Basisdemokratisches Bündnis:

Deutsche Zustände

Am 24. August wurde Ahmed Saado von Düsseldorf aus mit einem Sammelflug in die Türkei abgeschoben. Zuvor war er bereits mehrere Monate in Abschiebehaft gewesen. Ahmed Saado lebte seit Jahren in Ossenfeld bei Göttingen. Seine Frau und die sieben Kinder, von denen die meisten in der BRD geboren wurden, sind nun ebenfalls von Abschiebung bedroht. Diese Situation ist keine Ausnahme sondern deutscher Normalzustand.

Ahmed und Amchi Saado lebten bis Mitte der 80er Jahre im Libanon. Sie gehören zu einer Gruppe arabischsprachiger Menschen, die (bzw. ihre Vorfahren) in der Türkei seit Gründung der Republik unter Atatürk (1923) im Rahmen von Maßnahmen zur Zwangstürkisierung verfolgt wurden und deshalb größtenteils bereits zu dieser Zeit in den Libanon flohen. Ahmed Saado selbst wurde nach dem Tod seiner Eltern im Alter von drei Jahren aus der Türkei zu seinem Onkel nach Beirut gebracht. Wie die meisten Angehörigen der genannten Gruppe erhielt er dort keine libanesischen Papiere, sondern hatte den Status eines Staatenlosen. Während des Bürgerkrieges im Libanon wurde Ahmed Saado zwangsrekrutiert. Da er versuchte sich dem blutigen Konflikt zu verweigern, wurde er mehrfach inhaftiert. Sein bester Freund starb bei Kampfhandlungen direkt neben ihm, er selbst verlor dabei einen Finger. Aus dieser Lage gelang der Familie schließlich die Flucht über die Türkei in die BRD, wo sie Antrag auf Asyl stellte.

Kreativ abschieben

Aufgrund des damals schon eng gefassten deutschen Asylrechts (inzwischen ist es faktisch abgeschafft) wurde dieser abgelehnt. Dennoch konnte die Familie, wegen des Bürgerkrieges und weil der Libanon die Wiederaufnahme der staatenlosen Flüchtlinge verweigerte, nicht abgeschoben werden. Die Bundesrepublik versuchte jedoch von Anfang an die Bürgerkriegsflüchtlinge so schnell wie möglich wieder los zu werden. Seit den achtziger Jahren gab es deshalb immer wieder Gespräche mit dem Libanon über eine „Rückübernahme” der Geflohenen. Diese blieben für die BRD allerdings bis heute erfolglos. Daher erweiterten die Behörden Ende der Neunziger ihre Taktik. Da die Betroffenen (bundesweit 15.000-30.000) vorerst nicht in den Libanon abgeschoben werden können, sollen sie nun zwangsweise in die Türkei verbracht werden. Mittels Konstruktionen, wie sie wohl nur den Hirnen deutscher BürokratInnen entspringen können, wird den Flüchtlingen eine türkische Identität angehängt. Eine zentrale Rolle spielen dabei die teilweise in den 20er Jahren beginnenden Fluchtgeschichten der Familien sowie türkische Personenstandsregister, mit deren Hilfe die türkische Staatsangehörigkeit nachgewiesen werden soll. Da von den Eintragungen in diesen Registern jedoch auch die staatlichen Zuwendungen an die Kommunen abhängen, ist es gängige Praxis fiktive Personen einzutragen bzw. Registereinträge von Familien fortzuführen, die zum Teil schon vor Jahrzehnten die Türkei verlassen haben.

