Rede zur Bildungsstreikdemo

Wir sind Schüler_innen, Studierende, Auszubildende, Reinigungskräfte, Angestellte des Klinikums oder arbeiten im Mittelbau der Universität. Auf den ersten Blick haben wir wenig gemeinsam, doch uns verbindet mehr als viele von uns glauben mögen.

Studierende sehen sich aktuell mit einer Situation konfrontiert, die geprägt ist durch enorm hohe Stundenzahlen, ständige Prüfungen, weitgehend vorgegebene Bildungsinhalte sowie massive Disziplinierung durch Studiengebühren, Bafög-Amt, Konkurrenzdruck und geringe Durchlassquoten zu den Masterstudiengängen.

Für selbstbestimmte Bildung als Teil der Persönlichkeitsentwicklung ist hier offensichtlich kein Platz, alle ökonomisch nicht verwertbaren Elemente wurden eliminiert. Produziert werden soll hier ein bestimmter Typ von Arbeitskräften – hochgradig belastbar, zielfixiert und in der Lage, klar definierte Aufgaben schnell auszuführen. (An Kreativität und der Fähigkeit zur eigenständigen Auseinandersetzung

mit Inhalten, also Studienbestandteilen, die erst im Master verstärkt enthalten sind, scheint momentan nur begrenzter Bedarf zu bestehen.)

Diese Entwicklungen an den Unis werden nicht zu Unrecht als Verschulung des Studiums bezeichnet. Das hier Beschriebene dürfte den meisten Schüler_innen bekannt vorkommen, ganz zu schweigen von Auszubildenden, bei denen die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten sich ganz offen ausschließlich am Kriterium wirtschaftlicher Nutzbarkeit orientiert. Der sich kontinuierlich verschärfende Druck an den Schulen – das Turbo-Abi ist hier nur das prominenteste Beispiel – erzeugt genau jene disziplinierten und autoritären Charaktere, die für die meisten Unternehmen unersätzlich sind. Gleichzeitig verstärken die aktuellen Reformen – sowohl an den Schulen als auch an den Unis - Tendenzen, die dem Bildungssystem ohnehin immanent sind: Die soziale Auslese nimmt weiter zu. Darüber, wer Zugang zu welcher Form von Bildung erhält, entscheiden nicht etwa individuelle Fähigkeiten – wie manche_r Student_in sich möglicherweise einbilden mag – sondern im Wesentlichen die soziale Herkunft. Bildung im Kapitalismus ist immer auch Klassenbildung. Darüber hinaus werden Frauen besonders benachteiligt. Wer Erziehungs- oder Betreuungsarbeit leistet - Aufgaben, die immer noch ganz überwiegend auf Frauen abgewälzt werden – hat unter den neuen Bedingungen

erst recht kaum noch Chancen.

Die Vermittlung der in immer größerem Maße standardisierten Inhalte fällt an den Universitäten einem zunehmend prekär beschäftigten Mittelbau zu. Kurzfristige Verträge, eine hohe Arbeitsbelastung und miese Entlohnung - offenbar hat die inzwischen fast wie ein Unternehmen organisierte Stiftungsuniversität Einsparpotentiale entdeckt. Mindestens ebenso betroffen sind von den Kürzungen allerdings Bereiche, die in der uniinternen Hierarchie ganz unten stehen, z.B. Reinigungskräfte und Beschäftigte am Klinikum. Outsourcing, mehr Arbeit für weniger Lohn, das Unterlaufen der Tarifverträge sowie Erpressungsversuche durch die Betriebsleitung sind nur einige der Probleme, mit denen die Betroffenen aktuell konfrontiert sind.

Wenn wir Verschlechterungen in den verschiedensten Sektoren feststellen, so tun wir dies in dem Wissen, dass unsere Situation zuvor eine andere war. Weit davon entfernt uns zufrieden zu stellen, war unsere Entlohnung besser und unsere Bildungsmöglichkeiten waren vielfältiger als sie es heute sind. Verbesserungen wurden aber auch früher nicht freiwillig gewährt, sondern von uns erzwungen. In Zeiten, in denen wir schwach und unorganisiert erscheinen, sollen sie uns wieder genommen werden. Neue Kraft gewinnen, eine starke und durchsetzungsfähige Bewegung werden, können wir aber nur, wenn wir uns nicht voneinander isolieren, uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern stattdessen gemeinsam agieren.

Der Kampf um unsere Lebens-, Arbeits-, und Lernbedingungen beginnt nicht in einer fernen Zukunft, sondern im Hier und Jetzt. Wir werden kämpfen für höhere Löhne, weniger Arbeit, eine für alle zugängliche und selbstbestimmtere Bildung ... Wir werden dabei aber nie vergessen, dass das Erreichte begrenzt sein wird, unsere Erfolge fragil und das Ganze nur ein schwacher Vorschein des besseren Lebens, solange wir dem Problem nicht an die Wurzel gehen. Wir werden nie vergessen, dass der Kapitalismus und diese Gesellschaft uns letztlich nichts zu bieten haben.

Erschienen am: 18.06.2009 zuletzt aktualisiert: 18.06.2009 15:16 AutorIn: email-address