Vorsicht Burschis!

Eine kurze Einführung zu Burschenschaften

Spätestens bei der Wohnungssuche geraten Studenten und in weitaus geringerem Maße auch Studentinnen in das Visier von Verbindungen auf der Suche nach Nachwuchs. Meist tragen ihre Werber seltsame Bänder über der Brust und entsprechende Mützen, sind adrett gekleidet und bewerben Vereine mit latinisierten Namen wie etwa Teutonia oder Saxonia. Bei den meisten Student*innen sind diese Verbindungen bekannt als versoffene, rückwärtsgewandte und irgendwie komische Männerhorden, die sich zudem gegenseitig mit Säbeln unvorteilhafte Narben ins Gesicht schlagen und darauf auch noch stolz sind. Was hat es also auf sich mit den Männern, die Dich angetan mit seltsamen Schärpen und Mützen zur Party oder sogar zum Wohnen “auf” ihr Haus einladen und Dir mal eben so im Vorbeigehen lebenslange Freundschaft versprechen?

Die “Freundschaft” hat einen sehr funktionellen Hintergrund, unter ihrem Deckmantel kommt ein Kollektivgedanke daher, der die Interessen der Gruppe über die des Einzelnen stellt. Die hierarchischen Prinzipien, nach denen das Zusammenleben “auf dem Haus” organisiert sind, spiegeln dabei die gesellschaftspolitischen Ansichten der Studentenverbindungen wider. Werte wie “Treue”, “Ehre”, “Tapferkeit”, “Gehorsam”, und “Vaterlandsliebe” stehen im Mittelpunkt. Obwohl das politische Spektrum der Verbindungen von konservativ über völkisch-national bis offen rechtsextrem relativ weit gefächert ist, so eint sie der Gedanke einer homogenen deutschen Nation, die es nach innen gegen emanzipatorische und soziale Bewegungen und nach außen gegen störende Einwanderung zu schützen gilt. Ebenso ist allen ein Hang zum Soldatentum und Militärischen sowie ein rückständigs und diskriminierendes Fraunenbild gemeinsam.

Es gibt ungefähr 40 in Göttingen ansässige Korporationen.

Gegenüber des Kulturanthropologie-Institutes befindet sich die Burschenschaft Hannovera, die regelmäßig Faschisten und Sexisten für Treffen einläd .

Und gegenüber der Ethnologie in der Theaterstraße 14 befindet sich die schlagendende Burschenschaft Verdensia, die Mitglied des Coburger Convents ist.

Diese sind durch ein unübersichtliches Netz von “Kartellen” und “Freundschaftsbünden” mit anderen Verbindungen aus ganz Deutschland (zudem in diesem Weltbild meist auch Österreich gehört) verflochten. Außerdem gehören nahezu alle Verbindungen einem der größten Dachverbände1 an, die ihrerseits wieder inden zwei Dachorganisationen CDA und CDK2 organisiert sind. Spätestens hier treten die teilweise vorhandenen politischen Differenzen, die von Verbindungsstudenten selbst häufig betont werden, gegenüber übergreifendem Korporationsinteresse in den Hintergrund. Neben den eigentlichen korporativen Zusammenschlüssen gibt es zahlreiche weitere Einrichtungen und Arbeitszusammenhänge3, in denen Korporierte führend mitarbeiten und die dazu dienen, Einfluss auf politische und gesellschaftliche Diskurse zu nehmen, nicht selten mit dem Ziel, die Grenzen zwischen Rechtsextremismus und Rechtskonservatismus zu verwischen. Gleichzeitig treten die Korporationen mit dem Anspruch auf, nationalgesinnte Eliten heranzubilden. Diese Netzwerke helfen, “national gesinnte Menschen in alle führenden Berufe der Gesellschaft zu entsenden”, wie es Manfred Kanther, Alter Herr4 des Marburger Corps Guestphalia et Suevoborussia und ehemals Bundesinnenminister, einmal treffend formulierte – einzig statt “Menschen” hätte er auch gleich “Männer” sagen können. So ist es nicht verwunderlich ehemalige oder noch aktive Burschenschaftler in Eliteberufsfeldern wie Politik und Medizin anzutreffen. Abgesehen von der Zugehörigkeit zu einem Dachverband lassen sich die Verbindungen nach folgenden Kritierien grob gliedern:

Erstens danach, ob die Verbindung schlagend oder nichtschlagend ist; das heißt ob ihre Mitglieder die Mensur5 fechten oder nicht. Zweitens danach, ob die Verbindung farbentragend oder nicht farbentragend ist; das heißt ob die Mitglieder die Farben des Verbindungswappens in Form von Uniform, Bändern oder Mütze zu bestimmten Anlässen am Körper tragen oder nicht. Und drittens danach, ob die Verbindung konfessionell gebunden ist oder nicht. Weiterhin baut der bei weitem überwiegende Teil der Vereinigungen auf dem Mythos des Männerbundes auf, der Frauen die Fähigkeit zur wahren Freundschaft abspricht und sie auf das Äußerliche – in Verbindungssprache “das Dekorative” - reduziert. So ist die Mitgliedschaft von Frauen in fast allendiesen Verbindungen ausgeschlossen. Aber auch die wenigen gemäßigten Korporationen, die sich vom Prinzip des Männerbundes gelöst haben, halten in ihrem Frauenbild an den wohlbekannten “weiblichen Tugenden” wie “Mütterlichkeit”, “Schönheit”, “Einfühlsamkeit” und “Sensibilität” fest. Frauen sollen demnach von politischer Mitbestimmung und dem öffentlichen Leben ausgeschlossen bleiben und sich lieber um Heim und Herd kümmern. Das Streben der Verbindungen eine männliche Vorherrschaft zu sichern, beinhaltet jedoch auch, dass z.B. Transgender und Homosexuelle in der von ihnen propagierten “natürlichen Ordnung” keinen Platz haben.

Aus Platzgründen fehlt hier ein Überblick über die historische Entwicklung der Korporationen und ihre Rolle bei der Verbreitung und Durchsetzung antisemitischer und faschistischer Ideen im Nationalsozialismus. Mehr hierzu und darüber hinaus kann auf der Seite des Basisdemokratischen Bündnisses Göttingen nachgelesen werden http://www.bb-goettingen.de/973, http://www.goest.de/burschenschaften.htm oder auch unter

.burschis.aufessen.: http://www.burschis.de.vu/. Reader zu dem Thema sind auch im Roten Buchladen bzw. im Infoladen des JuzI erhältlich.


1) Wie Kösener Senioren-Convents Verband (KSVC), Coburger Convent (CC), Deutsche Burschenschaft (DB) und Neue Deutsche Burschenschaft, Wingolfbund, Cartellverband (CV) und Kartellverband (KV).

2) CDA (Convent Deutsche Akademikerverbände) isr die Dachorganisation der Alten Herren, CDK (Convent Deutscher Korporationsverbände) das Pendant der Aktiven.

3) Bspw. das Studienzentrum Weikersheim oder die völkisch-nationalistische Wochenzeitung “Junge Freiheit”.

4) Ehemalige Studenten heißen unabhängig von ihrem Lebensalter „Alter Herr“

5) Bei der Mensur stehen sich zwei Personen mit scharfen Degen gegenüber. Der Körper ist größtenteils durch Bandagen geschützt, Teile des Kopfes liegen jedoch frei. Diese freiliegenden Stellen versucht der Gegner zu treffen. Die Fechter dürfen vor den Schlägen des Gegners nicht zurückweichen, sondern müssen Verletzungen ohne äußere Regung in Kauf nehmen. Hinter diesem seltsam anmutenden Ritual steht ein traditionelles Männlichkeitsideal als Erziehungsziel.

Erschienen am: 12.10.2009 zuletzt aktualisiert: 12.10.2009 02:58 AutorIn: email-address