Den Ausländerbehörden bieten diese Unterlagen trotzdem eine willkommene Gelegenheit die Flüchtlinge los zu werden. Dabei zeigen die zuständigen BürokratInnen immer wieder erstaunliche Kreativität und erschreckendes Engagement. So widerlich die Ausländergesetzgebung auch ist, so bietet sie doch (noch) gewisse Handlungsspielräume. Viele SchreibtischtäterInnen betreiben Abschiebungen und die Demütigung von Flüchtlingen allerdings als persönliches Hobby und nutzen ihre Position, um ihren Rassismus offen auszuleben. Dass sie dabei vom Innenministerium gedeckt werden zeigt, dass sie damit durchaus im Interesse der Regierenden handeln und leider stoßen sie auch in Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung, die sich selbst nicht als rassistisch verstehen.

Folglich war es dann auch egal, dass Ahmed Saado an diversen Krankheiten leidet, von denen es in einer ärztlichen Stellungnahme heißt, diese könnten sich bei einer Abschiebung lebensbedrohlich verschlimmern. Eine mehrfach attestierte Suizidgefahr war ebenfalls kein Hindernis. Mitten in der Nacht wurde Ahmed Saado aus dem Abschiebeknast Hannover-Langenhagen nach Düsseldorf transportiert und von dort aus mit einem Sammelflug der LTU nach Istanbul verfrachtet. Dabei war er an Händen und Füßen gefesselt. Zusätzlich wurde ihm ein Bauchgurt angelegt, offenbar mit der Absicht ihm Schmerzen zuzufügen und dadurch Widerstand unmöglich zu machen. Zusammen mit ihm wurden 120 weitere Menschen aus verschiedenen Bundesländern abgeschoben, zum Teil direkt aus psychiatrischer Behandlung.

deportation class

Schon das Beispiel dieses Sammelfluges zeigt, dass Ahmed Saado kein „Einzelfall” ist. Jährlich werden zehntausende Menschen aus der BRD abgeschoben, nach offiziellen Angaben gab es im Jahr 2003 allein auf dem Luftweg 23.944 sogenannte „Rückführungen”. Auch das brutale Vorgehen stellt keine Besonderheit dar. Flüchtlinge werden nachts von PolizistInnen überfallen, in Flugzeuge und damit in eins von über 120 Zielländern gebracht. Dabei wird oft massiv Gewalt angewendet. Leisten die „Schüblinge”, wie sie im Amtsdeutsch heißen, Widerstand oder gilt das als wahrscheinlich, werden sie durch das Verabreichen von Drogencocktails ruhiggestellt. Während des gesamten Fluges sind BGS-BeamtInnen anwesend, um die Abgeschobenen bei Bedarf zu misshandeln. Zukünftig sollen Flüchtlinge verstärkt mit Sammelflügen, teilweise in Kooperation verschiedener EU-Länder, abgeschoben werden und in geringerem Maße mit normalen Passagiermaschinen. Dadurch wird das Vorgehen des BGS jeglicher Öffentlichkeit entzogen und Misshandlungen auf dem Flug werden nochmals erheblich erleichtert.

Abschiebung zerstören immer Perspektiven und Lebensentwürfe von Menschen. Selbst der Schutz vor Folter und das Überleben der Betroffenen ist für deutsche Behörden offensichtlich irrelevant, die Verschleppung von Flüchtlingen in Folterstaaten ist an der Tagesordnung. Als lokales Beispiel mag hier der Fall von Zahra Kameli dienen, die Anfang des Jahres in den Iran abgeschoben werden sollte, obwohl ihr dort die Steinigung droht. Erst entschlossener Widerstand durch sie selbst und UnterstützerInnen konnte dies schließlich verhindern. Fehlt diese Unterstützung, sei es durch Zusammenschlüsse von Flüchtlingen und MigrantInnen oder durch andere AktivistInnen, ist erfolgreiche Gegenwehr so gut wie unmöglich. Aufgrund der hoffnungslosen Situation kommt es deshalb immer wieder zu Selbstmorden.

