Rinks und Lechts? Vom Velwechsern.

Gegen den ?kommentierenden Bericht? zum 29. Oktober 05 aus der letzten asta revista

Mit der Dezemberausgabe der asta revista veröffentlichte der AStA auch einen „kommentierenden Bericht” zu den Ereignissen des 29. Oktobers. In diesem wird einerseits die Bedrohung durch die Nazis für alle diejenigen, die nicht in deren Weltbild passen, verharmlost. Andererseits setzt der Verfasser, angetrieben von Ressentiments, in seinem Artikel AntifaschistInnen mit denen von ihnen bekämpften Nazis gleich. Auch wenn der AStA als Herausgeber im Impressum darauf hinweist, dass „namentlich gekennzeichnete Beiträge [...] die Meinung des Autors, aber nicht notwendigerweise die des AStA wieder[geben]”, so muss die Veröffentlichung durchaus als politisches Statement des AStA gesehen werden. Ein gefährliches Statement.

Die Ereignisse um den 29. Oktober haben in Göttingen und im gesamten Bundesgebiet für Aufsehen gesorgt. Der gerichtlich durchgesetzte und von einem Großaufgebot von Polizei begleitete Aufmarsch von Anhängern rechter und rechtsradikaler Gesinnung aus dem Dunstkreis von NPD und freien Kameradschaften wurde durch die massiven Proteste von GegendemonstrantInnen gestoppt. Die verschiedenen Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen schufen durch die Vielheit der Aktionen und die ihnen spezifische Form ihres Protestes eine Situation, die die Polizei veranlasste zuerst den Demozug der Nazis erst zu stoppen, ihn dann umzuleiten und schließlich die Nazidemonstration ganz abzubrechen. Sicherlich war es so, dass die brennenden Barrikaden, die von einem Teil der antifaschistischen DemonstrantInnen errichtet wurden, im Zentrum des Medieninteresses standen und zu einer breiten medialen Berichterstattung führten.1 Aber nur das Zusammenspiel der verschiedenen Aktionen und Aktionsformen: Demonstration, Sitzblockaden, Barrikaden und aller Menschen, die an diesem Tag gegen die Nazis auf der Straße waren, führten zu diesem Ergebnis.

Der AStA hatte sich im Vorfeld des 29. Oktobers schwer getan, sich an den Vorbereitungen zu den Gegenaktivitäten gegen die NPD-Demo zu beteiligen. Im Bündnis gegen Rechts, an dem sich über 60 verschiedene Parteien, Organisationen und Gruppen beteiligten, wollte man nicht mitwirken, da man sich nicht mit dem im Kompromiss erarbeiteten Aufruf des Bündnisses identifizieren konnte.2 Dafür warf man dem Bündnis vor, den AStA mutwillig herausgeworfen zu haben.3

Es drängt sich die Vermutung auf, dass der AStA die schlechte Figur, die er im Vorfeld des 29. Oktobers bei der Organisation der Gegenaktionen machte, dadurch wettmachen will, dass er die Position, die das Bündnis gegen Rechts in seinem Aufruf stark machte: gemeinsam mit den jeweiligen Aktionsformen gegen Nazis zu demonstrieren, diffamiert. Der Artikel in der asta revista legt dies nahe.

Gleich zu Beginn unternimmt der Verfasser eine mutwillige Einteilung der Akteure dieses Tages in „gute”, „neutrale” und „militante” (in dieser Abfolge also böse) Gruppen. Zu den Guten gehöre neben den „friedlichen” DemonstrantInnen natürlich der AStA, zu den Bösen zählt der Verfasser neben der NPD auch den „schwarzen Block der Antifa”. Mit 400 TeilnehmerInnen wird der Erfolg der AstA-Aktion ein bißchen sehr überbewertet. Die Zahl derer, die sich direkt an der Aktion beteiligten, war wohl geringer, aber natürlich kamen immer wieder Personen an der SUB vorbei, da sie direkt an und auf der Demoroute der Nazis demonstrieren wollten. Zu den angegebenen 400 kommt man wohl nur, rechnet man diese Personen hinzu (zu denen wohl auch einige aus dem durchgängig so betitelten „Schwarzen Block der Antifa” gehörten, mit denen der AStA ansonsten nicht in Verbindung gebracht werden will).

