"Wolf im Schafspelz"

zweiter Teil

In diesem Artikel wird es darum gehen, zu analysieren, was die fein säuberliche Trennung von Arbeitszeit und Freizeit bedeutet für die Form der Politik im Allgemeinen und für die Unipolitik im Besonderen.

Arbeit und Freizeit als bestimmende Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft sind jeweils fremdbestimmte Bereiche. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass die Lohnarbeit das materielle Überleben sichert und darum unter Zwang, durch den Markt vermittelt, verrichtet wird. Die Freizeit jedoch, zwar auch durch den Markt vermittelt, dient der Bedürfnisbefriedigung der einzelnen Menschen. Diese Bedürfnisbefriedigung steht nicht, wie zunächst zu vermuten wäre, unter dem Vorzeichen der Freiheit, sondern obliegt einem Zwang. Es lassen sich nur jene Bedürfnisse befriedigen, welche sich, aus der Perspektive des Marktes, profitabel befriedigen lassen. Dies auch nur dann, wenn die materielle Grundlage für das bedürftige Subjekt, vorhanden ist, um das dafür notwendige Produkt zu kaufen. Ein für diese Analyse wesentlicher Unterschied liegt darin, dass in der Freizeit das Subjekt potenziell nach den eigenen Bedürfnissen leben kann, in der Arbeitszeit von jeglichen Bedürfnissen absehen muss, um dem Arbeitsmarkt und damit dem Produktionsprozess gerecht zu werden. Kurzum: Die Arbeitssphäre wird objektiv wie subjektiv durch die technische Rationalität bestimmt, die Freizeit, unter obengenanntem Zwang, durch das „Eigeninteresse” und dem „selber-setzen” von Zwecken.

Politik als „Interessenvertretung”

So fragwürdig das Projekt der bürgerlichen Gesellschaft war und ist, so sind die von der Aufklärung postulierten Ideale wesentlich angenehmer als die Realität, die mit ihnen legitimiert wird. So ist zum Beispiel die Einforderung der Demokratie, in den Anfängen der bürgerlichen Gesellschaft ganz klar als Befreiung von feudaler und damit zum Teil auch persönlicher Herrschaftsstrukturen zu bewerten.1 Im Ideal der Demokratie, an das auch heute noch die einen oder anderen festhalten wollen, wird ein Politikverständnis formuliert, in dem es darum geht, sich kritisch mit dem Bestehenden auseinander zu setzen, die eigenen Bedürfnisse zu reflektieren und für die tatsächlich bestehenden Interessen einzustehen, die evtl. mit Interessen Anderer in Konflikt geraten. Dem Anspruch nach müssen diese Konflikte unter Ausschluss von direkter Gewalt gelöst werden. Die Ausübung der Gewalt wird durch Staat monopolisiert. Politik bedeutet in diesem Ideal, seine Interessen in der Sphäre der Öffentlichkeit artikulieren und durchzusetzen zu können.

Von diesem Ideal ist jedoch im realexistierenden Politikbetrieb nicht mehr viel zu sehen und es wird auch in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr eingefordert. An seine Stelle ist die abstrakte Norm der Orientierung am so genannten Allgemeinwohl getreten. Jede Selbstbewusste Artikulation der eigenen Interessen wird als asozialer Partikularismus gebrandmarkt.2

Politik als „Lohnarbeit”

