Medien und Manipulation
Oder: Realität ist das, was Du draus machst.
Schon zu Beginn der Proteste in Heiligendamm tauchten Berichte auf, dass die Polizei verdeckte ErmittlerInnen einsetzt, die selber vermummt auftreten, oder sogar als agent provocateur versuchten Angriffe auf die Polizei anzuzetteln. Die Geschichte eines solchen Falls zeigt, was von der massenmedialen Berichterstattung zu halten ist, wenn ein Großteil der veröffentlichten Meinung in den Modus Hofberichterstattung schaltet.
Dies ließe sich an vielen Themen zeigen. Etwa die unkritische Reproduktion des Bildes von Deutschland als Vermittler in den internationalen Konflikten, scheinbar ohne eigene Interessen; oder bei der boulevaresken Aufbereitung des Rahmenprogramms, die jede Berichterstattung über internationale Treffen in Deutschland begleitet. Hier gäbe es einiges zu beschreiben und zu untersuchen. An dieser Stelle soll jedoch nur ein kleiner Ausschnitt gewählt werden. Ein Ausschnitt aus der Berichterstattung über die Protestaktivitäten.
Variante 1
Am Mittwoch den 6.06.07 taucht ab den Mittagsstunden in den meisten Nachrichtensendungen ein Bericht über die Enttarnung eines vermummten Zivilpolizisten auf, der nach Angaben der Protestierenden ProtestteilnehmerInnen zu Straftaten anstiften wollte. Die Polizei streitet zunächst ab, überhaupt ZivilpolizistInnen im Einsatz zu haben. Erst recht würden Polizeibeamte niemanden zu Straftaten auffordern. Inzwischen musste sie zumindest eingestehen, dass es sich bei dem Vermummten um einen Zivilpolizisten handelte. Die Berichte über diesen Vorfall ähneln sich und liefen über alle Kanäle. Bei Spiegel Online heißt es im Video: „dann Aufregung bei der Blockade. Autonome greifen einen vermummten Demonstranten an, sie wollen ihn als Zivilpolizisten erkannt haben”1.
Der Sonderstab der Polizei Kavala erklärt Spiegel-Online „Bremer Demonstranten hätten den Beamten erkannt, angegriffen und gewaltsam aus der Menschenmenge gedrängt.” Es sei dem beherzten Eingreifen der friedlichen G8 GegnerInnen zu verdanken, dass nichts weiter passiert sei. So wird selbst die Enttarnung eines vermummten Polizisten noch als Gelegenheit genutzt die angebliche Spaltung zwischen „den Autonomen” und den „friedlichen Demonstranten” medial zu inszenieren.
Variante 2
Das reichte jedoch den KollegInnen vom Staatsfernsehen und anderen nicht aus. Und so greifen sie einen Tag später wieder auf das selbe Videomaterial zurück. In diesen 24 Stunden hat sich die Szenerie jedoch stark verändert. Über einen Zivilpolizisten weiß man bei „Heute” und in der „Tagesschau” im Gegensatz zur eigenen Berichterstattung vom Vortag nichts. Die Variante bei „Heute” geht wie folgt: Nach einigen Bildern über „bunten und friedlichen” Protest kommt der Schwenk auf eine Auseinandersetzung innerhalb der Demonstrierenden. Obwohl der Bericht vom Donnerstag den 7.06.07 handelt, wird die Szene vom Vortag gezeigt. Kommentar: „Einige Demonstranten versuchen Vermummte aus ihren Reihen abzudrängen. 'Zeig dein Gesicht ', ruft die Menge, die sich offenbar von Gewalttätern distanzieren will.”2
Ähnlich in der Tagesschau. Nach Bildern, die über den Donnerstag berichten sollen, taucht auf einmal die Szene vom Vortag auf. Aus dem Off die Kommentierung: „Mehrere Hundert Demonstranten beteiligten sich seit der Nacht an Straßenblockaden rund um Heiligendamm. Sie wollen bis zum Ende des Gipfels bleiben. In ihren Reihen dulden sie keine Vermummten.”3
Some things have changed
Man sieht: alles nur eine Frage des Blickwinkels. Waren die Attacken auf unseren Vermummten gestern noch von Autonomen ausgegangen, die nur schwer von den friedlichen Demonstrierenden zurück gehalten werden konnten, sehen wir nun friedliche BlockiererInnen, die gemeinsam einen Vermummten aus ihren Reihen entfernen wollen. Aus dem mutmaßlichen Verdeckten Ermittler oder agent provocateur ist über Nacht ein Autonomer geworden, die kleineren Attacken auf ihn, die v.a. darauf zielen sein Gesicht für alle Erkennbar zu machen sind nun ein Akt der Zivilcourage der „Friedlichen Protestierer”. Das Ziel der Übung wird deutlich im Kommentar von „Heute”. Die Menge der Demonstrierenden will sich „offenbar” von „den Gewaltbereiten” distanzieren.
Wie passiert so etwas?
Eine wirklich befriedigende Antwort wird es auf diese Frage vermutlich nie geben. Von vielen wird es wahrscheinlich als Lehrstück über Meinungsmanipulation und „gezielte Desinformation des Bürgers” (Indymedia) verbucht. Jedoch ist zumindest Vorsicht angesagt, dahinter einen bewusst geplant und eingesetzten Propagandatrick zu wittern. Es ist zwar schon auffällig, dass gleich bei mehreren Stationen (mindestens ARD und ZDF) derselbe „Fehler” zur gleichen Zeit passiert, aber die Wahrheit könnte trotzdem etwas banaler sein. Dazu gehört zunächst die schlichte Einsicht, dass JournalistInnen eben nicht objektiv berichten, sondern Informationen produzieren im Sinne dessen, was sie oder ihre AuftraggeberInnen schon im Vorfeld für ein Bild im Kopf hatten. Informationen werden immer im Sinne eines Darstellungsinteresses sowohl gesammelt als auch aufbereitet.
