Interview: Repressionen auf Demos und Gegenstrategien

Im Zuge der Spontandemonstration nach der Räumung des besetzten Raumes MZG 1140 kam es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen der Polizei. Zum Thema Repression in und um Demos herum haben wir ein Interview mit einer Aktivistin aus dem Basisgruppenspektrum geführt.

BB: Hallo, du warst auf der bundesweiten Demonstration in Hamburg am 15.12.2007. Diese Demo richtete sich unter dem Motto ‘Out of Control‘ gegen zunehmende Repression von Seiten des Staates gegenüber emanzipatorischen Bestrebungen. Entstanden ist dort daraus das gleichnamige Demokonzept ‘Out of Control‘. Worin bestand der Bedarf danach und was beinhaltet es?

A: Das Motto der Demo war auch in der Praxis so umzusetzen: ‘Out of Control‘. Also das Konzept beinhaltet, dass Kleingruppen auch außerhalb der Demo Aktionen machen und das die Demo in einem großen Block läuft, also dass es aufgeteilt ist in zwei Aktionsformen. Das ist eine Reaktion darauf,dass Demos im Normalfall von einem Wanderkessel umgeben werden und deshalb die Inhalte nicht nach außen getragen werden können.

BB: Welche Mittel und Strategien hat die Polizei, um unliebsame Demos sowohl im Vorfeld als auch währenddessen zu kriminalisieren, die so ein Konzept notwendig machen?

A: Im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm gab es zum Beispiel viele Hausdurchsuchungen und danach mittels eines §129a-Verfahrens gegen vermeintliche Aktivist_innen der „Militanten Gruppe“. Das wurde auch bei den anderen Demos spürbar. Die Repression ist einfach stärker geworden, also nicht nur die Hausdurchsuchungen, sondern auch was drumherum passiert ist. Das Nehmen von Geruchsproben, das ‘präventive‘ Erstellen von Fingerabdrücken und die Einführung von Gummigeschossen. Im Vorfeld werden Demos auch durch Vorkontrollen kriminalisiert. Wenn man seinen Perso nicht vorzeigen kann, dann wird man auf die Wache mitgenommen und kann ‘zufällig‘ nicht an der Demo teilnehmen. Meist sitzt man dann zwei oder drei Stunden ohne Rechtsgrundlage auf der Wache. Auf den Demos selbst wird die ganze Zeit gefilmt, obwohl das eigentlich nur erlaubt ist, wenn ein zwingender Verdacht auf eine Straftat besteht. Dagegen hat man aber kaum etwas in der Hand – sie tun das einfach jedes mal wieder.

BB: Du hast vorhin von Wanderkessel gesprochen, was bedeutet denn das genau?

A: Die ganze Demo ist umgeben von mehreren Spalieren (Polizist_innen), die so dicht aneinander gehen, dass man weder rein noch raus kommt. Die Inhalte können so nicht transportiert werden, da die Demo so abgeschirmt ist. Weder Transparente können gelesen noch Sprechchöre gehört werden. Außerdem wirkt es sehr gewalttätig für Außenstehende, wenn so viel Polizei anwesend ist. Selbst wenn die Demo friedlich ist und sein soll, wird so ein Eindruck von Gewalttätigkeit vermittelt.

BB: Du hast vorhin auch von Kleingruppen gesprochen, die bei der „out of control“-Demo herum agieren sollten. Was hat es mit diesen Kleingruppen auf sich?

A: Erstmal können so wieder Inhalte nach außen getragen werden. Flyer können verteilt oder Transparente nach außen gezeigt werden was ja so erstmal durch drei Reihen Polizei nicht möglich wäre. Entscheidend ist, dass die Demo unkontrollierbar wird, dass sie macht, was sie möchte und nicht, was die Polizei sagt. Dass sie sich der Gewalt, die von außen auf die Demonstration wirkt, verweigert und sie unwirksam macht.

BB: Würdest du sagen, dass das Konzept in Hamburg funktioniert hat? Wenn nicht, was ist schief gegangen?

A: Der Wanderkessel war wieder da, und das nicht zu knapp (über 2000 Polizist_innen waren an dem Tag im Einsatz - Anm. d. Redaktion). Die Demo wurde frühzeitig aufgelöst, weil die Gewalttätigkeit von Seiten der Polizei einfach zu massiv war, so dass sich die Demo oft gespalten hat. Es war zum Beispiel so, dass die Polizei in die Demo rein gegangen ist und willkürlich Leute verprügelt hat.

BB: Im Rahmen von der Spontandemo nach der Räumung des MZG 1140 war auch die Rede vom Konzept ‘Out of Control‘, insofern als dass die Demo tatsächlich nicht von der Polizei gestoppt werden konnte Stimmt das?

A: Also die Demo hat das Konzept auf jeden Fall erfüllt, weil es unterschiedliche Demoteile gab. Wenn auf der einen Seite gekesselt wurde, hat der andere Teil die Reihen von hinten aufgebrochen. Auch weil sie super dynamisch und super flexibel war, weil es eine Spontandemo ohne vorgegebener Route war. Es war so dynamisch, dass die Polizei gar nicht hinterher kam.

