Fragend schreiten wir voran!
zur Kritik der sogenannten ?unideologischen Sachpolitik?
„fragend schreiten wir voran” lautet der Untertitel der BB-Zeitung seit Bestehen des Basisdemokratischen Bündnisses (BB). Aber wie genau ist dieses Motto zu verstehen? Woher und wohin wollen wir voran schreiten? Und wonach müssen wir weshalb dabei fragen?
Für Pluralismus und Ideologiekritik (Vgl. „Alles kritisch oder was?”)
Die Art und Weise, wie wir alle uns selbst und die Gesellschaft sehen, hängt wesentlich davon ab, wie diese Gesellschaft strukturiert ist. Innerhalb dieser Gesellschaft wachsen wir unterschiedlich auf, machen unterschiedliche Erfahrungen und bilden uns daher auch verschiedene Meinungen und „Weltanschauungen”. Diese Meinungen entstehen nicht zufällig, denn „außerhalb” von Gesellschaft gibt es keine Erfahrungen – sie sind immer von gesellschaftlichen Umständen und Denkmustern geprägt. Unsere Erfahrungen hängen ab von Milieus, Schichten, Klassen, (konstruiertem) Geschlecht, Alter usw.
Vermessen wäre es daher, davon auszugehen, dass es innerhalb dieser Gesellschaft eine bestimmte Erkenntnisposition gäbe, die „ideologiefrei” wäre. Das BB strebt daher einen pluralen und basisdemokratischen Meinungsbildungs- und Erkenntnisprozess an: Darin müssen verschiedene Ansätze und Position ihren Platz bekommen, denn jede unserer subjektiven Erfahrungen ist begrenzt.
Inhaltliche Auseinandersetzungen
Diese verschiedenen Position können aber nicht einfach nur nebeneinander stehen oder sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen: Um uns aus unseren Beschränkungen und Ideologemen heraus zu winden braucht es einen kritischen Austausch zwischen diesen verschiedenen Positionen. Das schließt offen ausgetragene Meinungsunterschiede, Kritik und „Streit” ein – selbstverständlich auf einer inhaltlichen Ebene. So, und nur so kann fragend voran geschritten werden, statt meinend stehen zu bleiben.
So kann z.B. im Protesten gegen Bildungsabbau nicht davon ausgegangen werden, dass alle Studierenden die gleichen Interessen verfolgen und gleichen Positionen vertreten. Unterschiedliche Analysen können unterschiedliche Ursachen und Ziele beschreiben, um die es im Protest gehen kann.
Analyse, Kritik, Aktion!
Die theoretische Analyse der Gesellschaft kommt ohne eine kritische Auseinandersetzung mit deren ideologischer Verarbeitung, auch bei uns selbst, nicht aus. Als Beispiel sei hier die Ideologie des Sparzwangs genannt. Verändernd wirkt diese Analyse und Kritik aber selbstverständlich erst in dem Moment, wo aus ihr eine emanzipatorische (d.h. diese Strukturen verändernde, davon befreiende) Praxis folgt. Im Falle von Studiengebühren, „Hochschulreformen” etc. ist diese Praxis der studentische Protest. Eine solche Praxis braucht aber ebenso die theoretische Reflexion und kritische Auseinandersetzung, denn nur die kann uns Auskunft über Ursachen und Ziele, und damit über gangbare Wege geben.
„Hochschulpolitik” ist „Allgemeinpolitik”
„Hochschulpolitik” als eindeutig von allgemeiner Politik trennbar zu betrachten, bedeutet, einen einfachen, aber gefährlichen Denkfehler zu begehen: Denn es sind die gesellschaftlichen Umstände und Kräfteverhältnisse, die den Rahmen für Politik an der Uni abstecken. Diesen Umständen und der herrschenden Politik ist jedeR, der oder die sich nicht mit sogenannter „Allgemeinpolitik” auseinandersetzen will, hilflos ausgesetzt. Darüber hinaus spiegeln sich in der Uni auch politische Strömungen und ideologische Denkmuster aus der Gesellschaft wider.
