Das Bachelor- und Mastersystem. Eine Kritik.

Montags um zehn in der Vorlesung, noch halb im Schlaf, gerade erst über den ersten Kaffee weggekommen. In der Viertelstunde, die noch bleibt, bis die Person vorn alleine reden wird, kreisen die Gespräche der Kommiliton*innen durch den Saal. Die bestimmenden Themen dabei sind vor allem, was mensch am Wochenende nicht geschafft hat, wie viele Texte in den nächsten Tagen noch zu lesen sind, das Referat, das noch zu halten und die Essays, die noch zu schreiben sind - und dass in ein paar Wochen die Klausuren anstehen. Jede*r weiß es und sagt es auch, dass für jede einzelne von diesen Prüfungen oft mehr zu lernen ist als für das ganze Abitur. Jede*r weiß auch, dass alle versuchen damit bloß alleine zurechtzukommen. Jedoch wird dies nicht laut ausgesprochen und sogar als unveränderbar vorausgesetzt.

Doch eines ist sicher: Wer ans Ende des Semesters denkt, hat ein flaues Gefühl im Magen, denn klar scheint, dass mensch durch die Flut von Klausuren, Hausaufgaben und Essays allein durch muss. Und jede*r hat dafür ein eigenes Rezept, das mal mehr, häufig aber weniger funktioniert. Sei es, sich mehrere Wochen vor den Prüfungen für den ganzen Tag in die Bibliothek einzuschließen, da mensch sich zu Hause zu sehr ablenken lässt, sei es, sich die Nächte vor den Klausuren den Kopf vollzuballern und den Kurzzeitspeicher zu füllen, um nach der Klausur denselbigen wieder für die nächste Prüfung freizumachen - auch scherzhaft ‘Bulimie-Lernen‘ genannt. Karteikarten, buntes Anmalen, Bücher verstellen, Bilder malen ... Jede*r hat sicherlich sein/ihr eigenes Vorgehen im Kopf.

Das Gemeinsame aller dieser Lösungsstrategien ist, dass sie bloß auf individueller Ebene ansetzen. Einen Ausweg bieten sie nicht. Sie verändern nichts am Bachelorstudium selbst und können es auch gar nicht. Es sind wahre Durchwurstel-Strategien nach dem Motto: ‘Da muss halt jede*r alleine durch‘.

Doch auch die Auflehnung ist nicht zu empfehlen. Wer die konsequente Verweigerung versucht, ist meist nicht nur der Buhmensch des Jahrgangs, sondern kommt auch mit seinem Studium nicht mehr hinterher.

Dies liegt in der Struktur des neuen Studiensystems begründet.

So haben mit der Einführung des Bachelors Vorlesungen – nach pädagogischen Gesichtspunkten eine eigentlich problematische Form der Wissensvermittlung, die deshalb auch im Magisterstudium eigentlich keine große Bedeutung mehr spielte – durch Anwesenheitspflicht und Prüfungen eine enorme Aufwertung erfahren.

Die Klausuren, die am Ende der Vorlesungen anstehen, sind nicht darauf aus, einen kritischen Umgang mit dem Stoff zu fördern. Sich mit anderen über das Thema auseinanderzusetzen bringt für das Bestehen der Klausur fast gar nichts. Stumpfes Auswendiglernen führt hier eher zum Erfolg, auch wenn vom Gelernten weder etwas hängen bleibt, noch das wenige Gelernte mit anderen Bereichen verknüpft werden kann. Natürlich bleibt hier die Frage offen: Kann es überhaupt anders sein? Sollte sich eine Klausur bei einer solch hohen Arbeitsbelastung nicht auf etwas anderes konzentrieren und vertiefende anspruchsvolle Aufgaben-stellungen formulieren, statt oberflächlich angeeignetes Wissen abzufragen?

Klar ist: Die Frage nach dem Sinn von Klausuren in unserem System sollte besser nicht gestellt werden, denn wie sollte mensch schon mit etwas umgehen, was so oder so für einen selbst keinen Sinn ergeben kann. Das System führt sich aber nicht nur in Hinblick auf Klausuren ad absurdum.

