Schließen, Kürzen, Clustern -

Hintergründe der "Umstrukturierungen"

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Die Pläne des Unipräsidenten Kurt von Figura zur „Umstrukturierung” an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät kommen einer „faktischen Schließung” ganzer Fachbereiche gleich. Dass es dabei in erster Linie nicht nur um die Sozialwissenschaften geht, ist mittlerweile deutlich geworden: Inzwischen geht es um alle Fakultäten, die dem Präsidenten eine private Verfügungsmasse an Mitteln freischaufeln sollen. Ein Blick hinter die Kulissen erhellt ein wenig die Dimension jener Entwicklungen, vor dessen Hintergrund die Pläne des Herrn von Figura entstanden sind...

Der Plan: Göttingen wird Elite!

Von Figura möchte aus Göttingen gerne eine Elite-Universität machen (BB berichtete: Die Wissenschaft wird abgeschafft). Das hat sicherlich ein bisschen mit persönlichem Narzißmus zu tun, vor allem aber mit den Geldern, die der Bund dafür locker machen möchte. 1,9 Mrd. Euro möchten Bund und Länder bis 2011 gerne an die Universitäten verteilen – bundesweit versteht sich und nicht alles an eine. Um nun an diese Gelder zu kommen, müssen die einzelnen Unis in einem harten Wettbewerb nachweisen, das sie in der Forschung in der Lage sind, international wahrnehmbare Leistungen zu bringen. Am Ende sollen einige wenige Hochschulen und Forschungsbereiche Geld bekommen, die große Masse wird leer ausgehen.

Hier ist der Unipräsident nun auf die Idee gekommen, aus einem Topf, auf den nur er zugreifen kann, einzelne Profilbildungsprozesse zu unterstützen. Gefüllt wird der Topf durch die Fakultäten, die jeweils 8,5 % ihrer Mittel abdrücken sollen.

An dieser Stelle tritt die geplante faktische Abwicklung der Fächer Politik, Pädagogik und Sportwissenschaften auf den Plan. Die dadurch frei werdenden Mittel sollen nämlich zu eben dieser Profilbildung benutzt werden. Die Ansage des Unipräsidenten ist nun ganz klar: Wenn ihr meine Vorschläge nicht wollt, dann denkt euch halt was eigenes aus. Klar ist nur: Gespart werden muss.

Die autokratische Hochschulreform

Die Entscheidung, Fächer abzuwickeln kann der Uni-Präsident letztlich im Alleingang umsetzen. Im Rahmen der letzten Änderungen im Niedersächsischen Hochschulgesetz wurden weite Teile der ehemals zumindest formal demokratischen Hochschulverfassung entsorgt. Der Uni-Präsi wird demnächst nicht mehr vom Senat, also dem von den Mitgliedern der Hochschule gewählten Gremium, gewählt, sondern vom Stiftungsrat, also einem Gremium in dem vor allem Mitglieder aus Politik und Wirtschaft sitzen.

Das Ganze folgt der Logik, dass es einen starken Mann (oder - wenn auch seltener - eine starke Frau) geben müsse, der (oder die) dann die notwendigen Entscheidungen im Alleingang durchziehen kann. Der Uni-Präsident als kleiner Diktator ist damit nicht mehr nur ein Karrikatur, sondern längst Realität. Entsprechend kann Kurt von Figura auch schalten und walten wie er will. Seine hochmütige Art, mit der er Entscheidungen am Rest der Universität vorbei organisiert, hat ihren realen Kern in den neuartigen Machtbefugnissen, die noch vor zehn Jahren undenkbar waren.

Entsprechend hat der Stiftungsrat sich mittlerweile auch schon hinter die Entscheidung des Präsidenten gestellt. Es gehöre zu seinen Aufgaben, „die Planungsaktivitäten der Fakultäten [..] für eine Schwerpunktbildung” (zitiert nach Göttinger Stadtradio) voranzutreiben. Auch der Stiftungsrat möchte die Uni Göttingen gerne als Elite-Universität sehen. Und dafür braucht es eben einen starken Präsidenten, der autokratische Entscheidungen zu treffen in der Lage ist. Hier verbinden sich die aktuellen Kürzungsmaßnahmen, die neue Hochschulstruktur und das Gerede von Elite-Universitäten. Das eine geht – letztlich – nicht ohne das andere.

