Basisdemokratisches Bündnis:

8000 demonstrieren in Hannover gegen Studiengebühren

Die VeranstalterInnen werten die Beteiligung als Erfolg. Obwohl kein mediales Großereignis die Studierenden mobilisiert hat, hat der Protest inzwischen eine Eigendynamik entwickelt, die eine solche Mobilisierung möglich macht. Es ist jedoch klar, dass dies nicht der Höhepunkt, sondern nur ein Auftakt sein kann und sich die Proteste nun ausweiten müssen. Die Norddemo wurde organisiert von den Asten der meisten norddeutschen Universitäten. Der Asta Göttingen ist leider nicht beteiligt, weshalb die Koordination für Göttingen von Jusos, GHG und BB organisiert werden musste. In Hamburg zeigt der Protest bereits erste Erfolge. Dort ist der Unipräsident davon abgerückt, Studiengebühren im Zweifelsfall auch im Alleingang einzuführen. Der Hamburger Asta sieht dies als ersten Erfolg der scharfen Auseinadersetzung zwischen Studierenden und Unileitung. Diese hatte bereits mehrfach die Polizei gegen die eigenen Studierenden eingesetzt.

Im folgenden dokumentieren wir die Rede eines Vertreters des Basisdemokratischen Bündnis auf der Norddemo:

Vom Protest zum Widerstand

Wir sind heute hier um die geplante Einführung von Studiengebühren zu verhindern. Und wenn ich verhindern sage, dann meine ich auch verhindern. Wir müssen uns von der brav untertänigen Formulierung lösen, dass wir gegen die Einführung nur protestieren. Viele glauben, dass die PolitikerInnen es in der Hand haben, ob die Studiengebühren kommen oder nicht. Und weil die so wild entschlossen sind - so der zweite Fehlschluss - könnte man noch ein bisschen Anstandsprotest veranstalten um ihnen zu zeigen, dass wir damit nicht einverstanden sind. Das wars. Kein Gedanke daran, dass wir ihnen ihr politisches Leben zur Hölle machen können, wenn sich an ihrer Entscheidung nicht bald etwas ändert. Jedoch: Genau das müsste passieren. Wir demonstrieren heute in Niedersachsen; und der niedersächsische Bildungsminister Stratmann hat den entscheidenden Hinweis bereits gegeben. Als er seine Studiengebührenpläne 2003 der Öffentlichkeit vorstellte, gab es eine kaum wahr genommene Randbemerkung: 500 Euro pro Semester entsprechen - Zitat: „der durchschnittlichen Studiengebühr an westdeutschen Universitäten bis zum Sommersemester 1970” Hier lohnt es sich eine Sekunde inne zu halten: Studiengebühren bis zum Sommersemester 1970. Heißt das etwa in Deutschland gab es Studiengebühren? Wie kommt es, dass es sie heute nicht mehr gibt? Damals gab es offensichtlich genug Menschen, die nicht nur den Status Quo verteidigen wollten, wie heute, sondern die tatsächlich Forderungen an die Politik gestellt haben - und diese auch durchsetzen konnten. Auch damals hatte die Politik durchaus düstere Pläne mit den Universitäten. Diese Pläne wurden von der Studierendenschaft als „Technokratische Hochschulreform” bekämpft. Mehr noch. Es wurden Verbesserungen erkämpft. Die Verbesserungen nämlich die heute kassiert werden sollen. Die studentische Selbstverwaltung in dieser Form. Die Mitbestimmung in den Gremien und eben auch die Abschaffung der Studiengebühren 1970 durch Beschluss der Ministerkonferenz, um nur einige Beispiele zu nennen. Ein Wort zu den selbsternannten Realisten: Diese angeblichen Realisten unter den Studierenden - und es sind ihrer leider nicht wenige – meinen all diese Errungenschaften seien uns in den Schoss gefallen. Und wenn die Politik nun beschlossen hat, sie uns weg zu nehmen, dann können wir dagegen ohnehin nichts tun. Wenn ihr demnächst wieder an die Uni kommt, dann schreibt all diesen Realisten ins Stammbuch, dass dies eine glatte Lüge ist. Wenn damals die Abschaffung von Studiengebühren erkämpft wurde, wieso sollten wir dann heute nicht ihre Einführung verhindern? Die Errungenschaften damals wurden erkämpft. Sie können nur erhalten werden, wenn wir bereit sind weiter für sie zu kämpfen!

Der Unterschied zwischen damals und heute sind nicht die finsteren Pläne der Politik. Der Unterschied zwischen damals und heute sind die Studierenden, die sich diesen widersetzen und eigene Forderungen entwickeln müssten. Das ist die eigentlich Wahrheit hinter dem Satz aller Realisten: wenn sie an ihrer Autoritätsgläubigkeit festhalten und politische Entscheidungen für unabwendbare Naturkatastrophen halten, ist der Zug in der Tat bereits abgefahren!

