Studierenden-Proteste in Frankreich
Mit Linksliste (letztes Update: 8. April)
Infos und Links
Seit einigen Wochen brodelt es an französischen Unis und darüber hinaus: Mit dem "Contrat première embauche" (CPE) hat die Regierung eine Gesetzesnovelle vorgelegt, die es Unternehmen in Zukunft ermöglichen soll, Menschen unter 26 Jahren zwei Jahre ohne jeglichen Kündigungsschutz und einer "Freistellung" des "Arbeitgebers" von "Lohnnebenkosten". im Februar wurde das Gesetz von der Nationalversammlung angenommen.
Dieses Gesetz wurde zum Anlass, für eine heftige Protestwelle vor allem an den Universitäten. Demonstrationen, Besetzungen bis hin zu Straßenschlachten mit der Polizei nach einer gewaltsamer Räumung der Uni Sorbonne zeugen von einem sehr aktiven und entschlossenen Studierendenprotest. Inhaltlich verbinden viele Studierende ihren Protest mit einer tiefer gehenden Kritik, die weit über die Gesetzesnovelle hinaus geht. Symbolisch ausgedrückt z.B. in Kreidezeichnungen "Ne travaillez jamais" ("Arbeit? Niemals!") werden Grundsätzliche Fragen zur bestehenden Gesellschaftsform gestellt, die z.B. an die Arbeitskritik der sog. SituationistInnen anknüpfen, die ihre Kritik in den 68ern vor allem in die Proteste in Frankreich einbrachten.
Polizei und Politik versuchen unterdessen, auf die massiven Proteste mit einer harten Gangart zu reagieren: So wurde die Uni Sorbonne am 12. März über nacht von einer der Spezialeinheit CRS gestürmt. Mit Knüppeln und Tränengas gingen sie hart gegen Studierende und das Inventar der besetzten Gebäude vor. Im Anschluss wurden angeblich von Studierenden angezündete und aus Fenstern geworfene Bücher (u.A. die Bibel) den Kameras vorgeführt, die die Proteste der Studierenden mit den Bücherverbrennungen der Nazis verglichen. Demonstrationen begegnete die Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas, Knüppeleinsätzen und Gummi-Geschossen. Die Studierenden errichteten brennende Barrikaden.
Als Reaktion auf die gewaltsame Räumung der Sorbonne steigerten die Studierenden die Intensität der Proteste. Seit der Nacht vom 14. auf den 15. März liefern sich Demonstrierende Straßenschlachten mit der Polizei. In der Nacht flogen Flaschen und Steine. Die obligatorischen Knüppel und Tränengas-Einsätze der Polizei werden fortgesetzt.
Burschenschaften, Rechtsradikale Skinheads und Front National riefen derweil auf, hart gegen die Studierenden vorzugehen. Am Abend des 14. März griff eine Menge von etwa 100 Mitglieder der faschistischen FNJ (nationale vorderfront Jugend), Jugendorganisation der konservativen Partei UMP, protestierende Studierende an. Unter den Augen der Polizei-Spezialeinheit CRS wurden einige Studierende mit Baseball-Schlägern und Eisenstangen verletzt und mussten vor dem Schlägertrupp fliehen.
In Bourdeaux wurde am 15. März das erste Parteibüro der UMP besetzt. Damit sollte ein Zeichen gesetzt werden, dass die Protestierenden nicht nur das Gesetz verhindern, sondern die dahinter stehende Politik insgesamt in die Kritik nehmen wollen. Ebenso kann dies auch im Zusammenhang mit den gewaltsamen Übergriffen an der Sorbonne gesehen werden.
In den folgenden Tagen finden in über 170 Städten täglich Demonstrationen statt, es kommt immer wieder zu Konfrontationen mit der Polizei. Die Zahl der Demonstrierenden am Aktionstag am 19. März wird etwa auf 1,5 Millionen geschätzt. Die Gewerkschaften denken bereits laut über einen Generalstreik nach.
