Kein Aus für Vorratsdatenspeicherung und Überwachungsstaat

Urteil des Bundesverfassungsgerichts

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Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.3.2008 sprach sich, wie von den Initiator_innen der Verfassungsbeschwerde und Datenschützer_innen erhofft, teilweise gegen das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (Vorratsdatenspeicherung) aus. Dabei wurde jedoch wesentlichen Punkten im Eilantrag der Beschwerdeführer_innen nicht stattgegeben.

„Eilantrag in Sachen Vorratsdatenspeicherung teilweise erfolgreich“ heißt es in der Presseerklärung des Bundesverfassungsgerichts1. Das erweckt den Anschein, als ob selbst die Karlsruher Verfassungshüter_innen ein mulmiges Gefühl beschlichen hätte, dass diese Gesetzesinitiativen eventuell den Rahmen der Grundrechte womöglich etwas arg aushebeln2. Schnell was dagegen unternommen also und dem Überwachungsstaatlichen Gesetzesinstrumentarium einen Dämpfer verpasst? Der Schein trügt, und etwas anderes hat wohl auch niemand erwartet.

Protokollierung ja –Verwendung jein

Das Gesetz welches die Vorratsdatenspeicherung regelt, besteht insgesamt aus zwei Teilparagraphen, §113a und §113b des Telekommunikationsgesetzes (TKG).

Die gesetzlich verordnete Speicherung der bei Benutzung von Handy, E-Mail und Telefon anfallenden Verkehrs- und Standortdaten durch die Provider ist Gegenstand des Paragraphen §113a, während die eigentliche Verwendung des gespeicherten Datenbestands zum „Zwecke der Verfolgung von Straftaten, der Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und der Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben“ durch §113b geregelt wird3.

Der Eilantrag der Beschwerdeführer_innen vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung4, mittels einer einstweiligen Anordnung den Vollzug beider Paragraphen zumindest bis zur endgültigen Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde außer Kraft zu setzen, ist vom Bundesverfassungsgericht allerdings nur sehr lückenhaft angenommen worden. Zunächst einmal wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung komplett abgelehnt, was bedeutet, dass sämtliche für das Gesetz neu geschaffene Paragraphen weiterhin und ohne Rücksicht auf den Verlauf der Verfassungsbeschwerde in Kraft sind. Offenbar stört niemanden, dass, sofern der Verfassungsbeschwerde Erfolg beschieden sein wird, der bis dahin erfolgte Gesetzesvollzug verfassungswidrig wäre.

Lediglich an der Verwendung der zu speichernden Daten wurde ein wenig herumgedoktert. Der Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens, welches die Einforderung der Daten nach §113b durch die Vollzugsbehörden erlaubt, wurde als schwere, auch im Einzelfall schwerwiegende Straftat definiert. Die Übermittlung an die Vollzugsbehörden darf nur dann erfolgen, wenn andere Ermittlungsmaßnahmen unmöglich oder aussichtslos sind.

Dies ist immer noch dieselbe Formulierung wie im ursprünglichen Gesetzesentwurf; es wurden nur weitere „Straftaten mittels Telekommunikation“, welche im Ursprungsentwurf Anlass zur Datenanforderung waren, entfernt. Die Hürden bezüglich des Zugriffs auf die Kommunikationsdaten wurden damit nur minimal erhöht. So findet sich unter den Tatbeständen, welche als „schwere Straftat“ nach wie vor eine Verwendung der Kommunikationsdaten rechtfertigen, auch „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“. Damit ließe sich sicherlich ein Anlass konstruieren, der die Kommunikationsdaten von Protestbewegungen wie der des G-8- Gipfels für die Strafverfolgung offenlegt. Letztendlich wurden alle Änderungen an §113a, der Speicherpflicht der Daten, abgelehnt.

Fazit: Grundlegende Problematik bleibt bestehen

Doch genau diese Tatsache zeigt, dass eine endgültige und zufriedenstellende Lösung, welche den Schutz der privaten Kommunikationsparameter garantieren könnte, so weit entfernt ist, wie schon lange nicht mehr. Die Begehrlichkeiten des Herrn Schäuble und seiner Kollegen lassen vermuten, dass diese sicherlich bald neue Mittel und Wege finden, vorhandene Daten den Mühlen der „Strafverfolgung“ zugänglich zu machen. Sobald Daten erst einmal gespeichert sind, besteht auch immer dieses Risiko. Außerdem lassen Gesetzesentwürfe zum weiteren Ausbau von Überwachungs- und Repressionsstrukturen nicht auf sich warten. Daher fordert auch der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung einen sofortigen Stopp neuer Überwachungs- und Sicherheitsgesetze, welche sich als Risiko für die Grundrechte herausstellen könnten. Davon gibt es leider genug: Zentrales Melderegister, Biometrischer Reisepass, Überwachung von Flugreisenden, erweiterte Präventivbefugnisse des BKA, staatliche Spionage auf Privatcomputern…5

Desweiteren fordert der Arbeitskreis als Konsequenz im Hinblick auf die Täuschung der Bürger_innen bezüglich der Tragweite der Vorratsdatenspeicherung, sowie des offensichtlichen Bedarfs an freiheitlicheren Innen- und Justizminister_innen, den Rücktritt von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.6 Entsprechend schließt auch die Stellungnahme der Beschwerdeführer_innen auf den Gerichtsbeschluss mit der Feststellung, dass gegenwärtig die freie und unbefangene Telekommunikation in Deutschland für niemanden zu haben ist.7 Es gilt also dem überwachungsstaatlichen Arsenal zur Einschränkung unserer Freiheit weiterhin entschlossen entgegenzutreten, denn solange solche Maßnahmen in Kraft sind, heißt es leider weiterhin:

„Dreh dich besser nicht mehr um, denn das SEK geht um, die Gedanken die sind Freilich in der Kartei“
(Quetschenpaua)


1) www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg08-037

2) mensch wundert sich doch öfters über die Dehnbarkeit von gesetzlichen Rahmenbedingungen in der „Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung“ …

3) Quelle: http://dip21.bundestag.de/dip21/brd/2007/0798-07.pdf

4) www.vorratsdatenspeicherung.de

5) Mehr Informationen zu Vorhaben und Gesetzesinitiativen auch auf Länderebene unter www.daten-speicherung.de/index.php/aktuelle_gesetzesvorhaben/

6) www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/209/79/

7) www.vorratsdatenspeicherung.de/images/schriftsatz_2008-03-17.pdf

Erschienen am: 16.04.2008 zuletzt aktualisiert: 16.04.2008 23:33 AutorIn: email-address