Basisdemokratisches Bündnis:

Politik im Patriarchat

Im Folgenden soll ein geschlechtssensibler Begriff von Politik skizziert werden, der die neutral und unabhängig erscheinende Spähre der Politik zu erfassen versucht als eingebettet in einer Gesellschaftsformation, die von verschiedenen Ideologien und Herrschaftsverhältnissen durchzogen ist. Eines davon, wenngleich nicht das einzige, ist das (moderne) Geschlechterverhältnis, dessen Wirken als Ausschließungs- und Normierungsmechanismus viel zu oft unterschätzt und ausgeklammert wird.

Was Männer und Frauen ausmacht, wird zumeist als „genetische Veranlagung” oder „biologische Disposition” betrachtet, denen mit allerhand wilden Analogien aus dem Tierreich oder einem mehr aus Projektion des Bestehenden als aus Aneignung des Vergangenem bestehendem Geschichtsbild Plausibilität verliehen wird.1 Was aber gerade das spezifische der Menschen ausmacht, nämlich dass diese in der Lage sind komplexe und vor allem dynamische und veränderliche Gesellschaften auszubilden, wäre es, was hier besondere Beachtung verdiente.

Wie jahrzehntelange feministische Forschung gezeigt hat, gilt diese Veränderlichkeit insbesondere auch für Vorstellungen und Darstellungsweisen von Geschlecht. Wenn also in diesem Artikel von „Männlichkeit” und „Weiblichkeit” die Rede ist, so sollen diese immer als gesellschaftliche Kategorien verstanden werden, deren Ursprung eben nicht in einer biologisch-zweigeschlechtlichen „Programmierung”, sondern in gesellschaftlicher Praxis zu suchen ist.2

Wer über Geschlechterrollen schreibt und versucht zu erfassen, wie sich die moderne Zweigeschlechtlichkeit im Einzelnen ausprägt, gerät leicht in die Gefahr, mit dem Herausarbeiten von „Männlichkeit” und „Weiblichkeit” gerade jene Zwangskategorisierung und Stereotypen zu verfestigen, die eine emanzipatorische Kritik eigentlich zu durchbrechen trachtet. Denn es handelt sich bei Geschlechterkonstruktionen zum Einen um „gesellschaftliche Codes”, die sich in Ideologie niederschlagen, etwa in der Vorstellung davon, was einen „richtigen Mann” oder eine „richtige Frau” ausmache, die aber gerade ob ihres ideologischen Charakters nicht immer deckungsgleich mit tatsächlichen empirischen „Männern” und „Frauen” sind. Zum Anderen aber sind diese nicht nur „fixe Ideen”, sondern können nur verstanden werden, wenn die gesellschaftliche Realität der Menschen analysiert wird, die diese tatsächlich in diese zwei Kategorien einsortiert, normierend wirkt, hierarchisiert und eben deshalb als solche Struktur benannt und kritisiert werden muss. Nichtsdestotrotz muss dabei immer betont werden, dass die Geschlechtsidentität des einzelnen Invididuums dadurch nicht schlussendlich determiniert ist und nicht wenige gar nicht in die Kategorien passen.3

Öffentlichkeit und Privatheit – Männlichkeit und Weiblichkeit

Der moderne (National-)Staat, so wie wir ihn heute kennen, ist ein Produkt der bürgerlichen Aufklärung. Deren zentrales Programm bestand darin, die Menschen aus feudalen Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien und als „freie” und „gleiche” Individuen einzusetzen. Diese sollten also nicht mehr „von Geburt” aus gebunden sein, sondern willentlich Verträge mit gleichen Freien schließen können und „nur” über ihr Eigentum verfügen können, nicht etwa über andere Menschen. Die Realisierung dieser Ideale wird uns allen wohl bekannt sein als die frühkapitalistische Klassengesellschaft, in der es keine Leibeigenschaft und Sklaverei mehr geben sollte, sondern Kapitalist_innen und Lohnarbeiter_innen nun sich als „freie Warenbesitzer_innen” gegenübertreten und per Vertrag Waren austauschen.4

