Basisdemokratisches Bündnis:

Worum es geht

Gedanken zum Protest

Über Studiengebühren, den Bachelor, Elite-Universitäten usw. wird von vielen Seiten einiges gesagt: So fordert z.B. der RCDS Selektion nach Leistung, statt sozialer Herkunft, wobei gar nicht sicher ist, wie ernst dies zu nehmen ist*. Die ADF indes glaubt immer noch steif und fest daran, Studien-gebühren im Rahmen ihrer »Hochschulpolitik« fernab von jeglicher Reflektion über den gesellschaftlichen Kontext, in dem sich die Hochschule bewegt, abhandeln zu können.

Aber worum geht es dabei überhaupt? Was sind »sinnvolle« Forderungen und welche Formen kann ein studentischer Protest annehmen, der tatsächlich eine Perspektive in Aussicht stellen kann?

Studiengebühren und »soziale Gerechtigkeit«

Das wohl schlagkräftigste Argument gegen Studiengebühren ist, dass Studiengebühren sozial ungerecht sind. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn er entlarvt den abgeschmackten Zynismus, der hinter der Logik der Hochschulfinanzierung durch Studiengebühren steht: Diese läuft auf nichts anderes hinaus, als dass diejenigen, die es sich nicht leisten können, aufopferungsvoll abtreten sollen, damit die Universität den Verbliebenen mit den Einkünften aus den Gebühren eine bessere „Ausbildung” bieten kann – wobei letzteres nicht einmal stimmt1.

Es fragt sich aber, ob es ausreicht „soziale Gerechtigkeit” und Studiengebühren einfach gegeneinander zu stellen. So hat z.B. der Göttinger RCDS aus der Not, als AStA-stellende Fraktion zusammen mit der ADF auch gegen Studiengebühren sein zu müssen, eine Tugend gemacht: Er ist jetzt dazu übergegangen „leistungsbezogene” statt sozialer Auslese zu fordern. Mal ganz davon abgesehen, was man von einer solchen Forderung hält, beruht sie in sich bereits auf einem falschen Gegensatz: Was dabei unter den Tisch fällt ist die Tatsache, dass vor allem in Deutschland, wie nicht zuletzt die PISA-Studie gezeigt hat, soziale Selektion bereits vor der Hochschule stattfindet. Eine allein auf die Uni bezogene „soziale Gerechtigkeit” in Form von Leistungsselektion läuft also auf nichts anderes hinaus, als auf soziale Selektion, denn an qualifizierte Schulabschlüsse kommen ohnehin eher SchülerInnen mit gut betuchten Eltern, und diese sind es dann auch, die bei „Einstellungstest” oder beim Abgleich mit dem Numerus Clausus sich ihren Studienplatz sichern können.

Daraus kann selbstverständlich nicht folgen, dass dieses Argument gegen Studiengebühren fallengelassen werden muss. Ganz im Gegenteil muss eine ernsthafte Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit” weit über Studiengebühren, und weit über die Hochschule hinausgehen: Wer sich in diesem Sinne gegen die soziale Ungeheuerlichkeit von Studiengebühren erhebt, müsste konsequenterweise auch andere Ungeheuerlichkeiten thematisieren. Und die stumme Prämisse, dass soziale Herkunft bereits jetzt über die Bildungschancen entscheidet, ist in diesem Sinne eine Ungeheuerlichkeit2. Es fragt sich, ob nicht gesellschaftliche Strukturen, die Arm und Reich hervorbringen, an sich schon ein Skandal sind, und nicht erst deren Auswirkungen.

Bildung, welche Bildung?

Sobald wir auf drohende Verschlechterungen wie Studiengebühren reagieren müssen, neigen wir dazu, das Bestehende zu vernachlässigen – wie z.B. die soziale Selektion an den Schulen – aber nicht alles, woran wir gewöhnt sind, ist wünschenswert. Es mag vielleicht ein kleineres Übel sein, damit bleibt es aber ein Übel. Es kann also nicht einfach nur darum gehen, die geplanten Verschlechterungen abzulehnen und auf die Erhaltung des status quo zu pochen.

