Der Schrei nach Gegenaufklärung verhallte nicht ungehört...

Teil 1

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Die ADF stellt seit 4 Jahren die größte Fraktion im Studierendenparlament. Eine Analyse und Kritik ihres „Programms” stand bisher aus. 1. Teil.

Schreibt man über die Arbeitsgemeinschaft demokratischer Fachschaftsmitglieder (ADF), und das auch noch unter der Überschrift, die dieser Auseinandersetzung vorangeht, so läuft man Gefahr der Propaganda gegen den politischen Feind verdächtigt zu werden. Diesem Vorwurf widersprechen wir vehement, soll die ADF hier doch gar nicht als Einzelfall behandelt werden. Sie wird vielmehr einzig begreifbar als universitärer Ausdruck einer gesellschaftlichen Tendenz, als deren prägendes Merkmal sich gegenaufklärerisches Denken festmachen lässt. Da die Entwicklung der ADF gerade nicht losgelöst von Gesellschaft sich vollzog1, so liegt ein Schwerpunkt auf der gesellschaftlichen Vermittlung dieser Entwicklung. Was hier versucht wird, ist Kritik und eben keine Propaganda.

Als „konkretes” Material wurden größtenteils schriftliche Publikationen und, da sich diese nicht vermeiden ließen, persönliche Erlebnisse des Autors mit Personen mit ADF-Zugehörigkeit, verarbeitet, die nicht im einzelnen nachzuzeichnen sind. Im Weiteren wird häufig von der ADF geschrieben, als sei sie ein Gesamtsubjekt. Das ist natürlich nicht der Fall. Es tut sich jedoch die Schwierigkeit auf, die Gemeinsamkeiten, die sich aus den Positionierungen einzelner ADF-Mitglieder herausarbeiten lassen, einheitlich darzustellen. Außerdem mögen, solange sich niemand explizit davon distanziert, auch die namentlich gekennzeichneten Veröffentlichungen im Wadenbeißer als Gruppenmeinung verhandelt werden.

Die Geburt der ADF aus dem Geiste der Gegenaufklärung

„Im Herbst 1993 [...] kamen Vertreter unabhängiger Fachschaftsgruppen, die an den Fakultäten vor allem Serviceleistungen für ihre Kommilitonen anboten, zusammen und stellten sich eine Frage: Sind der Kampf gegen Atomkraft, gegen Kapitalismus und gegen den „Polizeistaat” Themen für eine studentische Interessenvertretung auf Universitätsebene? Mitnichten, dachte man schon damals und schloss sich für die Uni-Wahlen im Januar 1994 zu einer Liste zusammen, um sich gemeinsam für eine studierendeninteressennahe [sic!] studentische Vertretung auf Uni-Ebene einzusetzen: Die ADF war geboren”. So lautete der ADF-Gründungsmythos noch 20052. Mittlerweile wurde er umgeschrieben und wird nun in stark veränderter Form weitererzählt, doch ist die „ursprüngliche” Fassung die ehrlichere, lässt sich durch diese doch eine ganze Menge lernen über die Motivation, das Selbstverständnis und den Hintergrund derjenigen, die damals die ADF „gebaren”.

Drei Dinge lassen sich feststellen: erstens die Betonung der Unabhängigkeit der ADF, zweitens die Abgrenzung gegenüber Fragen gesellschaftlicher Bedeutung, hinter der sich ein ausgeprägtes Ressentiment gegen die Linke verbirgt3, drittens die Absicht, sich auf rein studentische Interessen zu konzentrieren. Identität wird hier also mehrfach aufgebaut: durch ressentimentgeladene Abgrenzung, Imagination von Unabhängigkeit der eigenen Position4 und durch die Illusion, dass es möglich wäre die Universität unabhängig von der Gesellschaft zu betrachten. Und dabei will man damals doch gedacht haben.

