Sexistische Kackscheiße!

Zur Konstruktion von Geschlecht und sexistischem Normalzustand

Alles Natur, oder wat?

Frauen sind Frauen und Männer sind Männer - deswegen können die einen mit der Bohrmaschine umgehen, während die anderen dafür multi-tasking-fähig und auch viel emotionaler sind.

Wer davon ausgeht, hat einen wichtigen Punkt übersehen: Geschlecht wird gemacht! Rollenverteilungen sind nicht natürlich bedingt vorgegeben, sondern die Produkte unserer alltäglichen Handlungen – und wie wir sie heute kennen ein Konstrukt der bürgerlichen Gesellschaft. In ihr werden Frauen der Natur und damit Emotionalität zugeschrieben, während Männern Kultur und Rationalität zugeordnet wird. Zuschreibungen wie diese haben die gesellschaftliche Verbannung von Frauen in die häusliche Sphäre mit sich gebracht, werden aber naturalisiert, also als natürlich bedingt dargestellt. Oder anders: Im Alltagsverständnis erdreistet man sich regelmäßig, komplexes menschliches Sozialverhalten aus irgendwelchen Gehirnstrukturen, Genen usw. ableiten zu wollen.

Wir haben es aber mit einer selbsterfüllende Prophezeiung zu tun, denn Geschlechterbilder reproduzieren sich selbst: Wenn argumentiert wird, dass es natürlich so sei, dass Frauen nicht mit der Stichsäge umgehen könnten, dann werden beispielsweise Mädchen in ihrer Erziehung oder: Sozialisation auch nicht dieselbe Energie aufwenden wie Jungen, zu lernen damit umzugehen. Es ist ganz klar, was von jeder*jedem erwartet wird und das hat damit zu tun, wie uns die Gesellschaft beeinflusst.

Es gibt Männer und es gibt Frauen. Oder?

Biologisch betrachtet gibt es nämlich neben dem genetischen Geschlecht noch mindestens vier weitere. Und falls ein Neugeborenes sich nicht ins Junge/Mädchen-Schema pressen lässt, bei ihm*ihr also etwas ‘nicht in Ordnung‘ ist, wird medizinisch durch eine Zwangs-OP eingegriffen: Etwa jedes 1000. Kind in Deutschland stellt die ‘Natürlichkeit‘ des Zweigeschlechtermodells fundamental in Frage und wird deshalb gewaltsam einem Geschlecht zugeordnet, wird also den Begriffen angepasst - und nicht etwa umgekehrt! Das ist das Dogma der Zweigeschlechtlichkeit, das nur zwei Geschlechter zulässt.

„Indem Menschen sich verhalten, als gäbe es ‘von Natur aus‘ Männer und Frauen, bestätigen sie die soziale Fiktion, dass diese Natur existiert. Es gibt sie nicht unabhängig von dem, was Menschen tun. Geschlecht ist eher das, was Menschen [auf eine bestimmte Art und Weise und] zu bestimmten Zeiten tun, als das, was Menschen zu jeder Zeit und an jedem Ort, also universell sind.“1 Hier wird die Frage nach Identität aufgeworfen. Menschen werden durch Sozialisation zu Frauen und Männern gemacht – das fängt schließlich schon bei der Namensgebung, den rosafarbenen bzw. hellblauen Stramplern und den Puppen bzw. Feuerwehrautos an, mit denen die Eltern ihre Brut konfrontieren.

Die Normen der Zweigeschlechtlichkeit und die damit einhergehenden Rollenzuschreibungen sind von uns allen so stark verinnerlicht, dass sie als natürlich erscheinen und nicht ohne weiteres abzuschütteln sind. Warum das sexistisch ist? Nun, die Einteilung von Individuen in zwei Geschlechter anhand von angeblich biologischen Eindeutigkeiten ist eine gewaltförmige Fremdzuschreibung, die als Grundlage dazu dient, Menschen unterschiedliche Machtressourcen und Handlungsspielräume und Privilegien in der Gesellschaft zuzuweisen – ganz gleich, wie sie sich selbst sehen und definieren würden und welche Eigenheiten einen Menschen ausmachen. Demnach erweist sich die binäre (Mann vs. Frau-) Unterteilung von Geschlecht als Grundlage hierarchischer Verhältnisse, in dem Frauen weniger machtvolle Positionen als Männern zugeschrieben werden.