Was bringt uns die Elite?

Im Rahmen der neuen „Exzellenzinitiative” versuchen Bund und Länder die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen zu verbessern, wie es auf den einschlägigen Internetseiten heißt. Dabei sollen zwischen 2006 und 2011 insgesamt 1,9 Mrd. Euro zusätzliche Mittel in die Hochschulen gepumpt werden. Jeweils fünf Hochschulen sollen 2005 und 2006 zu Elite-Universitäten ernannt werden. Dafür winken insgesamt 20 Mio. Euro. Zusätzlich gibt es noch für einzelne Forschungsschwerpunkte (sog. „Exzellenzcluster”) und für Graduiertenkollegs extra Mittel. Aber auch hier gilt, das die Anzahl der Bewerbungen die Anzahl der vergebenen Schwerpunkte um ein vielfaches übersteigt.

Die Entscheidung über die Vergabe erfolgt dabei natürlich auch in weiten Teilen politisch, es wäre illusorisch davon auszugehen, das es tatsächlich objektivierbare Kriterien gibt, an denen sich solche Entscheidungen orientieren könnten. Wie dem auch sei – wirklich viel hat Göttingen hier nicht zu erwarten. Mittel- bis langfristig wird es für Göttingen kaum möglich sein, ein wie auch immer geartetes Elite-Niveau zu halten. Fragt sich also, welchen Sinn es macht, hier in großen Mengen Ressourcen darauf zu verschwenden. Denn das ist klar: bei weiteren 8,5% der Mittel geht es nicht um Peanuts!

Eine Welt voller Widersprüche

Überhaupt wird bei den Plänen der systematische Irrsinn deutlich, der die derzeitigen "Strukturreformen" an den Hochschulen kennzeichnet. Auf der einen Seite sollen alle Unis ein individuelles Profil ausbilden - auf der anderen Seite tun sie das regelmäßig dadurch, das sie einen naturwissenschaftlich-medizinischen Schwerpunkt ausbilden. Auf die Idee, ein geisteswissenschaftliches Zentrum zu gründen, ist noch niemand gekommen (Nicht dass das wünschenswert wäre, aber es sollte doch mal erwähnt werden!). Kein Wunder, geht es doch letztlich nicht um eine relativ beliebige Schwerpunktauswahl, sondern um eine Ausrichtung der Unis an den Bedürfnissen von Wirtschaft und Standort. Die sollen nämlich die zusätzlichen sog. "Drittmittel" bringen, mit denen die Unis aus ihrer Finanzmisere herauszukommen versuchen.

Hier wird deutlich, das in der Debatte unterschiedliche Argumente auf unterschiedlichen Ebenen nebeneinanderher existieren, ohne das ihre systematischen Widersprüche auffallen würden. Ein anderes Beispiel: Einerseits soll der Wettbewerb zwischen den Universitäten und Studiengängen gestärkt werden. Andererseits werden munter die Angebote verknappt, indem einem Studiengang nach dem anderen der Garaus gemacht wird. Wo soll denn bitte der ökonomische Anreiz zu besserer Forschung liegen, wenn ein Großteil der direkten Konkurrenz per Clusterbildung ausgeschaltet wurde? Und überhaupt: Wo bleibt die vielzitierte Vergleichbarkeit der Studiengänge, die durch B.A./M.A. erreicht werden soll, wenn gleichzeitig ein Qualitätsunterschied zwischen den einzelnen Lehrstandorten angestrebt wird?

Diese Widesprüche lassen sich auch auf der Ebene des persönlichen Bildungsweges nachvollziehen. Da wird uns einerseits gesagt, wir sollten einen individuellen Bildungsweg gehen um dann in Marktnischen vorstoßen zu können. Und andererseits werden durch Bachelor/Master die Studiengänge derart verregelt und gleichgeschaltet, das am Ende ohnehin alle dasselbe gelernt haben.

Wir sollten also vorsichtig sein und den Argumenten, die uns entgegengebracht werden, grundsätzlich misstrauen. Denn wenn sie sich prinzipiell mit anderen Argumenten widersprechen, die von den selben Leuten vorgetragen werden, dann sind sie entweder nicht ordentlich durchdacht oder schlichtweg nicht ernst gemeint.