Die Denkanstrengung, welche die ADF hier behauptete zu vollziehen, entpuppt sich als Nicht-Denken. Nur weil der Kopf raucht, ist noch nicht gedacht worden. Vielmehr ist es das verselbstständigte Ressentiment, das sich da durch den Text und durch die Münder Ausdruck verschafft, durch das diejenigen, die dieses schrieben, einzig noch Identität herzustellen wissen. Voraussetzung von Denken wäre das Subjekt, das kritisch sich verhält noch gegenüber dem Prozess, der es zum Subjekt machte, welches die Identitäten, die es sich schafft und in die es gezwungen wird, kritisiert. Das würde bedeuten, Identität als das zu bestimmen, was diese immer auch ist, gewaltsame Zurichtung und Einseitigkeit. Zu erinnern wäre an Adornos Feststellung: „Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie ich sagen.” Das soll hier keine Beleidigung sein, sondern vielmehr verdeutlichen, dass ein „Ich” gar nicht positiv gefasst werden kann. Alles, durch was und in dem sich das Subjekt autonom, also als selbstbestimmt erfährt, ist zutiefst gesellschaftlich vermittelt und bestimmt. Subjektivität ist in der jetzigen Gesellschaft einzig noch negativ zu bestimmen: „als Befangenheit, als Innewerden der Ohnmacht: wissen, daß man nichts ist.”5 Indem die ADF versucht an der positiven Bestimmung eigener Identität festzuhalten, schlägt diese in Aggression gegen das um, was nicht Teil dieser Identität ist. Ihre Gruppenidentität schafft sie nur als unkritisch negative, gegen „die Linken” (Kritisch wäre sie ja nur, wenn sie das Vermitteltsein der eigenen Identität mit dem, was nicht damit identisch sein soll, reflektiert.)

Dass die von der ADF erschaffene Gruppenidentität eine falsche ist, wird ersichtlich dadurch, dass im gleichen Augenblick, in dem diese geschaffen wird, die Subjekte, die in diese Identität eingespannt werden, aufgespalten werden. Unterschieden wird nun zwischen der Identität als Studierende (mit „reinen” Studierendeninteressen, die eben nicht politisch sind) und ihrer privaten und politischen Identität. Beide Identitäten werden als reine Sphären, quasi unabhängig voneinander imaginiert. Das ist es wohl, was in den ADF-Publikationen unter Unabhängigkeit firmiert, die Vorstellung, man könne sich mit der Universität ohne gesellschaftliche Zusammenhänge beschäftigen.

Hier trifft sich das Verständnis der ADF mit gesellschaftlichem falschem Bewusstsein. Wie in der bestehenden Gesellschaft der Mensch zwischen Arbeit und Freizeit aufgespalten, die bürgerliche Trennung zwischen öffentlichem und privatem Leben vorgenommen, und dem Menschen die Freizeit als Freiheit vom Zwang vorgespielt wird, so trennt die ADF alle an der Uni Eingeschriebenen auf in Studierende und Privatmenschen. Damit vollzieht die ADF die gleiche Bewegung, mit der bereits Kant den Kern seiner Philosophie, das autonome Subjekt, aufgab zugunsten der falschen Allgemeinheit, die Gewalt über dieses ausübt: „Nun ist zu manchen Geschäften, die in das Interesse des gemeinen Wesens laufen, ein gewisser Mechanism notwendig, vermittelst dessen einige Glieder des gemeinen Wesens sich bloß passiv verhalten müssen, um durch eine künstliche Einhelligkeit von der Regierung zu öffentlichen Zwecken gerichtet, oder wenigstens von der Zerstörung dieser Zwecke abgehalten zu werden. Hier ist es nun freilich nicht erlaubt, zu räsonieren; sondern man muß gehorchen.”6 Die Einschränkung der Freiheit und Vernunft in all den Bereichen, die angeblich der Allgemeinheit dienen, die aber nur durch Zwang aufrechtzuerhalten sind, läuft auf die Auslöschung der Spontaneität des Individuums und damit auf die Auflösung des Individuums selbst hinaus. Die „öffentlichen Zwecke”, die angeblich die Interessen der Allgemeinheit bezeichnen, sind in Wirklichkeit aber Zwecke der sich durch die Allgemeinheit vollziehenden Warenproduktion und des Tauschprinzips, da eine Allgemeinheit als bewusster Vorgang der Vergesellschaftung autonomer Subjekte noch gar nicht existiert.

Dies bedeutet im Konkreten die Unterordnung des Individuums und seiner Interessen unter die Bedürfnisse der kapitalistischen Warenproduktion, studiert wird für die Bedürfnisse der Wirtschaft, des Standorts, des Staates. Und diese Unterordnung wirkt noch in den Bereich hinein, der als vermeintlich frei erfahren wird, den der Freizeit. Bezeichnend bereits, dass es das Private kaum noch gibt. Dem Privaten gegenüber bezeichnet Freizeit einen Raum, der massivst durch gesellschaftliche Einflüsse geprägt ist und der sich zuallererst auch nur in Abgrenzung zum Bereich der Arbeit bestimmt. Damit ist schon fast alles gesagt: Freizeit ist vor allem die Zeit, die den Individuen zugestanden wird, um ihre Arbeitskraft zu regenerieren und in der diese sich frei vom Zwang wähnen dürfen. Dieser Schein der Zwangsfreiheit ist notwendig für die bestehende Gesellschaft, damit ihr die betrogenen Individuen nicht über der Arbeit verzweifeln und ihr aufs Dach steigen ob der an ihnen begangenen Gewalt.

