Fünfzig Mal Landfriedensbruch, wer bietet mehr?

Am Abend des 16. April fand in Göttingen eine Spontandemo gegen die gewaltsame Räumung des besetzten Hauses in Erfurt statt. Ca. 60 Menschen versammelten sich am Gänseliesel und zogen durch die Fußgänger*innenzone in Richtung Weender Tor. Kurz vor dem Carré wurde die Demo von Polizeieinheiten aus Göttingen und Braunschweig daran gehindert, ihren Weg fortzusetzen und komplett eingekesselt. Hierbei kam es von Seiten der eingesetzten Polizist*innen zu gewaltsamen Übergriffen, wie z.B. Faustschlägen gegen Gesicht und Oberkörper der Demonstrant*innen. Unter dem pauschalen Vorwurf des Landfriedensbruchs wurden gegen alle Teilnehmer*innen Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Ein kurzer Blick zurück...

Dieses auf den ersten Blick vielleicht absurd erscheinende Ereignis wird vielleicht verständlicher, wenn man sich die jüngere Göttinger Vergangenheit in Erinnerung ruft. Schon seit Jahren versuchen Ordnungsamt und Polizei linke Demonstrationen mit Auflagen zu überziehen, die Aussenwirkung so weit möglich zu minimieren und jegliche Überschreitungen der vorgegebenen Ordnung massiv zu kriminalisieren. Die Länge von Transparenten wird vorgegeben, die erlaubte Lautstärke der Redebeiträge deutlich eingeschränkt, Demorouten verboten, Wanderkessel sind an der Tagesordnung und auch mit Strafverfahren hielten sich die Behörden keineswegs zurück. Jegliche Bemühungen, mittels Demonstrationen eine größere Öffentlichkeit herzustellen und die eigenen Inhalte zu vermitteln, sollen so zunichte gemacht werden. Angesichts dieser Situation sind Viele schon lange nicht mehr bereit, die Schikanen der örtlichen Behörden einfach so hinzunehmen. Immer wieder kam es deshalb auch in den letzten Jahren zu spontanen unangemeldeten Versammlungen mit dem Ziel die lästigen Auflagen zu umgehen und endlich wieder selbstbestimmt zu demonstrieren. Einige dieser Demos waren hochdynamisch, laut und durchbrachen die beschauliche Ruhe der südniedersächsischen Kleinstadt. Besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext der freundlich wütende Mob, der die Göttinger Einsatzkräfte und ihre Kolleg*innen nach der Räumung des besetzten Freiraumes an der Uni Ende Januar 2008 schier zur Verzweiflung trieb und mehr als alt aussehen ließ. Nicht nur die Polizei wurde auf dem falschen Fuß erwischt, auch der Schock der Unileitung war groß, so dass sie endlich unseren Forderungen nach einem Freiraum nachkam und den Raum für das Autonomicum baute.

Niederlagen wie diese wollte die Polizei wohl nicht auf sich sitzen lassen und entsprechenden Aktivitäten dauerhaft einen Riegel vorschieben. Schon kurz danach schlug sie zurück, zeigte einen Aktivisten wegen Landfriedensbruchs an und versuchte so auch andere einzuschüchtern. Da sich der erhoffte Effekt offenbar aber nicht in der erwünschten Weise einstellte, griff sie nun zum größeren Kaliber. Die günstige Gelegenheit einer zwar völlig friedlichen, aber immerhin aus Sicht der Polizei erfreulich kleinen Versammlung sollte nicht ungenutzt verstreichen. Die jüngste Demo endete so in dem in der Einleitung beschriebenen Trauerspiel.

Im Hier und Jetzt

Neben den großen Kosten die durch solche Maßnahmen für linke Strukturen entstehen, darf nicht vergessen werden, was derartige Anzeigen emotional mit den Betroffenen anrichten. Repression macht Angst. Angst um die eigene Zukunftsplanung, vor Knast, Berufsverboten, Konflikten mit den Eltern. Diese Ängste entwickeln nicht nur unmittelbar Betroffene, sondern sie prägen ebenso Freund*innen, Bekannte und letztlich die gesamte Linke. Neben diesen objektiven Zwängen kommen Unmutsgefühle und Zweifel in Folge der Repression hinzu, die Betroffene immer wieder in kraftraubend, orientierungslose Gedankenspiele treiben und ihre Ideale in Frage stellen. Hinzu kommt, dass bei Freund*innen und Familie nicht unbedingt eigene politische Erfahrungen vorliegen und diese in solchen Situationen unter Umständen eher eine Belastung als eine Hilfe darstellen. Nicht selten auftretende Vorwürfe wie „Du bist doch selber schuld!“ oder eine unkritische Haltung gegenüber der Polizei nehmen mitunter die letzte Energie, bis hin zur Kapitulation vor den bestehenden Verhältnissen.

Ein Blick nach vorn...

Während die finanziellen Folgen der Repression von Strukturen wie der Roten Hilfe relativ gut bewältigt werden, gibt es oft kaum einen kollektiven Umgang mit den psychischen Konsequenzen. In öffentlichen Erklärungen wird vielfach das Bild knallharter Fighter*innen vermittelt, die sich durch nichts einschüchtern lassen und deren emotionales Spektrum sich darauf beschränkt, angesichts staatlicher Angriffe immer wütender (also letztlich sogar handlungsfähiger) zu werden. Orientierungspunkt scheint in dieser Hinsicht immer noch der 80er-Jahre-Klassiker Bullenschweine zu sein: „Die nehmen uns fest, stecken uns in den Knast, doch das steigert nur unseren Hass.“ Der Erfolg repressiver Maßnahmen wird allerdings nicht dadurch geringer, dass ihre Wirkungen auf uns schlichtweg geleugnet werden. Ein solcher Ansatz lässt nicht nur Viele von uns zerbrechen oder sich zurückziehen,sondern ist auch für die Linke insgesamt fatal. Wie andere Aspekte von Repression müssen auch die psychischen Effekte bei Bedarf kollektiv bewältigt werden. Erfreulicherweise gibt es angesichts der jüngsten Ereignisse inzwischen Ansätze auch diesen Problemen gemeinsam zu begegnen. Wenn wir zusammen darauf reagieren und Einzelne nicht alleine gelassen werden, können wir auch mit den staatlichen Angriffen umgehen, die uns sonst mut- und hoffnungslos zurücklassen. Solidarität ist eine Waffe! Auf das in Zukunft nicht mehr wir im Kessel stehen, sondern die Polizei!

Erschienen am: 12.06.2009 AutorIn: email-address