Basisdemokratisches Bündnis:

Studiengebühren bereits vor der Einführung ein voller Erfolg

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Bereits vor Ihrer Einführung sind die Studiengebühren ein Erfolg für das Land und die Universität. Das sollte allen auffallen, die einen Blick auf den eigenen Stundenplan oder den der Mitstudierenden geworfen hat.

Wer das tut, dem dürfte nicht entgehen, dass die Veranstaltungsdichte, die sich die Einzelnen zumuten, enorm zugenommen hat. Natürlich gibt es hier keine repräsentativen Umfragen oder Evaluationen, obwohl ansonsten inzwischen so ziemlich Alles und JedeR zu jedem Thema evaluiert oder befragt wird. Doch wer die Stundenplanberatungen in den O-Phasen mitgemacht hat, oder sich den Stundenplan der Menschen anschaut, die in den Seminaren und Vorlesungen neben einem sitzen, hat wahrscheinlich schon gemerkt, dass die Mitstudierenden von demselben Druck getrieben werden, wie man selbst.

Seitdem die Landesregierung ihre Studiengebührenpläne verkündet hat, herrscht bei den meisten Studierenden eine neue Zeitrechnung. Seit der Einführung der Langzeitstudiengebühren lautete diese Zeitrechnung in etwa Regelstudienzeit + vier, dann muss ich fertig sein, weil ab dann 500 Euro im Semester fällig werden. Nun wissen alle, egal in welchem Semester sie sind, dass sie noch genau bis zum Sommersemester 2007 Zeit haben. Ab diesem Zeitpunkt müssen Alle bis auf wenige Ausnahmen die real fast 700 Euro zahlen. Das erzeugt den Druck, bis dahin Scheinfrei zu werden, um die Dauer des Bezahlstudiums möglichst kurz zu halten. Auch die Lehrenden spüren den Druck ihrer Studierenden bereits.

Da so viele Pflichtveranstaltungen belegt werden, wie die 24 Stunden des Tages hergeben, ist es nicht mehr möglich, auch alle diese Veranstaltungen, etwa durch gründliche Textlektüre angemessen vorzubereiten. Stattdessen entsteht ein autoritärer Lehrstil, der den meisten wahrscheinlich noch aus der Schule bekannt ist: Nicht mehr das fachliche Interesse an dem einen oder anderen Thema entscheidet, wie intensiv sich damit auseinander gesetzt wird, sondern zunehmend die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten der Lehrenden. Gibt es keine Überprüfung der Vorbereitung, dann gibt es auch keinen Grund sich vorzubereiten. Wir alle kennen diese Denkweise und jedeR spürt, dass sie mit den Studiengebühren im Nacken immer mehr zunimmt – auch die Dozierenden. Und so werden immer mehr Instrumente der Leistungskontrolle eingeführt: wöchentliche Textzusammenfassungen, regelmäßigere Kontrollen die auf stumpfe Wissensabfragen hinauslaufen usw. Alles eben – richtig: wie in der Schule.