Die Auflösung des Privaten in einen öffentlich bestimmten Raum erfolgt also nicht, um die Individuen aus familiären, unter dem Mantel des Privaten verborgenen Zwangssituationen zu befreien und ihnen die Möglichkeiten zu eröffnen, sich zu politisch bewussten Subjekten zu entwickeln, die in allen Situationen des Lebens reflektiert agieren. Vielmehr werden sie den Regeln einer ihnen heteronomen Verwaltungsmaschine unterworfen, um sie in den Zielgruppen, denen sie zugeordnet wurden, festzuschweißen, ihre Interessen gegen ihre objektiven Interessen zu organisieren. Freizeit wird organisiert, um die Individuen bereits früh die gesellschaftlichen Rollen anzutrainieren, die der Produktionsapparat ihnen zugedacht hat.

Zum Scheinprotest

Die ADF reklamiert für sich, gegen Studiengebühren, gegen Kürzungen an den Universitäten zu sein7. In ihrer vorletzten Publikation war gar als Programm ihrer AStA-Arbeit zu lesen: „Aber auch Info- und Diskussionsveranstaltungen sowie Demonstrationen werden von uns organisiert.”8 Für den „Protest”, den die ADF dagegen veranstaltet (der einzige, den sie als legitim erachtet), ist erstens charakteristisch, dass dieser nur in dem Rahmen stattfinden darf, der sich durch „Studierendeninteresse” legitimieren ließe und dass alles in diesen Rahmen sich zu pressen habe. All diejenigen, die sich im Denken und Handeln nicht von vornherein beschneiden lassen wollen, werden als ProtestspalterInnen diffamiert.

Des Weiteren kennt die ADF nur noch Studierende. Alle objektiven Differenzen zwischen den Studierenden, sowohl in ihrer inhaltlichen Positionierung als auch ihre konkrete Situation betreffend (monetär, familiär, etc.), trachtet sie auszuradieren. Eine erfolgreiche Einheitsfront gegen Studiengebühren kann aber nur dann Erfolg haben, wenn es vorher zu einem Abgleich gemeinsamer und widerstreitender Interessen gekommen ist.

Eine kämpferisch erfolgreiche Studierendenschaft kann nicht einfach die Statusgruppe sein: Es reicht nicht aus, Studierende an sich zu sein, man muss zu Studierenden für sich werden.

Stattdessen geht man in der ADF mit einer bestimmten Vorstellung von Studierendenschaft an diese heran, die nichts anderes beinhaltet als eben die Statusgruppe. Eine Verständigung über Interessen innerhalb der Studierendenschaft wird nicht angestrebt, die Studierenden werden vielmehr als unmündig behandelt. Die ADF geriert sich als Ausformung zur Verwaltung dieser Masse und als Vertretungsinstanz ihrer Interessen. Dass sich diese aber gar nicht ausbilden können, daran hat die ADF Anteil und der Umstand der gelenkten Interesselosigkeit ist die Grundlage, auf der die ADF agiert.

Eine Debatte über Protestformen, vor allem über die Wirksamkeit von Protestkonzepten, findet nicht statt. Ebenso wenig eine Debatte darüber, wie überhaupt richtige Kritik an Studiengebühren und Kürzungen, also umfassende Kritik, aussieht und wie sie konkret zu formulieren ist. Eine solche Kritik muss eben auch gesellschaftliche Kritik sein, sie muss das Konkrete in seiner Vermitteltheit zum gesellschaftlichen Allgemeinen und das gesellschaftliche Allgemeine in seiner Vermitteltheit zum Konkreten fassen, da sie sonst Gefahr läuft zu jenen Institutionen überzulaufen, welche sich von der Einführung von Studiengebühren etwas versprechen. Protest ohne solche Kritik verläuft sich im Dickicht der gesellschaftlichen Verflechtungen, die ohne Kritik nicht zu entwirren sind, und scheitert schließlich daran, dass er orientierungslos dem in die Hände spielt, gegen dass er aufzubegehren sich auf den Weg machte.

