Basisdemokratisches Bündnis:

Schöne saubere Uni

Plakatierverbot, Flugblattverbot, Hausverbot

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Seit Jahrzehnten schmücken viele bunte Plakate die verschiedenen Gebäude der Uni. Nicht nur bunt, sondern vor allem informativ waren diese Plakate: Ging es doch um die Kommunikation innerhalb der Studierendenschaft und Veranstaltungsankündigungen von studentischen, sozialen und politischen Gruppen. Doch plötzlich soll das alles nicht mehr so sein: Plakatierverbote, Flugblatt-Verteil-Verbote und restriktiv regulierte „Aushangkästen” machen eine simple Ankündigung seit einiger Zeit zu einer aufwendigen Angelegenheit. Es soll auf einmal nicht mehr gehen, was seit Jahrzehnten ging.

„Alles abreißen!” - Plakatierverbot im Öconomicum und im Theologicum

Von einem Tag auf den anderen war das Öconomicum kahl gerissen. Die HausmeisterInnen konnten auf Nachfragen zunächst nichts anderes erwidern, als dass sie irgendwie eine Order "von oben" bekommen hätten und dass es jetzt verboten sei, "wild" zu plakatieren. Sie hätten die Anweisung, alles abzureißen.

Der Fachschaftsrat der SoWi-Studierenden (FSR SoWi) hat daraufhin erst etwa zwei Wochen Nachforschungen anstellen müssen, um herauszufinden, wer dafür überhaupt verantwortlich ist. Einen schriftlichen Beleg, auf den mensch sich berufen könnte, gab und gibt es bis heute nicht. Es stellte sich heraus, dass wohl die Dekane zusammen mit der Hausverwaltung und dem AStA-Vorsitzenden Andreas Sorge (ADF) eine Begehung des Oecs vollzogen haben. Die Argumentation des Dekanats und der Hausverwaltung war, dass die vielen Plakate die Ästhetik des Gebäudes stören würden. Ein wirklicher Inbegriff von Ästhetik sind dagegen die jetzt kahlen grauen Betonpfeiler. Andreas Sorge jedenfalls fand die Argumentation allem Anschein nach plausibel und machte keine Anstalten, dem Ansinnen kritisch gegenüber zu treten. Allein die Forderung, es sollten "ausreichend Aushangkästen" installiert werden, setzte er hinterher. Diese Kästen realisierten sich dann als 2 Stück versteckt hinter Pfeilern im vorderen Bereich. Die bereitstehende Fläche ist damit aber wesentlich geringer geworden, als vorher und dazu völlig abgelegen platziert.

Hinzu kommen entsprechende Kontrollmechanismen, die mit den Kästen eingeführt wurden: Wer ein Plakat aufhängen möchte, kann dies nur tun, wenn er oder sie sich einen entsprechenden Stempel auf das Plakat geben lässt. Diesen Stempel gibt es nur für je ein Plakat einer Sorte pro Gebäude. Welchen Plakaten der Stempel verweigert wird, ist noch unklar. Klar hingegen ist, dass dies nicht nur viel überflüssigen Aufwand für die Studierenden macht, sondern auch eine völlig überflüssige Bürokratie in Gang setzt.

Bisher wurde alles gestempelt, aber es ist davon auszugehen, dass es nicht lange dauern wird, bis der nächste Schritt gegangen wird: Eine Unterscheidung zwischen "studentischen" und "nicht-studentischen" (d.h. neben kommerziellen auch von sozialen und politischen Initiativen außerhalb der Uni) Plakaten könnte z.B. der nächste Schritt sein.

Nur gegen Bares – Flugblatt-Entgeld in der Zentralmensa

Ähnlich verlief nämlich die Einführung des Flugblatt-Verteilverbots in der Zentral-Mensa, die vom Studentenwerk betrieben wird. Dort gab es seit einiger Zeit bereits eine Unterscheidung zwischen „kommerziellen” und „nicht-kommerziellen” Flugblättern: Als „kommerziell” galt alles, was darauf ausgerichtet ist, Geld einzunehmen. Dazu zählen neben allgemeiner Werbung auch Parties von studentischen Gruppen, insofern Eintritt verlangt wird. Solche Parties werden u.A. von Hochschulpolitischen Gruppen wie dem Basisdemokratischen Bündnis genutzt, um sich zu finanzieren.