Das „freie” Individuum sollte nun „selbstbestimmt” in zwei Spähren einer sich neu herausbildenden Öffentlichkeit bewegen können: Als ökonomisches Subjekt Eigentum besitzen und tauschen, als politisches Subjekt seine „Interessen” vertretend sich in politischen Institutionen des sich herausbildenden bürgerlichen (National-)Staats artikulieren, der entgegenstehende Interessen vermitteln und zu einem „Gesamtinteresse” bündeln sollte. So zumindest in der ideellen liberal-demokratischen Konzeption.5

Quasi als „dunkler Schatten” dieser Öffentlichkeit konstituierte sich die moderne Form von Privatheit, die all das organisierte, was die öffentliche Sphäre still voraussetze, aber selbst nicht zu leisten vermochte – zunächst in der Form der bürgerlichen Kleinfamilie, die erst nach und nach auch außerhalb des Bürgertums Form annahm. Diese verschaffte dem „unabhängigen Subjekt” die notwendigen Voraussetzungen, um als solches agieren zu können.

Dies „Subjekt” war von Anfang an als männliches konzipiert, dessen Eigenschaft, rational und instrumentell agieren zu können, mit Männlichkeit assoziiert. Die Tätigkeiten in der „Reproduktionsphäre” sollten weitestgehend an Frauen delegiert werden, die folgerichtig nur von wenigen liberalen Theoretikern mit gemeint waren, wenn von „Mensch” die Rede war.6 Direkte Abhängigkeitsverhältnisse, die die bürgerliche Gesellschaft eigentlich mit der Aufklärung hinweg gefegt wissen wollte, setzten sich in der patriarchalen (Klein-)Familie fort, für deren öffentliche Repräsentation der Mann sich zuständig zeichnete. Dies Herrschaftsverhältnis wurde mit allerlei Diskursen über die vermeintliche „Natürlichkeit” gerechtfertigt oder als Privatangelegenheit seiner gesellschaftlichen Relevanz abgesprochen.7

In der Struktur von männlicher Öffentlichkeit und weiblicher Privatheit steckt die Konstruktion der Trennung von Kultur/Natur, Subjekt/Objekt, Rationalität/Emotionalität, in der das jeweils erste der Männlichkeit zugeschrieben, und letzteres auf das Weibliche projiziert und abgewertet wird. Anhand dieser bipolaren Gegensatzpaare bildet sich die moderne Zweigeschlechtlichkeit, die als „Zwangskategorie” insofern verstanden werden kann, als dass Identität in dieser Struktur nicht ohne ein eindeutiges Geschlecht gedacht werden kann. Während sich Männlichkeit und Weiblichkeit polarisieren, pathologisiert dies strukturell jene, die den Kategorien nicht entsprechen können, wie etwa Trans- und Intersexuelle. Als „unvollständige” sind die beiden polaren Geschlechter jeweils heterosexuell aufeinander bezogen.8 Die Zweigeschlechtlichkeit wirkt in dieser Hinsicht ihrem Wesen nach heteronormativ9.

Dass diese sexistische Konstruktion tief in den Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft steckt können wir selbst von deren „großen Denkern” erfahren. Exemplarisch hierzu Rousseau, der, besonders in Deutschland, oft in Sachen Staats- und Demokratietheorie herangezogen wird. Dieser verstand sich ebenso als Pädagoge und schrieb in seinem Werk „Emile” über die Erziehung des Jungen zu dem für seine Staatskonzeption geeigneten Mann. In einem Unterkapitel fügt er „Emile” noch eine Frau „Sophie” hinzu, ohne deren Rolle seine Staatskonzeption gar nicht auskäme: „als ob sich nicht durch das kleine Vaterland der Familie das Herz an das große anschlösse! als ob nicht der gute Sohn, der gute Ehemann, der gute Vater den guten Bürger ausmachten!10 Es wäre also falsch anzunehmen, hier wäre der liberale Gedanke einfach nicht weit genug gegangen und vormoderne Geschlechterverhältnisse „noch nicht” kritisiert worden. Der gute „Bürger” für das „große Vaterland” hat die Familie zur Voraussetzung, die notwendigerweise ein Unmündiges braucht, um den Mündigen als solchen voll ausbilden zu können: „Die ganze Erziehung der Frauen muß daher auf die Männer Bezug nehmen. Ihnen gefallen und nützlich sein, ihnen liebens- und achtenswert sein, sie in der Jugend erziehen und im Alter umsorgen, sie beraten, trösten und ihnen das Leben angenehm machen und versüßen, das sind zu allen Zeiten die Pflichten der Frau” (S. 394)11. Alle Elemente von Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzeption finden sich zuhauf wieder: „Der eine muß aktiv und stark sein, der andre passiv und schwach; notwendigerweise muß der eine wollen und können; es genügt, wenn der andere wenig Widerstand leistet. [!]” (S. 386). Es ist auch ihm klar, dass der Status des Individuums folgerichtig nicht für die Frau gedacht ist: „Warten, bis sie [die Frauen] sich nichts mehr aus Männern machen, hieße warten, bis sie zu nichts mehr nütze sind”. (S. 387) Diese Degradierung arbeitet unser feiner Demokrat an mehreren Stellen leidenschaftlich bis zur Rechtfertigung von Vergewaltigung aus: „Die erste und wichtigste Eigenschaft einer Frau ist die Sanftmut: bestimmt, einem so unvollkommenem Wesen wie einem Mann zu gehorchen, der oft selbst voller Laster und immer voller Fehler ist, muß frühzeitig lernen, Unrecht zu erdulden und Übergriffe eines Mannes zu ertragen [!], ohne sich zu beklagen. [!]” (S. 401)