Genau das passiert der ADF. Noch im Protest, den sie anmeldet, hat sie bereits die Vorgaben, die von den Institutionen, gegen die sich der Protest richtet, gesetzt werden, verinnerlicht. Zu sehen ist dies etwa am Umgang mit dem Scheinargument „Die Kassen sind leer”9. Dieses Argument wird allgemein akzeptiert. Weder wird gefragt, warum die Kassen leer sind, noch, warum alle den Gürtel enger schnallen sollen, wenn doch der gesellschaftliche Reichtum so groß und die Möglichkeiten der Produktion so enorm gestiegen sind, dass es eigentlich an der Zeit wäre die Gesellschaft so zu organisieren, dass alle ohne Mangel leben können.

Wird nun im Kampf gegen Studiengebühren und Kürzungen das Scheinargument der leeren Kassen nicht hinterfragt, so schlägt der Protest in Standortchauvinismus und entmündigende Lobbyarbeit um. Das der Protest, den die ADF forcierte, nämlich die Stellung der Studierenden gegen andere Gruppen, die ebenfalls von Kürzungen im Bildungs- und Sozialbereich betroffen sind, durchzusetzen, unsozial ist, wurde der ADF sogar von ungewöhnlicher Seite vorgeworfen. Phillip Rössler, seines Zeichens Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, erklärte gegenüber ADF-VertreterInnen, er spare lieber an den Universitäten, also größtenteils bei den gesellschaftlichen Gruppen, die gut abgesichert sind, als bei denen, die auf das Geld in größerem Maße angewiesen seien.

Das Standortargument in chauvinistischer Prägung bediente die ADF ja sehr häufig in ihren Publikationen, etwa wenn sie den Unistandort Göttingen gegen andere „schwächere” Standorte in Stellung brachte10 und somit hinter der sozialdarwinistischen Argumentation eine ebensolche Geisteshaltung aufscheinen ließ.

Exkurs: Stockholm Syndrom – Identifikation mit dem Angreifer

Bereits der Begriff „Standort” macht klar, dass es sich hier um ein ideologisches Konstrukt handelt. Es ist ja gerade nicht der Ort, an den es diejenigen, die ein Studium aufnehmen wollten, (vielleicht zufällig, vielleicht beabsichtigt) verschlagen hat und an dem sie jetzt ein vernünftiges Leben und ein vernünftiges Studium führen wollen. (Sonst hieße es ja Lebensort und nicht Standort.) Vielmehr zielt die propagierte Identifikation mit dem Standort auf eine Identifikation mit Interessen, die den objektiven Bedürfnissen von Studierenden entgegenstehen.11 Dem oft gehörten Hinweise, im Kampf gegen Studiengebühren und Kürzungen müsste man doch mehr den Standort Göttingen als Eliteuniversität betonen, ist zweierlei entgegenzuhalten.

Erstens schwächt solcher Standortchauvinismus die Position aller Studierenden, da sie sich nun als KonkurrentInnen der verschiedenen Standorte gegenüberstehen. Dabei dürften die Interessen aller Studierenden weniger differieren, als die vom Göttinger Studierenden und die vom Vorstandsvorsitzenden der Satorius AG, auch wenn diese beiden in der gleichen Stadt wohnen sollten.

Zweitens läuft eine solche Argumentation auf die Aufgabe der Autonomie der/des Einzelnen hinaus, was schließlich die Schwächung der eigenen Position bedeutet. Es erscheint so, als würde die freiwillige Identifikation mit Standort, Deutschland, Volk, etc., eine Sicherheit in einer gesellschaftlichen Verfassung, die die Situation jedes Einzelnen prekarisiert, bieten. Aber die Identifikation läuft auf die Identifikation mit den Institutionen hinaus, die den Einzelnen bedrohen, zuallererst dem Tauschprinzip. Auf die allgemeine Tauschbarkeit, darauf dass alles, was ist, gegeneinander tauschbar und damit austauschbar ist (womit ja von den konkreten Eigenschaften der jeweiligen Einzeldinge abgesehen wird) - und damit auch die Menschen gegeneinander austauschbar und damit als Individuen eigentlich überflüssig sind12 - reagieren die Menschen mit Anpassung, indem sie sich selbst flexibilisieren, sich noch weiter tauschbar machen in der Hoffnung, damit unabdingbar zu werden.