Die Annahme, es gäbe von Natur aus nur zwei Geschlechter, entwickelte sich erst im 17./18. Jahrhundert mit dem Aufstieg des Bürgertums und der Herausbildung der kapitalistischen Arbeitsteilung und der bürgerlichen Kleinfamilie. Das ganze ist also ein relativ junges Phänomen im Gegensatz zu dem, was uns immer wieder erscheinende, pseudowissenschaftliche Behauptungen uns weismachen wollen: es hätte auch in der Steinzeit schon fürsorgliche Hausfrauen und jagende, arbeitende Ernährer-Männer gegeben.

In diesem Zusammenhang muss sich zudem vor Augen geführt werden, wie im Kontext einer zweigeschlechtlich strukturierten Gesellschaft Menschen, die nicht dieser Norm entsprechen, von Marginalisierungs-, also Verdrängungsprozessen betroffen sind. Wir scannen nämlich nicht nur jeden Menschen, dem wir begegnen, ab, um ihn in ein Frau/Mann-Schema zu pressen, sondern gehen auch wie selbstverständlich davon aus, dass Mann und Frau sich heterosexuell aufeinander beziehen – oder werden weiblich sozialisierte Teenagerinnen für gewöhnlich gefragt, ob sie schon einen Freund oder eine Freundin hätten?! Dieser Zustand, in dem von einer heterosexuellen Orientierung automatisch ausgegangen wird, nennen wir heteronormativ.

Heterosexualität wird also zur Norm erhoben und alle Menschen, die sich nicht mit dieser Norm identifizieren wollen oder können, werden stigmatisiert - „schwule Sau“ dient äußerst vielen homophoben Zeitgenoss*innen schließlich immer noch als Schimpfwort.

Auch geschlechtsspezifische Lohndiskriminierungen, alltägliche sexualisierte Übergriffe vor allem von Männern gegenüber Frauen und Mädchen sind Symptome dieser Gesellschaft, die über Sexismus, Heterosexismus, Homophobie als wesentliche Machtmechanismen verfügt.

Exkurs: Sexismus im Kontext universitärer Strukturen

Auch die Betrachtung der Funktionsweise universitärer Strukturen und Hierarchien macht diese Macht- und Herrschaftsverhältnisse deutlich. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren im WS 2003/04 etwa 43% der Bachelor-Studierenden Frauen, während sich unter den Master-Studierenden nur knapp über 30% Frauen befanden. Die Statistik der Abschlüsse spricht noch eine deutlichere Sprache: Obwohl mehr als die Hälfte der Bachelor-Abschlüsse (53,2%) von Frauen erreicht wurden, lag der Frauenanteil bei Master-Abschlüssen unter einem Drittel (32,7%). Eine Geschlechterungleichheit im Studium führt auch zu einer ungleichen Verteilung bei den verschiedenen Berufsfeldern. Die Arbeit in höheren Positionen und im akademischen Bereich bleibt damit weiterhin überwiegend Männern vorbehalten.

Diese Zahlen verweisen auf vorherrschende sexistische Strukturen: So besteht für Studierende im Master-Zyklus kein Anspruch auf BAföG-Unterstützung, da sie zuvor mit dem Bachelor bereits einen „berufsqualifizierenden” Abschluss erlangt haben. Gerade beim Master-Zyklus ist außerdem mit hohen Studiengebühren zu rechnen. Insbesondere für alle die, die Erziehungs- oder Pflegearbeit leisten, bedeuten die Strukturveränderungen eine Erschwerung des Studienverlaufs – und davon sind nach wie vor, allem Gerede von ‘Karriere-Frauen‘ usw. zum Trotz, hauptsächlich Frauen betroffen. Wer also keinen ‘gradlinigen‘ Studienverlauf hat, neben dem Studium arbeiten muss oder Erziehungs- oder Betreuungsarbeit leistet, wird kaum in den Master-Zyklus eintreten können. Das Bachelor-/Master-System dürfte allein deshalb zu einer verstärkten Geschlechtertrennung zwischen Bachelor- und Master-Abschlüssen führen.

