Aktionstag und Demo mit 2.000 Studierenden
gegen die Schließung der Sowi-Fächer
Heute setzten sich die Proteste gegen die Schließungsentschlüsse der Pädagogik, Sport- und Politikwissenschaften fort. Mit einem Aktionstag auf dem Campus und anschließender Demonstration mit ca. 2.000 TeilnehmerInnen verschafften die Studierenden ihren Forderungen erneut Ausdruck.
Begleitet wurde die friedliche Demonstration von einem martialischen Aufgebot der Polizei. Dieses wurde vom Lautsprecherwagen als völlig unnötige Provokation verurteilt. Provozieren ließen sich die Demonstrierenden davon aber nicht: Entschlossen zogen sie durch die Berliner Straße, die Groner Straße, durch die Innenstadt vor das Präsidium am Wilhelmsplatz.
Auf dem Weg wurde in mehreren Redebeiträgen festgehalten, dass es mit anderen Protesten, wie z.B. den Protesten gegen Hartz IV, deutliche Schnittmengen gibt. Studierende der Gruppe "Norduni aktiv" bekundeten die Solidarität, die von den Studierenden der Naturwissenschaftlichen Fächer ausgeht: Auch sie fühlen sich betroffen, obgleich Herr von Figura sie versucht als Gewinner gegen die Geisteswissenschaften auszuspielen. Sie betonten, dass Geistes- und Naturwissenschaften nur zusammen gedacht werden können und keines verantwortungsbewusst für sich allein stehen kann.
Die lautstarke Forderung aller Studierenden lautete: Keine Schließung irgendeines Faches, keine Einführung allgemeiner Studiengebühren und der Rücktritt des untragbaren Präsidenten von Figura.
Am Wilhelmsplatz angekommen versuchte die Polizei erneut Härte zu demonstrieren, indem Studierende vor dem Präsidium von der Treppe gestoßen wurden. Auch diese Provokation der Polizei blieb ebenso wie letzte Woche erfolglos. Die Abschlusskundgebung wurde wie geplant beendet.
Weitere Infos zur Schließung der Fächer hier
Bericht vom Auftakt der Proteste (Vollversammlung, Spontandemonstration am Donnerstag, 17.11) hier
Übersicht über Aktionen und Kleingruppen zum Protest hier und auf bildungsklau.de
Im Folgenden dokumentieren wir die Rede auf der Abschlusskundgebung:
Den Unis stehen seit einigen Jahren eine Menge Veränderungen ins Haus. Die meisten hin zum schlechteren. In Göttingen hat das Hochschuloptimierungskonzept 2003 die aktuelle Kürzungswelle eingeleitet. Schon damals erklärte Wissenschaftminister Stratmann, dass die Einführung von Studiengebühren sein erklärtes Ziel ist. Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht das Studiengebührenverbot des Bundes gekippt. Seitdem plant u.a. Niedersachsen die Einführung von allgemeinen Studiengebühren. Wintersemester 06/07 für alle, die dann Immatrikuliert werden. Sommersemester 07 für alle, die schon an der Uni sind. Das wäre schon Anlass genug für Protest. Doch damit nicht genug! Nun hat v. Figura, unser Uni-Präsident, beschlossen - und das ist entscheidend – beschlossen, die drei Fächer Sport- Politikwissenschaften und Pädagogik abzuwickeln. Den Unfug von der Umstrukturierung glaubt hier hoffentlich niemand, so dass ich dazu nicht viel sagen muss. Wie kommt es, dass ein Präsident einfach beschließen kann, Fächer zu schließen? Weil die Hochschulautonomie, die wir in Göttingen angeblich durch die Stiftungsuni in besonderem Maße haben, in Wirklichkeit eine Präsidialautonomie ist. Nicht die Universität als Ganze – also wir die Studierenden, die ProfessorInnen und die MittelbaulerInnen – sondern das Präsidium wurde mit immer mehr Handlungsbefugnissen ausgestattet. Was eine solche Entdemokratisierung bedeutet, wird deutlich, wenn nun per ordre de Mufti einfach die Schließung mehrerer Fächer bekannt gegeben werden kann. Der offene Dialog den v. Figura anbietet besteht nur noch in dem Angebot gemeinsam zu überlegen, wie diese Schließung am besten über die Bühne zu bringen ist. Doch v. Figura ist – darauf weißt der Name bereits hin - nur eine Figur in in diesem Spiel. Denn die Landesregierung hat in den