Seit den Auseinandersetzungen von Rostock gehörte zu diesem Darstellungsinteresse eine Isolierung der militanten Kräfte von den „friedlich-kreativen” Protestierenden. Da diese Trennung jedoch für viele von denen, die in der Protestwoche an den direkten Aktionen beteiligt waren, nicht funktioniert, musste man kreativ werden. Die Frankfurter Rundschau (FR) z.B. hatte schon am Montag nach den Auseinandersetzungen das Handtuch geschmissen. Ihre rasenden ReporterInnen konnten keinen Vollzug melden bei der Mission „Suche Abgrenzungserklärungen bei den AktivistInnen”. Im Aktionscamp in Reddelich wollten sich partout keine Menschen finden lassen, die sich von „den Autonomen” distanzieren, berichtet die FR unter dem Titel „Tag der Manöverkritik - Reaktionen von G8-Gegnern und Regierung” (FR, 5.06.07.) Die Süddeutsche Zeitung (SZ) dagegen wurde schließlich doch noch fündig. Ihr Frontberichterstatter weiß, dass die Friedlichen die Autonomen längst isoliert haben und kann davon hautnah berichten: „Die Schwarzen haben seit Beginn der Proteste am meisten von sich reden gemacht. Sie haben die Auftaktdemo in Rostock aufgemischt, 1000 Menschen wurden da verletzt, und als Antwort hat das Bundesverfassungsgericht einen Sternmarsch zum Zaun verboten. Das hat die Autonomen viele Bundesgenossen gekostet. Immer, wenn der Treck der Friedfertigen in den Feldern jetzt über einen Wassergraben muss, packen helfende Hände zu. Immer wenn die Autonomen am Bach stehen, reißt die Kette der Hände ab.” (SZ, 8.6.07)
Diese Geschichte macht das Problem deutlich. Vielleicht ist geschehen, was da berichtet wird. Vielleicht wurden hier, wo der Reporter der SZ vor Ort ist, wirklich „die Autonomen” ausgegrenzt, vielleicht ist aber auch nur eine Bezugsgruppe unter sich geblieben und ist deshalb weiter gezogen, als alle von ihnen über dem Bach waren. Vielleicht ist die Geschichte auch genauso Produkt der Phantasie, wie die Beobachtung auch dem Off, dass sich friedliche Protestierende „offensichtlich” von „den Vermummten” distanzieren wollen, als sie gerade einen Zivilpolizisten aus der Demo schmeißen. Vielleicht ist diese eine Szene die einzige an dem Tag, vielleicht gibt es vergleichbares an anderen Stellen. Alle diese Fragen sind jedoch unwichtig. Für den Journalisten von der SZ hat die Szene ihre Schuldigkeit getan. So wie Gläubige bei einer weinenden Madonna die Wachsfigur nicht auf mögliche Einwirkung von Hitze untersuchen ist für den Journalisten die Evidenz des Augenblicks entscheidend. Es ist die Rhetorik des „Seht her – so ist es doch” mit der er seiner Darstellung Autorität verschafft. Natürlich berichtet niemand über die Workshops in den autonomen Camps, die das Bild von den Krawall-Hooligans, denen Politik eigentlich Scheißegal ist, stören könnten. Natürlich wird keinE JournalistIn zugeben, dass ihm/ihr die meisten Redebeiträge, die von den Lautsprecherwagen des Schwarzen Blocks kamen, zu kompliziert waren, um sie zu verstehen, weil er/sie an dem Bild vom Polithooligan zu stricken hat und es nicht darum geht zu berichten, auf welchem Stand die Kapitalismuskritik im 21. Jahrhundert ist. Auch jene JournalistInnen, die zumindest an die Macht der Bilder gebunden sein müssten, setzen sich souverän über diese Macht hinweg, wenn es ihrem Darstellungsintessse schadet. Kein Problem haben die Sprecher zu erklären, dass die Polizei gegen Steine- und FlaschenwerferInnen mit Wasserwerfern und Schlagstöcken vorgegangen ist, während die Bilder zeigen, wie der Wasserwerfer eine Sitzblockade von der Straße spült und ein Polizist eine Person an den Haaren aus einer Sitzblockade zerrt.
Damit sind wir wieder bei der Frage, wie solche offensichtlichen Falschdarstellungen entstehen, wie sie oben beschrieben wurden. Der arme Journalist hatte vermutlich die Aufgabe bekommen, zu zeigen, wie sich die „friedlich-kreativen” Protestierenden von „den Autonomen” distanzieren. Also geht er sein Bildmaterial durch und schaut was er findet. Da ist das einzig brauchbare Material leider, wie eine Gruppe diesen Schwarzgekleideten angreift, von dem inzwischen längst bekannt ist, dass er ein Zivilpolizist ist. Schnell ein Text drüber gesprochen und schon haben wir wieder ein bisschen Realität produziert. Die selben Gesten, die gestern noch für gewaltbereite Autonome stehen sollten, stehen nun für zivilcouragierte ProtestlerInnen. Damit hat er getan, was seine Kollegen jeden Tag tun. Bilder zu dem geliefert, was an Aussage schon vorher fest stand und sie entsprechend der gewünschten Aussage gerahmt. Das macht die Sache nicht weniger skandalös. Nur ist der Skandal leider alltäglich.
1) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,487554,00.html
2) mms://ms.mdcs.dtag.de/zdf/zdf/070607_protest_h17_h.wmv
3) http://www.tagesschau.de/sendungen/0,,OID6887468_VID6887816_RESms256_PLYinternal_NAV_,00.html