Das gilt nicht nur für den Zugang zur Bildung, sondern auch für den Prozess Bildung selbst. Eine besonders einschneidende Verschlechterung in dieser Hinsicht wird die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen (BA/MA) bedeuten3. Auch beim Thema BA/MA gilt es, sich ebenso kritisch mit dem jetzigen Möglichkeiten wie mit den geplanten Veränderungen auseinander zu setzen. Letztlich geht es darum eigene Vorstellungen davon herauszuarbeiten, wie wir uns den Prozess Bildung überhaupt vorstellen und wünschen würden, anstatt allein Rückzugsgefechte gegen dessen (weitere) Verstümmelung zu führen. Es geht also um nichts weniger, als um die Formulierung einer »Gegenperspektive«, die jenseits der rigorosen Umstrukturierungen, aber auch jenseits des status quo liegt. Diese Gegenperspektive können wir aber nur einnehmen, wenn wir uns wieder trauen, eigene Vorstellungen über Bildung überhaupt nur zu denken.

Mensch oder Arbeitstier?

Die Brisanz eines solchen Bildungsbegriffs zeigt sich bereits bei der Frage nach „sozialer Gerechtigkeit”: Warum soll es einen gerechten Zugang geben? Geht es darum, jedem Menschen die gleichen „Aufstiegsmöglichkeiten” zu geben, die gleichen „Chancen” bestimmte Berufe wählen zu können? Oder betrachten wir Bildung als ein zentrales Moment menschlicher Persönlichkeitsbildung, zu der jeder Zugang haben sollte? Wollen wir Wissenschaft, weil sich damit im Anschluss an das Studium gut auf dem Arbeitsmarkt hausieren lässt, oder weil diese hilft uns selbst, die Natur und die Gesellschaft zu verstehen und zu verändern?

Wenn Bildung nur den Zweck hat, die Verwertbarkeit des Menschen für den späteren Arbeitsprozess herzustellen, so wäre es auch folgerichtig, dass BA/MA überflüssige Inhalte herausstreicht oder dass mittels Studiengebühren der Druck erhöht wird, nur zu studieren, was sich „lohnt”4, bzw. diejenigen, die nicht zum Zwecke der Verwertung gebraucht werden, erst gar nicht antreten zu lassen. Das nennen wir einen „instrumentellen Umgang” mit Bildung: Nur woraus sich Geld machen lässt, wird gelehrt. Nur wenn wir aber diesem instrumentellen Bezug zur Bildung und zum Individuum, der „soziale Gerechtigkeit” bestenfalls als „Gleichheit der Waffen” im Kampf um den besten Arbeitsplatz verstehen kann, ablehnen und auf die Eigenständigkeit von Bildung pochen, der jenseits von ökonomischer Verwertbarkeit eine Existenzberechtigung zukommt, macht die Forderung nach gleichem Zugang für alle überhaupt Sinn.

Es steht dann auch viel mehr in Frage, als nur die Einführung von Studiengebühren oder BA/MA-Studiengängen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Die Ausweitung der Themen und der Möglichkeit zum interdisziplinären Studium müsste gefordert werden, anstatt diese einzuschränken. Darüber hinaus würde es nicht nur darum gehen, mehr „Angebot” zu fordern, sondern, ganz im Gegensatz zu der Phrase vom Studierenden als „Kunden”, festzustellen, dass auch die Studierenden Teil des wissenschaftlichen Prozesses sind, den auch sie mitgestalten, anstatt ihn als Supermarkt für Wissen vorgesetzt zu bekommen. Sie hätten daran teil, indem sie sich kritisch mit den Inhalten auseinander setzen, anstatt blind zu konsumieren, indem sie selbst im Rahmen des Studiums Themenschwerpunkte setzen, z.B. durch autonome studentische Seminare, indem sie die Uni als Lebensraum begreifen, den sie selbst mitgestalten usw. Es stellt sich über die Hochschule hinaus die Frage, ob nicht all die Bewertungsverfahren, Zensuren, Klausuren und Prüfungen in Schulen, sowie deren Konsequenz, nämlich die Auslese, wer eigentlich studieren darf, diesem Bildungsbegriff entgegen stehen – diese Auslese setzt sich in der zukünftigen Auswahl derer, die einen Master studieren werden dürfen (nur etwa 40%) weiter fort. Ist es nicht eine Funktion dieser Kontroll- und Bewertungsveranstaltungen genau zu regulieren, bei wem sich die „Bildungsinvestition” lohnt oder nicht lohnt, um später entscheiden zu können, welchen speziellen ökonomischen Nutzen diese oder jene Arbeitskraft hat?

