Bologna oder Frikassee

Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit wird der Europäische Hochschulraum umgepflügt – die Aussaat heißt Neoliberalismus.

Im Februar 1995 legte der „European Round Table of Industrialists” (ERT), in dem so namhafte Unternehmen wie Bertelsmann, Daimler oder Thyssen organisiert sind, ein Konzept vor, in dem er skizzierte, wie sich die europäischen Industriellen die „lernende Gesellschaft” des neuen Jahrtausends vorstellen. (Education for Europeans – Towards the Learning Society). Um „effektiver auf die ökonomischen und sozialen Veränderungen antworten” (S. 5) zu können, die den europäischen Staaten durch „externen ökonomischen Druck aufgezwungen” (S. 6) würden, schlagen sie eine massive Umstrukturierung des gesamten Bildungsbereichs, angefangen beim Kindergarten bis hin zu Universität und weiterführenden Bildungseinrichtungen vor. Sie monieren, dass das „Bildungssystem noch immer nicht vollständig auf die Bedürfnisse der europäischen Wirtschaft abgestimmt” (S. 11) sei und die „Bildungsstandards in Europa massiv variieren” (S. 12).

Für die Universitäten schlagen sie als Gegenkonzept konkret vor, die Zusammenarbeit von Industrie und Universitäten zu verbessern. Die Universitäten sollten ihre Studiengänge so gestalten, dass sie es „dem Studierenden erlauben aus unterschiedlichen Modulen zu wählen, die zu einem ausgeglichenen Abschluss führen werden” (S. 24). Spezialisierung solle „den erfahreneren Studierenden” (ebd.) vorbehalten werden. Zu guter Letzt sollten „die Abschlüsse in ganz Europa kompatibel gemacht werden” (S. 8) und selbstverständlich sollen die Abschlüsse in erster Linie auf das Berufsleben vorbereiten (Vgl. S. 13).

Ziele des Bolognaprozess

Seit dem Juni 1999 hat dieses Konzept einen wohlklingenden Namen: Bolognaprozess. Unter diesem Titel wurde es in der italienischen Universitätsstadt Bologna der breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Nun aber nicht mehr durch einen Club von Industriellen, sondern durch die große Politik, der es offensichtlich müßig war, all das noch einmal zu denken und die deshalb alle zentralen Ideen flugs vom ERT abgeschrieben hat. Die 33 erstunterzeichnenden Länder vereinbarten die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums mit kompatiblen und vergleichbaren Abschlüssen mit dem Ziel der „arbeitsmarktbezogenen Qualifizierung seiner Bürger” (Bologna ´99).

Zentral hierfür ist die Implementierung eines universitären Bildungssystems, dass sich auf zwei Hauptzyklen stützt: Bachelor und Master. Ganz im Sinne des ERT soll bereits beim Abschluss des Bachelor eine „für den europäischen Arbeitsmarkt relevante Qualifikationsebene” (Bologna ´99) erreicht sein. Im ersten Zyklus sollen also im wesentlichen Kernkompetenzen erlernt werden. Erst im Masterzyklus soll (wie beim ERT) eine Spezialisierung möglich werden1.

Der zweite Aspekt, ist die Modularisierung der Studiengänge. Unter Modularisierung kann ganz allgemein Verstanden werden, dass das Studium in Einheiten zergliedert wird, die im Hinblick auf ein gesetztes Lernziel konzipiert werden. Durch ein allgemeinverbindliches Creditpointsystem (ECTS), sollen die Abschlüsse Europaweit vergleichbar werden.

Wohin geht es eigentlich?

Das dieses Konzept einige Haken hat, wird schon klar, wenn man sich die Bolognaerklärung etwas genauer betrachtet. Hier geht es nämlich nicht, wie es in den Sonntagsreden gerne heißt, um die Verbesserung der Mobilität von Studierenden, sondern um die „Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems” (Bologna ´99).

