Basisdemokratisches Bündnis:

Zukunft der Bildungsproteste

Interview mit einem Mitglied des Basisdemokratischen Bündnis

Interview der Studierenden für eine aktive Uni (SAU) mit einem Mitglied des Basisdemokratischen Bündnis (BB) über Bildungsabbau und die Perspektive studentischer Proteste.

1. Wie stehst du zu Studiengebühren?

Ich lehne sie aus zwei Gründen ab:

1. Das Studiengebühren sozial verträglich sein könnten, ist eine Lüge. Egal, welches Finanzierungsmodell: Dass man für sein Studium bezahlen muss, wirkt je nach sozialem Status mehr oder weniger abschreckend. Ob man nun Schulden machen oder das direkt zahlen muss, ist dabei zweitrangig.

2. zielen Studiengebühren auf, ein neues Bildungsverständnis ab. Bildung soll nur noch als Investition ins eigene „Humankapital” (Unwort des Jahres 2004) begriffen werden, mit der man auf dem Arbeitsmarkt besser bestehen kann. Das ist ein direkter Angriff auf einen umfassenden Bildungsbegriff.

2. Wie beurteilst du die aktuelle Diskussion?

Es gibt keine Diskussion, sondern nur Schein-Argumente. Ein Beispiel: Als alle noch auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht gewartet haben, wurden irgendwelche Modelle gehandelt, in denen die Gebühren nachgelagert sein würden, so dass man nach dem Studium zahlt. Jetzt ist klar, dass wir bei Privatbanken Kredite zu Zinsen aufnehmen müssen, dass man sich also bei einer Bank verschulden muss. Ein weiteres Scheinargument: „das Geld kommt den Unis zu Gute”. Die Gebühren wurden zu dem Zeitpunkt in die öffentliche Debatte gebracht, als gekürzt wurde (mit dem HOK). Die Unis sind nach den Einsparungen der letzten Jahre nicht mehr handlungsfähig. Diese Handlungsfähigkeit sollen die Studiengebühren wieder herstellen, was auch der Grund dafür ist, dass viele Hochschulrektoren in Studiengebühren ihren letzten Ausweg sehen. Das Geld ist also schon weg.

Ein Wort zu Themen, die über die Studiengebühren „hinausgehen”.

Zunächst: Bildungspolitik ist Sozialpolitik. Das bestreitet niemand von denen, die Bildungspolitik betreiben. Über Bildungspolitik werden Zugangschancen hergestellt. Das z.B. der Asta da „keinen Zusammenhang” sehen will, ist sein ideologisches Problem. Weiter: Studiengebühren stehen im Zusammenhang mit einem Paradigmenwechsel, den wir seit Jahren erleben. Es geht um die Durchökonomisierung aller Lebensbereiche. Der Staat zieht sich aus der Finanzierung der soziale Sicherungssysteme zurück, während er z.B. das Militär weiter ausbaut. Die Politik gibt die sozialen Verhältnisse unter den Menschen zunehmend dem Markt preis. Das passiert im Gesundheitssektor ebenso wie im Bildungsbereich. Diese Veränderungen müssen als Ganzes bekämpft werden. Es gilt zu kritisieren, dass der Staat seine Finanzierungsspielräume eingrenzt, indem er immer weiter Steuern senkt. Nur ein banales Beispiel: Wie will ich was zur Studienfinanzierung sagen, wenn ich nicht sagen kann, wo das Geld dafür her kommen soll, weil das „Allgemeinpolitik” sein soll. Dabei will ich gar nicht sagen, dass man nur kurz über Steuerpolitik reden muss, und schon hat man des Rätsels Lösung. Aber schon dieses kleine Beispiel zeigt, dass die Gegenüberstellung von „Hochschulpolitik” und „Allgemeinpolitik” Unfug ist. Das zeigt: Wir müssen uns wieder trauen über unseren Tellerrand hinaus zu schauen.