Nun wäre eine versuchte Profilierung des AStA vielleicht nicht beachtenswert, in diesem Falle wird sie es aber, da die Argumentation des veröffentlichten Artikels in eine gefährliche Richtung läuft. Nazis, ihre Positionen und damit auch ihre Handlungen werden verharmlost. Bereits in der Überschrift wird die NPD-Demo mit einer harmlosen Karnevalsveranstaltung verglichen („D 'r (NPD) Zoch kütt”). Die Äußerungen der Nazis werden als „inhaltsleeres Geschwafel einer naiven Weltsicht” dargestellt und außerdem sei es „ein trauriger Umstand, dass sie so viel Medienaufmerksamkeit” bekämen. Dabei wird völlig außer acht gelassen, welche Bedrohung Nazis für all die darstellen, die Nazis zu ihren Feinden zählen. So widerlich und dumm Äußerungen von Nazis sind, inhaltsleer sind sie nicht: sie zielen auf die physische Vernichtung von Menschen. Es ist ein trauriger Umstand, dass es überhaupt Nazis gibt, nicht dass ihnen zuviel Aufmerksamkeit gezollt wird. Eher das Gegenteil ist der Fall. Wünschenswert wäre eine Öffentlichkeit, die Nazis als das betrachtet und aufmerksam beobachtet, was sie sind: Vertreter einer mörderischen Ideologie und getrieben vom Bemühen, dieses mörderische Verlangen jederzeit umzusetzen.Überall dort, wo Menschen sich Nazis nicht entschieden entgegenstellen, sie in ihren Aktionen behindern und offensiv bekämpfen, nehmen Nazis die Möglichkeit war, ihre Ziele umzusetzen. Man muss sie hindern, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die Menschen bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarrenschachtelwelt passen. Dass das angesichts von Morden durch Rechtsradikale, sogenannten „national befreiten Zonen”, Naziparteien in Länderparlamenten, offensiver Naziwerbung an Schulen, einem Anstieg von rechtsextrem motivierten Straftaten, etc. viel zu selten getan wurde, liegt auf der Hand.

Dass der Artikel dies außer acht lässt, ist der Tatsache geschuldet, dass er vor allem gegen „Antifa und co” geschrieben ist und ist wohl als Teil des Wahlkampfs zu betrachten. Der Verfasser ist durchweg von persönlichem Ressentiment bewegt.4 Dies treibt ihn dazu, links und rechts miteinander zu identifizieren. Implizit wirft er AntifaschistInnen vor, sie hätten Schuld daran, dass er sich mit Nazis beschäftigen müsse. Würden sie nicht soviel Aufmerksamkeit bekommen (und die bekommen sie ja nur, weil AntifaschistInnen gegen Nazis vorgehen), dann wären Nazis gar kein so großes Problem, schließlich seien sie ja sonst nur „lächerlich”, eine „intellektuelle Beleidigung” und „Spinner”.

Nun, man muss nicht Geschichte studiert haben um zu wissen, dass Ignorieren und Wegsehen keine gute Strategie gegen Nazis ist.Deshalb sollten die Aktionen, die am Tag der Nazidemo liefen, für einen selbst vielleicht nicht vertretbar, aber doch nachzuvollziehen sein. Sicherlich darf man über Aktionsformen verschiedener Meinung sein, aber es ist tausendmal besser, ein bisschen Material zu opfern (es handelte sich dabei nur um Mülltonnen und Spermüll) wenn dadurch Nazis so eingeschüchtert und eingeschränkt werden, dass sie keine Menschen bedrohen und umbringen. Die nüchternen Fakten, die der Verfasser zu betrachten meint („Einen Kilometer statt sechs [...], vier Stunden statt geplanten sieben”) und auf deren Grundlage er seinen Vorwurf an die AntifaschistInnen formuliert, sind es nur eingeschränkt. Wer die sonstigen Aktivitäten von Nazis jenseits ihrer relativ geordneten Demos außer acht lässt, argumentiert am Kern der Sache vorbei.