Versteht man Bildung aber als integralen Bestandteil von Persönlichkeitsentfaltung, so müsste man dies zumindest ablehnen. Im Gegenteil müsste die Forderung lauten, dass gerade diejenigen, die momentan wegen geringeren „Leistungen” aus dem Bildungssystem aussortiert werden, besonders die Möglichkeit bekommen müssten, sich Wissen anzueignen.

Nun könnte man einer solchen „Utopie” vorwerfen, sie sei blind gegenüber der sozialen Wirklichkeit, und so allein für sich genommen hätte man damit wohl auch recht. Denn was hab ich nun von meinem selbstbestimmten Studium, wenn ich nachher auf dem Arbeitsmarkt stehe, und niemand mir einen Arbeitsplatz geben will. Das trifft die sozial Schwächeren dann besonders hart, da sie verstärkt darauf angewiesen sind. Aber auch der best-angepasste Studierende kann übermorgen als unnütz gebrantmarkt und aussortiert werden.

Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, warum wir uns nicht auf die Uni oder das Bildungswesen beschränken können. Hier gilt es nämlich den gesellschaftlichen Kontext mit einzubeziehen, denn dieser entscheidet maßgeblich, was überhaupt möglich ist und wo die Grenzen liegen. Das heißt aber nicht, diese Bedingungen schlicht als gegeben hinzunehmen, sondern sie genau zu durchleuchten und auch hier Veränderungen einzufordern und durchzusetzen.

Bildungswesen im gesellschaftlichen Kontext

Was uns für die Umsetzung dieses Bildungsideals im Wege steht, ist der Umstand, dass die Bildung in unserer „Arbeitsgesellschaft” nunmal zum Bestandteil des sog. „Humankapital” degradiert ihr Dasein fristet. Die bislang durchaus in Teilen noch gegebene Freiheit und Gestaltbarkeit über die Produktion von verwertbarem Wissen hinaus steht in Zeiten, in denen dieser „Arbeitsgesellschaft” das Geld ausgeht, immer mehr unter Druck, seine Existenz zu rechtfertigen. Gleichzeitig mit dem Geld geht dieser Gesellschaft auch dessen darin dargestellte Substanz, die Arbeit, aus5. Für den Einzelnen bedeutet dies eine Verschärfung der Situation auf dem Arbeitsmarkt, die es ihm noch schwieriger macht, seinen Studium nicht vorwiegend auf ökonomische Kriterien abzustimmen. Ein Paradoxon, wo es doch gerade die kapitalistische Gesellschaft ist, die Produktivität beständig steigert, und damit eigentlich immer mehr möglich machen sollte.

Dieses Potential lässt sich aber auf dem Boden der Logik dieser Gesellschaft nicht entsprechend wenden, denn dessen Zweck ist nicht die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern die Verwendung des Menschen zum Zwecke der Wertverwertung, also aus Geld mehr Geld zu machen. Trotz der Sinnlosigkeit eines solchen Prinzips gehorchen wir diesem oft nur zu willig, weil unsere Existenz und unsere Zukunfsperspektiven von ihr abhängen und sie uns zunehmend unter Druck setzt. Vor allem aber, weil wir gelernt haben zu glauben, dass sie fast wie ein Naturgesetz ist: unangenehm, aber nicht zu ändern.

Bildungspolitik muss also auch Gesellschaftspolitik sein, und die Frage stellen können, wie mit einer Gesellschaft umzugehen ist, die, trotz zunehmender Produktivität den Genuss des potentiell produzierbaren stofflichen Reichtums zunehmend verwehrt – wie in unserem Fall der „Genuss” von selbstbestimmter Bildung – weil eben „kein Geld da” ist. Oder anders ausgedrückt: Wir müssen uns die Frage stellen dürfen, ob wir wollen, dass Bildung diesem ökonomischen Imperativ untergeordnet ist, dessen einziger Zweck die selbstzweckhafte Bewegung aus Geld mehr Geld zu machen ist, oder ob wir uns umgekehrt eine Welt schaffen wollen, in der die Dinge und deren Zwecke von uns eingerichtet und bestimmt werden, sodass sie unseren Belangen entsprechen können. Wenn letzteres der Fall ist, dann muss eine gesellschaftsverändernde Perspektive immer ein Bestandteil des studentischen Protests sein. Gesellschaft verändern heißt dann auch immer unser eigenes tägliches Handeln in Frage zu stellen, denn auch wir sind Bestandteil dieser Gesellschaft.