Die Protestwelle hat auch nach mehreren Wochen Demonstrationen und Streiks mit den Besetzungen und Straßenschlachten noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Etwa 65 der 86 Universitäten sind inzwischen besetzt oder einzelne Gebäude blockiert. Auch an den übrigen Unis erstarkt der Protest zunehmend.
Am Nachmittag des 20. März erreichten die Repressionen seitens der Polizei eine neue, traurige Qualität: Eine Polizei-Spezialeinheit der CRS trampelte einen Gewerkschafts-Aktivisten nieder. AugenzeugInnen berichten, der Aktivist sei von etwa 30 Polizeibeamten "gelyncht" worden, mit Knüppel geschlagen und getreten worden, bis er etwa eine Viertelstunde ohne Hilfe bewusstlos am Boden liegen blieb. Die Polizei verweigerte medizinische Hilfe zu rufen oder zu unterstützen - zwei Studentinnen informierten die Feuerwehr. Der Schwerverletze liegt nun mit einem Schädeltrauma im Koma und muss künstlich beatmet werden.
Am 22. März fand in Göttingen eine spontan organisierte Solidaritätskundgebung mit anschließender Demonstration statt. ca. 80-100 Menschen folgten dem kürzfristigen Aufruf von AktivistInnen des Basisdemokratischen Bündnisses. In den Tagen darauf folgten weitere Soli-Aktionen auch in Nürnberg und Frankfurt.
Linksliste
Im Folgenden eine Link-Sammlung mit deutschsprachigen Artikeln zu den Protesten in Frankreich, die wir regelmäßig die nächsten Tage aktualisieren werden:
Letztes Update: 8. April 06
Details zum CPE:
Wikipedia: Contrat première embauche - Details zum Ersteinstellungsgesetz
Artikel aus Indymedia und anderer Presse:
8. Februar: Taz: Proteste gegen zwei Jahre Probezeit
10. Februar: Indymedia: Gesetz verabschiedet
15. Februar: Indymedia: Schulen Besetzt, Demonstrationen
4. März: Indymedia: Studierenden-Proteste gegen CPE - Überblick über die Proteste
6. März: Indymedia: Protestierende vernetzen sich - landesweite Demos in über 150 Städten geplant
7. März: Indymedia: 1 Million Menschen demonstrieren gegen CPE - Fotos und Links zu weiteren Artikeln
11. März: Spiegel Online : Studentenunruhen bringen Regierung in Bedrängnis
12. März: Indymedia: Räumung der Uni Sorbonne - Minister nennt BesetzerInnen Nazis - Mit einigen Videoclips von dem besetzten Gebäude nach der Räumung, Statements des Ministers im Französischen Fernsehen und dem Protest auf der Straße danach.
12. März:Reuters: Meldung zur Räumung der Sorbonne
14. März: Indymedia: Uni Bordeaux besetzt
15. März: Indymedia: Reaktion auf gewaltsame Räumung der Sorbonne / weitere direkte Konfrontationen mit der Polzei auf der Straße Indymedia Paris: Fotos
15. März: Indymedia: Ausführliche Zusammenfassung des Tagesgeschehens um die Sorbonne
15. März: Indymedia: Besetzung von Parteibüro & weitere Proteste in Bordeaux
15. März: Jungle World: Der Pariser März
16. März: Indymedia: Ausschreitungen in Paris
18. März: Junge Welt: Aufruhr im Quartier Latin
18. März: taz: Entscheidung auf den Straßen
18. März: Frankfurter Rundschau: Frankreichs verlassene Jugend
18. März: Labournet: Polarisierung wächst
18. März: Indymedia: CPE in Deutschland - Reflexionen zur Situation in Deutschland, wo die Arbeitsmarkt-"Reformen" sogar noch weiter gehen - die Proteste allerdings nicht
19. März: Indymedia: 1,5 Millionen Demonstrieren - Generalstreik angedroht
20. März: Indymedia: Aktionstag für Donnerstag angekündigt
20. März: Indymedia: Polizei-Spezialeinheit CRS prügelt Gewerkschafts-Aktivisten ins Koma - ca. 30 Polizisten "trampeln" Aktivisten Krankenhausreif
21. März: Indymedia: Banlieu-Riots, 313 Schulen streiken
21. März: Indymedia: Zusammenfassung des Tages
22. März: Indymedia: Weitere Einzelheiten zu dem Übergriff der Polizei - Ein Tod wäre billigend in Kauf genommen worden. Innenminister und Polizei verdrehen die Fakten.