Sparwahn und neue Hochschulfinanzierung

Passend dazu gibt es Bestrebungen, die Mittelzuweisungen stärker von der Studierendenzahl abzukoppeln und an andere Kriterien wie etwa die Drittmittel zu binden. Damit ergeben sich neue Sparpotentiale für die Landeshaushalte. Drittmittel aus der Wirtschaft und dem Portemonnaie von Studierenden (sog. Studiengebühren) sollen dann dazu beitragen, die gebeutelten Unihaushalte zu sanieren. Einzuschränken haben sich dabei aber grundsätzlich alle: die einzelnen Fakultät ebenso wie die Studierenden.

Es läuft also letztlich wieder auf das hinaus, was uns allen nur allzugut aus vielen anderen Diskussionen bekannt ist. „Die obligatorische Problemstellung lautet dabei: Welche ökonomischen Opfer müssen welchen Personenkreisen [..] zugemutet werden, um die globale Produktivität zu steigern? Die globale Produktivität, das wird vorausgesetzt, bedarf des umfassenden Wettbewerbs [..] Man kann kann darüber verhandeln, ob die Opfer gemildert, zeitlich gestreckt, rechtzeitig angekündigt oder partiell kompensiert werden können. Daß Opfer gebracht werden müssen, ist innerhalb des Diskurses aber ausgemacht” (Christoph Spehr) - egal welche Position innerhalb der Debatte gerade eingenommen wird.

Vielleicht wird weniger in einem Fachbereich gekürzt, vielleicht werden die Kürzungen um ein paar Jahre nach hinten verschoben. Vielleicht kommen die Studiengebühren ein Jahr später als zunächst gedacht. Vielleicht betragen sie am Anfang nur 500 und nicht gleich 1000 Euro. Die Richtung als solche ist aber stets vorgegeben.

Umfassender Widerstand nötig!

Eines scheint mittlerweile klar: Es geht nicht um ein Privatproblem der Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Es geht vielmehr um viel grundsätzlichere Fragen: Um die Frage danach, wer an einer Institution wie der Universität eigentlich Entscheidungen trifft. Um die Frage danach, ob aus ökonomischen Überlegungen heraus in die Freiheit von Wissenschaft und Forschung eingegriffen werden darf. Es geht um die Frage von Bildung und darum, welche Rolle Studierende zukünftig an den Unis spielen sollen. Es geht um die Frage, ob es bildungs-, wissenschafts- und demokratietheoretisch sinnvoll sein kann, mehr „Elite” und weniger „Masse” zu fordern. Und nicht zuletzt geht es ganz banal um die Fächervielfalt nicht nur an der Uni Göttingen: Jedesmal wenn ein Unipräsident über Orchideenfächer spricht, sind diverse Studiengänge und Forschungsbereiche in Gefahr.

Und nicht zuletzt: es geht darum, wie gesellschaftliche Entscheidungen getroffen werden. Wie kann es sein, das die Maxime, wir alle hätten uns eben einzuschränken und jede und jeder müssten sein Schärflein dazu beitragen, über jedem tiefgehenden Diskussionsprozess steht? Wo bitte ist der Gestaltungsspielraum von Politik, wenn angeblich alles unausweichlich ist? Was soll dann Demokratie?

Widerstand gegen diese Entwicklungen kann also nur dann erfolgreich sein, wenn er die Gesamtsituation in den Blick nimmt und sie angreift. Und wenn er einen langen Atem hat. Die 4-wöchigen Protestperioden der letzten Jahre kennen die BildungspolitikerInnen nur allzugut. Sie wissen, besser: sie glauben zu wissen, das wir nach ein paar Wochen ohnehin wieder zum Alltag übergehen. Erst wenn wir ihnen zeigen, das sie sich irren, haben wir eine Chance, diesen Wahnsinn zu verhindern!

Beispiele wie die geplanten Fächerschließungen 2001 in Siegen oder der verhinderte Verkauf der VWL von Heidelberg nach Mannheim zeigen: Es kann auch kurzfristige Erfolge gegen Fächerschließungen geben. Es lohnt sich zu kämpfen. Langfristig wird der Erfolg aber nichts desto trotz von einer weitergehenden Debatte um die Rolle von Bildung in der Gesellschaft abhängen.

Erschienen am: 02.12.2005 zuletzt aktualisiert: 12.10.2009 14:09 AutorIn: email-address