Das moderne Patriarchat kann also nur durch die bürgerliche Gesellschaft insgesamt vollständig erfasst werden, in die es strukturell eingebettet ist. Es lässt sich allerdings nicht einfach aus deren Struktur ableiten oder behaupten, ohne diese könnte es kein Patriarchat geben. Um zu verstehen, warum gerade anhand des Geschlechts diese Linie so und nicht anders verläuft, brauchte es ideologische Vorbedingungen, die nur geschichtlich erfasst werden können. Nichtsdestotrotz ist das Patriarchat damit historisch untrennbar in die bürgerliche Gesellschaft eingebettet und bildet ein qualitativ neues Geschlechterverhältnis aus, das zu einem eigenständigen Herrschaftsverhältnis der bürgerlichen Gesellschaft wird.

Kampf um den Subjektstatus

Dies Geschlechterverhältnis, wenn auch in seinen grundlegenden Bestimmungen von Männlichkeit und Weiblichkeit an die Struktur der bürgerlichen Gesellschaft gebunden, ist in seiner konkreten Ausformung recht dynamisch und hat durch die Moderne hindurch viele Veränderungen durchgemacht. Davon zeugen nicht zuletzt die sozialen Kämpfe der Frauenbewegungen sowie SchwuLesBische, Trans-, Intersexuellen oder Queer-Bewegungen.

Die Kämpfe der frühen Frauenbewegungen im 19ten und Anfang des 20ten Jahrhunderts zielten besonders darauf ab, den „Objektstatus” abzustreifen und sich als handelndes Subjekt zu konstituieren. Bürgerliche Teile setzten vor allem auf Wahlrecht, Zugang zu Bildung usw. Proletarische hatten vor allem auch die ökonomische Situation und Abhängigkeit von Frauen im Blick.

Wenngleich die angestrebte Form als bürgerliches, politisches Subjekt gerade die Integration in die bürgerliche Gesellschaft mit dessen sexistischer Grundmatrix bedeutete, was radikale Teile der Bewegungen oft auch kritisch betrachteten, so bot dies doch weitreichende immanente Emanzipationspotentiale und konnte die Frauen aus der Einsperrung in den Haushalt befreien. Das langwierig erkämpfe Wahlrecht brachte sie auf die Bühne der bürgerlichen Öffentlichkeit. Sie zwangen die patriarchale Gesellschaft, sie als (politisches) Subjekt zumindest anzuerkennen. Gleichzeitig heißt dies aber auch, dass sie sich in die Form männlicher Politik zwängen müssen.