Wer behauptet, AntifaschistInnen seien daran Schuld, wenn eine „latente Sympathie für die 'Glatzenköppe '” in der Gesellschaft geweckt werde, wie es der Verfasser tut, missversteht etwas ganz Wichtiges. Niemand wählt Nazis, wird einer oder empfindet eine latente Sympathie für sie, weil er sich über deren Ziele täuscht. Die Sympathie hat ihren Grund dort, wo Naziideologie und gesellschaftlicher Mainstream sich treffen (Beispielhaft wären hier etwa der breite Konsens über rassistische Sondergesetze wie Residenzpflicht und Wertgutscheine oder die Debatte über deutsche Opfer im 2. WK) . Nicht nur Nazis finden Anknüpfungspunkte in der Gesellschaft, die diese ihnen bietet. Das Denken in großen Bereichen der Gesellschaft deckt sich teilweise mit dem von Nazis oder ähnelt diesem, so dass sich Verbindungsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte bieten. „Nationalismus und Rassismus entstehen [eben] auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus.”5 Den Entstehungsbedingungen von Rassismus und Nationalismus gerade in der Mitte der Gesellschaft ist nachzuforschen und diese sind konkret anzugehen, um im Sinne des Buchenwaldschwurs "die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln” zu erreichen. Dieser Reflexion sich nicht zu stellen und dumpf gegen „Antifa” und „schwarzen Block” zu polemisieren, um zu versuchen sich damit aus einer peinlichen Situation, in die man sich selbst hineinmanövriert hat, herauszuwinden, erscheint uns als schwerwiegender Fehler. Wir fordern daher den AStA der Universität Göttingen auf, seine Position zu überdenken und sich vom veröffentlichten Artikel zu distanzieren.

1) Diese ist nicht selbstverständlich. Über die meisten Aufmärsche von Nazis und Aktivitäten dagegen wird die Öffentlichkeit nicht breit informiert. Über die letzten beiden NPD-Demonstrationen in Niedersachsen, in Braunschweig und Oldenburg, wurde von seiten der Presse nur regional berichtet.

2) Schließlich stand da ja z.B. auch drin, dass Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft komme und er somit auch dort bekämpft gehört. Da man in der AStA-Zeitung für ein Tanzlokal Werbung macht, das unter dem begründeten Verdacht steht, eine rassistische Türsteherpolitik zu verfolgen, den Werbevertrag aber nicht auflösen wollte, konnte man natürlich nicht im Gegenzug einen Aufruf unterschreiben, der eben solches Verhalten kritisierte.

3) Diese Version wurde vom DGB-Vorstitzenden Martin Gertenbach im Namen des Bündnisses dementiert. Arbeitsgrundlage des Bündnisses war der gemeinsam erarbeitete Aufruf. „Der Aufruf ist das Ergebnis einer langen und demokratischen Debatte gewesen. Er stellt einen Kompromiss dar, bei dem viele Beteiligte von ihren ursprünglichen Positionen abgewichen sind. Die inhaltlichen Differenzen mit dem AStA und dessen Beharren auf seinen Positionen haben dazu geführt, dass der AStA Vorsitzende eine Beteiligung am Bündnis ausgeschlossen hat. Somit ist klar, dass nicht das Bündnis den AStA ausgeschlossen hat, sondern dass dieser selbst entschieden hat, nicht Teil des Bündnisses zu sein."

4) Dass dies der Fall ist, wird an den Stellen deutlich, an denen der Verfasser sich offensichtlich „Tatsachen” herbeifabuliert. Von AntifaschistInnen, die Polizisten mit Eisenstangen verfolgen, weiß, außer dem Verfasser, niemand zu berichten, auch die Polizei nicht.

5) Aus dem Aufruf des Bündnis gegen Rechts

Erschienen am: 09.01.2006 AutorIn: Basisgruppen Hist-Phil