Kämpfe um Freiräume

Kampagnen starten Gegenaktionen

Angriff und Rückzug

Lang zog sich der Prozess hin und stieß kaum auf Gegenwehr: Die Uni in Göttingen hat seinen Campus in den letzten Jahren freie Plakatierflächen entsorgt oder mit Reglementierungen überzogen. Das Studentenwerk zog mit und erschwert zunehmend das Verteilen von Zeitungen und Flugblättern (vgl. "Schöne saubere Uni"). Seit dem Brand des Oeconomicum ist auch der seit Jahren meist genutzte Ort für Organisierung von studentischem Protest und zur freien Gestaltung des Zusammenlebens verschwunden: Das Café Kollabs. (Vgl. "Gelegenheit macht Diebe"). Die Kündigung erster selbstverwalteter Wohnprojekte verlief ebenfalls recht lautlos. (vgl. "Niemand hat die Absicht...").

Lange Zeit konnten all diese Einschränkungen ohne ernstzunehmende Gegenwehr durchgesetzt werden. Wenig verwunderlich, erregt doch gesamtgesellschaftlich der Angriff auf Freiräume kaum mehr die Gemüter. Einzigst eine Woche während der Proteste um die Kürzungen an der Sowi-Fakultät ergriffen einige Studierende die Initiative, und plakatierten das Oec so vehement zu, dass das Plakatierverbot nicht weiter duchgesetzt werden konnte. Als die Proteste jedoch vorüber waren, konnte sich die Verwaltung aber gegenüber den verbliebenden paar linken Plakatierer_innen ohne weiteres durchsetzen. Die Gegenwehr beim Kollabs fiel schon deswegen milde aus, da allein schon eine Solidarierung vor dem Hintergrund vieler kursierender Falsch- und Halbwahrheiten über die Brandursache vielen fragwürdig schien.

Außerhalb der Uni ist die letzte spürbare Kampagne schon einige Jahre her: 2003, ein Jahr vor der Spaltung der Autonomen Antifa [m], konnte die Gruppe eine stadtweit kaum übersehbare Gegenkampagne zu Kommerzialiserungsplänen der Innenstadt gegen den damaligen Oberbürgermeister Danielowksi auf die Beine stellen. "Danielowski muss sauberer werden" konterten sie damals dem Bürgermeister, der mit "Göttingen muss sauberer werden" nicht nur das Ansehen von Mülleimern steigern wollte, sondern auch unliebsame Menschen, die entweder nicht kaufkräftig genug, oder dem Image einer unbehelligt von den Nebenwirkungen kapitalistischer Vergesellschaftung strahlenden Konsummeile schaden könnte, gern aus dem Stadtbild entfernt sehen wollte. (vgl. AAM Kampagnenarchiv )

Alles hat ein Ende...

[Here to stay-Kampagne]
Here to stay-Kampagne

Widerstand scheint nun kaum noch jemand zu erwarten. Gleich zwei kürzlichst gestartete Kampagnen könnten das jedoch gehörig ändern: Kurz nachdem öffentlich wurde, dass das Studentenwerk plant, sämtliche verbliebenen Wohnprojekte, die durch kollektive Verträge das Zusammenleben in den Wohnheimen bisher selbst organisieren konnten, zu kündigen, haben sie viele der Bewohner_innen zur "Here to stay"-Kampagne zusammen geschlossen, die die Wohnprojekte vehement zu verteidigen angekündigt hat. (vgl. "Studentenwerk droht den selbstverwalteten Häusern"). Kundgebungen in den Mensen des Studentenwerks boten den Auftakt, der dem Gegenüber klar machen sollte, dass diesmal kein leiser Abgang zu erwarten ist. Für den 11. August ist bereits eine Demo angekündigt. Die vielen T-Shirts mit dem "Here to stay"-Logo, die überall in der Stadt zu sehen sind, verweisen darauf, dass sich die Kampagne einen großen Kreis von Unterstützer_innen sicher sein kann. (mehr Info: www.heretostay.de)

[delete.control - enter-space Kampagne]
delete.control - enter-space Kampagne

Auch an der Uni wird nun wohl ernst gemacht: Spätestens mit der dreisten Kündigung des Café Kollabs riss bereits so manchen der Geduldsfaden. Stieß der Fachschaftrat Sowi bei Verhandlungsversuchen noch auf taube Ohren und arrogante Ausreden ("Im Moment steht kein Raum zur Verfügung"), kamen schon damals von einigen ehemaligen Nutzer_innen des Raums erste Drohungen auf, notfalls mittels Besetzungen den Raum zurück zu erobern. Außer Briefen und Flugblättern ist jedoch bisher nicht viel passiert. Num wollen Studierende mit einer Kampagne ihrem Unmut über diese Entwicklungen an der Uni endlich angemessenen Ausdruck verschaffen.

Dessen aus PC-Tastatur-Tasten zusammengesetzes Logo "delete.control - enter space" versteht die Kampagne zum Einen als Ausdruck von Gegenwehr gegen den Angriff auf die letzten Reste von Selbstbestimmung im Studium: Gegen den Auswirkungen des Bachelor, der die Kontrolle über Studiendauer und den Stundenplan nimmt, wie gegen den erhöhte Druck durch jegliche Form von Studiengebühren, als auch gegen die konkreten Angriffe auf selbstverwaltete Räume und die Möglichkeit, die Umgebung in der man studiert, zu gestalten und zu nutzen. Diesem Generalangriff auf ein Bildungsverständnis, dass die Entfaltung des Individuums in den Mittelpunkt stellt, wollen sie zum anderen aber nicht nur entgegentreten: Im Kampf um "Freiräume & Emanzipation" deutet der Name der Kampagne bereits an, dass es viel "Space" an der Uni anzueignen gibt, der über die verlorenen Reste ehemaliger Selbstverwaltung der Studierenden weit hinaus geht. (mehr Infos: deletecontrol.blogsport.de)

Damit dürfte klar sein, dass auch das kommende Semester ein heißes werden wird. Während globalere Proteste, wie etwa gegen Kürzungen und Studiengebühren, trotz allem im Nachhinein eher wie Stolpersteine gegen die Ausweitung von Kontroll- und Disziplinierungswerkzeugen wirken, bieten die bevorstehenden Auseinandersetzungen Ansatzpunkte für konkrete Erfolge vor Ort. Wir dürfen gespannt sein, wie sicher sich Uni-Verwaltung und Studiwerk wiegen werden. Ob sie ihre Gangart weiter verhärten oder bereit sein werden, Zugeständnisse zu machen, ist noch ungewiss. Eines dürfte jedoch jetzt schon klar sein: Stummer Abzug mit seichtem Protest in der Fußnote wird diesmal nicht das einzige sein, was an Gegenwehr zu spüren sein wird.

Erschienen am: 29.07.2007 zuletzt aktualisiert: 29.07.2007 19:22

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