Der Grund liegt im gesellschaftlichen Wandel, der Bedingung dafür war, dass die Politik sich von ihren ursächlichen Idealen weg, in die Warenproduktion integriert hat. Wer diese dennoch einfordert, ohne die gesamte Gesellschaft einer grundlegenden Kritik zu unterziehen, stellt recht bald fest, dass die „Deutschen immer nur nörgeln”, oder dass „irgendwas mit der Demokratie nicht stimmt” usw.. Hier wird ein grundsätzlicher Widerspruch deutlich. Demokratie in ihrer parlamentarischen Ausformung steht in einem Konflikt zu den Tendenzen ökonomischer Entwicklung, jedoch nicht in einem einander in Gleichgewicht bringenden Widerspruch, sondern vielmehr in einem unlösbar-arbeitsteiligen Widerspruch. Die ökonomischen Tendenzen beziehen sich im Wesentlichen auf die Verwertung von Kapital, die Durchrationalisierung der Gesellschaft zum Zwecke des Profits. Auf politischer Ebene sieht das anders aus. Zweck der politischen Sphäre in der bürgerlichen Gesellschaft ist gerade die Aufrechterhaltung sozialer Zusammenhänge und die Mäßigung des Ausbeutungsverhältnisses zum Zwecke des langfristigen Erhalts des Standorts. Die Politik wird zur nachträglichen gesellschaftlichen Klammer im Rahmen eines ökonomischen Systems, dass die Einzelnen als konkurrierende Individuen zueinander ins Verhältnis setzt.

Doch ist es ja gerade nicht so, dass der Wunsch nach Konsens zwischen ökonomischen und politischen Interessen auch nur annähernd zustande käme.3 Schon längst ist die politische Sphäre zu einem Arbeitsmarkt unter vielen geworden, auf dem sich die PolitikerInnen nicht deshalb verkaufen, weil sie die Ideale der Politik vertreten möchten, sondern weil sie den Beruf PolitikerIn als veritable Karriereoption verstehen. Obschon sich die Uni-Politik oder Partei-Politik als ehrenamtliche Tätigkeiten geben, dienen sie dem Zweck, die eigene Biografie aufzuwerten um später Karriere zu machen und sich in der Hackordnung des kapitalistischen Konkurrenzkampfes möglichst weit nach oben zu drängen. So zu sehen bei Christian Ziegenhorn (Derzeitiger Finanzreferent des AStA Göttingen), der neben seinem uni-politischen Engagement weiter an seine Berufspolitikkarriere bei der CDU bastelt. So dienen bestimmte Bereiche politischer Tätigkeit der Verbesserung der eigenen „Verwertbarkeit” und liegen somit auf der Schwelle4, andere, wie z.B. „die große Politik”, sind bereits in den Verwertungsprozess eingebunden – nicht zuletzt der Begriff „Berufspolitiker” zeugt von dieser Entwicklung. Hier haben wir es mit einem historischen Prozess zu tun, nämlich der Integration von Politik in Lohnarbeit. Es ist geschehen, was in der bürgerlichen Gesellschaft geschehen musste, die Ausrichtung der Politik nach möglichst technisch-rationalen Kriterien.5

So wie die Produktion einer Ware, die auch in einem möglichst rationalisierten Prozess stattfindet, ist auch die Politik bloß Tätigkeit in einer „Dienstleistungsfabrik”. Diese technisch-rationalen Kriterien bedeuten, dass Grundsätzliches nicht hinterfragt wird, sondern jenes, was von außen angetragen wird, möglichst sachgerecht zu bearbeiten und dieser Ablauf möglichst reibungslos zu gestalten ist.6 Dann bleibt als Kriterium nur noch das Interesse nach einer möglichst rationalen Bearbeitung und es fällt der/dem Einzelnen schwer Interessenkonflikte, die diese Gesellschaft durchziehen, wahrzunehmen. Politische Beschlüsse dienen dem Standort und jene Beschlüsse, die diesem Kriterium nicht stand halten gelten als nicht Realitätstüchtig. Ein einschlägiges Indiz für diese Argumentation ist, dass die PolitikerInnen an ihrer „Handlungsfähigkeit” gemessen werden ohne zu fragen, worin diese Handlungen konkret bestehen. Damit wird die Politik zum bloßen Verwaltungsakt ökonomisch vorgegebener Objektivität. Hier treffen Ideologie und traurige Realität mal wieder aufeinander und bilden einen dynamischen Prozess.

