Zur Kritik der unfreien Freizeit

Teil 1

Die Freizeit spielt eine immer wichtigere Rolle in der bürgerlichen Gesellschaft. Doch welche Funktion kommt ihr heute zu? Wie kann es sein, dass in der vermeintlichen Vielfalt, die die moderne Gesellschaft angeblich ausmacht, ein so großer Teil unseres Alltags einfach gleichgeschaltet ist? Bei dieser Analyse handelt es sich vor allem um eine Einführung in diese Thematik. Darüber hinaus soll gebrochen werden mit bestimmten Wahrnehmungen und Konzeptionen, die das heutige Denken prägen. Einerseits gilt es festzustellen, dass die Freizeit nicht als isoliertes Element betrachtet werden kann. Damit kann sie als solches auch weder als positiv noch als negativ bewertet werden, wenn sie nicht im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse betrachtet wird. Dies also ist der Kern des Textes: Welche Rolle spielt das Konzept der Freizeit? Es folgt eine kurze Darstellung der historischen Entwicklung der Freizeitsphäre, um daraufhin die Funktion der Freizeit zu erforschen.

Zur historischen Entwicklung

Bevor jedoch tatsächlich in die Untersuchung eingestiegen werden kann, muss ein grundlegendes Missverständnis der bürgerlichen Ideologie geklärt werden. Das Konzept der Freizeit ist erst mit der modernen Gesellschaft entstanden, nämlich als Gegenstück zur Arbeitszeit, und war nicht als trans-historisches Element des Menschen immer schon vorhanden. Es macht auch nur dann Sinn, vom Konzept Freizeit zu sprechen und es als konstituierendes Element der Zeit wahrzunehmen, wenn die Arbeit eine durch die Gesellschaft bestimmte Zumutung ist.1 Demzufolge sollte eine historische Bestimmung des Konzeptes Freizeit vollzogen werden. Die Freizeit hat erst Anfang des letzten Jahrhunderts begonnen, sowohl in den Köpfen als auch in den kapitalistischen Institutionen endgültig Fuß zu fassen. Die immer weiter voranschreitende Anhäufung von Reichtum in den 'westlichen ' Gesellschaften, welche durch die historische Entwicklung ermöglicht wurde, führte unter anderem auch dazu, dass die Konsumsphäre nicht nur für immer mehr Menschen in diesen Gesellschaften zugänglicher wurde, sondern auch, dass eben dieser Sphäre eine viel größere Bedeutung zukommt als noch zuvor. Wo Konsum in den Kinderschuhen des Kapitals größtenteils noch den WarenbesitzerInnen vorbehalten war, da veränderte die Situation sich, als die ArbeiterInnenbewegung sich beim Kampf um den Arbeitstag immer weiter durchsetzen konnte. Doch was bedeutet diese Entwicklung für die Subjekte, die gleichzeitig als produzierende ArbeiterInnen und konsumierende Menschen daher kommen? Primär lässt sich eine Grenze feststellen, welche sich durch alle Individuen hindurch zieht, nämlich die Grenze zwischen der Arbeitszeit und der Freizeit.2 Vis-a-vis der Epoche, in der der Unterschied zwischen jener Zeit, die den ArbeiterInnen gehörte, und jener, die sie den KapitalistInnen verkaufen mussten, um zu überleben, und mehr und mehr eine gesellschaftliche Veränderung statt, in der diese Grenze sich klarer ausdifferenzierte.3 Heutzutage lassen sich zweierlei Sachverhalte feststellen. Einerseits scheint die Aufteilung zwischen der Arbeitszeit und der Freizeit perfekt zu sein. Andererseits jedoch muss festgestellt werden, dass mit der wachsenden Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse diese Grenze im Inbegriff ist, sich aufzulösen. Worin liegt jedoch die Funktion der bestehenden Trennung?

Die gesellschaftliche Funktion

„Amüsement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus."4 Sie konstituiert damit keine Anomalie innerhalb der heutigen Verhältnisse. Vielmehr ist sie das dialektische Gegenspiel zur Arbeitszeit. Wo selbst der/die letzte SozialdemokratIn verstanden hat, dass der liberale Schwachsinn, man wäre frei, zumindest nicht auf die bürgerlichen Arbeitsverhältnisse zutrifft, hat eben dieseR noch zu begreifen, dass die Freizeit nicht das Gift für die Jugend ist, dass sie nicht der negative Counterpart, sondern der notwendige Counterpart zur Produktion ist. Sie ist integrierter Bestandteil der Kapitalakkumulation. Konsum und Produktion formen eine Einheit im einzelnen Subjekt, ebenso wie es auf dem Markt der Fall ist. Um nichts anderes handelt es sich, wenn ArbeiterInnen das verkaufen, was als einziges ihnen übrig bleibt, um jenes zu bekommen, was sie zum überleben brauchen. Die Ware Arbeitskraft wird getauscht, um zu konsumieren, was den notwendigen Ausgleich zum 8-Stündigen Arbeitstag bildet. Doch selbst da, wo es keinen Ausgleich mehr bildet, ist sie eine Ablenkung von der Langeweile, die uns täglich umgibt, und den Neurosen, gebildet durch die Widersprüche, die uns täglich durchziehen.5 Es lassen sich also folgende Punkte für die Funktion der Freizeit festhalten. Einerseits ist sie eine Ruhepause, andererseits eine Ablenkung und schließlich ist sie eine wesentliche Kapitalfunktion, nämlich indem sie die Produktion durch den Konsum vollendet.