Die Frage nach Bildung und Wissenschaft ist sicherlich nur ein Aspekt dieses Themas, aber auch wenn der Verweis auf die kapitalistische Gesellschaft eher fern und abgehoben klingt, sollte deutlich geworden sein, dass Bildungsreformen nicht davon isoliert betrachtet werden können. Die Möglichkeiten, ein selbstbestimmtes Studium unter den momentanen Bedingungen einzurichten, sind mehr als mies, obwohl objektiv viel mehr möglich sein müsste. Nicht nur als Protest gegen die Zumutungen der Bildungsreformen, sondern auch und gerade als kritische Wissenschaft ist es eine entscheidende Aufgabe, auf diese Widersprüche aufmerksam zu machen, sie zu analysieren und auf die Welt außerhalb der Universität zurück zu wirken.

BündnispartnerInnen im Protest

Auch mit Blick auf die Formen des Protests ist die Frage nicht unwichtig, in welchen Kontext man die Bildungsreformen setzt. So gibt es durchaus Gemeinsamkeiten mit dem Protest gegen Sozialabbau: In gewisser Weise kann das Bildungssystem ebenfalls als Teil des Sozialen Sicherungssystems angesehen werden, des durch die Agenda 2010 und die Hartz IV-Reformen unter Beschuss gerät. Auch diese Reformen zielen wie die Bildungsreformen darauf ab, die Existenzbedingungen von Menschen noch stärker an deren ökonomischer Relevanz zu knüpfen.

Menschen, die von Abschiebung bedroht sind, sind mit noch wesentlich existentielleren Konsequenzen Opfer dieser Logik: Die ökonomische Schablone entscheidet, ob sie es „wert” sind, dieses oder jenes Leben hier oder dort führen zu dürfen – dies belegt nicht zuletzt die Reform des „Zuwanderungsgesetzes”, das wesentlich die Nachfrage nach Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt zum Regulationskriterium bei Zuwanderungen gemacht hat6.

Es lassen sich noch viele solche Beispiele finden. Entscheidend für unseren Protest ist dabei, dass sich hier die Kräfte insofern bündeln lassen, als sich der Widerstand letztlich gegen die gleiche Logik wendet. Es macht hier durchaus Sinn, sich zu solidarisieren, anstatt Kürzungen an anderer Stelle vorzuschlagen – denn das wäre die Akzeptanz dieser Logik und hätte eine Schwächung aller Proteste zur Folge. Stattdessen müssen wir betonen, dass diese Logik ganz und gar nicht naturwüchsig ist, sondern ein von Menschen gemachtes, irrationales Prinzip darstellt, das uns allen in gleicher Weise schadet: Ohne dass irgendeine Naturkatastrophe eingetreten und trotz enormer Produktivitätssteigerungen7 müssen wir uns darauf einstellen, unsere Bedürfnisse einzuschränken. Die Frage nach diesem Widerspruch könnte ein schlagkräftiges Argument in diesem gemeinsamen Protest sein.

Ganz unabhängig davon, dass vereinzelter Protest wenig erfolgversprechend ist, bleibt festzuhalten, dass wir nicht ausschließlich in der Uni leben. Die umkämpften sozialen Veränderungen außerhalb der Uni sind auch unsere eigenen sozialen Realitäten. Spätestens wenn wir die Uni verlassen und selbst ArbeitnehmerInnen, Eltern usw. werden, wird klar, welche Relevanz diese für unser eigenes Leben haben.

