Kämpfe um Freiräume

Einer der wohl massivsten Einschnitte in das Leben der Studierenden dürfte momentan die Umstellung auf den Bachelor-Studiengang darstellen. Dieser tilgt Freiräume, die das Studium bis dato geboten hat in einem lange nicht erlebten Ausmaß und entsorgt letzte Nieschen zur Auseinandersetzung mit kritischer Wissenschaft. Aber auch an vielen anderen Baustellen arbeitet die selbsternannte Business-Uni daran, sich der letzten Reste studentischer Freiräume zu entledigen, die womöglich darauf hinweisen könnten, die Uni sei etwas anderes, als eine Fabrik zur Produktion arbeitsmarktgerechten „Menschenmaterials“.

Angriff und Rückzug

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Lang zog sich der Prozess hin und stieß kaum auf Gegenwehr: Die Uni in Göttingen hat ihren Campus in den letzten Jahren freie Plakatierflächen entsorgt oder diese mit Reglementierungen überzogen. Das Studentenwerk zog mit und erschwert zunehmend das Verteilen von Zeitungen und Flugblättern1. Seit dem Brand des Oeconomicum ist auch der seit Jahren meist genutzte Ort für Organisierung von studentischem Protest und zur freien Gestaltung des Zusammenlebens verschwunden: Das Café Kollabs2. Die Kündigung erster selbstverwalteter Wohnprojekte verlief ebenfalls recht lautlos3.

All dies konnte ohne ernstzunehmende Gegenwehr durchgesetzt werden. Wenig verwunderlich, erregt doch gesamtgesellschaftlich der Angriff auf Freiräume kaum mehr die Gemüter. Einzigst eine Woche während der Proteste um die Kürzungen an der Sowi-Fakultät ergriffen einige Studierende die Initiative, und plakatierten das Oec so vehement zu, dass das Plakatierverbot nicht weiter duchgesetzt werden konnte. Als die Proteste jedoch vorüber waren, konnte sich die Verwaltung aber gegenüber den verbliebenden paar linken Plakatierer_innen ohne weiteres durchsetzen. Die Gegenwehr beim Kollabs fiel schon deswegen milde aus, da allein schon eine Solidarisierung vor dem Hintergrund vieler kursierender Falsch- und Halbwahrheiten über die Brandursache vielen fragwürdig schien.

Außerhalb der Uni ist die letzte spürbare Kampagne schon einige Jahre her: 2003, ein Jahr vor der Spaltung der Autonomen Antifa [m], konnte die Gruppe eine stadtweit kaum übersehbare Gegenkampagne zu Kommerzialiserungsplänen der Innenstadt gegen den damaligen Oberbürgermeister Danielowksi auf die Beine stellen. "Danielowski muss sauberer werden" konterten sie damals dem Bürgermeister, der mit "Göttingen muss sauberer werden" nicht nur das Ansehen von Mülleimern steigern wollte, sondern auch unliebsame Menschen, die entweder nicht kaufkräftig genug, oder dem Image einer unbehelligt von den Nebenwirkungen kapitalistischer Vergesellschaftung strahlenden Konsummeile schaden könnte, gern aus dem Stadtbild entfernt sehen wollte.4

Alles hat ein Ende...

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Widerstand schien kaum noch jemand zu erwarten. Gleich zwei Ende letztes Semesters gestartete Kampagnen könnten das jedoch gehörig ändern: Kurz nachdem öffentlich wurde, dass das Studentenwerk plant, sämtliche verbliebenen Wohnprojekte, die durch kollektive Verträge das Zusammenleben in den Wohnheimen bisher selbst organisieren konnten, zu kündigen, haben sie viele der Bewohner_innen zur "Here to stay"-Kampagne zusammen geschlossen, die die Wohnprojekte vehement zu verteidigen angekündigt hat.5 Kundgebungen in den Mensen des Studentenwerks boten den Auftakt, der dem Gegenüber klar machen sollte, dass diesmal kein leiser Abgang zu erwarten ist. Am 11. August machten sie mit einer ersten Demo Dampf. Die vielen T-Shirts mit dem "Here to stay"-Logo, die überall in der Stadt zu sehen sind, verweisen darauf, dass sich die Kampagne einen großen Kreis von Unterstützer_innen sicher sein kann. Inzwischen hat das Studiwerk kalte Füße bekommen und ist zu ersten Verhandlungen und Zugeständnissen bereit. (mehr Info: www.heretostay.de)

Auch an der Uni wird nun wohl ernst gemacht: Spätestens mit der dreisten Kündigung des Café Kollabs riss bereits so manchen der Geduldsfaden. Stieß der Fachschaftrat Sowi bei Verhandlungsversuchen noch auf taube Ohren und arrogante Ausreden ("Im Moment steht kein Raum zur Verfügung"), kamen schon damals von einigen ehemaligen Nutzer_innen des Raums erste Drohungen auf, notfalls mittels Besetzungen den Raum zurück zu erobern. Außer Briefen und Flugblättern ist jedoch bisher nicht viel passiert. Num wollen Studierende mit einer Kampagne ihrem Unmut über diese Entwicklungen an der Uni endlich angemessenen Ausdruck verschaffen.

Dessen aus PC-Tastatur-Tasten zusammengesetzes Logo "delete.control - enter space" versteht die Kampagne zum Einen als Ausdruck von Gegenwehr gegen den Angriff auf die letzten Reste von Selbstbestimmung im Studium: Gegen den Auswirkungen des Bachelor, der die Kontrolle über Studiendauer und den Stundenplan nimmt, wie gegen den erhöhte Druck durch jegliche Form von Studiengebühren, als auch gegen die konkreten Angriffe auf selbstverwaltete Räume und die Möglichkeit, die Umgebung in der man studiert, zu gestalten und zu nutzen. Diesem Generalangriff auf ein Bildungsverständnis, dass die Entfaltung des Individuums in den Mittelpunkt stellt, wollen sie zum anderen aber nicht nur entgegentreten: Im Kampf um "Freiräume & Emanzipation" deutet der Name der Kampagne bereits an, dass es viel "Space" an der Uni anzueignen gibt, der über die verlorenen Reste ehemaliger Selbstverwaltung der Studierenden weit hinaus geht. (mehr Infos: deletecontrol.blogsport.de)

Damit dürfte klar sein, dass dieses Semester trotz Winter ein heißes werden wird. Während globalere Proteste, wie etwa gegen Kürzungen und Studiengebühren, trotz allem im Nachhinein eher wie Stolpersteine gegen die Ausweitung von Kontroll- und Disziplinierungswerkzeugen wirken, bieten die bevorstehenden Auseinandersetzungen Ansatzpunkte für konkrete Erfolge vor Ort. Das Studiwerk ist bereits am zurückrudern und bietet Verhandlungen an. Die Uni hingegen ist noch sehr verhalten. Wir dürfen gespannt sein, wie sicher sich Uni-Verwaltung und Studiwerk im weiteren Verlauf wiegen werden. Eines dürfte jedoch jetzt schon klar sein: Stummer Abzug mit seichtem Protest in der Fußnote wird diesmal nicht das einzige sein, was an Gegenwehr zu spüren sein wird.


1) vgl. "Schöne saubere Uni"

2) Vgl. "Gelegenheit macht Diebe"

3) vgl. "Niemand hat die Absicht..."

4) vgl. AAM Kampagnenarchiv

5) vgl. "Studentenwerk droht den selbstverwalteten Häusern"

Erschienen am: 03.12.2007 zuletzt aktualisiert: 12.10.2009 22:37 AutorIn: email-address