren unter anderem den Neo-Nazi Horst Mahler, den NPD-Barden Frank Rennicke, den Holocaust-Leugner David Irving und den Anmelder der Rudolf-Hess-Märsche in Wunsiedel, Jürgen Rieger, ein. In Göttingen gibt es mit den Burschenschaften Hannovera und Holzminda zwei DB-Verbindungen. Bei einer von diesen gemeinsam organisierten Veranstaltung trat 2004 der Antisemit und Bewunderer der Waffen-SS Reinhard Günzel mit einem Vortrag zum Thema ‘Ethos des Offiziers’ auf. Im Juli 2007 führte der neonazistische Allgemeine Pennäler Ring, ein Dachverband von Schülerverbindungen, seine jährliche Tagung im Haus der Hannovera durch.

Angesichts der durch solche Aktivitäten verursachten schlechten Presse erproben viele Dachverbände und Einzelverbindungen seit einiger Zeit in ihrer Öffentlichkeitsarbeit ein neues Konzept. In öffentlichen Erklärungen wird sich teilweise um Abgrenzung von der DB bemüht. Auf Internetseiten und in Publikationen liest man in nahezu jedem zweiten Satz von ‘Demokratie’, ‘Toleranz’, ‘Weltoffenheit’ und ‘Freiheit’. Gleichzeitig wird aber mit der DB in Gremien wie dem Convent Deutscher Akademikerverbände (CDA), der Arbeitsgemeinschaft akademischer Verbände (AaV) oder der Arbeitsgemeinschaft Andernach mensurbeflissener Verbände (AGA) weiterhin eng zusammengearbeitet. Auf lokaler Ebene sind die schlagenden Verbindungen zudem oftmals in einem gemeinsamen Waffenring organisiert. Wenn sie in die Kritik geraten, legen Korporierte oft großen Wert auf Differenzierung. Solange die Verbindungen untereinander so eng verknüpft sind, kann darauf jedoch getrost verzichtet werden. Trotz gewisser Unterschiede bilden die Verbindungen als Gesamtheit ein wichtiges Scharnier zwischen Konservatismus und Neofaschismus.