24. März: Spiegel: Villepin ist erstmals Gesprächsbereit
24. März: Spiegel: Erneut Unruhen in Frankreich
24. März: Freitag: Sensationell schwerhörig (Markus Bernart) - Sensationell schwerhörig - Im Krisenstaat Frankreich entladen sich jahrelange soziale Grenzverletzungen
24. März: Freitag: Wer du bist, darfst du nicht sein (Bernard Schmid) - De Villepins Arbeitsmarktreformen sind auch um beschämende Symbolik nicht verlegen - den "anonymen Lebenslauf" zum Beispiel
24. März: Freitag: Schleier gegen Ziegenpeter (Rudolf Walther) - Die Aura von "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" wird zur Chimäre - wie rechtsradikale und rassistische Ideen von den sozialen Eruptionen profitieren
24. März: Labournet: Wie geht es weiter mit der Anti-CPE-Bewegung? - Analyse von Berard Schmid
24. März: Indymedia: Nach Anti-CPE-Aktionstag: Bewegung am Scheideweg - Wie geht es weiter?
26. März: Indymedia: Entstehung des Protest im Kontext der letzten Jahre - Übersetzung aus dem Französischen
27. März: Indymedia: Über die Verhandlungen und: Breitet sich der Protest nach England aus?
29. März: Bernard Schmid: Bericht vom Streiktag und politische Einschätzung
30. März: Spiegel: Schulen verweigern Wiedereröffnung
30. März: Spiegel: Villepin in Bedrängnis
30. März: Indymedia: Update: Überblick was aktuell läuft. - Bestzungen und Blockaden von Straßen und Bahnhöfen, Räumungen von besetzten Schulen etc.
1. April: Indymedia: Verschärfung der Konfrontation - Eine Zwischenbilanz, Übersetzung aus dem Französischen
5. April: Indymedia: Erneut Massenproteste - ca. 3 Millionen auf der Straße, Ausschreitungen in der Nacht
5. April: Indymedia: Massenproteste in Paris - kurzer Bericht vom Tag
5. April: Indymedia: Proteste und Besetzungen am 5. April - kurzer Überblick
Soli-Aktionen und Solidaritätserklärungen
23. März: BB: Solidaritätsaktion in Göttingen
24. März: Indymedia: Soli-Aktion auch in Frankfurt
24. März: Solidaritätserklärung von Nürnberger Studierenden
27. März: Soli-Transpis in Nürnberg
7. April: Antinationale Solidarität aus Wien
Video- und Audio-Clips von den Protesten
10. März: Barrikaden in Paris: 1 (1MB) 2 (3MB)
12. März: (TV) Presseführung nach der Räumung der Sorbonne: 1 (2MB) 2 (2MB) 3 (1,6MB)
12. März: (TV) Statements der Uni-Leitung und Minister:
Rektoratsmitarbeiter: Bibel sei aus dem Fenster geflogen (3,5MB) (Französisch)
Minister: Nazi-Vergleiche (2MB) (Französisch)
Minister: zu Arbeitskritischen Kreide-Zeichnungen (4MB) (Französisch)
18. März: Radiobericht des unabhängigen "Radio Dreykland Freiburg": Bericht zu den landesweiten Demos am 18. März mit ca. 1,5 Millionen Demonstrierenden (Deutsch) (5,4MB)
19. März: Radio-Telefon-Interview: Aktivist in Paris (Deutsch) (4,8MB)
20. März: (TV) France 2: Polizei prügelt Gewerkschaftsaktivist ins Koma (Französisch)
24. März: Radiointerview zu Entwicklung der Streikbewegung (Deutsch)