Der Unibluff

Nach der Durchsicht und Auswahl der Seminare, die Du besuchen willst, bist Du nun endlich in Deinem ersten Seminar angekommen und froh, überhaupt den richtigen Raum gefunden zu haben. Gespannt verfolgst Du die Erläuterungen des/der Dozierenden zu den sog. Scheinbedingungen und fragst Dich vielleicht, was eigentlich die von jedem geforderten ”Einlassungen“ sein sollen. Doch bevor Du weiter nachdenken kannst, hebt der/die Dozierende schon zum Vortrag an. Alle zücken ihre Stifte und schreiben fleißig mit. So sehr Du Dich beim Zuhören und Mitschreiben auch anstrengst, kannst Du doch nur die schönen Konstruktionen bewundern und stellst nach einigen Minuten fest, dass Deine Mitschrift zu einer Ansammlung wahlloser Halbsätze geraten ist. Damit aber niemand merkt, dass Du dem Vortrag nicht folgen kannst, entschließt Du Dich, lieber Kringel auf Dein Blatt zu malen. Dabei fragst Du dich, warum Du allem Anschein nach der/die Einzige bist, der/dem das so geht. Haben sich alle anderen besser vorbereitet oder etwa eine schnellere Auffassungsgabe als Du...?! Oder wenn andere Studis sich melden und mit Fremdworten gespickt, scheinbar intelligente Fragen stellen und ”richtige“ Antworten geben, die der/die Dozierende wohlwollend quittiert. Spätestens jetzt hast Du den Eindruck, hier irgendwie falsch zu sein, da alle außer Dir zu wissen scheinen, worum es geht. Doch keine Angst, hierbei handelt es sich um ein weitverbreitetes Uniphänomen, den sog. ”Unibluff“. Uni-bluff betrifft aber nicht alle Studis in gleicher Weise. In unserer Gesellschaft rangiert die Kategorie Geschlecht nach wie vor als Platzanweiser und das ist an der Uni nicht anders.

Das Phänomen Uni-Bluff betrifft folglich Frauen anders als Männer. Männer sind anders sozialisiert als Frauen, sie erlernen meist sehr früh ein spezifisches Selbstbewusstsein, und ein Redeverhalten, das es ihnen insgesamt leichter macht zu bluffen. Es ist für sie einfacher, Wissen und Stärke vorzutäuschen. Auf der anderen Seite werden auch die Frauen mit spezifischen Rollenerwartungen konfrontiert, die ihnen enge Grenzen stecken und Verhalten unmöglich macht, das bei Männern akzeptiert oder sogar unterstützt wird. Eine Frau, die fünf Minuten lang, rhetorisch brillant und mit vielen Fremdwörtern im Seminar redet (und sei es auch nur Bluff), passt nicht ins Bild, d.h. sie verlässt den ihr zugestandenen Raum. Sie wird deshalb - statistisch nachgewiesen - auch häufiger unterbrochen als ihre männlichen Mitstudierenden. Es ist für Frauen wesentlich risikoreicher, sich ohne abgesichertes Wissen in den Vordergrund zu spielen, da sie immer noch dem Vorurteil ausgesetzt sind, sie seien emotionaler und damit unwissenschaftlicher als Männer und sie könnten weniger gut logisch denken. Wortbeiträge von Frauen werden insgesamt oft wesentlich kritischer aufgenommen.

Der Bluff steht also nicht allen gleichermaßen offen, sondern dient v.a. männlichen Studierenden zur Selbstdarstellung und fördert so die männerbündischen Strukturen an der Uni. Wie kann man sich aber gegen den Bluff zur Wehr setzen? Zuerst einmal lasst Euch nicht von aufgeblasenen Worthülsen beeindrucken! Fremdwörter machen allein keine besseren Argumente. Sagt, was ihr wisst und zwar so, dass auch andere Euch verstehen können. Wenn ihr etwas nicht verstanden habt, dann scheut Euch nicht nachzufragen!

Mit gutem Grund könnt ihr annehmen, dass es anderen genauso geht. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum zu glauben, dass ein Sachverhalt dadurch wissenschaftlicher oder besser wird, dass er kompliziert formuliert ist. Es zeugt vielmehr von Qualität, wenn der oder die Vortragende die Dinge so erklären kann, dass sie alle verstehen können. Natürlich kann es immer noch sein, dass jemand etwas mehr Fachwissen hat, aber was soll‘s? Ihr seid hier, um zu lernen! Es kann nicht Sinn eines Seminars sein, dass Ihr zu Hause im stillen Kämmerlein über Fragen brütet, die ihr die Dozierenden hättet stellen können. Denn es gilt: Alle Fragen sind erlaubt, nicht nur die ganz spezifischen, für die mensch schon alles verstanden haben muss, um sie überhaupt stellen zu können!

Auch Fragen wie: ”Was meinst Du eigentlich damit?“ oder ”kannst Du das mal mit eigenen Worten ausdrücken?“ sind nicht nur legitim, sondern oft notwendig und damit vollkommen in Ordnung.

Der Bluff dient der Konkurrenz und der Auslese und wird von Profs nicht ungern gesehen!

Erschienen am: 06.10.2008 AutorIn: email-address