Warum es sich lohnt zu kämpfen
Die Verlängerung der Magisterstudiengänge an der Philosophischen Fakultät
Gemeinsam aktiv werden, sich solidarisch und kollektiv für die eigenen Interessen einsetzen – ein solches Vorgehen kann viel erreichen. Unter dem Titel „Warum es sich lohnt zu kämpfen“ präsentieren wir in loser Folge erfolgreiche Projekte, bei denen genau so agiert wurde. Es sind Auseinandersetzungen, bei denen die Vereinzelung überwunden, Konflikte ausgetragen und vermeintliche Sachzwänge außer Kraft gesetzt wurden. Die vorgestellten Kampagnen haben Erfolge erzielt, die vorher oft unmöglich erschienen und mit denen auch die Protagonist_innen selbst häufig nicht gerechnet hatten.
Die Verlängerung der Magisterstudiengänge an der Philosophischen Fakultät
Der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät hatte in den Jahren 2005/2006 beschlossen, die Magisterstudiengänge zum Sommersemester 2011 auslaufen zu lassen. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung gingen viele Studierende noch davon aus, bis zum gesetzten Termin ihr Studium beendet zu haben oder sie vermuteten, dass die Regelung im Zweifelsfall ohnehin keinen Bestand haben würde. Protest gegen diese Bestimmung regte sich daher nicht. Vier Jahre später war dann absehbar, dass es unter den gegebenen Umständen mehreren hundert Studierenden nicht möglich sein würde die Uni mit dem angestrebten Abschluss zu verlassen. Das Thema stand daher im Mai 2010 erneut auf der Tagesordnung des Fakultätsrats. Statt nun die erhoffte und von vielen auch erwartete Lösung einer Verlängerung zu wählen, zeigte ein Großteil des Gremiums keinerlei Verständnis für die Anliegen der Studierenden und ließ diese voll auflaufen. Gegen die Stimmen der Studierendenvertreter_innen wurde jegliche Terminänderung abgelehnt. Die Haltung der Mehrheit der Mitglieder kam besonders krass in einem internen Papier zum Ausdruck, das die Grundlage für die negative Entscheidung bildete. Der intensivierte Leistungsterror wurde dort explizit als Argument gegen eine Verlängerung angeführt: „Das nahende Ende des Magisters und der damit einhergehende Druck auf die Studierenden haben zu einer merklichen Zunahme der Anmeldungen zum Abschlussverfahren geführt.“ Dreist war auch, was den Betroffenen, die mehrheitlich nur noch sehr wenige oder sogar gar keine Scheine mehr benötigten, als Alternative angeboten werden sollte: „Die Studierenden sollten nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass diejenigen, die den Magister bis Ende SoSe 2011 nicht abschließen können, in den B.A. zu wechseln können.“
Alle Hoffnungen auf eine Veränderung auf etablierten Wegen, über eine Mitarbeit in Gremien, hatten sich damit zerschlagen. Obwohl die gewählten Vertreter_innen sich in diesem Fall tatsächlich für die Interessen der Studierenden engagierten, fehlten ihnen aufgrund der Besetzung des Fakultätsrats (nur zwei von vierzehn Mitgliedern sind Studierende) die Möglichkeiten deren Anliegen auch tatsächlich durchzusetzen. Einige der Betroffenen wollten sich mit dieser Situation nicht abfinden. Über persönliche Gespräche, Flyer und mailinglisten wurden andere Magisterstudierende zu einem ersten „Aktiventreffen“ eingeladen. Die Einladung fand großen Zuspruch, für Viele war die Frist ein drängendes Problem. Auf dem ersten Treffen wurde ausführlich über die Konsequenzen gesprochen, die der gesetzte Termin für die Studierenden haben würde. Das Gefühl individuellen Versagens, die Vorstellung „Alle kriegen ihr Studium geregelt, nur ich nicht“, wich durch den Austausch schnell der Erkenntnis, dass es sich hier nur scheinbar um eine individuelle Schwierigkeit und tatsächlich um ein politisch-kollektives Problem handelte, das man gemeinschaftlich angehen sollte. Gemeinsam wurden Informationen gesammelt und das weitere Vorgehen geplant. Durch gezielte Recherche konnten die eigenen Ressourcen fokussierter eingesetzt werden. Die Studierenden konzentrierten sich auf die Fakultätsratsmitglieder, die gegen eine Verlängerung gestimmt hatten, und sprachen diese z.B. in ihren Sprechstunden direkt auf das Thema an. Gleichzeitig wurde sich ein Überblick über die einzelnen Teile der Fakultät verschafft und verstärkt in den Bereichen mobilisiert, in denen es noch wenige Aktive gab. Die Teilnehmer_innen der Aktiventreffen versuchten darüber hinaus in ihrem direkten Umfeld mit möglichst vielen Betroffenen ins Gespräch zu kommen. Die Plena konnten daher ein kontinuierliches Wachstum verzeichnen.
Aufgrund einer formalen Regelung war der Fakultätsrat gezwungen, seine Entscheidung einen Monat später durch eine erneute Abstimmung zu bestätigen. Die Aktiven entschlossen sich, bei dieser Sitzung direkt zu intervenieren. Im Vorfeld wurde ein mehrseitiges Positionspapier verfasst. Dabei erprobten die Studierenden eine innovative und vor allem kollektive Methode der Textproduktion. Statt einzelne Personen mit der Formulierung der Stellungnahme zu beauftragen, wurde sich bewusst für einen gemeinsamen Prozess entschieden. Während eines Aktiventreffens nahmen sich kleine Arbeitsgruppen einzelner, vorher abgesprochener Themenbereiche an und arbeiteten diese aus. Die so entstandenen Fragmente wurden dann anschließend zusammengefügt. Mit diesem Statement wurde eine ca. 20-köpfige Delegation zur Fakultätsratssitzung geschickt, um die Position der Studierenden vorzutragen und die Bereitschaft zu entschlossenen Protesten zu verdeutlichen. Durch die zuvor gemeinschaftlich entwickelte Argumentation und das kollektive Auftreten konnten Ängste vor der direkten Konfrontation mit den Dozierenden deutlich reduziert werden.
Der Fakultätsrat zeigte sich vom Agieren der Aktiven sichtlich beeindruckt, zog den Tageordnungspunkt vor und entschied dann ausnahmsweise in geheimer Abstimmung – einige Mitglieder hatten offensichtlich große Sorge vor weiteren Aktionen. Das Ergebnis der Abstimmung war ein beeindruckender Erfolg der studentischen Kampagne: In nur einem Monat war aus einer knappen Entscheidung gegen die Studierendeninteressen eine große Mehrheit für eine Verlängerung um drei Semester geworden. Das Vorgehen der Magisterstudierenden ist ein Beispiel dafür, dass kollektives und solidarisches Eintreten für die eigenen Interessen, das auch vor den notwendigen Konflikten nicht zurückscheut, Erstaunliches erreichen kann. Das Ergebnis des Projekts hat die Aktiven selbst überrascht und macht Mut für weitere Aktivitäten. Einer der Studierenden hat seine diesbezüglichen Erfahrungen in einer mail prägnant zusammengefasst: „Ich habe von -sonst eher politisch interessierten- KommilitonInnen die Ausrede gehört nicht mehr an Demonstrationen oder Sonstigem zum Bildungsstreik teilnehmen zu wollen, weil "das ja eh nichts bringt" bzw. "uns die Landes-Politiker dann ja doch verarschen" (in etwa). Nachdem ich einem von diesen von unserer erfolgreichen Aktion erzählt habe, hörte er sich schon ganz anders an.“