Basisdemokratisches Bündnis:

Alles kritisch oder was?

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„Kritische Wissenschaften” auszubauen ist eine der wesentlichen Forderungen des BB. Auch in den jüngsten Debatten um Kürzungen war dieser Begriff häufig zu hören. Aber was macht eine Wissenschaft eigentlich zu einer „kritischen Wissenschaft”? Welche Existenzberechtigung hat sie?

Anhand der exemplarischen Fragestellung, was Erkenntnis eigentlich ist und aus welcher Perspektive diese möglich ist, können wir uns dem etwas nähern. Was wir als Einzelne tun, bewegt sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Rahmen. Dieser Rahmen setzt uns darin bestimmte Grenzen: So hängt es z.B. vom Lehrangebot eines Faches ab, was Studierende dieses Faches für Seminare und Vorlesungen belegen können. Es käme diesen Studierenden absurd vor, eins zu wählen, das gar nicht angeboten wird. Etwas allgemeiner ausgedrückt könnte man davon sprechen, dass es hier eine „objektive Struktur” (das Lehrangebot) gibt, auf die sich die einzelnen Studierenden als Wahl-„Subjekte” beziehen. Diese Wahl ist aber selbstverständlich immer durch den Umfang des Lehrangebots beschränkt. Um dieser Beschränkung zu entgehen hätten die Studierenden selbstverständlich die Möglichkeit, Einfluss auf das Lehrangebot zu nehmen, und damit die „objektive Struktur” verändern.

Gesellschaftliche Objektivität

Was in diesem Falle die „Objektivität” darstellt, und wie das Subjekt definiert ist, ist in dem oben angeführten Beispiel noch recht deutlich. Offensichtlich ist auch, dass es sich hier um eine gesellschaftliche Objektivität handelt, d.h., dass sie von Menschen gemacht und damit änderbar ist.

Schwieriger wird es allerdings, wenn etwas komplexere Verhältnisse in das Blickfeld gerückt werden: Nehmen wir z.B. den „Kürzungszwang”, der im Allgemeinen angeführt wird, um Kürzungen von Sozialleistungen oder des Bildungssektors zu rechtfertigen. Hier ist nicht so einfach einzelne Personen(-gruppen) ausfindig zu machen, die für diesen unglücklichen, aber angeblich „objektiv notwendigen” Zwang verantwortlich zeichnen könnten. Vielmehr scheint es auf den ersten Blick, als hätten wir es mit einem „Naturgesetz” zu tun: Die wirtschaftliche Lage sei hart, daher brauche es Steuererleichterungen und entsprechend zusammengekürzte Haushalte, die dieser Wirtschaft wieder auf die Sprünge helfen würden. Und wie jedeR Studierende weiß, der oder die einmal eine wirtschaftswissenschaftliche Vorlesung besucht hat, seien eben diese „objektiven Gesetze” der Ökonomie nun mal die „Naturgesetze” des wirtschaftlichen Handelns.

Diese Begründung ist allerdings selbst vor dem Hintergrund jener Gesetze der Ökonomie nicht ganz haltbar: Die sog. „Hartz IV”-Reform etwa, die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfangenden massiv die Lebensqualität zusammengestrichen hat, verursachte dem Staat letztlich mehr Kosten, als eingespart wurde. Der enorme Ausbau einer teuren Arbeitslosenverwaltung, der die Lebensqualität der Betroffenen zusätzlich durch Verfolgungsbetreuung weiter verschlechtert, führt das Kürzungs-Argument ad absurdum. Auch bei den Studiengebühren verweist die geringe Summe, um die es dabei im Verhältnis zum Bildungshaushalt geht, auf eine ganz andere Funktion dieser Reformen: Erzielt werden soll dabei ein Disziplinierungseffekt1 bei den Betroffenen. Dahinter steht die Wahnidee, dass Grund der staatlichen Haushaltskrise nur mangelnde Leistungsbereitschaft Einzelner sein kann.

Nicht bestreitbar ist allerdings, dass dem Argument des Kürzungswangs zwar ein realer Kern inne wohnt. Nur wird diese Verwertungskrise nicht von Einzelnen, sondern von ökonomischen Bewegungsgesetzen hervorgebracht. Da aber diese ökonomische Form als natürlich und unabänderlich scheint, kann sie in dieser ideologischen Wahrnehmung (als Folge der Handlungen von Einzelnen) nie als Problem der objektivierten Struktur selbst reflektiert werden. So lässt sich jener paradox anmutende Umgang mit diesem Problem erklären.