Diese Unterscheidung war aber nur eine Übergangsregelung, um ohne großen Widerstand den Fuß in die Tür zu bekommen: In den Semesterferien hieß es plötzlich, Flugblätter verteilen sei allgemein untersagt. Es gab zunächst widersprüchliche Informationen von den MitarbeiterInnen der Mensa. Die Verantwortliche Frau Streit vom Stundentenwerk (der Name ist Programm) gab später bekannt, dass das Verteilen gegen Bezahlung nun erlaubt sei. Für hochschulpolitische (HoPo) Gruppen seien je 100 Flugblätter einer Sorte frei. Wer als eine solche Gruppe gilt ist nicht immer einfach zu entscheiden. Zunächst gab es eine Liste, auf der unter anderem das Basisdemokratische Bündnis nicht auftauchte. Das wurde inzwischen korrigiert. Einige Basisgruppen kämpfen immer noch dagegen, dass sie nicht als Hochschulpolitische Gruppe anerkannt werden. Für Studierende, die keiner solcher Gruppe angehören, ist das Verteilen damit ganz unmöglich, es sei denn, sie zahlen. Dies trifft übrigens auch die Studierenden der Gruppen "Studierenden für eine aktive Uni (SAU)" und der "Norduni aktiv", die gerade versuchen, den Protest gegen Studiengebühren an der Uni voranzubringen. Der Grund dafür sind relativ strikte formale Regelungen, die zur Anerkennung einer Gruppe als „studentisch” angelegt wurden. So braucht es beispielsweise eine Satzung und einen offiziellen Vorstand.

Hinzu kommt, dass auch jedes Flugblatt, das kostenlos verteilt werden darf, wenn es von einer Hopo-Gruppe kommt, dennoch vorher über den Schreibtisch von Frau Streit gewandert sein muss. Auch hier ist also eine Kontrollinstanz vorgeschaltet, die bei Bedarf Flyer einfach verbieten kann. Diese Regelungen werden im Moment noch von vielen Gruppen und Studierenden versucht zu umgehen, indem einfach ohne Erlaubnis verteilt wird, bis die MitarbeiterInnen einen unfreundlich bitten, das Gebäude zu verlassen.

Es gibt Berichte von Studierenden, dass auch trotz dieser vagen und nirgendwo schriftlich festgehaltenen Regelungen auch bei formal-korrekter „Anmeldung” nicht einmal darauf Verlass ist: Erst wenn mensch zu erkennen gibt, dass einer/m die Regelung bekannt ist, wird das kostenlose Verteilen gestattet. Vorher wird des Öfteren erstmal versucht, für das Flyer-Verteilen ordentlich zur Kasse zu bitten.

Kahles ZHG

Als letztes Beispiel ist noch das Zentrale Hörsaalgebäude (ZHG) zu nennen. Auch hier gab es bis vor einem halben Jahr die Möglichkeit, Plakate neben die Eingänge von Vorlesungsräumen und an die Wände zu pinnen. Auch das ist jetzt strikt untersagt. Stattdessen gibt ein einige wenige Stellwände im hinteren Bereich (vor dem blauen Turm), die in verschiedene Bereiche aufgeteilt sind: Hierfür braucht es noch keine Genehmigung. Nicht an der "richtigen" Stelle aufgehängte Plakate werden abgerissen.

Insgesamt bedeutet all das einen deutlichen Trend zur Verregelung und Bürokratisierung seit Jahrzehnten selbstverständlicher inner-studentischer Kommunikation. Damit einher geht die massive Einschränkung der Informationsmöglichkeiten außeruniversitärer Gruppen. Die Abschottung der Universität, als außerhalb der Gesellschaft stehender Elfenbeinturm, wird damit immer weiter vorangetrieben. Jeder Mitteilung wird eine Kontrollinstanz vorgeschaltet, manche werden gar nicht erst zugelassen. Wer keiner Hochschulpolitischen Gruppe angehört hat es besonders schwer oder steht unter Druck, sich einer solchen anzuschließen. Spontane Selbstorgansation unter den Studierenden wird damit weiter erschwert und formalisiert. Die sich so als Elfenbeintrum begreifende Universität soll also nicht (basis-)demokratisch von unten, sondern autokratisch von oben durchregiert werden. Ganz im Sinne der Hochschulreformen, die mit dem Bologna-Prozess, dem NHG und dem Zukunftsvertrag gerade an den Unis durchgesetzt werden sollen.

