Eine Hausdurchsuchung, zwei Hunde und viele Skandale

Einige kritische Gedanken zur Hausdurchsuchung am 27.Januar

- Einige kritische Gedanken zur Hausdurchsuchung am 27.Januar -

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Was dieser Tage in Göttingen los ist, gleicht einem schlechten Krimi. Wer die lokalen Zeitungen aufschlägt, hat das Gefühl hautnah bei der Täter_innen-Suche dabei sein zu dürfen: „Eine Spur, zwei Hunde, vier Verdächtige“ titelte das Göttinger Tageblatt am Donnerstag, 28. Januar. Da war es gerade mal einen Tag her, dass ein Haufen Polizeikräfte sich Zugang zur Wohngemeinschaft der Roten Straße 1 verschafft hatte. Weiter ging es munter mit wilden Spekulationen über Hundenasen, die „erhöhte Gewaltbereitschaft der Göttinger Linksextremisten“ und „szenetypische Brandsätze“.

Doch was wirklich am Abend des 27. Januar geschah, interessiert nur wenige. Nur einige kritische Medien wie die Online-Magazine goest.de und „monsters of goettingen“ stellen kritische Fragen und liefern Hintergrundberichte. Noch einmal eine andere Darstellung der Ereignisse: Während ein Großaufgebot der Polizei die Rote Straße abriegelte, nahmen Beamt_innen sich die Zimmer der Bewohner_innen vor. Einige Zeit später trugen sie Computer, Klebstoff und Eddings aus dem Haus heraus. So unspektakulär sich dieses Vorgehen zunächst anhören mag – was hier passierte wäre ein schlechter Witz. Wenn es nicht so gravierende Folgen hätte.

Die Sache mit dem Hund

Dass sich überhaupt die Göttinger Polizei in der Lage sah, die WG durchsuchen zu können, ist auf den vermeintlichen Anschlag im Kreishaus zurückzuführen. Am 22.Januar geriet in der Teeküche der dort ansässigen Ausländerbehörde etwas in Brand – was die Polizei und das GT als Anschlag verstanden wissen wollten. Ob es sich nicht schlicht und ergreifend um ein defektes Elektrogerät handelte (wie eine bei goest.de veröffentlichte Mail, die intern im Kreishaus verschickt worden war, nahelegt); dazu konnte oder wollte die Polizei bislang nichts Klärendes sagen, außer dass die Ermittlungen nicht abgeschlossen seien. Die These vom Anschlag ist jedoch kaum noch wegzudenken – kaum dass in dieser Kleinstadt mal was passiert, geraten alle in helle Aufruhr. Die Absurdität der Ereignisse lässt sich jedoch noch überbieten: auf die Idee, gerade in die Rote Straße 1 einzudringen, brachte die Polizei nach eigenen Angaben ein Hund. Dieser eigens aus Nordrhein-Westfalen angekarrte mantrailer-Spürhund, der menschliche Fährten verfolgen soll, habe schnurstracks den Weg vom Kreishaus zur WG eingeschlagen (nach 5 Tagen Tau- und Schneewetter! Das Innenministerium NRW verkündete in einer Pressemitteilung stolz, dass der „Geruch an den Hautzellen noch nach Stunden, unter günstigen Umständen sogar noch nach einem ganzen Tag für die Hunde wahrnehmbar“ sei). Was der Hund überhaupt zu schnüffeln bekommen haben soll, darüber schweigt die Polizei. Warum also nicht Dutzende Leute, die sich an jenem Freitag im Kreishaus aufgehalten haben mögen, behelligt wurden, bleibt schleierhaft.

Was macht eigentlich die Polizei?

Wie die Hausdurchsuchung durchgeführt wurde, ist bei der gesamten Geschichte der nächste Skandal: Zunächst ohne einen Durchsuchungsbeschluss vorzuzeigen durchforschten die Beamt_innen das gesamte Haus. Weitere Rechtsbrüche bestanden darin, dass sie zunächst die Bewohner_innen genau so wie den Anwalt der WG nicht zum Haus vorließen und keine Zeug_innen bei den Durchsuchungen der einzelnen Räume duldeten. Als am 31. Januar 500 Leute ihre Kritik am Polizeivorgehen auf die Straße brachten, legte die Polizei erneut ein dreistes Vorgehen an den Tag. Vor den Häusern der Roten Straße bedrängte sie die Demonstrant_innen so massiv, dass ihre Bilanz ihre eigene Sprache spricht: Nachdem 20 Teilnehmer_innen der Demonstration durch den Einsatz von Pfefferspray und durch Faustschläge verletzt worden waren, musste die Demonstration zum Schutz der Beteiligten abgebrochen werden. Während die HNA zunächst von "Autonome randalieren bei Demonstration nach Brandanschlag“ schwafelte, musste sie nach Kritik an ihrer journalistischen Praxis die Überschrift ändern und titetelte "Demo mit 400 Linken und einem Großaufgebot der Polizei". Das GT änderte gar einen ganzen Artikel um in „500 Menschen protestieren in der Innenstadt“ und erwähnte schließlich auch die verletzten Demonstrant_innen. Auch die Kritik des Göttinger Bündnis „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – 27.Januar“ blieb nicht ungehört: dieses hatte sich empört über die Maßnahmen der Polizei gezeigt, am Abend der Hausdurchsuchung die Besucher_innen des Konzerts von Microphone Mafia und der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano ab zu filmen und durch ein Spalier laufen zu lassen. Davon will die Einsatzleitung laut eines GT-Artikels vom 1. Februar nichts wissen: Den Vorwurf, Besucher_innen seien schikaniert worden, könne man „nicht nachvollziehen“.