Die Existenz dieser Verwertungskrise rechtfertigt aber keinesfalls die Annahme, dass nun auf einen Schlag politische Handlungsspielräume eingeebnet seien: Das Hartz IV Beispiel zeigt, dass sogar paradoxerweise im Namen des „Kurzungszwangs” zusätzliche Ausgaben möglich sind. Ebenso bleibt die Verteilung eine politische Frage: Wenn die Waffenproduktion angekurbelt, aber die Kindergärten, Schulen und Universitäten zusammengestrichen werden, werden hier Spielräume genutzt.

Natur oder Gesellschaft?

Warum scheinen diese ökonomischen Gesetze aber als Naturgesetze? Ein Beispiel: JedeR FirmeninhaberIn, der oder die sich überlegt, sozial zu wirtschaften (über Tarif bezahlen, nie kündigen etc), wird früher oder später daran scheitern. Denn in der Konkurrenz wäre dieses Unternehmen nicht überlebensfähig. Dieses Gesetz wirkt also objektiv und ist keine subjektive Einbildung. Der Schein des Naturgesetzlichen findet seinen Grund also darin, dass wir als Subjekte innerhalb dieser für unsere Gesellschaft objektiv gültigen Struktur in der Tat keine andere Möglichkeit haben, als deren grundsätzlichen Notwendigkeiten zu folgen.

Dass dies aber eine objektiv gültige Struktur nur für diese Gesellschaft ist, kann uns erst bewusst werden, wenn wir diesen Blickwinkel, der sich die Welt „empirisch” (also durch reine Anschauung) erfasst, verlassen. Andere Möglichkeiten des Wirtschaftens sind möglich, einige wurden bis vor wenigen Jahrhunderten in der Menschheit auch praktiziert. So würde jede andere, vor uns existierende Gesellschaft wahrscheinlich mit Verwunderung den Kopf schütteln, wenn sie beispielsweise sähe, dass sich in unserer Welt Menschen einschränken, sparen, verzichten und sogar verhungern müssen, weil nicht genug Papierscheine (Geld) vorhanden sind oder gar weil schlicht zuviel produziert wird. Diese Gesellschaften würden uns für verrückt erklären, wenn sie sähen, dass die Mehrheit aller Menschen nichts zu essen hat, obwohl Technik und Produktivität alle Menschen der Erde ernähren könnten.

Die oben noch scheinbar als natürlich anzunehmende Tatsache stellt sich hier also als gesellschaftliche heraus: Sie hängt von der Gesellschaft ab, innerhalb derer die Frage gestellt wird.

Von Bewusstsein und Praxis

Bei unserem Lehrangebots-Beispiel trat das Lehrangebot den Studierenden noch „von außen” gegenüber. Zum einen ist transparent, wer entscheidet, was angeboten wird (Profs, Dozierende). Zum anderen ist klar, wie diese Struktur geändert werden kann. Bei den ökonomischen Gesetzen haben wir es aber offensichtlich mit etwas zu tun, dass einen tatsächlich objektiven Charakter besitzt. In diesem Fall aber reproduziert sich die Struktur gerade weil die Einzelnen darin gemäß ihren subjektiven Erfahrungen innerhalb der vorausgesetzten Struktur handeln. Dies scheint rational, da aus der subjektiven Position heraus andere Möglichkeiten gar nicht denkbar sind. Selbstverständlich soll bei dieser Betrachtung nicht unter den Tisch fallen, dass einige mehr und andere weniger Handlungsspielräume und Möglichkeiten haben. Dennoch kann ein „Wille” der „Privilegierten” innerhalb dieser Struktur nicht allein für dessen Reproduktion verantwortlich gemacht werden – zumal diese „Privelegierten” ebensowenig eine besondere Erkenntnisposition inne haben.

Die Verschleierung der Gesellschaftlichkeit, das heißt der prinzipiellen Änderbarkeit dieser Struktur, wird also zur Bedingung dafür, dass diese Struktur immer wieder aufs neue von uns allen hergestellt wird. All das ohne dass dies denen, die eine Gesellschaft schaffen, nämlich den Menschen selbst, bewusst sein muss.