Status: Unerwünscht

Abschiebungen sind nur ein Teil eines vielfältigen Systems zur Bekämpfung von Flüchtlingen und MigrantInnen. Die meisten, die versuchen nach Europa zu fliehen, gelangen gar nicht erst bis hierher. Angesichts der zur Flüchtlingsabwehr hochgerüsteten Außen-grenzen der EU, sind Flüchtlinge gezwungen nach immer gefährlicheren Wegen zu suchen, um diese doch noch zu überwinden. Die Folge ist, dass jährlich mehrere hundert Menschen bei diesem Versuch sterben. Kommen Flüchtlinge dennoch bis in die BRD, so greift hier eine weitgehende Entrechtungspraxis. Diese reicht von gekürzten Sozialleistungen, die oft nur in Form von Gutscheinen oder Esspaketen gewährt werden, über die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen Landkreis („Residenzpflicht”) bis hin zum teilweisen Ausschluss von der Gesundheitsversorgung. Eine wichtige Rolle spielt dabei ein komplexes System verschiedener Lager. Die Funktion dieser Einrichtungen besteht darin, die dort untergebrachten Menschen zu isolieren, ihre Abschiebung zu erleichtern bzw. sie soweit zu zermürben, dass sie entweder „freiwillig” ausreisen oder in die sog. Illegalität abtauchen, wo sie, ohne jede Rechte, hochprofitabel ausgebeutet werden können. Die neueste Entwicklung in diesem Bereich sind (teilweise schon umgesetzte) Planungen für Flüchtlingslager außerhalb der EU-Aussengrenzen, mit denen Menschen auf der Flucht bereits vor dem Erreichen Europas abgefangen und nur einige Wenige nach Verwertbarkeitskriterien für die Einreise ausgewählt werden sollen.

From protest to resistance?

So reibungslos, wie von den Behörden gewünscht, läuft allerdings keine der genannten Maßnahmen ab. Das Gutscheinsystem wird dadurch unterlaufen, dass UnterstützerInnen diese in Bargeld umtauschen, gegen Abschiebungen gibt es Proteste an Wohnorten, Knästen und Flughäfen. Auch in den Lagern kommt es zu immer entschlossenerem Widerstand, im März dieses Jahres zündeten Flüchtlinge die im „Ausreisezentrum” befindliche Ausländerbehörde in Bramsche-Hesepe an. In welchem Maße diese Gegenwehr erfolgreich sein wird, hängt vor allem davon ab, inwieweit es Flüchtlingen gelingt sich trotz aller Hindernisse und Repression selbst zu organisieren. Es existieren bereits dauerhafte, auch überregionale Zusammenschlüsse von Flüchtlingen, die sich auf verschiedenste Weise ihrer Entrechtung widersetzen. Die Vernetzung und die gemeinsamen Aktionen der AktivistInnen werden allerdings durch rassistische Sondergesetze wie die Residenzpflicht erheblich erschwert. So ist es z.B. für Flüchtlinge in der Regel nicht möglich, legal zu überregionalen Treffen oder Demonstrationen zu reisen. Darüber hinaus versuchen die Behörden immer wieder eine kontinuierliche Politik dieser Gruppen zu verhindern, indem sie deren MitgliederInnen abschieben oder versuchen sie einzuschüchtern. Gerade wegen dieser Entrechtung bleibt vorerst auch die Unterstützung durch Leute mit deutschem Pass wesentlich. Da der bestehende Kapitalismus nicht dulden kann, dass sich Menschen in größerer Zahl dem krassesten Elend und der extremsten Ausbeutung durch Flucht entziehen, kann der gemeinsame Kampf letztlich nur einer für eine grundsätzlich andere Gesellschaft sein.

Aktiv werden!

Es gibt vielfältige Möglichkeiten sich der rassistischen Praxis entgegenzustellen. Die einfachste besteht darin Gutscheine zu kaufen (siehe nebenstehender Kasten). Wirst du Zeuge einer rassistischen Polizeikontrolle oder, z.B. beim Flug in den Urlaub, einer Abschiebung, so hast du die Gelegenheit einzugreifen. Wenn Passagiere sich weigern sich hinzusetzen, kann ein Flugzeug nicht abheben.

