Basisdemokratisches Bündnis:

Tradition ohne Zukunft

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Das Jahr 2011 war für das Verbindungswesen in Deutschland und speziell in Göttingen kein Gutes: Die öffentliche Debatte um den sogenannten „Ariernachweis“-Antrag der Deutschen Burschenschaft, Proteste gegen die Tagungen der Deutschen Burschenschaft und des Coburger Convents, das als Angriff sowie „Verunglimpfung“1 empfundene Beratungsangebot „Falsch Verbunden“ des AStAs und die im November auf Monsters of Göttingen veröffentlichten Dokumente der Initiative Göttinger Verbindungsstudenten (IGV) machten eine kritische Öffentlichkeit auf das Problem Verbindungswesen aufmerksam. Was dabei besonders deutlich wurde: Es besteht ein deutlicher Unwille, sich nach rechts abzugrenzen.

In Göttingen haben Verbindungen schon seit Jahren einen schweren Stand. Immer wieder wird durch Vorträge, Demonstrationen oder andere politischen Aktionen eine permanente Gegenöffentlichkeit zu diesem traditionell-konservativen und tendenziell deutschnationalen Milieu aufrechterhalten. So gab es im vergangenen Frühsommer eine Veranstaltungsreihe zur Kritik am studentischen Verbindungswesen und einige emanzipatorische Göttinger Zusammenhänge, darunter auch die Basisgruppen der Medizin und Geschichte, beteiligten sich an der Mobilisierung gegen den Burschentag der Deutschen Burschenschaft in Eisenach2. Das Basisdemokratische Bündnis übt ebenfalls seit seinem Bestehen, auch über den Zusammenhang, wiederholt Kritik.3

„Ariernachweis“ für Neuzugänge

Bundesweite Kritik erfuhr die völkische Deutsche Burschenschaft, der am offensichtlichsten rechts stehende Dachverband mit einer hegemonialen Stellung faschistischer Verbindungen, ebenfalls im Frühsommer. Die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn hatte den Antrag des Ausschlusses der Mannheimer Burschenschaft Hansea beantragt. Diese wagte es, einen in Mannheim geborenen Mann, der seinen Bundeswehrdienst absolviert sowie die nötigen Pflichtmensuren4 geschlagen hatte und damit im konservativen Korporationsmilieu als „perfekter“ Kandidat für die Aktivitas gelten müsste, aufzunehmen. Sein Fehler in den Augen der rassistischen Antragssteller: seine chinesischen Eltern. Die Veröffentlichung der dies preisgebenden internen Dokumente vor dem Burschentag im Juni 2011, deren Auswertung sogar Leitmedien wie Spiegel Online5 dazu brachten, die Vorgänge als Erlassung von „Rassevorschriften“ zu beurteilen, führte zu einem beeindruckenden Echo in der deutschsprachigen Presselandschaft. Plötzlich standen die Burschenschaften der Deutschen Burschenschaft im Rampenlicht, und man bemühte sich schleunigst den Antrag auf Ausschluss der Burschenschaft Hansea Mannheim aufgrund der „Aufnahme eines chinesischstämmigen Mitglieds nach Rechtsansicht der Antragstellerin“6 zurückzuziehen.

Halbherzige Distanzierungen

Eine breite Öffentlichkeit zeigte sich entsetzt über dieses Geschehen, welches jedoch letztlich in keiner Form neu war, sonderlich lediglich erstmals effektiv öffentlich wurde. Die Aufnahmepraxis der Deutschen Burschenschaft orientiert sich seit Jahrzehnten an einem völkischen Vaterlandsbegriff, der sich über ein deutsches Volk mit gemeinsamen kulturellen und geistigen Werten definiert, dessen kollektive Basis die über das gleiche Blut festgelegte Abstammung sei. Diese konstituierten Aufnahmekriterien sowie die dezidiert politische Ausrichtung der Deutschen Burschenschaft sind anderen Korporationsdachverbänden ebenfalls seit Jahrzehnten bekannt. Dennoch ist eine Zusammenarbeit über Verbänden übergeordneten Organisationen wie zum Beispiel dem Altherrenverband Convent Deutscher Akademikerverbände (CDA), der bis auf die katholischen Korporationen so gut wie alle größeren Dachverbände vereint, oder den lokalen Waffenringen, in denen schlagende Verbindungen gemeinsam das Fechten ausüben, die Regel.