Politik bleibt männlich

Sich nun innerhalb der „männlichen” Spähre der bürgerlichen Politik und deren Strukturen zu bewegen, verlangt nun entsprechend ein „männliches” Auftreten und „männliche” Eigenschaften, um sich dort überhaupt richtig Gehör verschaffen zu können: selbstsicheres, rationales argumentieren12 um sich in der Konkurrenz mit politischen Gegner_innen durchzusetzen, Integrität, „Stärke” und „Durchsetzungskraft”, wenn es um die Wahl bestimmter Ämter geht, das Schmieden von (männerbündischen) Macht- und Einflussmöglichkeiten.13

An dieser Stelle könnte gegen diese Kritik berechtigterweise eingewendet werden, dass hier viel zu sehr davon ausgegangen wird, dass Frauen tatsächlich die weiblich konnotierten Eigenschaften mit sich tragen und sich männliche nicht anzueignen vermögen und daher ausgeschlossen bleiben. Die in Sozialisation und Erziehung entstehende psychologische Disposition der (geschlechtlichen) Identität und deren Eigenschaften normieren zwar die Charaktäre von Frauen und Männern, die Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit an dieser Stelle für bare Münze zu nehmen, würde jedoch gerade die beschriebene Zurichtung wiederholen, und den Umstand, dass kaum eine Frau tatsächlich hundertprozentig in dieser Konstruktion aufgeht, leugnen. Auch haben sich die Geschlechtscharaktäre über die letzten Jahrzehnte deutlich flexibilisiert, sodass die patriarchale Ausschließung der Frau aus der Politik noch weniger aus „den Eigenschaften der Frau” erklärt werden könnte. Die Schlussfolgerung, Frauen könnten eben nicht „männlich” genug sein wäre in der Konsequenz selbst eine patriarchale.

Vielmehr ist die formale Gleichstellung und die Praxis der Politik selbst ein wenig auf sein Versprechen abzuklopfen: Geschlecht ist nämlich nicht einfach nur eine „Eigenschaft” einer Person, sondern eben als gesellschaftliches Verhältnis zu begreifen. Um sich als politisches Subjekt zu behaupten, muss frau als solches erst einmal anerkannt werden und dafür notwendige Eigenschaften zugestanden bekommen. Dort setzen einige ideologische und teilweise unbewusste Wahrnehmungsfilter, Codes und Tabus ein, die strukturell patriarchal wirken. Es steht nämlich nicht nur das formal gleiche politische Subjekt zur Debatte, sondern die gesamte Identität der Sprechenden.

Um als Frau glaubwürdig und z.B. für ein bestimmtes Amt geeignet zu erscheinen, muss sie erst beweisen, dass sie diese Eigenschaften mitbringt, die beim Mann qua seines Geschlechts ohnehin schon angenommen werden. Gut zeigen lässt sich dies z.B. an der Kandidatur von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin. Bevor ihre Argumente im Vergleich zu ihrem Gegenkandidaten Schröder behandelt werden konnten, musste erst einmal die Frage geklärt sein, ob sie denn „als Frau” dazu auch richtig taugt. Während er vielmehr in seiner Funktion als Politiker verhandelt wurde, musste sie erstmal als Frau überzeugen. Viele sexistische „Witzchen” über ihre Frisur, ihr Gesicht und eben sie als Frau in einer „Männerrolle” zeugen davon.14

Und genau dies führt zu einem Dilemma: Als „richtige Frau” anerkannt zu werden, die emotional sein kann, eventuell mütterliche Qualitäten mit sich bringt und was für ein Irrsinn noch an die weibliche Identität geheftet wird, muss durch eine diffizile Gratwanderung damit in Einklang gebracht werden, die notwendigen „männlichen” Kompetenzen vorzuweisen, um als Politikerin zu überzeugen. Sie muss die Quadratur des Kreises hinbekommen, zwei sich widersprechende Identitäten in Einklang zu bringen und dabei weder als „Mannsweib” noch als „Frau die nichtmal richtig rückwärts einparken kann und dann auch noch Kanzlerin werden will” ihre eindeutige Geschlechtsidentität, und damit letztlich ihren Status als politisches Subjekt, abgesprochen zu bekommen.15

Auch dort, wo Frauen in die Politik eindringen, setzt sich die patriarchale Struktur auf andere Weise fort: Die weiterhin vorausgesetzte bipolare Zweigeschlechtlichkeit erleichtert es Frauen, tendenziell bestimmte Politikbereiche für sich zu besetzten. Sie finden sich oft in als „weich” konnotierten Bereichen wieder (Familien- und Sozialpolitik, Erziehung, Gesundheit etc.), in die es leichter vorzudringen ist, als in die „harten” männlichen Machtzentren. Wiederum nicht aus mangelnder Kompetenz, sondern strukturell durch Zuschreibungs- und Wahrnehmungmechanismen vermittelt.