Auch hier ist davon auszugehen, dass die Regelungen im Rahmen der voranschreitenden Veränderung sehr bald weiter verschärft werden und die Handhabe restriktiver wird.

Pfefferspray gegen Flugis: Prügel und Anzeige wegen Flugblatt-Verkleben

Den bisherigen Gipfel hat das Plakatierverbot am Samstag den 14. Oktober erreicht: Samstag spät Abends "erwischte" ein Wachmann eine Studentin, die Flugblätter gegen den bevorstehenden Nazi-Aufmarsch auf dem Campus verklebte. Als sie nicht auf seine Fragen danach, was sie da tue, reagierte und ruhig weiterging wurde sie vom Wachmann überwältigt. Dabei wurde sogar Pfefferspray eingesetzt. Der Wachmann alarmierte die Polizei, die eine Anzeige gegen die Studentin aufnahm.

Man führe sich den Zusammenhang noch mal vor Augen: Noch vor einem halben Jahr hing z.B. das Öconomicum mit Plakaten voll. Dies ging seit Jahrzehnten seinen Lauf. Inzwischen wird man verprügelt und verhaftet, wenn man nur kleine Aufkleber auf seit Jahren genutzte Plakatierfläche verklebt!

Sauber, sauber! Hausverbot für unerwünschte Personen

Der Wahn von der „sauberen Uni” bleibt aber bei informationsfreien Wänden nicht stehen: So gibt es z.B. seit wenigen Wochen ein offizielles Hausverbot für Obdachlose. Mit der Abstrusen Begründung "Menschen, die kein Dach über den Kopf haben, haben unter diesem Dach nichts verloren" wird von dem Hausrecht Gebrauch gemacht. Diese Order gilt mindestens für das Öeconomicum und das Theologicum. Betroffen sind einige wenige Menschen, die in diesen Räumen tagsüber einige Zeit verbracht haben.

Saubere Uni, saubere Stadt?

Die Metapher von der „sauberen Uni” lässt einen unvermeidbar an die Kampagne „Saubere Stadt Göttingen” des Oberbürgermeisters Danielowski (CDU) seit dem Jahr 2003 denken. Und in der Tat bestehen hier deutliche Parallelen:

Auch hier ging es letztlich nicht wirklich darum, seinen Zigarettenstummel in den richtigen Eimer zu entsorgen. Trotz der aufwendigen Werbekampagne der Stadtverwaltung konnten die schicken lila-Mülleimer nicht wirklich darüber hinweg täuschen, dass es im Grunde darum ging, der Innenstadt viel stärker als bislang eine bestimmte Funktion zuzuschreiben: Wie auch in vielen anderen Städten sollte eine saubere Einkaufsmeile entstehen, in der BürgerInnen in Ruhe ihrem Konsum frönen können, ohne dabei von unangenehmen Einsichten abgelenkt zu werden. Und das betrifft dann wesentlich mehr als nur unerwünschte Papierschnipselchen auf dem Boden, nämlich vor allem unerwünschte Menschen: Obdachlose und andere, die zum Konsum nicht wesentlich etwas beizutragen haben, sollten aus dem Bild der Innenstadt verschwinden. Dabei ging es selbstverständlich nicht darum, soziale Probleme zu lösen, geschweige denn, bestimmte andere Lebensformen zu tollerieren. Die dunkle Kehrseite der bunten, kapitalistischen Konsumwelt soll hier aus dem Blickfeld verschwinden. Da ist nicht viel zu sehen von der offenen und toleranten Stadt Göttingen, die in den Zeiten des Naziaufmarsches so gerne beschworen wurde. Sie geriert sich sauber und macht sich dabei gehörig die Hände schmutzig.