Arbeit, Freizeit und die Service-Ideologie

Oben Beschriebenes ist nicht nur ein praktischer Prozess, der in der Entstehung der EU einen bisherigen Höhepunkt erreicht hat.7 Er ist auch ein Prozess, den die Menschen verinnerlicht haben und tagtäglich unreflektiert reproduzieren. Die ADF ist tatsächlicher ein gutes Beispiel für diese groteske Denkform. Sie sieht sich, wie wir bereits mehrfach gezeigt haben8, nicht in der Lage, Bestehendes zu hinterfragen, sondern kann nur von „außen” an sie Herangetragenes möglichst sachgerecht bearbeiten. Die einzigen Interessen, die erkannt werden, sind die von außen an sie herangetragenen ökonomischen Ansprüche. Diese sind jedoch beides zugleich: Ein Interesse, welches von den einzelnen Subjekten geäußert wird und andererseits ein Interesse, welches die gesellschaftlichen Verhältnisse von den Menschen verlangt.

Wie zeigt sich nun die oben genannte Arbeit-Freizeit Dichotomie in der Uni-Politik und welche Folgen hat diese für die Universität und ihre Studierenden?

Abgesehen davon, dass uns diese Trennung von Geburt an eingeprügelt wird (sei es in der Schule oder in den Anforderungen, die unser soziales Umfeld, sowie die gesellschaftlichen Gegebenheiten an uns stellen), ist es gerade mit der Einführung von Bachelor/Master und Studiengebühren so, dass eine arbeitsähnliche Struktur geschaffen wird. Bachelor/Master treibt die Trennung von „privater Zeit” und von außen bestimmte „Arbeitszeit” in die Uni hinein. Ging es früher noch darum sich Themen selbst zu erarbeiten und unter bestehendem Zwang, Zusammenhänge selbst herzustellen und selbst zu bestimmen, ob dieser oder jener Stoff, dieses oder jenes Seminar mich am meisten interessiert, wird das heute anhand von Pflichtmodulen und überfüllten Stundenplänen für die Studierenden bestimmt. Studiengebühren schaffen dabei die finanzielle Abhängigkeit und sorgen dafür, dass die Studierenden unter einem ähnlichen Leistungsdruck stehen, wie die Menschen am Arbeitsmarkt. Ausgehend von dieser arbeitsähnlichen Struktur, gelten Studierende, wenn sie dann endlich auf den Arbeitsmarkt kommen, als bloß „veredelte Arbeitskraft”. Ja, so sehen sich die Studierenden selbst. Und gerade aus diesen Gegebenheiten wird an der Uni eine ähnliche Politikform betrieben, wie „außerhalb der gutbürgerlichen Seifenblase”9, nämlich eine, die es nicht schafft Bedürfnisse wahr zu nehmen, sondern nur noch Verwaltung zu betreiben. Interessant ist hierbei, dass mit der Umstellung auf die Leistungsbemessung durch Creditpoints, die den „wirklichen” Arbeitsaufwand honorieren sollen, noch die eigentlich selbst zu bestimmende Zeit außerhalb der Seminare, in denen der Stoff eigenständig angeeignet werden soll, normiert werden soll. Nun wird genau festgelegt, wieviel Zeit die Studierenden am heimischen Schreibtisch für das Erlernen von einzelnen Wissenseinheiten benötigen dürfen. Das ist streng genommen kein Rückschritt in schulische Lernformen, sondern ähnelt eher den Strukturen eines Internats.

Welche Perspektive bleibt?

