Gender Mainstreaming -

Ein emanzipatorisches Konzept?

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Der Begriff Gender Mainstreaming (im folgenden GM) taucht in der letzten Zeit immer häufiger auf. Doch was steckt hinter diesem Konzept? Was bedeutet es im Konkreten und wem nutzt es? Im Folgendem werden die Ideen, die hinter Gender Mainstreaming stehen erläutert und kritisch durchleuchtet.

ie dritte Weltfrauenkonferenz, die Mitte der 80er Jahre in Nairobi stattfand, setzte sich kritisch mit gesamtgesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen auseinander, die in großem Maße Frauen benachteiligen. Bis 1995 wurde daraufhin an einem Konzept gearbeitet, dass diesen Ungleichheiten entgegenwirken sollte. Dieses Konzept erhielt den Namen GM und wurde bei der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking als politisch anzuwendendes Gleichstellungsprinzip propagiert.

Der Begriff gender bezieht sich hierbei auf die soziale und kulturelle Herstellung von Geschlecht. Mainstreaming (»Hauptströmung«) verweist auf die umfangreiche Dimension dieses Konzeptes. Konkret soll auf eine Beseitigung von Ungleichheiten gezielt werden, um eine Gleichheit (EU), bzw. „Gleichstellung” (BRD) von Frauen und Männern erreichen zu können.

Als politische Strategie wurde GM 1997 durch den Amsterdamer Vertrag (Art.2,3 Abs.2 EGV) an die Mitgliedstaaten der europäischen Union herangeführt. Die Bundesregierung erklärte sich bereit, mit dem in Kraft treten der EU-Richtlinie zur Umsetzung von GM 1998, dieses gleichstellungspolitische Konzept in gesamtpolitische Prozesse mit einzubeziehen. Unterschiedliche gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse sollten so ins Blickfeld rücken:

„Ziel ist die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern. [?] Allen Menschen – innerhalb von Organisationen und Gemeinschaften – muss die Möglichkeit eröffnet werden, ihren Beitrag zu leisten zur Entwicklung einer gemeinsamen Vision einer nachhaltigen menschlichen Entwicklung und zur Verwirklichung dieser Vision.”1

Förderung der Gleichstellung? Gemeinsame Vision? – Die fehlende Konkretisierung dieser Definition bietet das Potential zu gesellschaftlich emanzipatorischer Veränderung. Jedoch genauso, und hier sehen wir die Gefahr, für Reproduktion und Verschleierung herrschender hierarchischer Verhältnisse. Um nur ein Beispiel zu nennen:

„Hier [?] wurde zunächst das Frauenministerium und dann die Abteilung Frauen im Sozialministerium aufgelöst, weil man ja Gender Mainstreaming umsetzen wolle. Daneben werden öffentliche Zuschüsse an Frauenprojekte und Frauenhäuser in vielen Ländern erheblich gekürzt. Projekte und Frauenhäuser mussten bereits schließen.”2

Frauen haben in heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen fortwährend eine benachteiligte Position inne, daher ist es erst einmal wünschenswert auf gesamtpolitischer Ebene herrschende Geschlechterhierarchien aufzudecken, zu thematisieren und diesen entgegenzuwirken. Gleichzeitig bietet GM im Gegensatz zu frauenpolitischen Fragestellungen nicht nur die spezifische Sicht auf Frauen, sondern weitet emanzipative Arbeit auf Männer aus. GM bietet also parallel dazu die Auseinandersetzung mit Stereotypen, Rollenklischees und Konstruktionen von Männern und Frauen. Jedoch ist in Frage zu stellen, inwieweit dieses propagierte Konzept in der Lage ist, Geschlechterhierarchien zu verändern und abzubauen.

Die in der Praxis der GM-Strategien stattfindenden Gendersensibilisierungskurse (deren Inhalte im Konzept nicht ausgeführt sind) können kaum nachhaltige emanzipatorische Veränderungen schaffen. Denn welche Wirkungen können Veränderungen haben, die wie im GM vorgesehen als top-down-Prinzip, das heißt von oben nach unten, vermittelt, bzw. auferlegt werden? Welche Veränderungen werden erreicht, wenn selbsternannte ExpertInnen viel Geld mit Kursen zur „Gendersensibilisierung” verdienen können, die nie evaluiert, bzw. auf ihr emanzipatorisches Potential überprüft werden?

So kann das Ergebnis von „Gendersensibilisierungskursen” sein, dass sich das führende Management in Firmen (überwiegend männlich) damit auseinandersetzt, wie es zu schaffen ist, Frauen und Männer auf allen Ebenen und in allen Stellungen vertreten zu haben. Konzepte können erstellt werden, die es Frauen erleichtern, Familie und Karriere miteinander zu vereinbaren, beispielsweise durch firmeninterne Kleinkindbetreuung und flexiblere Arbeitszeiten.

Dies ändert nichts daran, dass Frauen „natürlich” die Zuständigkeit für familiäre Aufgaben zukommt. Es ermöglicht Frauen nur, trotz, bzw. mit Familie (Reproduktionsarbeit) optimal und effizient in kapitalistische Produktionsabläufe eingebunden zu sein und so effektiv zu funktionieren. Es ändert sich nichts am gesellschaftlichen Ernährermodell: Beispielsweise findet kaum eine Förderung von Männern statt, Elternzeit zu nehmen und somit zeitweise aus dem Berufsleben auszusteigen. Die Frau tritt weiterhin als „Mitverdienerin” auf und dies wird ihr durch GM erleichtert. GM ändert jedoch nichts an herrschenden Rollenbildern, Frauen erhalten lediglich eine gesonderte geschlechtsspezifische Beachtung. Die unterdrückenden Herrschaftsverhältnisse, die ursprünglich Ausgangspunkt von GM waren, bleiben unangetastet. Patriarchat und Kapitalismus werden nicht in Frage gestellt, ganz im Gegenteil werden durch den marktwirtschaftlichen Vorteil von GM, die herrschenden Systeme noch gefördert.

Ebenso bleibt offen, wie es zu ermöglichen ist, Menschen, die nicht dem hetero- und eurozentristischen Weltbild entsprechen, von ihrer gesellschaftlich benachteiligten Position zu befreien. Das Konzept GM hat gesellschaftlich genormte (bipolare, heteronormative) Lebensläufe von StaatsbürgerInnen zur Grundlage und nur diesen Menschen kommt dieses Konzept auch zu gute.

Um eine Emanzipation aller Menschen erlangen zu können, bietet sich GM, aufgrund der Verhaftung in gesellschaftlich genormte Verhältnisse, in denen undifferenziert „die Frauen” und „die Männer” existieren, nicht an.

Es bedarf einer anderen politisch-emanzipatorischen Arbeit jenseits der Einordnung in race, class und gender, einer Arbeit, die frei ist von der Einteilung der Menschen in zwei normierte dichotome Geschlechterkategorien, ein Konzept das herrschaftsfreien Raum schafft für Selbstbestimmung und Selbstdefinitionen.

<ak gender>

Erschienen am: 02.01.2006 AutorIn: email-address