Protest und Selbstorganisation

Es ist durchaus entscheidend, mit welcher Intensität wir unsere Forderungen auf die Straße tragen. Allerdings zeigt ein kritischer Blick auf die letzten Jahre des Protests, dass eine symbolische und entschiedene Meinungsäußerung, wie z.B. im Aktionsstreik vorletztes Jahr, nicht ausreichen, um tatsächlichen Einfluss zu nehmen. Wir können wohl kaum behaupten, dass die Verantwortlichen nur nicht begriffen haben, was sie genau tun und nach kundgetaner Meinung der Studierenden einfach ihren Kurs ändern würden. Sie brauchen Druck!

Um tatsächlich Druck auszuüben sind andere Formen des Protestes notwendig. In Freiburg, Stuttgart und Hamburg haben die Studierenden gezeigt, dass sie z.B. zu Streiks und Besetzungen überzugehen gewillt sind. Sie konnten damit einen ersten Ansatz für tatsächlichen Druck gegen Studiengebühren liefern. Die gewaltsame Räumung des Warnstreiks in Hamburg bezeugt, dass die Verantwortlichen davon sehr schnell kalte Füße bekommen haben. Der hiesige Uni-Präsident Lüdhje ist inzwischen zurückgerudert: Forderte er zu Beginn des Semesters noch deren schnellstmögliche Einführung von Studiengebühren, so möchte er inzwischen die Verantwortung dafür auf Länder- oder Bundesebene abschieben8.

Aber fernab von Druck und Eingriff in die politische Debatte haben Vernetzung, Besetzungen und Streiks noch ein ganz anderes wichtiges Potential, das möglicherweise noch wesentlich entscheidender ist. Es geht dabei nicht nur um die Einforderung der letzten Möglichkeiten, die die knappen Haushalte bieten, sondern weist bereits darüber hinaus: So dient die Aneignung von universitären Gebäuden und Ressourcen im Streik auch der Selbstorganisation von alternativen Lehrveranstaltungen.

Hier wächst im Schoß des Protests bereits eine aktive Praxis, die über hilflose Forderungen an den Staat hinausgeht, die nicht auf bürokratische Entscheidungen und „Finanzierbarkeit” wartet. Selbstbestimmung wird plötzlich greifbarer: Wir entscheiden nicht nur selbst, was wir mit wem lernen möchten, worüber wir debattieren möchten. Wir beginnen auch praktisch und direkt ganz andere Vorstellung von Leben und Bildung zu entwickeln, zu organisieren und selbst zu bestimmen. Der Lebensraum Uni kann tatsächlich als ein solcher gestaltet werden, ohne dabei auf Autoritäten wie Staat, Universität oder „Finanzierbarkeit” angewiesen zu sein. Wir müssen diesen nicht erst vorrechnen, dass es sich für sie lohnt uns nicht wegzukürzen.

Dies ist bereits in gewisser Weise gesellschaftsverändernde Praxis, denn Gesellschaft ist, was von uns tagtäglich gemacht wird. Es bieten sich von hier aus auch viele Möglichkeiten nach außen zu wirken, nicht zuletzt dadurch, dass Menschen sich in den Prozess einbringen können, denen sonst der Zugang zur Uni verwehrt werden (weil sie keine Studiengebühren zahlen können, weil sie keinen qualifizierten Abschluss haben, usw.).

Sicherlich bleiben die Möglichkeiten im Rahmen eines Streiks noch beschränkt. Selbst wenn sich daraus eine Kultur von unabhängiger Wissensaneignung und eigenständiger, kritischer Reflektion herausbildet, die sich über einen Streik hinaus fortsetzt, wären die Studierenden letztlich auf Geld angewiesen und müssten sich dem Arbeitsmarkt stellen. Aber wenn diese Form von studentischer Selbstorganisation als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung gemeinsam mit anderen emanzipatorischen9 Bewegungen betrieben wird, könnten hier die ersten Ansätze einer praktischen Veränderung liegen, die die Verwirklichung eines selbstbestimmten Studiums und Lebens auch tatsächlich möglich machen könnte.

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* Vgl. „Der AStA und die Studiengebühren: Dagegen und doch dafür

1 Schon jetzt sind die Mittel, die das Land den Hochschulen zur Verfügung stellt, in einem Maße zusammengestrichen, dass die Studiengebühren bestenfalls als Ersatz für eine öffentliche Finanzierung betrachtet werden können. Damit verbessert sich gar nichts an der finanziellen Lage der Hochschulen.