Wir sehen also, dass die bisherige Einbindung der Frauen in die Politik oft mit viel höheren Anforderungen und einer Doppelbelastung verbunden ist und wesentliche Bereiche weiterhin männer-dominiert bleiben. Politik entlarvt sich hier als weiterhin männliche Angelegenheit, die nur neutral scheinen kann, wenn sie losgelöst von ihrem gesellschaftlichen und ideologischen Kontext betrachtet wird. Aus diesem ist sie aber erwachsen, und in diesen ist sie notwendig eingebettet, sonst wäre es keine (bürgerliche) Politik mehr.

Feministische ‘Politik‘?

Welche Konsequenzen hat diese Erkenntnis nun für eine emanzipatorische Praxis, die den Anspruch hat, Herrschaftsverhältnisse abzubauen bzw. nicht selbst zu reproduzieren? Wir haben „Politik” bisher recht eng gefasst, als auf den bürgerlichen Staat und dessen Institutionen bezogene. Zweifelsohne sind aber politische Bewegungen etwa zwar in einer Öffentlichkeit zu verorten, sie artikulieren sich aber nicht notwendigerweise durch die etablierten demokratischen Institutionen. Mit dem Begriff „Zivilgesellschaft” wird diesen allerdings wieder ein abgeschlossener Platz innerhalb jener Ordnung eingeräumt, die selbst strukturell die Elemente in sich trägt, gegen die sich eine emanzipatorische Kritik richtet. Daher müsste eine solcher Ansatz, der von Zuschreibungen in bestimmte Identitätskategorien, wie etwa die moderne, heteronormative Zweigeschlechtlichkeit, befreien möchte, eben die Form der Politik und deren Eingebundenheit in eine strukturell sexistische Gesellschaft selbst zum Gegenstand der Kritik machen, anstatt diese als neutrales Mittel des Tagesgeschäfts zu betrachten. Das bedeutet, dass diese Kritik aufs Ganze gehen muss, und nicht sich auf die politische Sphäre oder auf Geschlechterverhältnisse beschränken kann. Dabei gilt es auch zur eigenen Praxis immer ein kritisches Verhältnis zu wahren. Klar sein sollte auch, dass das, was hier exemplarisch am Beispiel der Politik verhandelt wurde, sich quer durch andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens bis vor allem in private Beziehungen hinein zieht.

Es reicht bei der politischen Organisierung selbstverständlich nicht aus, einfach die Kategorie „Geschlecht” weg zu definieren und sich als anti-sexistisch zu titulieren. Die Wirkung dieser Kategorie löst sich ja bei kritischer Betrachtung nicht einfach auf. Sie ist tief in unsere psychologischen Strukturen, unserer Wahrnehmung und unseren Körpern eingeschrieben und reproduziert sich durch einzelne Interaktion mit der Gesellschaft hindurch. So war es gerade Anlass für diesen Artikel, dass das Basisdemokratische Bündnis, obgleich es sich immer als (pro-)feministisch begriffen hat, sich selbst damit konfrontiert sah, mit einer sehr geringen Frauenquote (die kurzzeitig die Null erreicht hatte) letztlich als männerdominierte Gruppe aufzutreten. Dies zeugt von der Notwendigkeit, die Position der Kritik nicht als außerhalb der Gesellschaft stehende, sondern sich selbst als Teil des Kritikgegenstandes, der Gesellschaft, zu begreifen.

Dies kann selbstverständlich nicht bedeuten, sich mit dem Verweis auf die Gesellschaft jeder Verantwortung frei zu sprechen. Die Gesellschaft vermittelt sich ja gerade durchs einzelne Individuum und dessen sozialer Praxis. So starr ist die Struktur nicht, dass es nicht möglich wäre, offen sexistisches Verhalten zu unterbinden und in seinen Gruppen, Veranstaltungen und Alltagsverhalten strukturell sexistische Verhaltens- und Arbeitsweisen zu reflektieren, abzubauen und Gegenstrategien zu entwickeln. Die begrenzte aber nicht unwesentliche Veränderlichkeit des (modernen) Geschlechterverhältnisses haben nicht zuletzt die sozialen Kämpfe von Frauen-, LesBiSchwulen-, Trans- und Queerbewegungen gezeigt.