Der „Sinn” von Studiengebühren

Und genau hierin liegt der Erfolg von Studiengebühren bereits vor ihrer Einführung, der darauf verweist, welchem Zweck sie eigentlich dienen sollen. Laut Uni-Präsident und Wissenschaftsminister sollen sie die Einnahmesituation der Universitäten verbessern. Denn das Land könne die Finanzierung nicht mehr leisten, da „kein Geld da sei” und so müssten sich die Unis das Geld eben zusätzlich von den Studierenden holen. Dass das Land die Zuweisungen zu den Unis nach der Einführung von Studiengebühren auf ihrem jetzigen Stand beibehalten wird, glauben seit der als „Zukunftsvertrag” bezeichneten Kürzungsrunde, die mit der Einführung von Studiengebühren einher geht, nicht einmal mehr die Gebührenbefürworter. Bleibt nur noch das Sachzwangargument, dass kein Geld da sei, um die Bildung anderweitig zu finanzieren. Damit zieht sich die Politik geschickt aus der Affäre. Indem sie auf die höhere Macht der Kassenlage verweist, muss sie sich nicht mehr auf eine Debatte über die Wirkungen einlassen, die Studiengebühren auf die Gesellschaft im Allgemeinen und die Bildungslandschaft im Speziellen haben. Dabei wird bereits auf den zweiten Blick deutlich, dass dieses „Argument” nicht sonderlich schlüssig ist. Denn Studiengebühren bedeuten ja nichts anderes, als dass Geld, das offenbar vorhanden sein muss von privater Hand in die Studienfinanzierung fließen soll, statt wie bisher aus der öffentlichen Hand. Also keine Rede davon es sei „kein Geld da”. Vielmehr wird vorausgesetzt, dass es eine zahlungskräftige Kundschaft gibt, oder eine die es werden wird (Studienkredite). Studiengebühren sollen, also nach dieser Logik, nicht eingeführt werden, weil „kein Geld” da ist, sondern weil es an anderer Stelle ist. Darauf jedoch hat die Politik einen potentiellen Einfluss. Den hat sie in den letzten Jahren auch genutzt. Jedoch in einer Art und Weise, die vor dem Hintergrund, des Klagens über die klammen Kassen, äußerst eigenartig wirkt. Die vergangenen Jahre waren in der Steuerpolitik geprägt von einer massiven Entlastung von Gewinnen, Vermögen und hohen Einkommen. So fiel der Anteil der Steuern auf Gewinne und Vermögen am BIP in der Zeit von 1980 bis 2001 von 6,6% auf 3,8%, wohingegen der Anteil der Lohnsteuern am BIP in dieser Zeit gestiegen ist. Die Absenkung des Spitzensteuersatzes durch Rot-Grün hat zu einer immensen Entlastung von Jahreseinkommen über 500.000 Euro geführt. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich noch einmal einen Blick auf die Argumente der Studiengebührenbefürworter zu werfen. Diese behaupten, dass Studiengebühren soziale gerecht seien, da dann endlich die sprichwörtliche Putzfrau dem Arztsohn nicht mehr sein Studium bezahle. Jetzt wird der Zynismus deutlich, der inzwischen die Debatte beherrscht: Die Politik hat über die letzten Jahre dafür Sorge getragen, dass der Anteil von Gewinnen, Vermögen und hohen Einkommen an der Finanzierung der sozialen Infrastruktur immer weiter zurückgegangen ist Der Anteil der Schichten mit mittleren und unteren Einkommen ist dagegen immer weiter gestiegen. Diese Politik war im Zusammenspiel mit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung durchaus erfolgreich. In Deutschland entfallen inzwischen auf 10% der Privathaushalte 42% des Privatvermögens, was einem Gesamtwert von 2,2 Billionen Euro entspricht. Nun wird es auch noch als soziale Errungenschaft abgefeiert, wenn die Schichten mit mittleren und unteren Einkommen ihre Kinder bald gar nicht mehr auf die Unis schicken können, weil sie nachgewiesenermaßen die Studiengebühren oder das Risiko der Verschuldung nicht tragen können. Jedoch wird auch weiterhin ein Teil der Bildungskosten durch den Staat finanziert. Unterm Strich sorgt also die Politik dafür, dass die Putzfrau in zunehmendem Maße die Finanzierung der sozialen Infrastruktur bezahlt, zu der auch die Unis gehören, nur dass bald auch garantiert ist, dass ihre Kinder sich nicht mehr dorthin verirren werden.

Sachzwang und Gemüt

Mit dem Sachzwangargument der leeren Kassen soll ein Instrument etabliert werden, das ein neues Verständnis von Bildung in den Köpfen der Studierenden etablieren soll: Die Studierenden sollen begreifen, so der niedersächsische Ministerpräsident Lutz Stratmann, dass Bildung eine„hochrentable Investitionen in die eigene berufliche und private Zukunft” ist. Die intendierte Ökonomisierung zielt dabei auf zweierlei. Zum einen soll das Studium strenger an Inhalten ausgerichtet werden, die später von den Unternehmen nachgefragt werden, und zum anderen sollen die Studierenden schneller studieren. So legitim das Interesse Einiger ist, an der Universität v.a. eine gute berufsorientierte Ausbildung zu erhalten, darf die Berufung auf die sog. Praxis, mit der immer nur die Berufspraxis gemeint ist, nicht zu einem Zensurinstrument werden, um kritische Inhalte aus der Lehre zu entfernen.