Das verdeutlicht einerseits, wie bedrohlich die Art der jetzigen Gesellschaft den Menschen gegenübersteht.13 Andererseits aber wird deutlich, dass die Hoffnung, dass durch freiwillige Aufgabe von Autonomie, durch Identifikation mit dem Standort, mit Deutschland und ähnlich dämlichen Konstrukten, die Existenz des Individuums zu sichern wäre, falsch ist.14 Mit Deutschland ist konkret für den Einzelnen kein Blumentopf zu gewinnen und mit dem Standort Göttingen ebenfalls nicht.

Leere Kassen vs. Freiheit

Schließlich aber ist die Argumentation mit der Leere der öffentlichen Kassen relativ einfach zu entkräften, wie das BB bereits in Ausgabe 7 dieser Zeitschrift zeigen konnte.15 Die Löcher in den öffentlichen Haushalten sind größtenteils entstanden durch massive Entlastung von Gewinnen, Vermögen und hohen Einkommen, innere Aufrüstung und Mobilmachung der Bundeswehr für Auslandseinsätze, somit letztlich zur Stützung der herrschenden Produktionsweise. Die laufende Umverteilung vollzieht sich zu Lasten der objektiven Bedürfnisse von Menschen, wie sie in den sozialen Sicherungs- und Bildungssystemen angedeutet sind, zugunsten der zum Selbstzweck gewordenen krisenhaften Produktionsweise und deren Verwaltungsapparates. Die Formulierung dieser Erkenntnis: dass die leeren Kassen eben kein naturhaftes Phänomen sind, das sich irgendwie ereignet hat, sondern dass sie Ergebnis einerseits konkreter Interessen, andererseits der konkreten gesellschaftlichen Zustände sind, bietet die Möglichkeit gezielter Veränderung.

Die Einschränkung von Lebens- und Bildungsmöglichkeiten, von Freiheit allgemein, ist nur noch durch Hinweis auf Mangel- und Bedrohungssituationen zu rechtfertigen. Da diese nicht mehr daraus resultieren, dass die Menschen sich in einem Überlebenskampf mit der Natur befinden, werden sie durch selbst geschaffene Mangel- und Bedrohungssituationen ersetzt. Dass diese sich bei Betrachtung als das erweisen, was sie sind, erstens als Menschengemacht und damit veränderlich, zweitens gar nicht als eigentliche Mangelsituationen, weist auf etwas entscheidendes hin: „daß der Stand der heutigen Produktivkräfte heute es erlauben würde, den Mangel in der Welt prinzipiell zu beseitigen.”16

Die ADF verurteilt die Möglichkeit einer besseren Welt, einer Welt ohne Mangel, als utopistisch. Die ADF kann (und will) keine einheitliche allgemeinpolitische Meinung vertreten und sie meint, dass dies „für die Vertretung studentischer Interessen [...] auch gar nicht notwendig”17 sei. Da aber oben ausgeführt wurde, dass es für die konsequente Vertretung studentischer Interessen unerlässlich ist, Gesellschaftskritik zu üben, und diese nur allgemeinpolitisch sein kann (und eine solche Kritik ist eben mehr als eine „allgemeinpolitische Meinung”, weist somit über die Positionen der vereinzelten Meinungen hinaus), so stellt sie sich offen gegen diese Möglichkeit. Damit aber offenbart sie sich als politisch regressive, gegenaufklärerische Kraft, ihr Programm als Ideologie der Gegenaufklärung.

Lest in der nächsten Ausgabe die Fortsetzung mit folgenden Schwerpunkten der Betrachtung: „'Theorie und Reflexion ist so schwer und sowieso nur Propagandamittel des politischen Gegners' – Service und Servicekritik”, „Pfui Spinne Extremismus – Wie die ADF brennende Mülltonnen mit dem Verbrennen von Menschen gleichsetzt” und „Falsche Nähe, falsche Distanz – ADF-Jargon”.

1) Da z.B. der Sozialcharakter derjenigen, die sich in der ADF wieder erkennen, bereits vorher in Schule, Familie, frühkindlicher Prägung, etc. geformt und diese Bereiche ja zutiefst vom gesellschaftlichen Zustand bestimmt sind.

2) Nachzulesen etwa in den Wadenbeißern (WB) Nr. 49, 59.