Schwund demokratischen Bewusstseins

Presse und Polizei müssten derzeit eigentlich auf vehemente Kritik seitens demokratischer Bürger_innen dieser Stadt stoßen. Fragwürdiges polizeiliches Vorgehen sowie unseriöse journalistische Praxis müssten hinterfragt und kritisch beurteilt werden. Stattdessen dominieren reflexartige Vorverurteilungen, die nicht selten mit platten Ressentiments gespickt sind. Der gravierende Schwund demokratischen Bewusstseins, den das Handeln und die Äußerungen der Göttinger Öffentlichkeit markiert, ist erschreckend. Wild wird mit „Extremismus“-Vorwürfen um sich geworfen. So ließ die lokale CDU verlautbaren, man müsse „Extremismus in jeder Form ächten“ und manche fordern gar ein „Bündnis gegen Links“. Vor allem dem Vizepräsidenten der Polizeidirektion Roger Fladung ist klar, dass in den selbstverwalteten Wohnhäusern der Roten Straße Extremisten hausen: „Gestern Abend hat uns eine Spur in die linksextremistische Szene geführt, in die Rote Straße“, sagte Fladung auf der Pressekonferenz am 28. Januar. Es drängt sich der Verdacht auf, er wolle sich in der kurzen Zeit seiner Machtposition als oberster Polizeichef (er wird bald wieder abgelöst) als hart durchgreifender Linkenfresser in Hannover etablieren.

Doch der Begriff des „Extremismus“ dient als Zauberformel eine demokratische Mitte zu schaffen, derer man sich selbst in Abgrenzung zu „Rechts- und Linksextremisten“ versichern kann – egal wie weit im chauvinistischen Flügel der CDU man sich befinden mag. Dabei werden beiläufig und irrsinnigerweise die völlig unterschiedlichen Ziele von prügelnden und menschenverachtenden Neonazis auf der einen und emanzipatorischen gesellschaftskritischen Linken auf der anderen Seite gleichgesetzt.

Letztere kritisierten in den letzten Woche immer wieder nachdrücklich die stattfindenden Massenabschiebungen von Roma-Flüchtlingen in den Kosovo. Die Stadt Göttingen geht dabei besonders massiv und unerbittlich vor. In nächster Zeit werden – wie in der gesamten Bundesrepublik – wahrscheinlich weitere Flüchtlinge abgeschoben werden. Das Vorgehen der Polizei gegenüber Linken und die öffentlichen Reaktionen der letzten Tage schaffen dabei ein Klima, in dem versucht wird, den Protest gegen die Abschiebepolitik zu diskreditieren, durch das Herbeireden von „linksextremistischen Anschlägen“ zu delegitimieren und zu kriminalisieren. Somit hat die Hausdurchsuchung gleich mehrere Folgen: die Marginalisierung linker Politik in der städtischen Öffentlichkeit und darüber hinaus die Isolierung einzelner, die sich plötzlich als „Tatverdächtige“ bezeichnet sehen. Dazu trägt die Hetze von Presse und Teilen der Göttinger Bürger_innen maßgeblich bei: Während Teile der Zivilgesellschaft sich durchaus kritisch gegenüber Abschiebungen und dem Verhalten der Polizei positionieren und teilweise organisieren, gelten den sensationshungrigen Deppen der Stadt die Bewohner_innen schon jetzt als Täter_innen. Diese Stimmen dürfen nicht ohne Gegenspruch bleiben: es gilt das Vorgehen der Polizei kritisch zu hinterfragen, sich solidarisch mit den Bewohner_innen zu zeigen und dem konservativen Geschwätz etwas entgegenzusetzen. Der Protest gegen die Abschiebungen und die Kriminalisierung linker Politik wird weitergehen!

Unterstützt von verschiedenen Basisgruppen.

weitere infos zu den Hausdurchsuchungen findet ihr auf folgenden internetseiten:

göttinger stadtinfo: http://www.goest.de/polizei2.htm

Artikel auf monsters of göttingen

Rote Straße

Link und Newsliste zur Hausdurchsuchung am 27.01 / zur Demo am 30.01

infos zu den Abschiebungen:

auf goest

http://www.papiere-fuer-alle.org/

Erschienen am: 07.02.2010 zuletzt aktualisiert: 07.02.2010 20:56 AutorIn: email-address

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