Infolge der breiten öffentlichen Wahrnehmung um den sogenannten „Ariernachweis“-Antrag gerieten nun allerdings Dachverbände wie beispielsweise der Coburger Convent und der CDA unter Zugzwang. Letzterer verkündete in einer Pressemitteilung, für einen Großteil der Mitglieder sei eine weitere Zusammenarbeit „nur noch schwer fortführbar“ und distanzierte sich unter anderem von dem „völkischen Ausleseverfahren“7. Der Pressemitteilung folgte allerdings kein weiteres Handeln, und so verbleibt die Deutsche Burschenschaft mit dem Großteil der restlichen Dachverbände weiterhin im CDA. Nur der Coburger Convent zog die Konsequenzen aus dem Nichthandeln des CDA und ließ ab dem 24.10.2011 ihre Mitgliedschaft ruhen.8

NPD-Freunde in der IGV

Vor Ort hatte dies offenbar keine Bedeutung. Verbunden im scheinbaren Opferstatus begannen sich circa 70 Mitglieder unterschiedlicher Korporationen in der Göttinger Initiative Studentenverbindungen (IGV) zu organisieren. So waren zum Beispiel Mitglieder der einzigen aktiven Damenverbindung in Göttingen, der Akademischen Verbindung Parnassia, oder der im Coburger Convent organisierten Landsmannschaft Verdensia gemeinsam mit Verbindungsstudenten der Burschenschaften Holzminda und Hannovera in der IGV aktiv. Letztere sind in der Deutschen Burschenschaft organisiert. Der Grund für die Bildung dieses Interessenvereines war es laut dem kritischen Weblog Monsters of Göttingen, „Öffentlichkeitsarbeit [zu] machen, weil sie sich von der linken Szene in die Ecke gedrängt fühlen“9. Um in der (Göttinger) Öffentlichkeit also endlich in einem besseren Licht zu stehen, wurden mögliche Berührungsängste mit völkischer Deutschtümelei und burschenschaftlichen NPD-Spendern außer Acht gelassen. Selbst lokale SPD-Prominenz wie der VDSt10-Korporierte Alexander Voigt war neben den üblichen Verdächtigen des politischen Armes der Verbindungsszene (RCDS) in der Aktivenschaft des Vereins zu finden. Erst als interne Unterlagen über Monsters of Göttingen publik gemacht wurden, durfte die Burschenschaft Hannovera, die Herberge des NPD-Spenders, nicht mehr dabei sein und Alexander Voigt ließ sein Engagement nach Partei-interner Aufforderung ruhen11. Mitglieder der Burschenschaft Holzminda sind allerdings weiterhin in der IGV aktiv.

Diese Vorkommnisse zeigen, dass nur durch eine kritische Öffentlichkeit sich Verbindungen genötigt sehen, sich nach rechts abgrenzen zu müssen. Trotz der scheinbaren, selbst deklarierten Liberalität, der Ablehnung von „extremistischen Weltanschauungen“12 und dem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung13. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt aber auch, dass neben Burschenschaften ebenso andere Verbindungen Göttingens faschistische Aktivitas beherbergten oder auf radikalnationalistischen Listen an der Universität antraten14. Doch warum sind Verbindungen immer wieder ein Ort, der Neonazi-Kadern ein Heim bietet oder an welchem über Vorträge deutschnationaler Chauvinismus gelehrt wird?

Völkischer Nationalismus mit Tradition

Die Gründe dafür liegen in der grundlegenden Struktur der deutschen Verbindungen. Größtenteils im 19. Jahrhundert gegründet, verfestigten sie ihre Traditionen und Riten im Deutschen Reich ab 1871, einer Zeit, die von einem verstärkten völkischen Nationalismus, Kaiserhörigkeit, Militarismus und dem deutschen Imperialismusstreben geprägt war. Schätzungsweise 60 Prozent aller Studenten waren im Kaiserreich und auch während der Weimarer Republik in Verbindungen aktiv15. Verbindungen hatten eine spezifische Bedeutung in der Förderung bestimmter politischer Sichtweisen und in der Prägung gewünschter Normen und Verhaltensweisen des Establishments in Politik, Wirtschaft, Bildungswesen oder Justiz. Einer herrschenden politischen Klasse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die hegemonial antirepublikanisch, militaristisch, völkisch, antisemitisch und frauenfeindlich auftrat, konnte die Verbindung an sich nur Recht sein. Der autoritäre, hierarchische Aufbau sowie diverse Erziehungsmethoden wie exzessiver Alkoholkonsum und Benimmregeln, auf deren Missachtung Strafen stehen, trugen zum Schleifen der Elite der deutschen Nation bei.