3) Wem das zu unbegründet daher kommt, der schaue einmal die älteren Ausgaben des Wadenbeißers an, die im Netz verfügbar sind (www.adf-goettingen.de). In diesen wird explizit und in Aufmachung und Inhalt populistischer Weise gegen Linke, besonders gegen die Antifa agitiert. Hier arbeitete die ADF noch offen mit populistischen Methoden, das Ressentiment gegen Linke wurde noch offen zelebriert.
Auch wenn die politische Betätigung gegen Linke heute keinen so großen Raum in den ADF-Publikationen mehr einnimmt, wie etwa noch vor fünf Jahren, so zeigt eine Untersuchung dieser Einstellungen die zugrunde liegende Motivation der damals in der ADF politisch Aktiven (und Leute wie Ralf Mayrhofer, Kai Horge Oppermann, Gerhard Riewe oder Andreas Lompe sind ja noch heute dabei) auf. Durch das Verständnis dieser Motivation erscheinen die trotz allem immer wiederkehrenden Ausfälle gegen die Linke als persönlich motivierte Aggressionen.

4) Allein die häufige Betonung der eigenen Unabhängigkeit in ADF-Publikationen lässt vermuten, dass es mit der Unabhängigkeit nicht so weit her ist. Wozu sonst müsste man sich dauernd einreden, man sei es? Ein besonders schönes Beispiel für eine solche Überbetonung ist das Editorial von Ralf Mayrhofer im WB 26

5) T.W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Zwergobst; GS 4, S. 55

6) Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

7) Die ADF spricht sich gegen Studiengebühren aus und engagiert sich über den AStA gegen die entsprechenden Pläne des Landes”, WB 59, S.2

8) WB 64, S.5

9) Wobei die ADF ja hier nicht alleine steht. Der gesetzte Rahmen wird hingenommen, die Phrasen als Argumente geschluckt. Die Gebetsmühlen von Politik, Medien, Alltag, etc., die aufkeimendes kritisches Bewusstsein zwischen den Mühlsteinen der dauerhaften Wiederholung ihrer immergleichen Phrasen (und allein durch die Wiederholung legitimieren sie ihren Wahrheitsanspruch) zu zermahlen trachten, leisten ganze Arbeit. Gerade am Umgang mit dem Argument der leeren Kassen wird deutlich, wie sehr sich die gesellschaftliche Tendenz als unbewusste in der ADF durchsetzt. Das schlimme an dieser Entwicklung ist die Zersetzung von Spontaneität und Autonomie der Individuen, also von Freiheit, in deren Namen der ganze Schwindel auch noch veranstaltet wird.

10) Etwa der unsägliche Versuch, mit einer Kampagne, deren Ziel die Schließung der Universität Vechta zugunsten der Uni Göttingen war, den gemeinsamen, universitätsübergreifenden Protest von Studierenden gegen die Beschneidung ihrer Rechte und gegen massive Eingriffe in ihre Studienstruktur und damit in einen wichtigen Teil ihres Lebens, zu spalten und zu sabotieren. Aber auch im letzten Wahl-Wadenbeißer (Nr. 63) vermochte die ADF ihre Kritik an den Kürzungen an der SoWi-Fakultät nur zu äußern, indem sie die angebliche Exzellenz der Göttinger Politikwissenschaften gegen andere Standorte in Stellung brachte und damit implizit deren Schließung forderte. Eine solche Kritik trifft das grundlegende Problem der Kürzungen nicht, sondern verwandelt Kritik in Ressentiment.

11) Hingewiesen sei nur auf konkrete Interessen der verzahnten Wirtschafts- und Politik”elite”, die in der vollzogenen Identifikation mit dem Standort und der gewünschten Konkurrenz unter den Standorten eine Solidarisierung aller Betroffenen gegen die gegen sie gerichtete Politik verhindert weiß.

12) Schließlich ist es ja völlig egal, welche konkrete Person einen bestimmten Job verrichtet, solange sie die standardisierten Voraussetzungen zur Verrichtung dieses Jobs erfüllt.

13) Und natürlich ist es existenzbedrohlich in dieser Gesellschaft arbeitslos zu werden, ist es bedrohlich, über die Regelstudienzeit zu kommen und damit Langzeitgebühren zahlen zu müssen.

14) Allein die Hoffnung ist ja bereits nur die Hoffnung auf ein Abhängigkeits-, auf ein Leibeigenenverhältnis.

15) „Studiengebühren bereits vor der Einführung ein voller Erfolg” www.bb-goettingen.de/341

16) T.W. Adorno: Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit; Frankfurt a.M, S.251

17) Selbstdarstellung der ADF, etwa in WB 64, S.5

Erschienen am: 12.07.2006 AutorIn: email-address