An den Studiengebühren wird dies deutlich: Herr von Figura ist ein vehementer Verfechter der Studiengebühren, da er gerne eine vollere Kasse an der Uni Göttingen sehen würde. Diese Position lässt sich nur dann kritisieren, wenn die Kürzungsprogramme der vergangenen Jahre in den Blick genommen werden: Diese haben systematisch das nun fehlende Geld aus dem Uni-Haushalt verschwinden lassen. Welche finanzielle Ausstattung der Uni Göttingen zukommt entscheidet maßgeblich die Politik des Landes Niedersachsen. Welche Steuerpolitik sich aus der wirtschaftlichen Lage ergibt bzw. wo Grenzen gesetzt sind, ist maßgebliches Kriterium dafür, welche Mittel dieses Land überhaupt zu vergeben hat1. Diese wirtschaftliche Lage, und der Umstand überhaupt, dass die Universität abstrakten Reichtum in Form von Geld braucht, um Forschung und Lehre zu betreiben, lassen sich auf Grundkategorien der kapitalistischen Gesellschaft zurückführen2.
Dies lässt sich gerne auch noch ein wenig weiter spinnen. Wir sehen an diesem Beispiel, dass eine Hochschulpolitik im studentischen Interesse sich ihrer Handlungsmöglichkeiten beschneidet, wenn sie von vornherein sich auf direkte Einflussmöglichkeiten in den Gremien vor Ort beschränkt. Entscheidende Ansatzpunkte, Strategien und Handlungsmöglichkeiten können dann gar nicht mehr in Betracht kommen. Daher versteht sich das BB auch als Hochschulgruppe immer als politisch, denn die Trennung von „Hochschul-” und „Allgemeinpolitik” entpuppt sich bei näherer Betrachtung selbst als ideologisches Konstrukt3.
Die sogenannte Mitte
In der Ideologie der sog. „bürgerlichen Mitte” wird immer wieder eine altbekannte Denkfigur angeführt, die kritische Positionen ins politische Abseits zu stellen versucht, und dabei eine gefährliche Gleichsetzung mit rechten und rechtsextremen Umtrieben vollzieht. Dieser Denkfigur bedient sich auch die Hochschulpolitische Gruppe ADF, um sich als „neutral”, „objektiv” und vor allem „unideologisch” darzustellen: Zunächst wird jedes Jahr zur Wahl die altbekannte „links-rechts”-Schablone über die verschiedenen Meinungen gelegt. Dann wird festgestellt, dass es sowohl „links” als auch „rechts” von ihnen abweichende Positionen gibt. Diese erscheinen dann alle als gegensätzliche Ideologeme. Da die ADFlerInnen sich irgendwo in der Mitte verorten, nehmen sie an, dass sie hierbei die „neutralste” und damit „unideologischste” Position einnehmen. Auch hier wieder ein einfacher, aber gefährlicher Denkfehler:
Die simple Erkenntnis, dass Meinungen und Ansichten vor einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext entstehen, zeigt die Lächerlichkeit dieses Schemas: Was es heißt, „unideologisch” oder „in der Mitte” zu stehen, hängt sehr stark davon ab, wie „Mitte” definiert wird. Da dies von der Gesellschaftsstruktur abhängt, wandelt sich dieser Begriff. In der NS-Zeit z.B. wäre nach dieser Logik all das „ideologisch” gewesen, was nicht völkisch, antisemitisch, rassistisch, sexistisch, nationalistisch etc. ist. Das ist eine logische Konsequenz aus diesem Schema, die mit Sicherheit auch die ADF nicht bewusst vertreten wollen würde.
Die ADF stellt die Sache hier auf den Kopf: Ihr „Durchschnitt” von Meinungen ist gerade dadurch, dass er eben zunächst aus der Perspektive einer bestimmten Gesellschaft blickt, tendenziell ideologisch. Mitunter kann die „radikalste” Abweichung, die gerade diese Gesellschaft und ihre Ideologie in die Kritik nimmt, bestimmte Ideologeme als solche entschlüsselt haben. Selbstverständlich reicht Abweichung von der Mitte dafür niemals aus: Andersherum kann eine extreme „Abweichung” von der Mitte auch eine krasse Pervertierung der Ideologie dieser Gesellschaftsform sein. Ein Beispiel hierfür ist der aktuelle Rechtsextremismus, der den ohnehin schon vorhandenen staatlichen Rassismus nur noch krasser formuliert und ihn verstärken will.
Zur sogenannten Sachpolitik
Um sich als „objektiv” und ohne jede „ideologische Einfärbung” zu gerieren, kommt bei der ADF noch ihr technokratisches Selbstverständnis, sie sei „sachorientiert” hinzu. In diesem Verständnis ist Politik nicht das Aushandeln und die Kritik von verschiedenen Meinungen und Positionen, oder ein Ort, an dem verschiedene Interessen aufeinander treffen. Es geht vielmehr darum, die scheinbar eindeutig und einheitlich bestimmbaren Interessen der Studierenden bestmöglich und „vernünftig” zu verwalten – selbstverständlich im Rahmen der „Hochschulpolitik”, wie bereits oben diskutiert wurde.
