Warum Freiräume?

„Gehe ich durchs ZHG, dann beschleunigt sich automatisch mein Schritt. Mein Blick prallt von den grauen Wänden ab, es ist laut, es ist ungemütlich. Irgendein Stand macht Werbung für irgendwas. Schnell in meinen Hörsaal gehuscht, ich weiß nicht, was mich draußen halten sollte...Nach der Vorlesung habe ich zwei Stunden bis zu meiner nächsten Veranstaltung, die vierte an diesem Tag. In einer Woche beginnen die Prüfungen: fünf davon in einer Woche. Ich habe das Gefühl, ich kann nicht mehr...

Dieser Ort beginnt mich wahnsinnig zu machen. Ein beklemmendes Gefühl beschleicht mich schon seit einiger Zeit – ich habe den Eindruck seltsam neben mir zu stehen. Ich habe das Gefühl hier nicht so richtig hin zugehören, als wäre das nicht mein Studium, mein Leben, meine Zeit. Ich habe von diesem Café gehört, dass durch eine Besetzung entstanden sein soll. „Besetzung“, denke ich, dass hört sich ganz schön militant an. Dennoch will ich es mir wenigstens mal angeguckt haben. Es gibt dieses Café wirklich und als ich davor stehe staune ich nicht schlecht: Links von der Tür sind vier Papierbahnen angebracht, auf denen Einzelpersonen und Gruppen aufgelistet sind, die sich mit den Nutzerinnen und Nutzern des Raumes solidarisieren. Da stehen ein paar Gruppen, die ich kenne, aber auch welche, die mir überhaupt nichts sagen. Über der Tür hängt ein Schild „Willkommen im selbstverwalteten Café 1140“. Auf der rechten Seite sind einige Plakate und darüber blaue Zettel, wie eine Art Tagebucheinträge, auf denen zu lesen ist, was die Leute in den letzten Tagen im Raum gemacht haben: sie haben Musik gemacht, eine offene Bühne, Party, Monopoly gespielt, Antisexismus-Diskussionen geführt und und und... Das beeindruckt mich, dass in so wenigen Tagen so viel hier schon passiert sein soll!

Ich gehe durch die Tür und bin überrascht so viele Menschen hier zu sehen, die an Tischen mit roten oder orangen Tischdecken und Tulpen sitzen, Kaffee trinken, lernen, sich unterhalten, diskutieren... Schnell habe ich verstanden, dass niemand mich hier bedient, sondern ich mir selbst Kaffee einschenken kann. „Ist ja auch Quatsch“, denke ich, dass ich sonst bedient werde, auch noch von unterbezahlten Angestellten. Ich schmeiße fünfzig Cent in die Dose, mehr habe ich gerade nicht, aber irgendwie weiß ich, dass es okay ist. In der hinteren Ecke stehen Sofas und ein Tisch, am Fenster hängt ein Transparent, auf dem „besetzt-für immer“ steht. Ich muss schmunzeln.

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Ich blicke mich um und sehe ein paar Leute, die mich anlächeln und schließlich auch jemanden, die ich kenne. Sie unterhält sich gerade, aber signalisiert mir mich dazu zu gesellen, auch wenn sie mit den anderen gerade in einer Diskussion über die Plenumsstruktur seien und sich Gedanken über die Frage machten, wie informelle Hierarchien abgebaut und noch mehr Menschen in den Entscheidungsfindungsprozess miteinbezogen werden könnten: Es gibt jeden Abend ein Plenum, in dem alle Entscheidungen von allen getroffen werden, erklärt sie mir. Ich bin fasziniert. Ich lehne mich zurück und lasse diese Atmosphäre hier erst einmal auf mich wirken... es ist so entspannend! Ich vergesse, dass ich seit 8 Uhr durch die Uni hetze, ich vergesse, dass ich mich noch hier anmelden und dort anmelden muss, dass ich mich langsam um dies und schneller noch um das kümmern sollte, ich vergesse für einen Augenblick den Scheiß-Studienkredit, den ich aufnehmen musste, weil ich nicht wüsste, wie ich sonst meine Studiengebühren bezahlen sollte.

Und auf einmal wird mir bewusst, dass hier Dinge möglich sind, von denen ich keine Ahnung hatte: Leute sind aktiv, malen Plakate, kochen Kaffee, halten jeden Abend ihr Plenum ab, diskutieren über politische Themen und darüber, wer die Nacht im Raum schlafen wird, organisieren Bands und Lesungen und und und... Dafür gibt es keine Credit-Points, das führt auch nicht zu einem schnelleren Abschluss. Das passt nicht in das Konzept von Verwertungslogik und nicht in den Anschein sauberer Ordentlichkeit des ZHG.

Aber hier hat man das Gefühl ein bisschen zum Atmen zu kommen, denn hier ist nichts zu spüren von Zeitmangel und Leistungsdruck...“

An der Uni soll eine Atmosphäre von Elite-Dünkel und Karrierestreben herrschen. Die Uni soll sauber, ordentlich, repräsentativ sein. Die Politik des Präsidiums geht Hand in Hand mit den Ansprüchen der Wirtschaft und rationalisiert alles weg, was nicht effizient genug ist.

Diese Logik ist es, die die Uni-Leitung in einem selbst verwalteten Raum einen Angriff von ,Chaot_innen‘ auf die fein säuberlich durchstrukturierte Ordnung sehen lässt. Diese Logik ist es, die die Uni-Leitung zu den unverhältnismäßigen Maßnahmen einer Räumung greifen lässt. Und diese Logik ist es, die die Uni-Leitung dazu bringt die Polizei zwei Mal im Laufe eines Tages auf den Campus zu holen und gegen die eigenen Studierenden vorgehen zu lassen.

Freiräume werden nicht erbettelt, Freiräume werden erkämpft!

Erschienen am: 16.04.2008 zuletzt aktualisiert: 16.04.2008 23:40 AutorIn: email-address