Sexismus ist Alltag

Wenn man sich die Benachteiligung, Unterdrückung und Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung betrachtet, reicht es jedoch nicht aus, bei der Feststellung von diskriminierenden Strukturen auf einer gesellschaftlich-abstrakten Ebene stehen zu bleiben.

So sind zwar Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität als gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsstrukturen zu verstehen, die jede*n einzelne*n immer wieder zum Ankreuzen des „weiblich“- oder „männlich“-Kästchens drängen. Eine Kritik von (hetero)sexistischen Strukturen muss aber auch betrachten, dass wir diese im Alltag ständig selbst erzeugen und aufrechterhalten. Denn die dieser Gesellschaft zugrunde liegenden Denk- und Handlungsmuster zeigen sich in ihrer vollen Aggressivität und Wirkung in konkreten alltäglichen Übergriffen und Grenzüberschreitungen. Sexistische Witze, homophobe Sprüche, aufdringliches Anglotzen und ungebetene Berührungen uvm. auf Partys, sprachliche Ausgrenzungen, dominante Monologe männlicher Seminarteilnehmer bis hin zu körperlichen Angriffen tragen aktiv zur Aufrechterhaltung des sexistischen Normalzustands bei.

Wir – als handelnde Individuen - existieren nicht fernab von diesen Strukturen, sondern sind Teil von ihnen und wir stellen sie ständig wieder her. Dabei ist es unmöglich, nicht irgendwie vergeschlechtlicht aufzutreten. Auf der Grundlage dieser Normen kleiden, sprechen und bewegen wir uns geschlechtsspezifisch. Unsere Ängste, Begierden, Wünsche und Lebenspläne bestimmen und entwickeln wir im Hinblick auf unsere ständig reproduzierte (zwei-)geschlechtliche Zuordnung.

Dies muss aber nicht sein, denn was gesellschaftlich gemacht ist, ist auch veränderbar. An dieser Stelle kann angesetzt werden, um die heterosexistische Matrix anzugreifen.

Wir müssen hierbei erkennen, dass sich Sexismus generell in allen sozialen Interaktionen spiegelt und keinen gesellschaftlichen Ort freiwillig unbesetzt lässt, schließlich behandeln wir Menschen oft völlig unterschiedlich vor der Hintergrundfolie „männlich/weiblich“ und schreiben ihnen Eigenschaften, Fähigkeiten oder Vorlieben zu, die überhaupt nicht zutreffen müssen. Deshalb müssen wir Widerstandsformen auf all diesen Ebenen entwickeln und uns überlegen, wie Strukturen aussehen könnten, in denen wir systematisch sexistische Unterdrückungsmechanismen sichtbar machen und bekämpfen, um Ausschließung und Unterdrückung anzugreifen.

Ein theoretischer Anhaltspunkt für eine antisexistische Praxis ist es, Zuschreibungen (‘Frauen können halt nicht einparken und brauchen länger im Bad‘), die mit der Konstruktion von Geschlecht einhergehen in Frage zu stellen. Wir müssen deutlich machen, dass die Geschlechterkategorien selbst abzulehnen sind und nicht nur die gesellschaftlichen, sexistischen Hierarchisierungen. In diesem Rahmen ist es zentral, den eigenen Gebrauch von Geschlechterbildern, -normen und -klischees kritisch zu reflektieren für die Bildung und Stärkung antisexistischer Strukturen im Kampf gegen alltägliche Unterdrückungsformen wie Sexismus und Heterosexismus.

...Und wenn demnächst mal wieder ein freudiges heterosexuelles Paar, das ein Kind erwartet (homosexuelle Paar dürfen in Deutschland schließlich noch nicht einmal eines adoptieren), gefragt wird: „Und, wird es ein Junge oder ein Mädchen?“ fragen wir: Warum ist das so wichtig?! Und: Es wird das, was ihr draus macht!...


1) Bublitz, Hannelore: Judith Butler zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2002, S. 73

Erschienen am: 12.10.2009 zuletzt aktualisiert: 12.10.2009 02:58 AutorIn: email-address