Studium als Unterwerfungsinstanz

In den letzten Jahren ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen durchregiert worden. Das bislang privateste, das Ich, wurde als ökonomische Ressource entdeckt. Der direkte Konkurrenzkampf zwischen den Einzelnen sollte die Lösung sein für zunehmend enger werdende Handlungsspielräume. Alle werden zu Marktsubjekten und sollen sich selbst als ökonomische Ressource begreifen, ihre kreativen und produktiven Potenziale aktivieren, sollen sich unterwerfen und zugleich aktiv einbringen, am besten so transparent und offensichtlich, dass die eigenen Bemühungen auch immer erkennbar sind.

Diese Entwicklung lässt sich auch innerhalb der Bildungsreformen nachzeichen, von denen die heutige Studienrealität geprägt ist. Die Studiengebühren etwa tragen dazu bei, dass die je einzelnen Studierenden sich als Träger*Innen von Humankapital wahrnehmen. Gleichzeitig kann so das Lernarrangement als eines der Konkurrenz organisiert werden: Studierende müssen nicht nur den Lehrstoff lernen sondern auch, sich als unternehmerisches Individuum zu verstehen, das seine zukünftigen Ressourcen ausbildet. Studiengebühren führen so zu einer strukturellen Isolation und Vereinzelung der frischgebackenen Kund*Innen, die gerade versuchen, zu erfolgreichen Verkäufer*Innen zu werden. Als von ihrer Umwelt abgeschlossene Einheit versuchen sie, sich durchzuboxen. Wird schon irgendwie klappen.

Der Wille zum Überleben ist dabei unübersehbar. Jeder Misserfolg, jede Versagensangst muss verdrängt werden. Wenn Kommiliton*Innen mit dem Studium nicht klarkommen, dann liegt es an ihnen. Ich hingegen werde es schaffen. Tschacka! Die Möglichkeit, dass das Problem nicht in den Studierenden, sondern in den Anordnungen des Bachelor-Systems zu suchen sein könnte, taucht oftmals gar nicht mehr als Option auf.

Mit dem Bachelor ist eine vollständige Modularisierung der Studiengänge eingeführt worden. Er kann deshalb als Einführung betriebswirtschaftlicher Handlungsmodelle in den Studierendenalltag begriffen werden. Analog zu betriebswirtschaftlichen Rationalisierungsprozessen soll nun dieser Alltag derart optimiert werden, dass jeder Arbeitsschritt genau vorgegeben und hinterher abgeprüft wird. In Anlehnung an die ökonomische Lehre von der Arbeitszergliederung ließe sich hier von einer Re-Taylorisierung des Studiums sprechen.1

Ein weiterer Punkt, in dem der Zugriff der Studienorganisation auf die Einzelnen deutlich wird, ist der ständige Leistungsvergleich, der etwa durch das Prüfungssystem FlexNow ermöglicht wird. Hier kann die strebsame Studierende stets ihren Lernerfolg im Klassenspiegel bewundern. So wird eine stete Selbstkontrolle installiert, in der über einen dauerhaften Leistungsvergleich die je individuelle Motivation, auch noch das letzte Quentchen Freizeit für den Lernerfolg zu opfern, hergestellt werden soll. Diese stetige Selbstevaluierung wird ergänzt durch semesterweise durchgeführte Lehrevaluationen und ergänzende Fremdevaluationen durch vermeintlich objektive Instanzen. „Total Quality Management“ heißt das im Fachjargon und kommt auch in diesem Fall aus der Betriebswirtschaftslehre.

Im letzten Beispiel wird bereits deutlich, dass das, was aus Sicht der Studierenden beschrieben werden kann, auch für die Uni als ganze gilt. Hier wird durch das Vergleichbarmachen von wissenchaftlichen Erfolgskriterien ein Forschungsranking eingeführt, in dem jeder Lehrstuhl, jedes Institut und jede Fakultät sich an „allgemeingültigen“ Kriterien zu bewähren hat. So soll es dem Management, also dem Universitätspräsidium, ermöglicht werden, im Rahmen gesteigerter autokratischer Kompetenzen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Die Herstellung von Vergleichsgrößen führt somit nicht zu einer solidarischen Anerkennung anderer in ähnlicher Situation als Gleicher, sondern zu einem gnadenlosen Konkurrenzkampf. Was schon immer auch galt, wird verabsolutiert: Wichtig ist nicht, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse der Menschheit zu einem schöneren Leben verhelfen, sondern dass wissenschaftliche Reputation zum individuellen Aufstieg gesammelt wird. An mehreren Standorten wird gleichzeitig an demselben Problem gearbeitet, ohne das die Beteiligten sich miteinander über ihre Erfahrungen austauschen würden. Wer schneller ist, heimst den Ruhm ein, wer die Ergebnisse vor der Veröffentlichung noch einmal überprüft, muss damit rechnen, dass seine Forschungsleistungen in der Zwischenzeit entwertet werden.

Was innerhalb der Universität gilt, kann auch für das bundes- und weltweite Universitätenranking festgehalten werden. Vergleichbarkeit sorgt nicht für höhere Wissenschaftlichkeit oder bessere Qualität, sondern für borniertes Durchsetzen der je eigenen Interessen. Dabei kann der Erfolg der Universität im Exzellenz-Wettbewerb dann auch den einzelnen, von Misserfolgen bedrohten Studierenden als Spiegelfläche der eigenen Selbstherrlichkeit dienen: auch ich bin Elite.

Nun machen jedoch die regelmäßigen Änderungen der Studienordnungen stets klar, dass die aktuellen Regelungen durchaus willkürlich sind. Was in der Handhabung dieser Regeln auch zu einem gewissen Opportunismus führt. Die vorhandenen Regeln werden als Rahmen behandelt, den eigenen Erfolg voranzubringen. Koste es, was es wolle. Wer sich durchsetzt, hat die Regeln verstanden und gilt als würdig, sich am Arbeitsmarkt zu verdingen. Ob das was hilft, steht dann noch mal auf einem anderen Blatt.2

Literatur zum Weiterlesen:

Detlef Hartmann/Gerald Geppert: Cluster. Die neue Etappe des Kapitalismus. (Assoziation A, Berlin 2008)

Paolo Virno: Grammatik der Multitude. Mit einem Anhang: Die Engel und der General Intellect. (Verlag Turia und Kant, Wien 2005)

Andre Gorz: Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie (Rotpunktverlag, Zürich 2004)


1) Vgl. zur zwiespältigen Wirkung des Bachelor: Gartenzwerging - Bachelor macht alles gleich

2) Vgl. dazu „Die Uni kriegt die Krise“ S.18 in dieser Publikation

Erschienen am: 13.01.2009 zuletzt aktualisiert: 13.01.2009 18:26 AutorIn: email-address