So etwas nennt man self fullfilling Prophecy. Was ist der Unterschied zwischen damals und Heute? Damals wurde nicht „friedlich und kreativ” so die Medien über die letzten Proteste, an die Politik appelliert sie möge es sich doch anders überlegen. Man ist nicht zwei Wochen lang als Bildungsleichen durch die Spree getrieben. Man hat sich nicht zwei Wochen bettelnd und singend in die Citys deutscher Unistädte gestellt. Man hat nicht zwei Wochen den Nebenjob, den Unistress und die Belastung durch die Protestplanung auf sich genommen, um danach völlig ausgelaugt, wieder in die Uni zurück zu kehren; enttäuscht in zwei Wochen tatsächlich nichts erreicht zu haben. Die Jahre 68 und 69 waren geprägt durch eine scharfe Auseinadersetzung mit denen, die für die Pläne verantwortlich waren. Sie waren geprägt durch die Auseinandersetzung mit der Rolle der „Hochschule in der Demokratie”. Sie waren geprägt durch ganze Streiksemester in denen Forschung und Lehre still standen. In denen aber trotzdem viele Leute viel gelernt haben. Man sagt gern Studierende könnten gar nicht Streiken, weil sie keinen Wert produzieren. Dann stellt sich die Frage warum Unternehmen so ein massives Interesse an den Universitäten entwickeln. Studierende können Druck entfalten. Die Vergangenheit hat es gezeigt.

Es ist heute nötiger denn je die sogenannten Bildungsreformen in einem allgemeingesellschaftlichem Kontext zu sehen um vernünftige Strategien entwickeln zu können. Auch um sich die richtigen Bündnispartner zu suchen. Denn nicht nur die Wissenschaft wird aktuell aus ökonomischen Gründen abgeschafft. Der Ausbau akademischer Freiheit im Bildungssystem lief Hand in Hand mit dem Ausbau des Wohlfahrtsstaates in den 60er und 70er Jahren. Seit Mitte der 70er Jahre hat sich hier ein Paradigmenwechsel vollzogen. Alles was den „unverfälschten Wettbewerb” so eine Formulierung aus der EU Verfassung, behindert wird seitdem konsequent beschnitten. Ob das nun das Bedürfnis nach einer sicheren Gesundheitsversorgung oder nach Schutz vor den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit ist An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Frankreich und die Niederlande, die diesem Schrift gewordenen Neoliberalismus einen ersten Dämpfer verpasst haben.. Großbritannien hat in Europa vorgelegt. Dort wurde das Sozial und Gesundheitssystem bereits in den 80er Jahren weitestgehend geschliffen Dem entsprechend hat es nicht lange gedauert bis dort auch Studiengebühren eingeführt wurden. 1998 hat man dort Studiengebühren eingeführt die inzwischen 1100 Pfund betragen – das sind fast 2000 Euro. In Resteuropa läuft das ganze unter dem Begriff Lissabonprozess: bis 2010 soll Europa zum, Zitat Lissabonerklärung,„wettbewerbsfähigsten und dynamischster Wirtschaftsraum” der Welt werden. Nicht zufällig steht der Sozialabbau in Deutschland unter dem Titel „Agenda 2010”; und nicht zum Spaß läuft der sogenannte Bolognaprozess, der eine Zitat „Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulraums” bringen soll mit der Zielmarke – richtig 2010. Auf dem Weg dorthin werden immer mehr Bedürfnisse unter das Verdikt der Nicht Finanzierbarkeit gestellt. Was nicht bezahlbar ist wird abgeschafft. Das betrifft nicht nur uns Studierende mit dem Interesse an guter Bildung. Das betrifft auch die Alg II BezieherInnen, die inzwischen unter dem gesetzlich festgesetzten Existenzminimum leben. Das betrifft die Schülerinnen und Schüler, die um den Erhalt der Lehrmittelfreiheit kämpfen. Das betrifft die zukünftigen RenterInnen, die von Altersarmut bedroht sind; und es betrifft all die einkommensschwachen Schichten die durch die Praxisgebühr nachweislich von Arztbesuchen abgeschreckt werden. Sie alle werden - wie wir - mit dem Sachzwangargument der leeren Kassen abgespeist. Oder kurz: Alles was dem Kapitalismus in den letzten 50 Jahren abgerungen wurde, wird nun in der totalen ökonomischen Mobilmachung wieder eingedampft. Deshalb haben wir einen gemeinsamen Gegner. Nämlich all jene, die tagtäglich an der Durchökonomisierung unseres Lebens arbeiten; die uns vorschreiben möchten, was wir wollen dürfen und was nicht. Die wichtigste Erkenntnis aller sozialen Bewegungen war immer, dass sie sich nicht spalten lassen dürfen. Die 68er haben ihren Protest nicht einfach als einen Protest für bessere Bildung begriffen. Es war ein Kampf für eine sozialere und demokratischere Gesellschaft. Deshalb waren sie erfolgreich. Nicht weil sie in den Medien gut weg gekommen sind – ganz im Gegenteil. Diesen Kampf gilt es heute erbitterter zu führen als je zuvor. Wenn der Kapitalismus uns unsere Bedürfnisse verweigert, gilt es nicht unsere Bedürfnisse zu ändern sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse. Deshalb: für eine freie Wissenschaft in einer freien Gesellschaft. Wenn Bildung zur Ware wird, wird Wissenschaft zur Farce. Bildung für alle und zwar Umsonst.


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