In der politischen Organisierung können solche Gegenstrategien z.B. mit bestimmtem Redeverhalten beginnen. Redet z.B. immer die Person, die am lautesten schreit? Oder wird auf Meldungen geachtet? Herrscht ein Klima, in dem Angst davor bestehen muss, etwas „falsches” zu sagen, als „dumm” dazustehen? Werden vielleicht bestimmte Leute besonders ernst genommen und andere nicht, weil bewusst oder unbewusst von einer besonderen Kompetenz ausgegangen wird? Ist eventuell eine geschlechtlich quotierte Redeliste eine Möglichkeit, eine ausgeglichenere Teilnahme zu erleichtern? Das sind nur einige Fragen, die sich eine Gruppe stellen kann. Das geht weiter bei der Frage, wie Themen gefunden und priorisiert werden. Warum hält die Gruppe vielleicht ein Thema für besonderes relevant, andere aber für Nebensächlichkeiten? Drücken sich darin eventuell Hierarchisierungen aus, die aus Wahrnehmungsstrukturen à la „harte” und „weiche” Themen herrühren? („Studiengebühren stehen jetzt aber auf dem Plan; darum dass alle Professoren, an die wir uns richten, Männer sind, kümmern wir uns später”?) Halte jemand es vielleicht nicht für wichtig, weil er_sie sich selbst nicht davon betroffen wähnt? Werden eventuell Themen unter bestimmten Gesichtspunkten betrachtet, andere jedoch nicht? Auch Versuche, die ebenfalls in die Sprache eingeschriebenen Verhältnisse16 z.B. durch geschlechtsneutrale Schreib- und Sprechweise (geschlechtsneutrales „Innen”, verkehrendes „innen” oder offenes „_innen”) kenntlich zu machen, so banal es scheinen mag, kann zur Offenlegung von Herrschaftsstrukturen beitragen.

Nicht täuschen lassen sollten wir uns aber auch darüber, dass es immer auch notwendig sein kann, sich auf institutionalisierte Politik einzulassen. Wenn sich etwa das BB zur Wahl zum Studierendenparlament stellt, wird es sich auch in diesem bewegen müssen. Schon von der Struktur eines Parlaments mit konkurrierenden Gruppen, formalen Zuständigkeitsbereichen usw. ist dort eine recht männlichen Umgebung anzutreffen. Eine solche Praxis bewegt sich notwendigerweise in Widersprüchen, die im Bestehenden so einfach nicht aufgelöst werden können. Sie findet in der gesellschaftlichen Realität ihre Grenzen. Das kann aber nicht bedeuten, sich damit abzufinden, sondern gerade dort, wo es schwierig wird, den Finger in die Wunde zu legen: Wo Anspruch und Wirklichkeit einer strukturell sexistischen Gesellschaft, die sich doch als demokratische und gleichberechtigende ausgibt, in Konflikte geraten, gilt es sie radikaler Kritik zu unterziehen und eben diese Widersprüche aufzuzeigen. Nicht allein mit dem Ziel, mögliche Verbesserungen innerhalb dieser Gesellschaft zu erreichen, sondern auch, eben deren Grenzen zu sprengen.


1) Davon zeugen nicht zuletzt erfolgreiche populär-wissenschaftliche Veröffentlichungen wie Eva Hermanns „Eva-Prinzip” oder „Warum Frauen nicht einparken und Männer nicht zuhören können” des idyllischen Traum-Ehepaars Allan und Barbara Pease oder auch in den letzten Jahren besonders populär werdenden Ansätzen in der Hirnforschung.

2) Ein spezifischer Blick in die Geschichte, die von verschiedensten Geschlechtersystemen und Sexualitätskonzepten erzählt, oder aber auch eine genauere Analyse der modernen Begriffe von „Mann” und „Frau”, die eben nicht einmal medizinwissenschaftlich alle Menschen diesen zwei Kategorien eindeutig zuordnen kann, legt die These nahe, dass es sich bei Geschlecht und Sexualität um zutiefst gesellschaftliche und veränderliche Kategorie handelt. Vgl. dazu „Die Geschlechermatrix

3) Auch wenn die (heterosexuelle) Zweigeschlechtsbrille es nicht widerspruchsfrei auf den Begriff bringen kann, gibt es „unweibliche Frauen”, „unmännliche Männer”, Homo-, Trans-, Intersexuelle usw. Deren Existenz wird gerade durch die Zweigeschlechtermatrix ausgeblendet, und das bekommen sie zu spüren: Etwa Intersexuelle dadurch, dass sie, um überhaupt als „vollwertiger Mensch” anerkannt zu werden, sich einer Geschlechtsidentität zuzuordnen gezwungen sind, und dafür nicht selten aufwendige medizinische Behandlung über sich ergehen lassen und sich dieser Geschlechtsrolle und deren Verhaltensweisen unterordnen müssen.