Verschärfte Polizeipräsenz und Kontrollen von „Herumlungerern” setzen seit dem dieses Ziel vermehrt in die Tat um. Auch Zeugnisfeiern von SchülerInnen wurden in den letzten Jahren immer mehr aus der Stadt gedrängt. Der Nabel und das Gänseliesel waren für viele feiernde Jugendliche einst ein beliebter Treffpunkt, die aber mit Platzverweisen und erhöhter Polizeipräsenz ihre Attraktivität verloren haben. Die Stadt ist in dieser Wahrnehmung in keinster Weise als Freiraum der Menschen gedacht, die sich dort aufhalten. Die anwesenden haben sich den ökonomischen Zwecken für den „Standort Göttingen” unterzuordnen und andernfalls möglichst schnell wieder aus dem Stadtbild zu verschwinden.

Wie blanker Hohn klingt in diesem Zusammenhang die Begründung der Hausverwaltung der Universität, die Uni-Gebäude seien nicht der richtige Ort für sog. Obdachlose: Der Bahnhof ist es seit langem schon nicht mehr, die Innenstadt ebenso wenig. Übernachtungsmöglichkeiten sind schon länger im Umfang am schrumpfen. Letztlich läuft das „hier ist nicht der richtige Ort” darauf hinaus, dass er nirgendwo ist. Sie sollen sich einfach in Luft auflösen. Oder doch zumindest nicht auffallen. Selber schuld, auch das meint die herrschende Propaganda zu wissen, sind sie an ihrem Schicksal ohnehin. So erfüllt die Law-And-Order-Politik auch gleich noch eine sozialpolitische Aufgabe: der Mythos, das nur wer arbeitet auch leben soll wird exemplarisch durchexerziert an denen, die sich sich ohnehin nicht wehren können. Das stellt sie ruhig – und dient den anderen als Warnung.

Sauberer Fachhandel für Bildung

Sicherlich soll am Campus keine Einkaufsmeile entstehen. Jedoch deuten die momentanen Umstrukturierungen (Druck durch Studiengebühren, kurze Bachelor/Master-Studiengänge mit verringertem Lehrangebot, Elite- und Profilbildung usw.) der Universitäten ein gewandeltes Selbstverständnis und einen bestimmten Bildungsbegriff an: Bildung ist nicht länger Erkenntnisprozess und Entfaltung der Individualität des Einzelnen. Vielmehr sollen die Studierenden in eine Kunden-Position gedrängt werden, die sich an die Universität als Service-Unternehmen wenden, um zwecks Ausbildung für den Arbeitsmarkt die Ware Bildung zu erwerben. Die Uni ist damit auch nicht länger Lebensort der sich darin Bewegenden, sondern stellt das „Supermarkt-Gebäude” des „Bildungsanbieters” dar. Entsprechend haben Papierzettelchen und Klebestreifen im Profil der schnieken Business-Uni nichts mehr verloren.

Auch wenn sich dieses, selbstverständlich abzulehnende, Ansinnen der „sauberen Uni” so erklären lässt, ist die Vehemenz, mit der es durchgesetzt wird, dennoch in sich irrational: Es erfüllt keinen unmittelbaren Zweck, dass die Gebäude sauber wirken. KeinE privateR DrittmittelgeberIn interessiert sich daran, kein Elite-Profil kann damit aufpoliert werden. Die Umstrukturierungen der Universitäten reproduzieren sich hier vielmehr in der ideologischen Wahrnehmung der verantwortlichen FunktionsträgerInnen: In vorauseilendem Gehorsam wird die Uni in jedem Bereich dem neuem Selbstverständnis angepasst, ob es im Einzelnen nun unmittelbar für diesen Zweck notwendig ist oder nicht.

Wie weiter?

Diesem Wahn gilt es jetzt von studentischer Seite etwas entgegen zu setzen. Auf ein Aufbegehren des AStA wird wohl lange zu warten sein, eine Verschärfung der Regelungen ist zu erwarten. Es wird Zeit, den verantwortlichen FunktionsträgerInnen ein deutliches Zeichen zu setzen, dass sie bei jedem Gang über den Campus daran erinnert, wessen Raum hier angegriffen wird. Es ist an der studentischen Basis jetzt mit nervenden und Aufwand-verursachenden Aktionen zu zeigen: Keine saubere Business-Uni, kein Elfenbeinturm, keine Ware Bildung – mit uns nicht.


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