Wie sich diese schöne neue Bildungswelt anfühlt, können wir bereits jetzt beobachten, wenn wir sehen, welchen Druck allein, die kommende Einführung von Studiengebühren erzeugt. Wie das für die Erstsemester ab dem Wintersemester 06/07 sein wird, die für jede Schludrigkeit in der Orientierungszeit der ersten Semester ihren Dispo überprüfen müssen, ist kaum abzusehen. Damit sind Studiengebühren ein Angriff auf die Wissenschaft und die Bildung selbst. Denn Bildung bedeutet nicht allein, die Vermittlung von Wissen, sondern die Herausbildung eines kritischen wissenschaftlichen Habitus. Dieser muss jedoch in der Auseinandersetzung mit den Gegenständen des Fachs eingeübt werden und kann nicht als Dienstleistung eingekauft werden. Denn die Fähigkeit Dinge kritisch zu hinterfragen kann nur verinnerlicht werden durch eine beständige Auseinandersetzung mit den Themen, die die Einzelnen interessieren. Durch „zeitraubende” Diskussionen auch außerhalb der Seminare, vertiefende Lektüre, wo es nötig ist, usw. Dem steht der homo öconomikus, der, wie Stratmann es möchte, die Bildung v.a. als Investition ins eigene Humankapital begreift, unvereinbar entgegen. Denn das Interesse am Gegenstand verbietet ein Lernen nach Stechuhr.

Mit Studiengebühren wird statt einem kritischen wissenschaftlichen Habitus eher ein autoritärer Charakter gefördert, der wie oben beschrieben, nicht vom eigenen Interesse am Gegenstand getrieben wird, sondern von dem Versuch möglichst wenig anzuecken.

Disziplinierung

Für Einige erscheint das Anliegen der Politik, die Studienzeiten zu verringern, als persönlich wünschenswert, weil sie v.a. ein Interesse an einer zügigen Ausbildung haben. Sie sollten jedoch stutzig werden, wenn hierfür auf Disziplinierungsmittel wie Studiengebühren oder die verschieden Ausleseverfahren bei BA/MA zurückgegriffen wird. Denn hier wird deutlich: es geht darum, dass bei schlechter werdenden Bedingungen in der sog. „Massenbildung” die Menschen schneller fertig werden. Man will die Stu- dierenden also nicht in dem von ihnen gewünschten Tempo studieren lassen. Stattdessen soll auf alle der gleiche Druck ausgeübt werden bei schlechter werdenden Bedingungen die höher werdenden Ansprüche zu erfüllen. Für BA-Studierende bedeutet das weniger Einfluss auf den Studienverlauf bei weniger Möglichkeiten zur Themenwahl und mehr Überschneidungen bei Pflichtveranstaltungen, weil die starren Stundenpläne zwischen den Fächern und Fakultäten nicht angemessen koordiniert werden können. Wer sich davon nicht stressen lässt und mehr als die vorgesehenen sechs Semester einplant, kann künftig jede nicht besuchte Pflichtveranstaltung in bares Geld umrechnen. Das unter diesen Bedingung, keine Wissenschaft möglich ist, sondern nur eine gehetzte Ausbildung, bei der jede Vertiefung des Themas eine Frage des Geldbeutels ist, liegt genau im Interesse der Politik. Denn mit dieser Form der Disziplinierung sind die Studiengebühren Teil eines gesamtgesellschaftlichen Disziplinierungsprogramms. Dabei lassen sich gleich mehrere strukturelle Ähnlichkeiten zum größten Disziplinierungs- und Verarmungsprogramm der Nachkriegsgeschichte ausmachen: der Einführung von Arbeitslosengeld II durch Hartz IV. Auch im Vorfeld dieser „Reform” wurde immer wieder mit dem Argument gearbeitet, dass sich die Arbeitslosen wegen der allgemeinen Kassenlage zukünftig mehr einschränken müssten. Jedoch ist die Arbeitslosenverwaltung heute teurer als vor der Reform, obwohl die Menschen materiell schlechter gestellt sind als zuvor. Auch hier ging es nicht in erster Linie darum Geld zu sparen, sondern durch den neuen Einsatz des Geldes einen höheren Disziplinierungseffekt zu erreichen. Und so fließt das Geld zunehmend in die sog. Verfolgungsbetreuung, durch die die Arbeitslosen, ähnlich wie die Studierenden, dazu gedrängt werden sollen, sich selbst mehr und mehr zu disziplinieren. Hinter beiden Reformen, steht ein Leitbild, dass davon ausgeht, dass die mangelnde Leistungsbereitschaft der Menschen, Grund für die gesellschaftliche Krise in Deutschland ist. So wird das Problem individualisiert und den Einzelnen aufgeladen, die mit dem latenten oder offenen Vorwurf leben sollen, wegen ihrer mangelnden Leistungsbereitschaft nicht das Ihre zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme beizutragen. Das Sachzwangargument der leeren Kassen dient hierbei als universelle Allzweckwaffe, um diesen moralisierenden Vorwurf mit vermeintlich harten ökonomischen Fakten zu untermauern. Wir müssen deshalb offensiv mit ihm brechen, damit eine offene Debatte über die Zukunft der Bildung möglich wird.


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