3. Wie siehst du den Protest, der bisher gelaufen ist?

Es gibt einen massiven Unterschied zwischen Göttingen und anderen Städten. In Hamburg z.B. hat der Asta eine solide Protestbasis aufgebaut, indem er Basisansätze unterstützt und selbst Basisansätze angestoßen hat. Dort ist schon einiges passiert und einige Erfolge erzielt. In NRW geht?s ja jetzt auch langsam los. Da streiken die Ersten. Aber wir sollten in Göttingen nicht zu pessimistisch sein. Es bewegt sich auch was: Es haben sich Initiativen gegründet, die inhaltlich arbeiten und die versuchen, sich zu vernetzen. Und da wir ja auch noch ein bisschen Zeit haben, finde ich es jetzt nicht schlimm, dass der erste Schnellschuss diesen Sommer nicht funktioniert hat. Es muss nur im nächsten Semester direkt mit einer solideren Basis los gehen. Eine Lehre, die wir aus dem „Streik” vor 1 ½ Jahren ziehen können ist, dass die Leute sich tiefer mit den Themen auseinandersetzen müssen, um mehr Durchhaltewillen zu entwickeln.

4. Denkst du, Studiengebühren sind überhaupt noch zu verhindern?

Nicht, wenn sie so isoliert angegriffen werden wie bisher. Studiengebühren stehen im Zusammenhang mit einer allgemeinen Politik, die sich seit 30 Jahren durchsetzt. In Deutschland verdichtet sie sich jetzt. England hat in Europa in den 80ern vorgelegt. Dort wurden die Sozialsysteme geschliffen und Studiengebühren eingeführt. In Kontinentaleuropa vollzieht sich dieser Prozess langsamer. In Deutschland hat die Politik es lange nicht gewagt, die Sozialpartnerschaft durch all zu starke Einschnitte zu gefährden. Die Politik überträgt ihren Gestaltungsanspruch auf den Markt. In dem Kontext stehen die Studiengebühren. In den entsprechenden Erklärungen, wird das deutlich. Von der Lissabon-Erklärung, wo gesagt wird, Europa muss zum „wissensbasierten dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt” werden über den Bologna-Prozess, wo es um die „internationale Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulraums” geht. Es ist immer wieder die selbe Leier. Um konkurrenzfähig zu sein müssen wir Verzichten lernen. Bei diesem Prozess verlieren wir alle, und trotzdem heißt es seit Jahren, das die Einschnitte noch härter und tiefer sein müssten. Deshalb muss der Protest dagegen breit angelegt sein. Nicht zufällig laufen alle Angriffe mit der Zielmarke 2010: Bologna- und Lissabon-Prozess, Agenda 2010 usw. Wir werden im Bildungssektor keine Insel der Seeligen bleiben! Aber wenn wir diesen Paradigmenwechsel angreifen, dann können wir die Studiengebühren verhindern. Wir müssen uns deshalb als Teil eines Protests verstehen, der weiter geht. Dann gibt es Perspektiven! Wenn man sich die aktuellen Debatten rund um die Wahl anguckt: Mit einem Mal streiten sich die Parteien, wer die sozialste ist. Das ist ein Witz, aber damit reagieren sie auch auf den Legitimationsverlust ihrer Politik.

5. Wie/Was muss passieren? Was sollten die Studierenden nächstes Semester tun?

Selbstbildung um zu verstehen, was gerade im Bildungssektor passiert. Dann: Was passiert im Sozialbereich im Allgemeinen, um zu verstehen, wo die Parallelen liegen. Dann: Bündnispartner finden. Wer ist auf unserer Seite, wer nicht? Ziele formulieren. Nicht einfach nur „Studiengebühren sind sozial ungerecht.” Punkt. Es muss in Frage gestellt werden, dass Bildung dafür da ist, den Wirtschaftsstandort Deutschland fit zu halten. Statt dessen müssen wir fragen: Was sollte der Sinn von Bildung sein? Was ist der Bildungsbegriff der Studiengebührenbefürworter? Wir müssen daran festhalten, dass Bildung ein Teil menschlicher Persönlichkeitsentfaltung ist. Durch Bildung besteht die Möglichkeit, sich unideologisch mit Themen auseinander zu setzten, sich eine Meinung zu bilden, die mehr ist als Alltagsreligion, um daraus als emanzipiertes Individuum hervorzugehen. Wie müsste Bildung dafür gestaltet sein? Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verhindern das? Das sind Fragen, die jetzt gestellt werden müssten.


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