Verbindungen heute

Ihre Funktion als Hort der Elitenformung haben die Verbindungen weiterhin, ihr Einfluss ist jedoch durch gesellschaftliche Transformationen erheblich gesunken. Eigene Reformen der Riten und Strukturen hat es in einem nennenswerten Umfang nur in den 1970er Jahren gegeben, also in der Zeit der Öffnung der Universitäten für andere gesellschaftliche Klassen und Milieus sowie dem verbreiteten Einfluss progressiver Ideen und Lebensweisen, einer Zeit, in der viele Verbindungen um ihre Existenz kämpften. Einige Korporationen stellten die Mensur ein, andere legten die traditionellen Farben ab oder die Eintrittsvorraussetzungen wurden gelockert. Eine Hinterfragung der Struktur der Korporation fand dabei kaum statt.

Trotz ihres Bedeutungsverlustes versuchen Korporierte weiterhin, ob als Aktivitas an der Universität oder als Alter Herr im späteren Berufsleben, mit ihren politischen Zielen und Ausrichtungen in Diskursen zu intervenieren beziehungsweise Spitzenpositionen zu besetzen. Dass ihnen dies immer noch gelingt, sieht man zum Beispiel an den Burschenschaftern Kai Diekmann als BILD-Chefredakteur und Peter Ramsauer als CSU-Verkehrsminister oder den Corps-Mitgliedern Günther Oettinger, dem EU-Kommissar für Energie, und Jürgen Großmann, dem Vorstandsvorsitzenden der RWE AG.

In Göttingen wiederum ist es zurzeit nicht unbedingt leicht, ein Korporierter zu sein. Ein selbstbewusstes öffentliches oder sogar politisches Auftreten als Verbinder ist lokal kaum möglich. Dem steht entgegen, dass gegenwärtig, wenn auch tendenziell vermindert, bundesweit ein Wirken in gesellschaftlichen Machtfeldern weiterhin gegeben ist. Solange Verbindungen weiterhin Einfluss in Politik, Wirtschaft oder Justiz ausüben und sie ihrer Form wegen ein Ort männerbündischer und autoritärer Sozialstrukturen sowie nationalistischer Ideologie bleiben, ist ein politisches Vorgehen gegen sie unumgänglich. Auch 2012.

1. Siehe Pressemitteilung des Göttinger RCDS: „Linker Göttinger AStA verliert sich in billigem Populismus“

2. Laut dem „Bündnis gegen den Burschentag in Eisenach“ wird es auch im Jahr 2012 wieder Proteste geben:

http://gegenburschentage.blogsport.de/presse/

3. Siehe unter http://www.bb-goettingen.de/973

4. Mensur: das Fechten zwischen zwei männlichen Mitgliedern von (verschiedenen) Studentenverbindungen mit scharfen Waffen. In vielen Verbindungen ist es Pflicht, zur Aufnahme die Mensur geschlagen zu haben, in anderen ist die Mensur freiwillig (fakultativ) oder kein Bestandteil der Initiationsriten

5. https://linksunten.indymedia.org/node/41600

6. https://linksunten.indymedia.org/node/41598

7. http://www.coburger-convent.de/fileadmin/user_upload/redakteur/nroenz/PM_CDA_zur_DB_Nr._2.pdf

8. http://www.coburger-convent.de/willkommen/aktuelles/einzelansicht/article/coburger-convent-laesst-mitgliedschaft-im-convent-deutscher-akademikerverbaende-ruhen.html

9. http://monsters.blogsport.de/2011/11/22/die-buxen-einheitsfront/

10. Verein Deutscher Studenten, Korporationsverband

11. http://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Goettingen/Uebersicht/Ausschluss-fuer-Burschis

12. http://www.burschenschaft-hannovera.de/meldungen.html


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