4) Freilich nur in dem Sinne frei und gleich, insofern sie einen Vertrag schließen und ihr Eigentum eintauschen (die Ware Arbeitskraft gegen Lohn) und von sozialen Unterschieden abgesehen wird. Eigentum vorausgesetzt schlägt diese Freiheit um in ihr Gegenteil, denn der „doppelt freie” (Marx) Lohnarbeiter, frei von feudaler Bindung, aber auch frei von Produktionsmitteln, nur seine Arbeitskraft besitzend, hat gar keine andere Möglichkeit, als „freiwillig” das Lohnarbeitsverhältnis einzugehen, so er denn nicht verhungern will. (vgl. Karl Marx, das Kapital Band I, Marx-Engels-Werke (MEW) 23 S. 181ff)

5) Da der Begriff „freies Individuum” in der bürgerlichen Demokratie rein ideell bleibt verkehrt er sich in sein Gegenteil. Die (Staats-)Politik ist bezogen auf Gesamtgesellschaft, die in ihrer kapitalistisch-warenförmigen Verfassung immer schon unter der Prämisse des Verwertungsimperativs nur handlungsfähig ist. Das „ökonomische Subjekt” setzt einen Prozess in Gang, der durch dieses erst konstituiert wird, sich aber seiner Kontrolle entzieht. Es wird selbst zum Objekt eines automatischen Prozesses. (Vgl. dazu den Fetischismus-Begriff bei Marx, MEW23 S. 85ff)

6) Als Ausnahmen sind zu nennen z.B. John Stuart und Herriet Taylor Mill oder Jean Antoine de Condorcet, deren Arbeiten zu diesen Thema aber zu ihrer Zeit wenig Wirkung hatten. Während Condorcet den Frauen das Wahlrecht und die Beteiligung an der öffentlichen Gesellschaft zusprechen möchte, weil es funktional für diese wäre, ist Mill einer der wenigen, die es leisten, aus den Prinzipien der universalen Menschenrechte abzuleiten, dass Frauen diese als Menschen ebenso zukommen müssten, weswegen Gleichbehandlung aus Prinzip ihm notwendig erscheint. Vgl. John Stuart Mill/Herriet Taylor Mill: „Die Hörigkeit der Frau und andere Schriften” und Jean Antoine de Condorcet: „Über die Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht”

7) Mit diesem Argument wurde etwa die Vergewaltigung in der Ehe tabuisiert. Interessant an dem Diskurs zur Legitimation der gesetzlichen Sanktionierung (in der Ehe blieb es lange Zeit straffrei, bis in die 1990er Jahre hinein galt Ehe als mildernder Umstand) ist, dass diese mit einem emanzipatorischen Pathos eingefordert wurde: Gegen klerikale Herrschaft gerichtet, sollte die Privatsphäre des Individuums den Staat nichts angehen. Das Individuum ist auch hier freilich der Mann, die „Freiheit” die des Mannes, „seine” Frau zu vergewaltigen.

8) Wenngleich Mann und Frau als Gegensatzpaare von Männlichkeit und Weiblichkeit gedacht werden, zieht sich diese Trennung nicht nur durch die Gesellschaft, sondern auch durch das einzelne Individuum. Auch Männer tragen die der Weiblichkeit zugeschriebenen Eigenschaften (Emotionalität, Empathie usw.) in sich, müssen diese doch beständig unter Kontrolle bringen und nach außen hin verschwinden lassen (im besten Falle heimlich im Privaten ausleben), um nicht der (weiblichen) Schwäche bezichtigt zu werden. Das gleiche gilt mit umgekehrtem Vorzeichen für männlich besetzte Eigenschaften bei Frauen.