Auch die Struktur der Seminare hat sich verändert. Die wenigsten Dozierenden vermögen es noch, in ihren Seminaren Studierenden die Auseinandersetzung mit dem Thema zu ermöglichen. Die frühere Möglichkeit, Dozierende durch Boykott ihrer Veranstaltungen abzustrafen und die dadurch frei gewordene Zeit für eigene Studien zu nutzen, besteht mit der Einführung der Anwesenheitspflicht nicht mehr. Die meisten Seminare bestehen bloß darin, einmal im Semester ein Referat abzuliefern und sich den Rest der Zeit von den anderen Referaten berieseln zu lassen. Da in fast allen Fachbereichen eine verbindliche Anmeldung für Seminare erforderlich ist, besteht fast keine Möglichkeit, ein schlechtes Seminar zu wechseln. Die zeitliche Belastung, die das Bachelorstudium mit sich bringt, führt dazu, dass es selbst in Seminaren, die mensch spannend findet, meist unmöglich ist, mehr als die erforderten Standardtexte zu lesen. Tendenziell zeichnen sich die Seminare dadurch aus, dass kritische Reflexion und Auseinandersetzung und spannende Fachdiskussionen zurückgedrängt werden zugunsten eines bloßen Aufschnappens von Stoff, der für die Prüfungen relevant ist.

Ein Versagen in dieser Ausbildungsmaschine kann, sofern mensch den didaktischen Rahmen des Unterrichts akzeptiert, nur als persönliches Versagen erfahren werden. Bei genauerem Betrachten ist ein Scheitern vieler an dem Druck und den hohen Anforderungen innerhalb des Studiums in diesem System vorprogrammiert. So hat beispielsweise nicht jede*r Bachelor-Studierende auch Anspruch auf einen Masterplatz, so dass die Studierenden von Anfang ihres Studiums an in Konkurrenz um einen späteren Masterplatz stehen.

Doch nur wer es wagt, das System und die Art und Weise wie hier miteinander oder besser: gegeneinander studiert wird infrage zu stellen, kann es überwinden.

Der Erkenntnis, dass nicht das Individuum ‘versagt‘, sondern das System Verlierer*innen definiert, stehen allerlei Mechanismen im Weg: die verstärkte Selbstwahrnehmung als Versager*innen sowie das Stigma der Faulheit, welches jede*n einzelne*n schon einmal präventiv unter Generalverdacht stellt, sich nicht vollen Herzens der Ausbeutung zu unterwerfen.

Die Artikulation eigener Bedürfnisse nach Freiheit, Neugier und Selbstentfaltung wird von vornherein durch diese Angst, ‘faul‘ zu sein, bestimmt. Das Verlangen nach einem System, das möglicherweise den eigenen Bedürfnissen entspricht, verstößt gegen das herrschende Arbeitsethos – unabhängig davon, dass dieses krank macht, überall zu Burnout und Totalausfall führt.

Nicht ohne Grund nimmt die Notenvergabe im Bachelorsystem eine zentrale Rolle ein. Bereits in der Schule entscheiden Noten und Leistungsbewertungen über Fortkommen und soziale Position der*des einzelnen. Das Idealbild eines Schülers oder einer Schülerin ist ein leistungsorientiertes Bild.

Der scheinbare Rückschluss auf die Fähigkeiten und Leistungen der einzelnen Person, der durch ihre Noten suggeriert wird, prägt Selbsteinschätzung und Selbstbewusstsein, den sozialen Umgang an den (Hoch-)Schulen und die beruflichen Möglichkeiten und Perspektiven. So wird das Leben und die soziale Interaktion in einen leistungsthematischen Kontext gesetzt.

Noten stellen demnach keine neutrale oder gar objektive Leistungserfassung dar, sondern sind Wertungen, die die einzelne Person betreffen.

Wie können wir uns dagegen wehren?

Zu erkennen, dass die Isolation und Vereinzelung, die wir an der Uni (, aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen) erfahren, wesentliche Herrschaftsstrategie sind, ist der erste Schritt eine kollektive Widerstandspraxis gegen das ausbeuterische Bachelorsystem zu entwickeln.

Die Ausbildungsmaschinerie ist darauf ausgerichtet, Individuen unter Druck zu setzen, indem sie diese ihren Leistungswillen und ihre ökonomischen Lebensbedingungen beständig infrage stellt. Diesem Druck können wir nur entgegnen, wenn wir uns politisch organisieren und anfangen, gemeinsam Lösungen und Strategien zu erarbeiten. Veränderungen einer solchen Struktur können nur durch kollektiv organisierte Gegenwehr erkämpft werden!

Dazu ist es nötig, dass wir die eigenen Probleme und Interessen nicht mehr als subjektive Grenzen eigener Fähigkeiten und Motivation, sondern als Ausdruck der veränderbaren politischen Verhältnisse begreifen und dementsprechend dafür kämpfen.

Gegen Leistungs-, Konkurrenzdruck und Vereinzelung!

Lasst euch nicht unterkriegen!

Organisiert euch in politischen Kollektiven!

Erschienen am: 12.10.2009 zuletzt aktualisiert: 12.10.2009 02:57 AutorIn: email-address