Abschiebung ins Elend

Seit über fünf Jahren betreiben die Ausländerbehörden der Landkreise Northeim und Hildesheim die Abschiebung von libanesischen Bürgerkriegsflüchtlingen in die Türkei. Grundlage hierfür ist ein rechtliches Konstrukt, das in seiner Absurdität nur von deutschen Behörden kreiert werden konnte.

Die arabische Minderheit der Mahalmi, der diese Flüchtlinge angehören, ist in den 1920er Jahren aus der Türkei in den Libanon ausgewandert. Dort lebte sie seitdem weitestgehend ohne Ausweispapiere. Auf Grund des türkischen Staatsbürgerrechts sind sie jedoch in der Türkei registriert und teilweise formal türkische Staatsbürger. Oft ohne ihr eigenes Wissen. Das wird ihnen nun jedoch zum Verhängnis. Während des libanesischen Bürgerkriegs in den 1980er Jahren flohen mehrere tausend dieser arabisch sprechenden Minderheit aus dem Libanon. Viele von ihnen nach Deutschland. Da die deutschen Ausländerbehörden sie nicht in den Libanon abschieben können, bemühen sie sich seit einigen Jahren, diesen Flüchtlingen über die besagten Register eine türkische Identität zu verschaffen, um sie in die Türkei abzuschieben. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie weder Türkisch sprechen, noch türkische Namen haben. Statt dessen wird z.B. die Familie Salame durch einen bürokratischen Federstrich zur Familie Önder erklärt. Damit setzt man in Deutschland die Politik der Zwangstürkisierung, die in der Türkei unter Einfluss eines radikalen Nationalismus praktiziert wurde, fort.

Seit zwei Monaten hat dieser bürokratische Zynismus ein neues Opfer. An diesem Fall wird wie unter einem Brennglas deutlich, was die deutsche Abschiebepraxis für die, die von ihr betroffen sind, bedeuten kann. Am 10. Februar wurde Gasele Salame unter dem Namen Gasali Önder zusammen mit ihrer einjährigen Tochter Schams in die Türkei abgeschoben. Die 24 Jahre alte Frau lebte seit 17 Jahren in Deutschland und spricht wie fast alle Betroffenen kein Türkisch, sondern lediglich Arabisch und Deutsch. Sie ist Mutter von drei Kindern und im dritten Monat schwanger. Ihren Mann und zwei ihrer Kinder – sieben und acht Jahre alt – musste sie in Deutschland zurücklassen.

Nur durch Glück fand sie Aufnahme bei einer arabisch sprechenden Familie. Seitdem lebt sie in einem Armenviertel der türkischen Millionenstadt Izmir. Zwar konnte die Familie sie aufnehmen, sie ist jedoch zu arm, um die schwangere Frau und ihr Kind angemessen versorgen zu können. Ein Sozialsystem gibt es in der Türkei praktisch nicht. Die Wände des Hauses sind mit Schimmel überzogen, es gibt lediglich einen beheizbaren Raum, der aus Kostengründen ebenfalls nicht ständig warm gehalten werden kann. Das Zimmer zum Schlafen muss sie sich mit mehreren Frauen teilen. Eine Matratze gibt es für sie nicht. Nachdem ihr letztes Geld von zu Hause aufgebraucht ist, hat sie keines mehr für Medikamente. Die braucht sie aber, da sie an einer Schilddrüsenstörung leidet und ihr Kind Asthma hat, das sich unter diesen Lebensbedingungen weiter verschlimmert hat.

Für eine angemessene Begleitung ihrer Schwangerschaft durch einen Arzt fehlt ebenfalls das Geld. Das Essen, das ihr die Familie zur Verfügung stellen kann – meist ein wenig Reis pro Tag – ist zu wenig und zu einseitig, um die Schwangerschaft unbeschadet zu überstehen. Da sie kein Türkisch spricht, ist sie nicht in der Lage, selbständig ihr Leben zu organisieren. Verstärkt wird dies durch den Verlust ihrer vertrauten Umgebung, ihrer Kinder und ihres Mannes. Sie leidet unter Schwindelanfällen, chronischen Kopfschmerzen und starken Depressionen.

Vor dem Hintergrund dieser Bedingungen ist es kein Wunder, dass Gasele vor allem darum kämpft wieder nach Deutschland zurück zu kehren, wo sie sich zu Hause fühlt und wo ihr Mann und ihre Kinder sind.

Gasele ist leider kein Einzelfall. Jahr für Jahr werden 50 000 Menschen gegen ihren Willen aus Deutschland abgeschoben. Hinter dieser ungeheuren Zahl verbirgt sich eine Vielzahl solcher und ähnlicher Geschichten, deren Themen jedoch häufig die selben sind: Traumatisierung, Perspektivlosigkeit und eine staatliche Politik, wie sie nur gegenüber gesellschaftlichen Gruppen möglich ist, die ohnehin schon von der „demokratischen Öffentlichkeit“ ausgegrenzt sind. Deshalb sollte es sich von allein verstehen, das dieser staatlichen Politik das Handwerk so schwer wie möglich gemacht werden sollte.

Eine kleine Geschmacklosigkeit am Schluss: Es gibt Organisationen, die sich für die Unterstützung von Flüchtlingen einsetzen. Eine davon ist der Niedersächsische Flüchtlingsrat. Der Asta aus ADF und RCDS hat nun beschlossen aus diesem Verband auszutreten. Für den RCDS versteht sich das von selbst, erschwert dieser doch die zum Teil die Arbeit ihrer Mutterpartei CDU. Auch für die ADF ist das nur konsequent. Deutsche Studierende sind von dieser Politik selten betroffen. Verantwortungsbewusstsein sieht jedoch anders aus.

Erschienen am: 18.04.2005 AutorIn: duruti AT gmx.de, BG Geschichte