Die tatsächlichen Unterschiede zwischen den Verbindungen sind auch weit geringer als teilweise behauptet. Das Corps Frisia, das bis 2003 eine Burschenschaft war, weiß das aufgrund seiner Geschichte sehr genau: ‘Studentische Verbindungen, insbesondere solche, die sich zum Farbentragen und Fechten bekennen, sollten, bevor sie das Trennende hervorheben, zunächst das Gemeinsame bedenken. [...] Das wenige Unterschiedliche verschwindet hinter dem ganz überwiegenden Gemeinsamen.’5 Die Fassade aufrecht zu erhalten fällt mitunter schwer. Und so ist es dann auch kein Zufall, wenn in der Zeitschrift der ‘weltoffenen’ Corps noch in der vorletzten Ausgabe ein Kommentar erscheinen konnte, in dem Migrationsprozesse mit der Vogelgrippe in Verbindung gebracht wurden und dem Autor zu Migrant_innen als erstes der Begriff ‘Pandemie’ einfiel. Das im WSC organisierte Hamburger Corps Irminsul schaffte es 2005 sogar bis in bundesweit erscheinende Presseorgane als es sich zu seinem 125-jährigen Jubiläum ausgerechnet den emeritierten Professor Konrad Löw als Festredner einlud. Löw hatte nur ein Jahr zuvor für Schlagzeilen gesorgt als wegen eines von ihm verfassten antisemitischen Artikels, den Die Welt als ‘Ansammlung antijüdischer Klischees’ kennzeichnete, die gesamte Restauflage der Zeitschrift Deutschland-Archiv eingestampft wurde. In der Folge ließ Löw den Artikel durch die Junge Freiheit, das wichtigste Presseerzeugnis der deutschen Neuen Rechten, nachdrucken, gab der National Zeitung des DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey ein Interview und trat zusammen mit Martin Hohmann und Reinhard Günzel bei der bereits erwähnten Münchner Burschenschaft Danubia auf. Wirklich überraschend war die Einladung Löws allerdings nicht. Der Vorsitzende des Altherrenverbandes des Corps Irminsul, Roger Zörb, kann bereits auf eine lange rechte Karriere zurück blicken. Bereits 1991 konnte man ihn im Adressbuch des Neonazi-Führers Michael Kühnen finden. Später kandidierte er u.a. für die rechtsextreme Liste Uni-Aktiv bei der Hamburger StuPa-Wahl. Momentan sitzt er zusammen mit seinem Bundesbruder Sebastian Greve im Vorstand des Bismarckbundes e.V. der regelmäßig Orden an Rechtsextremisten verleiht. Mit dem Bismarckorden werden nicht nur intellektuelle Rechte geehrt, sondern in den vergangenen Jahren ‘auch militante Neonazis wie Axel Zehnsdorf (FAP6) oder Ulf Kretschmann, der 1984 beim Waffenschmuggel erwischt wurde und aus dem Umfeld von Michael Kühnens ANS stammte.’7 Auch sonst sieht es nicht gut aus, z.B. beim Coburger Convent (CC): Bei den jährlichen Pfingsttreffen in Coburg sind immer wieder faschistische Töne zu hören. 1993 bekundete ein betrunkener Korporierter beim Marktfrühschoppen über die Lautsprecheranlage seine Solidarität mit den faschistischen Mördern von Solingen. Beim selben Treffen lobte der Festredner, der Geschichtsprofessor Dieter Wiebecke (Landsmannschaft Mecklemburgia-Vorpommern zu Hamburg) den “ethischen Wert und die beispiellose Hingabe und Opferbereitschaft der Deutschen Wehrmacht”. Der CC lehnte es ab, sich von der Rede zu distanzieren. In Göttingen kandidierte mit Tobias Fabiunke (Landsmannschaft Gottinga) ein Mitglied des CC 2003 für die rechtsextreme Freiheitlich Demokratische Liste (FDL), als deren Spitzenkandidaten Moritz Strate (Winfridia, im Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine) antrat, zur StuPa-Wahl. Ebenfalls beteiligt an diesem Projekt, das sich als Tarnliste der LHG entpuppte, war der damalige LHG-Spitzenkandidat Nicolo Martin (Verbindung Lunaburgia, MR). Als Symbol benutzte die FDL eine lodernde Flamme, die bereits der neofaschistischen Nationalen Sammlung als Erkennungszeichen diente und auch von der französischen Front National verwendet wird. Die Staatsanwaltschaft ermittelte deshalb gegen Strate wegen ‘Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen’. Strate und Martin wurden im gleichen Jahr auch praktisch tätig und zündeten im Keller eines Wohnhauses, in dem zu diesem Zeitpunkt 16 Menschen schliefen, eine Ausstellung über die Besetzung des BG-Geschichte-Raumes an. Wir brechen hier ab, weitere Highlights findet ihr in der vielfältigen Literatur, die es inzwischen über das Verbindungsunwesen gibt. Erwähnt sei allerdings noch, dass auch Verbindungen ohne Dachverband nicht sympathischer sind, wie die Beispiele der Königsberger Burschenschaft Gothia zu Göttingen und der Göttinger Gesellschaft Max Eyth belegen. Erstere lobt nicht nur die ‘Moral, Pflichterfüllung und Treue’ der Wehrmacht. Teil des Internetauftritts ist auch eine Seite über ‘Ostpreußen’. Dort findet sich eine Karte, auf der diese Gegend als ‘Ostgebiete des Deutschen Reiches’ und ‘z.Z. unter sowjet. Verwaltung’ bzw. ‘z.Z. unter polnischer Verwaltung’ bezeichnet wird. Die Gesellschaft Max Eyth lud 1993 den niedersächsischen Republikaner-Vorsitzenden Haase zu einem Gastvortrag ein.

Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, inhumane Erziehungsziele und -methoden, Geschichtsrevisonismus – Studentenverbindungen haben viel mehr zu bieten als nur schöne Häuser und billige Zimmer.

Also, laß dich nicht keilen! Zusätzliche Infos zu diesem komplexen Thema findest du z.B. im Göttinger Burschi-Reader Werte, Wichs und Waffenbrüder (Buchladen Rote Straße). Bei Interesse geben wir auch gerne weitere Literaturhinweise.

Eine Version dieses Textes mit Belegen findet ihr auf unserer Internetseite


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