Die Lehre wird gleichgeschaltet!
Schöne Worte sind es mit denen in der aktuellen Bildungsdebatte um sich geworfen wird: Leistungsorientierte Mittelvergabe, W-Professuren, Lehr- und Forschungsevaluation. All das Begriffe, die nach Kontrolle der selbstherrlichen Professorenschaft klingen. Der Sound der Rebellion gegen die Ordinarienuniversität anno 1968 findet seinen Nachhall im Mausklick, mit dem am heimischen Rechner per Lehrevaluation der Professor für die schlecht ausgearbeitete Vorlesung abgestraft wird.
Leider sieht die Realität ein wenig anders aus. Denn tatsächlich handelt es sich bei den meisten dieser neuen Techniken zur „Leistungsüberprüfung” der Lehrenden um technokratische Instrumente, die entweder ihrem Zweck der Verbesserung von Forschung und Lehre nicht gerecht werden können, oder gar ganz anderen Zwecken dienen.
Der kritische Gehalt von Wissenschaft kann nur in der inhaltlichen Auseinadersetzung bestimmt werden. Jedoch gibt es Rahmenbedingungen, die die Entwicklung kritischen Denkens fördern und solche die es untergraben. Die aktuellen Entwicklungen tun letzteres.
Dem Prof mal eins auswischen
Viele Evaluationen, aber auch die Rhetorik der „Leistungsorientierten Mittelvergabe” sprechen ein reales Problem der Studierenden an, um es jedoch im Sinne einer Politik zu Instrumentalisieren, die auf die immer weitere Ökonomisierung der Bildung abzielt. Dieses reale Problem besteht darin, dass in der Tat ein Machtgefälle zwischen Studierenden und Professoren herrscht. Letztere können ihre Seminare weitgehend gestalten wie sie wollen. Sie sind einzig an die Leistungsanforderungen der Fakultät gebunden, nicht aber an die Interessen der Studierenden. Somit hängt es vom Good Will der ProfessorInnen ab, in wie weit er oder sie eigene Impulse der Studierenden zulässt oder nicht. Die Lehrevaluation erzeugt dem gegenüber den Eindruck, die Studierenden bekämen ein Druckmittel gegen ihre ProfessorInnen in die Hand. Diese müssen schließlich dafür sorgen, dass wir Studierende zufrieden mit ihnen sind, weil wir sie später beurteilen können. Politik und Hochschulleitung nutzten diese widersprüchlichen Interessen jedoch in ihrem Sinn. So war die Lehrevaluationen, die im letzten Semester das erste Mal zentral verordnet wurde, von der Art der Fragen her gar nicht in der Lage, zu evaluieren, wie einzelne Veranstaltungen verbessert werden könnten. Stattdessen waren die Fragen so konzipiert, dass sie es einzig zuließen Veranstaltungen in Gute und Schlechte einzuteilen. Wie die Ergebnisse solcher Evaluationen genutzt werden, kann aktuell an dem Versuch des Uni-Präsidenten studiert werden, die Politikwissenschaften abzuwickeln. Dabei verweist der Präsident immer wieder auf das angeblich schlechte Abschneiden der Politikwissenschaften bei der Forschungsevaluation der wissenschaftlichen Kommission Niedersachsens. Unabhängig von der Richtigkeit dieser Aussagen wird hier deutlich, wie Evaluationen genutzt werden. Die Studierenden, die ihrem Profen mal eins auswischen wollten, können sich mit einem mal mit der Situation konfrontiert sehen, dass ihre eigenen Angaben genutzt werden, um ihnen den Studiengang vor der Nase weg zu kürzen1.
Was ist Leistung?