letzten Jahren daran gearbeitet, die Macht des Präsidenten genau in dieser Weise zu stärken. Sie will mehr Ordnung und mehr Führungsdisziplin in die Uni-Landschaft bringen. Noch immer übt das Land starken Einfluss auf die Uni aus z.B. weil es ihr Haupt-Geldgeber ist. Das die Universitäten stark von der Landespolitik geprägt werden, wird u.a. an den sog. Clustergesprächen deutlich. Das Land hat beschlossen, nur noch so viele Menschen auszubilden wie Niedersachsen an veredelten Arbeitskräften braucht. Deshalb wird gekürzt und zusammengelegt was das Zeug hält. Herauskommen soll eine Universität Niedersachsen. Wer in dieser _Uni_versität jedoch auch _uni_versell – also umfassen - studieren möchte, braucht sowohl ein Semesterticket als auch viel Zeit. Um z.B. zukünftig zwischen Hannover und Göttingen zu pendeln, wenn man Politik und Soziologie zusammen studieren möchte. Hier wird keine Rücksicht genommen auf die Interessen der Studierenden oder die Eigenlogik wissenschaftlichen Arbeitens. Statt dessen wird alles unter Finanzierungsvorbehalt durchrationalisiert. Um so eine Politik durchsetzten zu können, ist es praktisch, ein Präsidenten zu haben, der sie einfach an allen Gremien vorbei, befehlen kann. Wenn er das auch noch mit Freude tut – um so besser. Genau so jemand ist v. Figura. Zwar geht die aktuelle Schließungsentscheidung wohl allein auf seine Kappe, aber an anderen Stellen hat er sich bereits als verlässlicher Handlanger der Landespolitik erwiesen. So bei seinem offenen Eintreten für Studiengebühren, oder der Unterzeichnung des sog. Zukunftsvertrags, der nichts anderes ist, als eine weitere veritable Kürzungsrunde.
Gleich auf mehreren Ebenen ist die Entdemokratisierung der Uni mit den Studiengebührenplänen verbunden – und das nicht nur, weil v. Figura selbstverständlich eine glühender Befürworter von Studiengebühren ist. Zum einen versprechen sich die Uni-Präsidenten durch Studiengebühren noch mehr Autonomie. Selbstverständlich für sich nicht für die Unis im allgemeinen. Das erklärt ein Teil des Interesses, das die Unipräsidenten an der Einführung von allgemeinen Studiengebühren haben. Sie würden – natürlich nur bei entsprechender Höhe der Gebühren – unabhängiger von den Landeszuweisungen. Zum zweiten, geht es um jene Durchrationalisierung des universitären Betriebs, wie sie auch durch die Stärkung des Präsidiums betrieben wird. Die _Studierenden_ sollen disziplinierter werden. An die Stelle einer wissenschaftlichen Ausbildung tritt die Erziehung zum Homo Ökonomikus. Ein allgemeines Interesse an Bildung soll im Studium zukünftig keine Rolle mehr spielen. Die Studierenden sollen Schlüsselqualifikationen für den Beruf erlernen und dann zusehen, dass sie von der Uni verschwinden. Bereits vor der Einführung von Studiengebühren merken vermutlich viele von Euch, welche Auswirkungen sie haben. Denn seit der Ankündigung ihrer Einführung haben sich die Studundenpläne der meisten Studierenden drastisch gefüllt. Wer die Studenplanberatungen z.B. in den O-Phasen mitgemacht hat, dürfte gespürt haben, wie groß der Druck ist, noch vor dem Beginn des Bezahlstudiums möglichst viele Leistungen schon erbracht zu haben. Wie wird das erst für jene Semester sein, die von Anfang an mit 700 Euro dabei sind. Sie können jedes Studieren, nach eigenen Bildungsinteressen, das nicht unmittelbar den Leistungsanforderungen entspricht, direkt in bares Geld umrechnen. Dieser subtile Psychoterror ist der wahre Zweck von Studiengebühren. Und es ist Psychoterror. Die psychosziale Beatungsstelle behandelt v.a. Folgen von Leistungsdruck und Prüfungsstress. Studiengebühren sollen zusammen mit dem engen Korsett von BA/MA dafür sorgen, dass während des Studiums niemand mehr nach links und rechts schaut, sondern alle sich allein mit der Absolvierung der Pflichveranstaltungen zufrieden geben. Für mehr wird zukünftig auch gar keine Zeit mehr sein.