Die vollkommene Ausdifferenzierung unseres Lebens in dieses bipolare Verhältnis, nämlich Arbeit und Freizeit, geht nicht spurlos an Kunst und Leben vorbei. So stumpf wie die Fabrikgeräusche, so monoton wie die Stimme der ProfessorInnen, so langweilig wie die Tastenklänge der Computer klingen auch die endlos sich wiederholenden Töne aus den Lautsprechern des Kinos, der Fernseher und schlussendlich der eigenen Emotionen. Ich brauche nicht zu bangen, der Star auf dem Bildschirm ist nicht alleine, ich bin nicht alleine. Denn Millionen von Menschen fühlen das gleiche wie ich, wenn er gerade dem Tod entkommt oder wenn die große Liebe ihn anschaut. Wir sind genormt, so auch unsere Gefühle, denn im Äquivalent6 ist kein Raum für Besonderes. Das Allgemeine, die Gleichheit bedingt das Spektakel und wird von ihm bedingt. „Das Spektakel ist nicht ein Ganzes von Bildern, sondern ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen.”7 Wenn Jeannette Biedermann von ihrer großen Liebe singt, wissen alle, dass das bürgerliche Glücksversprechen gemeint ist. Alle wissen was es heißt, weil der historische Prozess der Entfremdung hin zum Immergleichen nichts vom partikularen Glücksempfinden übrig gelassen hat. Ganz im Aufklärerischen Sinn ist alles, was sich nicht verwerten ließ, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunter gebrochen worden. So kam die Liebe in den Verwertungsprozess der Taktmaschine. Nun kann der/die KünstlerIn nicht mehr umhin, als in Klischees zu verfallen, wobei es dann schlussendlich keinen Unterschied mehr macht, ob es sich beim Kunstwerk um eine Produktbeschreibung von Ikea oder um ein Liebeslied handelt.8 Hier lässt sich dann eine weitere Funktionalität der Freizeit festhalten. Denn mit der Normierung, der Gleichsetzung unserer Gefühle und Bedürfnisse, werden wir in unserer Freizeit auf unsere Arbeit vorbereitet.

Eine vorläufige Schlussfolgerung

Wo Freizeit die Grundidee der Freiheit weiter tragen sollte, ist sie nie etwas anderes gewesen, als eine reine Funktion in der warenproduzierenden Gesellschaft. Überall wiederholen sich die immergleichen Prozesse und führen nicht zuletzt dazu, dass die Gleichschaltung der Gesellschaft stattfindet. Bis wir dann feststellen müssen, dass weder die Arbeit, noch die Freizeit uns das Leben bescheren. Eben weil die Arbeit eine Zumutung ist, soll alles, was wir in unserer Freizeit tun, nichts mit dem Arbeitsprozess zu tun haben, welche aber zwangsläufig mit ihm zu tun haben muss. Lästig sind dann Lektüre, die über den Taschenroman hinausgehen, die inhaltliche Debatte und die kreative Tätigkeit. Zum perfekten bipolaren Verhältnis entwickelte sich die produktive zur konsumierenden Tätigkeit. Mundgerecht ist dann, was in der Produktionssphäre zubereitet wurde. Möglichst sollen wir gar noch gefüttert werden. Der Gang zum Fernseher ist schon längst zu anstrengend, um die Unterhaltung auszusuchen. Es soll erzählt werden, keine Rätsel mehr. Die Filme, nichts anderes als die immerwährende Reproduktion dessen, was das Kapital uns vorschreibt. Wert sollen wir schaffen und wieder konsumieren. Denn nur nach dieser Melodie kann die Akkumulation sich vollziehen.

Lest in der nächsten Ausgabe die Fortsetzung mit folgenden Schwerpunkten der Betrachtung: Die Widersprüche und deren Funktion in der Arbeit-Freizeit Dichotomie & Das Politik-(un-)verständnis und die Rolle des Spektakels.

1) Im Begriff der Arbeit ist eben diese gesellschaftliche Vermittlung schon enthalten. Dies wird der Einfachheit halber jedoch hier nicht näher betrachtet.

2) Diese Wahrnehmung lässt sich jedoch größtenteils nur für die weißen, männlichen Subjekte feststellen. Denn wie Roswitha Scholz in ihrem Text 'Die Verwilderung des Patriarchats in der Postmoderne ' schreibt, kommt den Frauen eine doppelte Belastung zuteil. Diese besteht einerseits aus dem Zwang, selbst ArbeiterIn zu sein, und andererseits darin, immer noch dem patriarchalen Verständnis der Hausfrauenrolle zu unterliegen.

3) vgl. Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, Marx-Engels-Werke (MEW) Bd. 23

4) Adorno, Theodor W. Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 1967. S.145

5) Auf die Bestimmung der Widersprüche und deren Funktion für der Arbeit-Freizeit Dichotomie wird in der nächsten Ausgabe eingegangen werden.

6) Das Konzept des Äquivalenz-Tausches wird in Band I des Kapitals von Karl Marx näher untersucht. Ähnlich soll es auch hier verstanden werden insofern, dass das Äquivalent die Gleichsetzung zweier konkret-unterschiedlicher Objekte ist, die nur vermittelt durch die Abstraktion existieren kann.

7) Debord, Guy. Die Gesellschaft des Spektakels. 1967 Paris. S.14

8) Um dem Anspruch der Verwertung entsprechen zu können, müssen die Botschaft und die Identifikationsmomente so abstrakt verhandelt werden, dass sie als normierte Elemente bei den KonsumentInnen ankommen. So die KünstlerInnen denn ihre Text überhaupt noch selber schreiben.

Erschienen am: 08.10.2006 AutorIn: email-address