Ein noch brisanteres Problem stellen die Kriterien dar, nach denen die Qualität von Forschung erhoben werden soll. Denn Güte von Wissenschaft ist nicht so eindeutig bestimmbar, wie die von Autos oder der Vollmilch im Supermarkt. Fällt bei einem Auto der Auspuff ab, oder ist die Milch weit über dem Haltbarkeitsdatum, so lassen sich recht eindeutig Aussagen über die Qualität dieser Produkte machen. Wissenschaft, jedoch ist die Suche nach Wahrheit. Alle die sich schon länger an der Uni befinden wissen, dass es hierfür keine definierbaren Kriterien gibt. Wo eine Definition versucht wird, gibt sie Anlass zur Auseinandersetzung. Die Wissenschaft ist voll von Methodenstreits, Paradigmenwechseln und gegenseitiger Kritik. Das ist auch gut so, weil sie nur so ein dynamischer Prozess auf der Suche nach Wahrheit bleibt, statt zu Ideologie zu erstarren, die sich selbst nicht mehr hinterfragt. Diese Tatsache wird bewusst übergangen, wenn eine Gruppe von WissenschaftlerInnen zu ExpertInnen ihres Faches erklärt werden, die nun nach „objektiven Kriterien” die Güte der Forschung ihrer KollegInnen bestimmen sollen. Denn diese KollegInnen können mitunter knallharte KonkuretInnen in einem aktuellen Forschungsstreit sein. Eine objektive Bestimmung der Kriterien für richtige Forschung ist also eine Illusion. Im Gegenteil: Forschung lebt im Idealfall gerade vom Austausch und der Debatte über diese Kriterien. Deshalb herrscht, wo dieser Anspruch erhoben und durchgesetzt wird de facto nichts anderes als die Macht des Stärkeren. Gerade Ansätze, die kritisch zur herrschenden Lehrmeinung stehen, können so unter dem ergaunerten Banner der Wissenschaftlichkeit unterdrückt werden.
Eine andere Form der strukturellen Behinderung kritischer Ansätze entwickelt sich mit der leistungsorientierten Mittelvergabe. Ein Teil der Mittelvergabe soll künftig an Leistungen gekoppelt werden. Hierzu gehört die Einwerbung von Drittmitteln ebenso, wie die Publikationshäufigkeit in Fachzeitschriften. Doch Fachzeitschrift ist nicht gleich Fachzeitschrift. Denn die Publikationen in unterschiedlichen Fachzeitschriften sollen je nach der Gewichtigkeit der Zeitschrift unterschiedlich bewertet werden. Auch diese Gewichtigkeit wird natürlich nicht nach objektiven Kriterien festgelegt. Stattdessen steht zu befürchten, dass sie von den institutionell etablierten Kräften festgelegt wird. Kritik jedoch entwickelt sich ja gerade in Abstoßung zu etablierten Positionen, steht also in Auseinandersetzung mit ihnen. Gerade die VertrerInnen der Positionen, die von kritischen WissenschaftlerInnen in Frage gestellt werden, entscheiden nun aber über die Gewichtigkeit von Publikationen. Haben kritische WissenschafterInnen kein Zugang zu den etablierten Publikationen, werden sie bei der Mittelvergabe, zusätzlich benachteiligt. So wird durch die Art der Mittelvergabe Kritik strukturell verhindert. Einen kritischen Ansatz zu unterstützen, wird so für ein Seminar nicht mehr nur eine Frage von wissenschaftlicher Reputation, sondern kann zu einer existenziell finanziellen Frage werden. Noch problematischer ist das Kriterium der Drittmittelzuweisung. Denn natürlich werden auch zusätzliche Forschungsgelder von sog. Dritten, nicht ohne Interessen vergeben. Die etablierte Wissenschaft war schon immer – seit den ersten Universitätsgründungen durch die meist adeligen Mäzene im ausgehenden Mittelalter - ein widersprüchlicher Prozess. Zum einen wurde sie von der jeweiligen Herrschaft gefördert. Auf der anderen Seite wurde die Legitimität dieser Herrschaft durch die Ergebnisse der Wissenschaft bisweilen schwer erschüttert. Die Herausforderung für die herrschaftliche Organisation der Wissenschaft bestand also schon immer darin, Wissenschaft zwar zu fördern, aber ihre subversive Spitze zu brechen. Was das für die heutige Zeit bedeutet ist eindeutig: Selbstverständlich hat ein Konzern wie Volkswagen größere finanzielle Mittel zur Verfügung, als etwa ein Zusammenschluss von Erwerbsloseninitiativen. Mit diesem Geld kann Volkswagen – um ein lokales Beispiel zu nehmen – das SOFI2 beauftragen, darüber zu forschen, wie der Konzern flexible Arbeitszeitmodelle einführen kann. Dieses materielle Interesse ist mit einem Finanzbudget ausgestattet, das es für das SOFI äußerst attraktiv macht. Das Ergebnis heißt 5000x5000 und wird seit mehreren Jahren als Erfolgskonzept verkauft um Arbeitsplätze zu schaffen. Der Ruhm von Peter Hartz, der ihm den Vorsitz der nach ihm benannten Kommission einbrachte, stammt von seiner Federführung über dieses Projekt. Studien z.B. darüber, welche Folgen die Flexibilisierung der Arbeitswelt für die Beschäftigten hat, können dagegen nicht so selbstverständlich auf finanzstarke Förderer setzen. So wird Wissenschaft nicht eingesetzt, um Herrschaft zu kritisieren, sondern um Herrschaftstechniken zu verfeinern.