Diese Sachpolitik ist aber nur insofern „neutral”, als sie sich neutral zu den gegebenen Rahmenbedingungen verhält. „Rational” und „sachorientiert” kann in diesem Sinne eine Handlung innerhalb dieses gesetzten Rahmens erscheinen, die an sich völlig irrational sein kann. Am Beispiel der Angriffe auf die drei Sowi-Fächer wird dies deutlich: Die ADF kann Herrn von Figura vehement dafür kritisieren, dass er an diesen Fächern kürzen möchte. Ohne aber den Rahmen der Uni-Göttingen zu verlassen kann keine Kritik daran formuliert werden, dass überhaupt gekürzt wird. Die „Sache”, die die TechnokratInnen der ADF behandeln ist daher nicht „Kürzen an der Sowi-Fakultät” an sich, sondern „Kürzen an der Sowi-Fakultät im Rahmen der vorausgesetzten Kürzungslogik”.
Die logische Folge wären „konstruktive” Gegenvorschläge, die an anderer Stelle Kürzungen vorschlagen. Und genau an dieser Stelle schlägt die Verwaltung des studentischen Interesses in ihr Gegenteil um: Die Gegenvorschläge richten sich plötzlich selbst gegen die Interessen der Studierenden. Die „neutrale” Position bekommt eine Schlagseite: Die Kürzungslogik wird gar nicht erst hinterfragt und entzieht sich jeder Kritik. Die „unideologische” Sachverwaltung selbst produzieren sich ideologische Scheuklappen: Wer kein Finanzierungskonzept vorlegen kann, wer also nicht positiv sich zu allen bestehenden gesellschaftlichen Strukturen wie der Kürzungslogik positioniert, argumentiert scheinbar „an der Sache vorbei”. Wer eine weitergehende Kritik formuliert wird „unseriös” und darf als PartnerIn im Protest nicht vorkommen4. In diesem Sinne verkehrt sich der Anspruch des „Unpolitischen” zum Exerzieren einer bestimmten Politik an der Uni, die sich aus den immer vorausgesetzten Prämissen der Politik außerhalb ergibt. In diesem Sinne könnte die ADF auch als idealistisch bezeichnet werden: Allein durch das Aussprechen der Begriffe ihres Selbstverständnisses (unpolitisch, neutral, unideologisch usw.) wähnen sie sich aus dem Schneider. Diese Begriffe beinhalten aber ihrer eigenen Logik zufolge das Gegenteil ihres ideellen Anspruchs, den die ADF daher auf dieser Grundlage nie einlösen können wird5.
Für einen basisdemokratischen AStA
In Zeiten, in denen die Bildung und der studentische Lebensalltag durch Studiengebühren, minimalistische und vereinheitlichte Bachelor-Master-Studiengänge, autokratische Umstrukturierungen an der Uni (»starker Präsident«), Kürzungsprogramme, Fächerschließungen, mögliche Abschaffung der studentischen Selbstverwaltung, Abschaffung des Bafög usw. usf. unter starken Beschuss steht, braucht es eine starke und handlungsfähige Studierenden-Politik. Der momentane AStA konnte dies nur bedingt leisten. Daher braucht es eine starke, basisdemokratische, emanzipatorische, ideologiekritische und politische Selbstorganisation der Studierenden im AStA mit dem Basisdemokratischen Bündnis.
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1) vgl. dazu auch „Studiengebühren bereits vor der Einführung ein voller Erfolg”
2) Diese These kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Zum näheren Verständnis vgl. „Money makes the world go round”
3) vgl. dazu „Studiengebühren oder: Warum es keine Hochschulpolitik gibt”
4)Z.b. rief die ADF in ihrer Publikation „der Wadenbeißer” zum Boykott der Norddemo in Bremen auf, da weitergehende Positionen vertreten wurden, die einen Protest mit anderen von der Kürzungslogik betroffenen Gruppen möglich machten
5)Klar ist, dass die ADF diese Widersprüche in solch offensichtlicher Form nicht so eindeutig produzieren kann, wenn sie glaubwürdig bleiben möchte. Punktuell sah sie sich daher genötigt, ihren eigenen Anspruch aufzugeben, um z.B. gegen Studiengebühren landespolitisch argumentieren zu können. Auch hier selbstverständlich nur so weit als nötig: Dass gekürzt wird war nie Gegenstand ihrer Kritik, immer nur gebrochene Versprechen von LandespolitkerInnen, die Hochschulen davon eher zu verschonen.