Und hier schließt sich der Kreis zu den aktuellen Schließungsplänen. Diese bedeuten zunächst mal für viele Studierende oder Promovierende – aber auch für Lehrende - einen persönlichen Schlag in die Biographie. Wer jetzt im ersten bis vierten Semester ist, wird von dieser Schließung voll erfasst. Glaubt die Lügen über die Aufrechterhaltung des Lehrangebots nicht. Die Professuren werden abgebaut, die Seminare werden voller, die Prüfungsberechtigten weniger. Jede Umstrukturierung bringt Reibungsverluste, hat v. Figura gesagt. Damit ist genau das gemeint. Der Mann weiß was er tut, auch wenn er manchmal nicht weiß was er sagt.
Vor allem aber setzt sich hier ein Bildungsverständnis durch, das Wissenschaft nur noch als wirtschaftliche Ressource begreift. Fächer, die zur Aufgabe haben, Gesellschaft zu analysieren; Die Menschen in die Lage versetzen sollen, sich kritische mit ihrer eigenen Gesellschaft auseinander zu setzen; diese Fächer stehen auf der Abschussliste. Wer nicht genug Drittmittel anwerben kann, weil seine wissenschaftlichen Produkte nicht Marktgerecht sind, hat ohnehin einen gefährlichen Stand. So findet eine Gleichschaltung der Bildungslandschaft statt. Kritische Inhalte verschwinden zunehmend aus den Lehrplänen, weil sie als irrelevantes Schwätzertum abqualifiziert werden.
Jedoch braucht diese Gesellschaft kritische Wissenschaft mehr den je. In Zeiten, in denen die soziale Polarisierung immer mehr zunimmt; in denen Rassismus und andere Formen der Ausgrenzung vermehrt an Boden gewinnen. In denen z.B. Nazis mit zehn Pozent in Landtage einziehen können, braucht es eine intensive kritische Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen und der Gesellschaft die sie hervor bringt. Geistes- und Sozialwissenschaften versuchen die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verstehen. Sie versuchen zu Erfassen, wie menschliches Zusammenleben funktioniert – oder eben: warum es nicht funktioniert. Das Wissen über diese Zusammenhänge ist unverzichtbar für das Streben nach besseren Verhältnissen. Der Versuch diese Disziplinen, als unnötigen Luxus zu brandmarken stellt dem entsprechend einen frontalen Angriff auf ein humanistisches Bildungsverständnis dar. In diesem Versuch kommt ein Bildungsverständnis zu Vorschein, in dem nicht mehr das menschliche Individuum Ziel und Zweck des wissenschaftlichen Prozesses ist, sondern die selbstzweckhaften Imperative der Ökonomie.
Das Streben nach besseren Verhältnissen ist aber kein Anachronismus, sondern so aktuell wie eh und je. Bildung ist keine Ware, heißt es immer wieder bei Studierendenprotesten. Die Welt ist keine Ware heißt es noch grundsätzlicher in der globalisierungskritischen Bewegung. Aber wenn sie keine Ware ist, was ist sie dann – und was könnte sie sein. Diese Fragen zu stellen – sie vieleicht in Teilen zu beantworten – das wäre die Aufgabe einer Sozialwissenschaft, für die es sich zu kämpfen lohnt.
Für eine freie Bildung in einer freien Gesellschaft – stoppen wir die Schließungspläne!
Bildung für Alle und zwar umsonst.