9) Heteronormativität meint sowohl, dass Heterosexualität als Normalität gesetzt wird, während andere Sexualitäten immer als Abweichungen oder pathologische gelten, und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ausgeblendet werden (es muss z.B. kein_e Hetersexuelle_r erst ihr_sein Coming out durchleben, um als heterosexuell zu gelten), als auch, dass tendenziell die Norm von zwei entgegengesetzten Geschlechtern sich real durchsetzt, indem die Menschen ihr jeweiliges Geschlecht inklusive der dazugehörigen Heterosexualität inszenieren (müssen). Vgl. dazu „Die Geschlechermatrix

10) Rousseau, Jean-Jeaques: „Emile oder über die Erziehung” (Paderborn/München/Wien/Zürich 1989 / 1762, S. 392). Seitenangaben im Folgenden beziehen sich auf diese Ausgabe

11) Diese Vorstellung von den „ewigen Pflichten der Frau” sind es übrigens auch, auf die sich Eva Herrmans „Eva-Prinzip” bezieht, wenn dort „weibliche Tugenden” wieder eingefordert werden, die jetzt an der Zeit wären.

12) An dieser Stelle soll nicht das rationale Argument als männlich besetztes abgelehnt werden und „mehr Emotionalität” oder gar Irrationalität als Gegenmodell eingefordert werden. Vielmehr ist die bürgerliche Vernunft selbst durch die künstliche Trennung von Rationalität/Emotionalität eine beschädigte und falscher Schein: Zum einen kommt jede rationale Argumentation nie ohne nicht aus der reinen Vernunft ableitbare Setzungen aus, auf deren Grundlage sie argumentieren kann. Eine „vernünftige” politische Argumentation, die sich zum Beispiel über den Nutzen für das nationale Kollektiv rechtfertigt oder die Finanzierbarkeit seiner Forderungen vorrechnet, rekurriert seinerseits auf irrationale Vorannahmen, wie etwa den Zweck des „nationalen Interesses” oder der Geldvermittlung innerhalb einer Warenproduktion. Diese ist dabei vielmehr nur rational innerhalb eines irratioanalen Rahmens, und verkehrt sich damit seinerseits zur Irrationalität. Die männlich-aufklärerische Vernunft, die alles Subjektive aus der Argumentation auslöschen will, um sich Objektivität zu verschaffen, streicht dabei jegliche Individualität durch. Die subjektiven Zwecke des politischen Subjekts, die doch scheinbar der Gegenstand politischen Handelns ausmachen sollten, lösen sich in der objektiven Vernunft auf und verkehren sich damit für das Individuum zur Unvernunft.

13) Ein gutes Beispiel männerbündischer Beziehungen aus der Uni-Landschaft sind die inzwischen etwas anachronistisch wirkenden Burschenschaften und studentischen Verbindungen, die den Verbindungsstudenten die richtigen Kontakte und „Skills” für ihre weitere Karriere in Wirtschaft oder eben Politik zu beschaffen versprechen. Nicht zufällig sind Frauen hier weitestgehend ausgeschlossen.

14) Bezeichnend dafür, dass zur Sendung „Sabine Christiansen” nach dem Kanzler-Duell extra Brigitte Huber von dem Blättchen „Brigitte” eingeladen wurde, um ihre Fachmeinung über die Wirkung von Merkel als Frau einzuschätzen. Einen Männerexperten für Herrn Schröder brauchte es nicht.

15) Anhand eines Interviews mit der Cosmopolitan vom September 2005 (S. 120f) lässt sich das ganz gut nachvollziehen: Unter dem Titel „Smart & Stark” ist dort das Interview abgedruckt. Über dem Text finden sich zwei große Portraitaufnahmen, auf denen Frau Merkel einmal zurückhaltelnd-lächelnd, und ein zweites mal in einer entschlossenen Pose mit verschränkten Armen aus einer Froschperspektive abgebildet ist. Im Interview stellt sie sich Fragen wie „Man sagt, sie hätten einen ausgeprägten Willen zur Macht. Warum ist das bei einer Frau immer noch ein Problem?” oder „Schmerzt es Sie, zu lesen, Sie seien kalt und gingen über Männerleichen?”.

16) vgl. „Sprache als HERRschaft


Dieser Artikel ist abrufbar unter: //archiv.bb-goettingen.de/694