In Göttingen existieren mehrere Gruppen, die kontinuierlich antirassistisch aktiv sind. Über die Internetseite www.abschiebemaschinerie-stoppen.de werden regelmäßig Infos über lokale Bleiberechtskämpfe und Aktivitäten dieser Gruppen veröffentlicht. Dort gibt es auch die Möglichkeit Kontakt aufzunehmen und sich für einen Newsletter einzutragen. Im Zusammenhang mit Abschiebeversuchen finden im Jugendzentrum Innenstadt (JuZI, Bürgerstr. 41) offene Treffen statt, um Informationen weiterzugeben und die Proteste zu koordinieren. Dort sind gerade auch Leute willkommen, die bisher nicht in diesem Bereich aktiv waren.

Gutscheine kaufen!

Seit Ende 1998 werden im Landkreis und in der Stadt Göttingen die den Flüchtlingen gesetzlich zustehenden Leistungen (ca. 30% weniger als Sozialhilfe, für die ersten drei Jahre ihres Aufenthalts) in Form von Wertgutscheinen statt als Bargeld ausgegeben. Lediglich 40 ? monatlich für den sog. Haushaltsvorstand und 20 ? für jede weitere Person werden bar ausgezahlt. Diese Praxis ist entmündigend und diskriminierend und bringt die Betroffenen in extreme Existenznöte. Durch die Gutscheine sind sie sofort als Flüchtlinge erkennbar und es entstehen diverse Probleme. Denn nicht überall und nicht alles kann mit Wertgutscheinen bezahlt werden: z.B. -> Kosten für Anwältinnen und Anwälte, ohne deren Hilfe kein Asylverfahren bestritten werden kann -> Telefonkarten und -rechnungen -> Stromrechnungen -> Briefmarken -> Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel -> ausländische Tageszeitungen -> Kinobesuche, Eis, Pizza ? »Luxusgüter« dieser Art sind für die Betroffenen wohl sowieso nicht bezahlbar ?

Durch den Umtausch von Gutscheinen in Bargeld können Flüchtlinge zumindest über ein bisschen Kohle selbst entscheiden. Gutscheine können in Göttingen an folgenden Stellen gekauft werden, der Einkauf damit ist für euch problemlos möglich:

Buchladen Rote Straße, Nikolaikirchhof 7

Weltladen, Lange Geismarstraße 21

Café Kabale und T-Keller, Geismar Landstraße 19

Rotes Zentrum, Geismar Landstraße 6

JuZI, Bürgerstraße 41

Café im Theologicum

weitere Informationen:

www.soziales-zentrum-goettingen.de/materialien/gutscheine.pdf

Literatur:

Aktiv gegen Abschiebungen:

www.aktivgegenabschiebung.de

Doku-Seite Amir Ageeb:

http://lola.d-a-s-h.org/~rp/ageeb/

Gegen das europäische Lagersystem:

www.nolager.de

www.abschiebehaft.de

Gegen Abschiebung der Flüchtlinge aus dem Libanon

www.libasoli.de

Wie im Flugzeug bei Abschiebungen verhalten?

www.proasyl.de/texte/flugbl/flughafen.htm

Video-Clips zu Abschiebungen:

KanalB

Für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen:

www.thecaravan.org

www.thevoiceforum.org

Kein Mensch ist illegal!

http://www.contrast.org/borders/kein/

Weitere Initiativen:

www.fi-b.net

www.kanak-attak.de

Sie suchten das Leben. Suizide als Folge deutscher Abschiebepolitik

Herzog, Heike/Wälde, Eva, Hamburg/Münster 2004

Widerstands-Bewegungen. Antirassismus zwischen Alltag & Aktion

Interface (Hg.), Berlin/Hamburg 2005

Papiere für Alle. Die Bewegung der Sans Papiers in Frankreich

Cissé, Madjiguène, Berlin/Hamburg/Göttingen 2002


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