2 Manifest wird die Bedeutung dieser Konsequenz, wenn man sich ansieht, was dabei herauskommt, wenn diese Prämisse stillschweigend akzeptiert wird. So träumt z.B. die FDP bereits von Zuchtprogrammen für AkademikerInnen, um das Bildungsniveau in Deutschland anzuheben. (vgl. BB-Zeitung #4: „Eine Frage der Logik”, S.3, )

3 vgl. BB-Zeitung #1: „Bologna oder Frikassee” (S. 7), BB-Zeitung #3: „Bachelorette” (S. 1), und „Einführung von BA/MA verstärkt Geschlechterhierarchien” (S. 5)

4 Kurz und bündig fasst dies ein Studiengebührenbefürworter in der taz zusammen: "Glücklich ist, wer die lange Studienzeit für Erfahrungen in Beruf und Leben nutzen kann. An der Hochschule selbst sammelt man solche Erfahrungen nicht. Das sehen im Rückblick oft gerade jene so, die während ihres Studiums manches Seminar zusätzlich belegten, um sich noch mit diesem oder jenem Forschungsansatz vertraut zu machen. Im Nachhinein betrachtet, erwies sich der Ertrag oft als überaus gering. Würde durch das kostenpflichtige Studium manche Seminararbeit gar nicht erst geschrieben, wäre das auch kein Schaden" (taz vom 28.1.05)

5 In Warenproduzierenden Gesellschaften (»Kapitalismus«) ist „Reichtum” gleichbedeutend mit der Masse an vergangener Arbeitszeit. Der Wert einer Ware ist ausschließlich über die zu ihrer Herstellung notwendige, gesellschaftlich durchschnittliche abstrakte Arbeitszeit definiert und ist daher auch unabhängig von dessen konkreter Nützlichkeit (dem »stofflichen Reichtum«). Deutlich wird dies, dass eine Ware billiger wird, sobald sie in kürzerer Zeit hergestellt werden kann, ohne dass sich an der Qualität der Ware etwas ändert. Geld als Ausdruck dieser Form kapitalistischen Reichtums ist daher nichts anderes als die Darstellung von gesellschaftlich verausgabter Arbeitszeit. (Für eine ausführlichere Klärung dieses Sachverhalts vgl. „Money makes the world go round – Reflektion über kapitalistischen Reichtum

6 Die rassistischen Zuwanderungs- und Sondergesetze sowie Rassismus im Allgemeinen lassen sich selbstverständlich nicht allein aus ökonomischem Kalkül erklären. Sie stützen sich auf ideologische Denkmuster völkischer, biologistischer oder in ihrer neueren Erscheinung kulturalistischer Ausformung, die Konstruktionen wie »Nation«, »Volk« oder »Rasse« bedürfen. Diese lassen sich weder allein ökonomisch erklären noch sind rassistische Handlungen immer »rational«-ökonomisch (»rational« innerhalb dieses irrationalen Weltbildes) begründet. Rassistische Übergriffe können auch ganz unabhängig davon stattfinden. In dem hier behandelten Fall lässt sich allerdings eine deutliche Schnittmenge ausmachen.

7 Allein z.B. in den letzten 10 Jahren hat sich die Produktivität (in Deutschland) verdoppelt. Faktisch bedeutet dies, dass mit gleichem Zeitaufwand doppelt soviele Dinge hergestellt werden können, wie noch vor 10 Jahren.

8 vgl. BB-Protestinfo #2

9 „Emanzipation” meint die politische Selbstbefreiung: Ziel emanzipatorischen Bestrebens ist der Zugewinn an Freiheit durch Kritik und Überwindung von Strukturen, Denk- und Handlungsweisen, die diesem Ziel entgegenstehen. Dabei liegt die Betonung darauf, dass dieser Prozess nicht eine „von oben” verordnete „Fremdbefreiung” darstellen kann, sondern von den Betroffenen selbst ausgehen muss – Emanzipation schließt in diesem Sinne neben gesellschaftlichen Veränderungen auch die Betrachtung und Veränderung des eigenen Handelns ein.


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