Wesentlichstes Kriterium für die Integration von Politik in Lohnarbeit ist die Verwertbarkeit, sprich entweder die aktive Verwaltung ökonomisch scheinbar-notwendiger Entwicklungen oder der direkte Eingriff in den Produktionsprozess, z.B. durch die Senkung von ArbeitnehmerInnenrechten, um den Standort für Investitionen attraktiv zu machen (Hierzu gehört auch das Eingreifen in den Produktionsprozess, um bestimmten Tendenzen grenzenloser Ausbeutung Einhalt zu gebieten, um somit auf längere Sicht die bestehende Form der Gesellschaft aufrecht zu erhalten: Wie zum Beispiel das Halten einer minimalen Existenzgrundlage für ArbeitnehmerInnen). Um die Perspektive einer diese Strukturen nicht bejahenden und deshalb handlungsfähigen, weil interessen- und bedürfniswahrnehmende Politik aufrecht zu erhalten, muss sie sich bewusst gegen den Verwertungsprozess richten und diesen einer grundlegenden Kritik unterziehen. Sich sowohl praktisch als auch theoretisch gegen bestehende Zumutungen wenden und versuchen bevorstehende Zumutungen abzuwenden. Dies ist nur möglich im Rahmen kontinuierlicher Kritik und Praxis. Eine so verstandene Politik muss sich bewusst von der Form der Politik als Interessenvertretung abwenden und von den einzelnen Subjekten fordern, dass sie sich, als Subjekte, in den politischen Prozess einbringen.


1) Persönliche Herrschaftsstrukturen meint hier, dass es eine Herrschaft einer klar auszumachenden Gruppe gibt, die direkten Einfluss auf die Verhältnisse haben, in denen die Menschen leben. Durch die Vermittlung moderner Herrschaft über den Markt und den Rechtsstaat entfällt das Element der Willkür, das jeder personalen Herrschaft eigen ist.

2) 26 Prozent der Deutschen wünschen sich in diesem Sinne nach einer aktuellen Studie der Friedrich Ebert Stiftung „eine einzige Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert”. Auch die ADF glaubt jede Politik, die nicht die ihre ist, mit dem Vorwurf des Partikularismus abqualifizieren zu können.

3) Vor allem dies ist es, woran viele neo-KeynesianerInnen verzweifeln, wenn sie feststellen, dass ihre pseudo-moralische Instanz (der Staat) eben nicht in der Lage ist, seine Interessen durchzusetzen und damit die Ökonomie nach den eigenen Vorstellungen zu formen.

4) Nach einer Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) an der Uni Hannover geben 60% der gesellschaftlich engagierten Studierenden an, sie sähen in dem Engagement eine Möglichkeit ihre Karrierechancen zu verbessern. Für 53% ist dies die Hauptmotivation. Selbst wenn es also nicht zur/m BerufspolikerIn reicht macht sich so ein Engagement im Lebenslauf ganz gut.

5) Damit verkommt die Forderung nach Reformierung des Systems, je nach Gesellschaftskritik zu einer taktischen, jedoch immer auch perspektivlosen, oder aber naiven Forderung.

6) Rationalität meint hier den beschränkten instrumentellen Zugang zur Gesellschaft und den Mitmenschen unter irrationalen gesellschaftlichen Bedingungen.

7) Die EU wird von der Gründungsidee und der tatsächlichen Funktion her als genau das beschrieben: Es soll eine Politik gemacht werden, die es ermöglicht die Wirtschaft so gut es geht, auf europäischen Niveau voran zu treiben. Der erste Akt war der freie Verkehr von Waren innerhalb der europäischen Grenzen. Die Legitimation lautet: Wenn Nationen wirtschaftlich so sehr voneinander abhängig sind, werden sie wohl kaum so etwas wie den 2ten Weltkrieg wiederholen. Hier werden bloß ökonomische Argumente eingebracht und es wird vollkommen vergessen, welche ideologischen Aspekte noch eine Rolle spielen.

8) Vgl. „Der Schrei nach Gegenaufklärung verhallt nicht ungehört” aus BB-Publikation #9, im Internet unter: www.bb-goettingen.de/475 und „Die Apokalypse erreicht Rosdorf” aus BB-Publikation #11, im Internet unter: www.bb-goettingen.de/669

9) Der Begriff der „Gutbürgerlichen Seifenblase” soll beschreiben, was der AStA als Trennung zwischen Hochschulpolitik und Allgemeinpolitik versteht und „praktiziert”.

Erschienen am: 07.01.2007 zuletzt aktualisiert: 12.10.2009 14:07 AutorIn: email-address