Dieses Problem bestand bei der Verwaltung von Forschung schon immer. So lange jedoch die Entscheidung darüber, welche Forschung wünschenswert ist, in der öffentlichen Debatte statt fand, konnte dieser Einseitigkeit der Forschung entgegen gesteuert werden. In der öffentlichen Debatte konnte – zumindest dem Ideal nach – die Wichtigkeit von Themen bestimmt werden, unabhängig davon, ob es finanzstarke Förderer gab oder nicht. Die Schwerpunkte der Forschung waren damit – zumindest potentiell – Ergebnisse eines öffentlichen Meinungsbildungsprozesses. Indem die Zuweisungen öffentlicher Mittel, an Drittmittel gebunden werden, wird dieses demokratische Prinzip zunehmend ausgehebelt. An seine Stelle tritt die Subventionierung von Forschung, im Sinne wirtschaftlicher Interessen.
Alles in allem verhindern die Maßnahmen, die die aktuellen Bildungsreformen prägen, kritische Forschung und damit letztlich auch kritische Lehre. Sie tragen dazu bei, die Entscheidungen über die Inhalte von Wissenschaft zunehmend zu entdemokratisieren. Dem gilt es sich entgegen zu stellen.
Auf die Methoden wie die leistungsorientierte Mittelvergabe haben wir als Studierende nur politisch Einfluss. Evaluationen dagegen sind auf unsere unmittelbare Mitarbeit angewiesen. Wir schlagen deshalb folgenden Umgang mit den verordneten Evaluationen vor: Da es die Drohung Seitens des Präsidiums gibt, die Beteiligung an den Evaluationen zu erzwingen, wenn sich nicht in angemessener Zahl beteiligt wird, sollten wir sie nicht einfach boykottieren. Bewertet stattdessen alle Fragen mit den bestmöglichen Ergebnissen. So hat das Präsidium seine Rücklaufquote, ohne aber die Ergebnisse für ihre Schließungs- und Kürzungslegitimationen verwenden zu können. Für Eure Kritik an den Dozierenden könnt ihr Euch immer noch an Eure Fachschaften wenden, die Mittel und Wege finden können Eurer Kritik Gehör zu verschaffen – wenn nötig auch anonym.
Es gibt noch genug zu kritisieren an der ungleichen Machtverteilung zwischen Studierenden und Dozierenden, wir sollten aber vermeiden, uns für die Kürzungspolitik von Landespolitikern oder – wie im aktuellen Fall – von Unipräsidenten instrumentalisieren zu lassen.
1) Dass das Präsidium mit Evaluationen ganz andere Plane verfolgt, als die Interessen der Studierenden zu stärken, wird daran deutlich, dass es Überlegungen gibt, die Teilnahme an den Evaluationen verpflichtend zu machen, wenn sich nicht genügend Studierende an ihnen beteiligen.
2) Ein Forschungsinstitut, dass an die SoWi Fakultät angebunden ist.