Denn das Ziel der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Abschlüsse hat im Zusammenhang mit der nun in Deutschland wieder voll entflammten Debatte um allgemeine Studiengebühren durchaus eine Janusgestalt: „Um einen wirksamen Wettbewerb der Hochschulen als Anbieter von Lehr- und Studiendienstleistungen um die Studierenden als KundInnen in Gang setzen zu können, müssen die Studierenden nicht nur zu Beginn ihres Studium in der Lage sein, sich nach Maßgabe eines Qualitäts- und Kostenvergleichs der unterschiedlichen Anbieter für einen zu entscheiden, sondern auch während ihres Studiums und insbesondere beim Übergang von einem Studienzyklus in den nächsten den Anbieter zu wechseln. Voraussetzung hierfür ist wiederum die Kompatibilität der Studienstrukturen sowie die Übertragbarkeit der erworbenen Studienleistungen und Abschlüsse” (Dr. Andreas Keller: „Von Bologna nach Berlin”, 2003)

Zusätzlich wird der Bildungsmarkt immer weiter internationalisiert. D.h. einzelne Module sollen quadratisch praktisch gut in andere Länder exportierbar sein und müssen sich dafür an allgemein verbindlichen Standards messen lassen können.

Der Versuch, die Vergleichbarkeit von Abschlüssen voranzubringen, muss also ebenso als Versuch gesehen werden, die Bildung zu einer markttauglichen Ware zurechtzustutzen und die Studierenden zu Kunden zurückzustufen, statt sie gleichberechtigt am wissenschaftlichen Prozess teilhaben zu lassen. In diesem Kontext ist es durchaus nicht unwichtig, dass die EU im Rahmen der Verhandlungen um die „General Agreements on Trades and Services” (GATS) von den USA gerade die Öffnung des Bildungssektors für private Investoren verlangen. Denn das GATS beruht auf Gegenseitigkeit. Das heißt, das auch der EU bald solche Forderungen ins Haus stehen könnten.

Das Problem, das Bildung und Wissen sich gerade dadurch auszeichnen, schwer vergleichbar zu sein, und daher eigentlich marktuntauglich sind, beschäftigt im Moment die Studienkommissionen aller Fakultäten, da sie die Vorgaben der Vergleichbarkeit nun auf alle ihre Fächer anwenden müssen, ohne dabei die spezifischen Charakteristika der einzelnen Fächer angemessen berücksichtigen zu können.

Weitere Fallstricke sind in der genaueren Regelung zum Verhältnis von Bachelor und Master eingebaut. Der Bachelorabschluss kann mitnichten einfach mit der Zwischenprüfung verglichen werden. So ist zwar ein erfolgreicher Bachelorabschluss notwendige aber nicht zwangsläufig hinreichende Bedingung um in den Masterstudiengang aufgenommen zu werden. In der Debatte erscheint kaum noch die Frage ob zwischen Bachelor und Master selektiert werden soll sondern in erster Linie wie und wie viel2. D.h. der Master soll nur für eine ausgewählte Elite offen stehen, die sich durch zusätzliche Prüfungen qualifizieren muss. Bereits jetzt überlegen Städte, wie z.B. Berlin, ihre leeren Kassen zu entlasten, indem sie niedriger entlohnte BachelorabsolvetInnen als HilfslehrerInnen einsetzen. Der Bolognaprozess kann also mit Fug und Recht als ein großes Kostensenkungs- und Vermarktlichungsprogramm für Bildung bezeichnet werden. Die Kosten für die Ausbildung von durchschnittlich qualifizierten Arbeitskräften sollen reduziert werden, während die Elitenförderung verbessert wird. Gleichzeitig sollen die europäischen Bildungsangebote exporttauglich und der europäische Hochschulraum nach amerikanischem Vorbild für AkademikerInnen aus dem Ausland attraktiv gemacht werden (Brain Drain).

Last but not least gilt der Bachlor als vollwertiger berufsausbildender Abschluss. Dadurch könnten nach bisheriger Regelung alle Bafög Ansprüche von Masterstudierenden verfallen, was zusätzlich die soziale Selektion fördert, die sich ohnehin durch das gesamte deutsche Bildungssystem zieht.

All diese Veränderungen geschehen ohne bisher größere Aufmerksamkeit zu erregen. Es wird Zeit, dass sich das ändert und wir uns aktiv in diesen Prozess einschalten. Entweder um ihn zu stoppen oder ihm wenigstens das abzuringen was noch möglich ist.

Erschienen am: 09.12.2004 AutorIn: email-address

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Weblinks:

Von Bologna nach Berlin

European Round Table of Industrialists

"Centrum für Hochschulentwicklung"

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