Was folgt daraus? Unser Alltagswissen über die Welt ist notwendigerweise zunächst begrenzt. Dieses Wissen kann eventuell die Funktionsmechanismen jener Objektivität reflektieren (z.B. dass „die Kassen leer” sind), nicht aber aus dieser Position heraus erklären, warum dies offensichtlich so ist. Ebenso wenig können wir uns als Einzelne einfach dieser Objektivität entziehen. Das Bewusstsein des Subjekts ist also so angelegt, dass es zunächst ein „falsches” Bewusstsein vom Wesen der objektiv wirkenden, gesellschaftlichen Struktur und damit auch von der gesellschaftlichen Ursache dieses Bewusstseins selbst haben muss. Dieses zunächst „notwendig falsche Bewusstsein” wird in der Kritischen Theorie unter dem Begriff Ideologie2 gefasst. „Falsch” ist hier nicht moralisch zu verstehen, sondern als als etwas anderes darstellend (z.B. natürlich statt gesellschaftlich).

Was ist Kritische Wissenschaft?

Besonders Ideologie-anfällig ist die Produktion von Wissen in rein empirisch verfahrende Wissenschaften, wie z.B. in weiten Teilen der Wirtschaftswissenschaften oder der empirischen Sozialforschung. Sie stellen nur allzu oft für einen bestimmten historisch-geografischen Moment angeblich objektiv gültige Tatsachen als allgemeingültig dar.

Um aber die Frage nach dem „Warum?” zu beantworten braucht es stattdessen eine kritische Wissenschaft, die in der Lage ist, sich aus der „Frosch-Perspektive” des einzelnen Subjekts zu lösen, um die gesellschaftlichen Strukturen als Ganzes in den Blick zu nehmen. Diese kritische Wissenschaft wäre mit einer Kritik an diesen Strukturen folglich auch in der Lage, den „Alltagsverstand” des einzelnen Subjekts infrage zu stellen. Die Verarbeitung seiner gesellschaftlichen Verfasstheit stellt zunächst einmal eine ideologische Verklärung dar, kann aber durch Kritik durchdrungen werden.

Emanzipation

Eine solche Wissenschaft hätte gerade entgegen des momentanen bildungspolitischen Trends die Aufgabe, sich von unmittelbaren „Bedürfnissen” der Gesellschaft, die sie analysiert, zu lösen: Z.b. kann es nicht ihr primäres Ziel sein, Studierende entsprechend dem Bedarf des Arbeitsmarktes auszubilden. Ziel ihrer Forschung kann es nicht sein, für wirtschaftliche Zwecke verwertbare Ergebnisse zu produzieren. Das betrifft alle Studienfächer. Die Medizin genauso wie die Physik oder die Soziologie. Denn jedes Fach vermittelt und produziert Wissen, dass sich unmittelbar auf die Menschen auswirkt. Was also dringend benötigt wird, ist das kontinuierliche Frage danach, welche gesellschaftliche Bedeutung bestimmte Studieninhalte haben. Fragen wie „von was für einem Menschenbild gehen die grundlegenden Theorien in meinem Fach aus” oder „zu welchem Zweck und was forsche und studiere ich eigentlich?” sind es z.B., die dabei mitgedacht werden müssen.

Z.B. ist die Frage danach, warum die Bildung kaputt gekürzt wird, keine, dessen Beantwortung ökonomisch verwertbar ist: Niemand kann mit der Beantwortung dieser Frage Geld verdienen, Handlungsspielräume und Erkenntnis aber schon. Als Studierende, sollten wir uns alleine deshalb das Recht, diese Fragen laut zu stellen nicht nehmen lassen. Auch und gerade wenn unser Erkenntnisinteresse den (ökonomischen) Anforderungen dieser Gesellschaft entgegensteht.

Kritische Wissenschaft zieht ihre Legitimation also aus der Möglichkeit, gesellschaftliche Strukturen zu erkennen, um diese dann zum Zweck der Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen zu verändern und damit die Lebenssituationen der Menschen zu verbessern.

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1) vgl. „Studiengebühren bereits vor der Einführung ein voller Erfolg

2) vgl. „Plädoyer für mehr Ideologiekritik an der Uni


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