BB: Du hast gesagt, dass andere Demoteile von hinten auf die Polizei zukamen, wenn sich ein Kessel gebildet hat, wie kann man sich das so vorstellen?

A: Das lief so ab, dass in Ketten von außen an den Kessel rangegangen worden ist. Wenn dann dort zwei reihen Polizei stehen, gegen die mit genug Leuten entschlossen vorgegangen wird, dann müssen sich die Polizist_innen zurückziehen. Es geht dabei mehr um eine Symbolpolitik in dem Fall. Man zeigt, dass man in der Überzahl ist und, dass sie sich zurück ziehen müssen, weil deutlich ist, dass diese zwei Reihen die Demo auch nicht aufhalten werden.

BB: ...dann kommt vermutlich ein Befehl von der Einsatzleitung, dass sie sich zurückziehen müssen?

A: Ja genau.

BB: Um nochmal auf die Repression zurück zu kommen: Wie sah die denn bei der Spontandemo konkret aus?

A: Zu Beginn der Demo, als sich alle am Gänseliesel gesammelt haben, kamen gleich mehrere Reihen Polizei um die Ecke und haben den Platz zu gestellt. Zu Beginn der Demo wurde mit körperlicher Gewalt gegen die ersten Demoreihen vorgegangen, obwohl deutlich war, dass die Demo friedlich sein sollte. Es wurden Transparente zerrissen, Menschen geschlagen – Während der Demo wurde vorne und hinten dicht gemacht. Am Wilhelmsplatz gab es auch noch eine Hundestaffel. Dort wurde die Demo wieder eingekesselt und versucht, sie zum aufzulösen zu zwingen.

BB: Man hört auch öfters von Repression nach Demos. Kennst du Beispiele oder Fälle diesbezüglich?

A: Also während der ganzen Demo wurde gefilmt. Und ich habe auch davon gehört, dass eine Person willkürlich herausgegriffen wurde und dadurch auch eine Strafanzeige bekommen hat.

BB: Wie ist es für dich als Aktivistin von diesen Repressionen betroffen zu sein?

A: Erstmal ist die körperliche Gewalt auf einer Demo nicht besonders angenehm. Auch das Gefühl von vornherein kriminalisiert und die ganze Zeit gefilmt zu werden. Dadurch wird dann auch der Handlungsspielraum erfolgreich eingeschränkt, da man das Gefühl haben muss, die ganze Zeit kontrolliert zu werden. Dabei gehts nicht einfach um „illegale“ Aktionen – schon alleine das Demonstrieren bekommt den Flair von etwas Illegalem. Auf Demos selbst steht man in solchen Fällen stark unter Druck. Man will nicht der staatlichen Gewalt ausgesetzt sein, aber auch anderen Leuten helfen, wenn die Polizei übergriffig wird. Die Privatsphäre wird weitestgehend aufgelöst, sowohl während der Demo also auch im Vorfeld: das fängt beim Abhören an, beinhaltet Internetprotokolle, und führt zur kompletten Transparenz der Alltags.

BB: Was bedeuten das für politische Inhalte, die bei solchen Demos nach außen getragen werden sollen?

A: Es ist einfach traurig zu sehen, dass Leute kaum etwas mitbekommen. Eine Demo ist schließlich dazu da, den Leuten drum herum zu zeigen, warum man auf die Straße geht. Wenn dabei von vorn herein ein so martialisches Polizeiaufgebot die Demo einschließt, dass nichts nach außen kommen kann – oder nur das Bild einer gewalttätigen Demo – ist ein neues Konzept notwendig, um Inhalte in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Repression verhindert, dass sich Leute der Demo anschließen, weil sie von vornherein kriminalisisiert werden oder einfach nur Angst vor‘m Demonstrieren bekommen.

BB: Was kannst du dir vorstellen, wie Demos mit anderem Konzept in Zukunft ablaufen werden?

A: Also Spontandemos sind an sich was anderes, da sie dynamischer sind und sich spontan für die Route entschieden wird. Dadurch sind sie ohnehin weniger von der Polizei abhängig. Ich finde, dass das ‘out of control‘-Konzept sehr gut und auch notwendig ist. Aber die Durchführung muss noch verbessert werden: Es muss mehr Absprachen geben und sich eine Organisationsstruktur etablieren, an der man sich grob orientieren kann. Wanderkessel geht jedenfalls einfach gar nicht mehr.

BB: Letzte Frage: Würdest du sagen, dass die Repressionen gegenüber emanzipatorischen Projekten in letzter Zeit zugenommen haben oder waren sie schon immer auf diesem Niveau?

A: Es hat auf jeden Fall zugenommen. Die Maßnahmen werden immer extremer und krasser und greifen immer mehr in die Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte ein. Eine kritische Öffentlichkeit dagegen gibt es kaum noch. Protest wird zwar schwieriger, ist und bleibt gerade deswegen aber unbedingt notwendig.

BB: Danke für das Interview.

A: Bitteschön.

Erschienen am: 16.04.2008 AutorIn: email-address