Freiraum bleibt Freiraum bleibt Freiraum...
Teil 1
Vorgeplänkel
Im vergangenen Februar wurde das Jugendzentrum Ungdomshuset in Kopenhagen geräumt. Anfang der Neunziger wurde das Haus, welches in den Achtzigern von linken Gruppen besetzt wurde, von der Stadt an die rechte Sekte Vaderhuset verkauft. Ob der Verkauf rechtlich überhaupt hätte passieren dürfen ist fraglich, da die Nutzer_innen des Hauses eine Vereinbarung mit der Stadt getroffen hatten, nach der ihnen das Haus zur Verfügung gestellt wurde. Bereits damals wurde ein breites Bündnis von linken Gruppen, den Nutzer_innen des Hauses und verschiedenen bürgerlichen Organisationen gegründet, die sich für das Haus einsetzen und gleichzeitig Vaderhuset bekämpfen wollten. Bereits im Wettkampf um den Kauf sammelten Unterstützer_innen bis zu 2 Mio. Euro, was jedoch nicht reichen sollte, um die Stadt von der Ernsthaftigkeit des Angebots zu überzeugen. Vielmehr wurde das Haus an einen Immobilienmakler verkauft, der in engem Kontakt zu Vaderhuset steht. Nach einem jahrelangen Tauziehen mit der kopenhagener Stadtverwaltung wurde 2000 absehbar, wohin der Konflikt führen würde. Noch versuchte die Verwaltung die Nutzer_innen des Hauses mit inakzeptablen Alternativvorschlägen friedlich aus dem Haus zu locken, doch diese weigerten sich, da kein Haus auch nur annähernd an die Lage, die Größe und die Geschichte dieses Projektes heranreichen konnte.
Nachdem bereits im Dezember 2006 viele Menschen auf die Straße gegangen waren und entschlossenen Widerstand angekündigt hatten, begann wie erwartet die Räumung. Dennoch ereignete sie sich mit einer überraschenden Vehemenz. Sogenannte „Anti-Terroreinheiten“ der Polizei stürmten das Gebäude vom Dach aus, andere brachen über eine Seitenwand des Gebäudes mit Hilfe eines von einem Hebekran in die Luft gehobenen Containers ein und wieder andere sorgten dafür, dass keine Menschen auch nur in die Nähe des Hauses gelangen konnte. Der Stadtteil Nørrebro wurde fast eine Woche lang von der Polizei in einen Ausnahmezustand versetzt. Doch die Unterstützer_innen reagierten recht schnell. Der Widerstand gegen die Räumung zog sich hin. Auf über 3 Tage intensivster Auseinandersetzung folgten verschiedene Großdemonstrationen bis in den März hinein. Doch die Geschichte des Ungdomshuset endete bereits am Tag der Räumung, als Bagger und Kräne anfingen das Haus zu demolieren, bis schließlich nichts als das Fundament mehr stand.
Freiraum bleibt...
In fast jeder Stadt gibt es noch Freiräume. Von einer ehemaligen Fülle an Projekten, die im wesentlichen in den Bewegungen der 80er Jahre entstanden, sind nur noch relativ wenige übrig. Dies hat nicht zuletzt auch mit einem gesellschaftlichen Wandel zu tun, der dazu geführt hat, dass emanzipatorische Bewegungen an Stärke eingebüßt haben. Sie sind jedoch nicht vollständig von der Bildfläche verschwunden und werden vorläufig auch noch bestehen bleiben. Und solange es diese Bewegungen gibt, brauchen sie Orte, an denen sie sich so unabhängig wie möglich bewegen und organisieren können. Diese Orte sind sogenannte Freiräume und haben eine zentrale Bedeutung für progressive Bewegungen – selbstverständlich auch für die Gesellschaft als Ganze. Deshalb ist es notwendig die bestehenden Freiräume zu verteidigen, auch wenn es bisweilen schwierig erscheint, diese halten zu können, wie die Geschehnisse rund um die Räumung des Ungdomshuset in Kopenhagen gezeigt haben. Die Verteidigung bleibt nicht zuletzt deshalb wichtig, weil die gesellschaftlichen Veränderungen, welche emanzipatorische Bewegungen in Wetseuropa erheblich geschwächt haben, auch für einen Wandel im Bezug auf das Bewusstsein für Freiräume in breiten Bevölkerungsschichten gesorgt haben. Es ist durch diese Bewusstseinsveränderung für Politik und Verwaltungen wieder akzeptabel den Freiräumen offen zu drohen, in ihren Möglichkeiten einzuschränken und sogar einzustampfen. Dies ist keine auf Deutschland beschränkte Entwicklung, sondern vielmehr ein europaweites Phänomen. Die Räumung des Ungdomshuset ist nur ein Beispiel, aber wohl auch ein Höhepunkt des Widerstandes rund um das Thema Freiräume und Repression.
In den Niederlanden sieht sich die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer noch starke Hausbesetzer_innen-Bewegung vermehrt mit lokalen Verwaltungen und dem Staat konfrontiert. Wo es Mitte der 90er Jahre noch möglich war für ein geräumtes Haus wieder zwei neue zu besetzen, ist es heutzutage so, dass die Freiräume einerseits immer mehr in die Peripherie rücken müssen, um einigermaßen sicher vor einer Räumung zu sein, und andererseits Räumungswellen angesetzt werden. Bestes Beispiel dafür ist die Räumungswelle im Januar in Amsterdam, in der drei besetzte Häuser auf einen Schlag geräumt wurden. Diese war die bislang letzte Welle einer bereits seit Jahren andauernden Repression gegen Hausbesetzer_innen in den Niederlanden.
Und auch in Deutschland sehen sich Freiräume, wie der schwarze Kanal und das Køpi in Berlin und die Hafenstraße in Hamburg, vermehrt mit Schikanierungen und Androhungen durch die lokalen Verwaltungen konfrontiert. Um die lokale Bedeutung dieser Tendenz etwas konkreter zu machen: Auch in Göttingen haben z.B. Studentenwerk und der Universitätsverwaltung diese Tendenz aufgegriffen. So wurde das Café Kollabs frühzeitig durch die Raumverwaltung aufgelöst. Die bislang in Kollektivverträgen organisierten Studierendenwohnheime im Kreuzbergring, Gotmarstraße und in der Roten Straße sehen sich nun mit einem Angriff auf ihre Selbstbestimmung konfrontiert.1 Aus dieser Perspektive sollte deutlich werden, was auch hier vermehrt auf der Tagesordnung stehen sollte.
Freiraum kommt...
Die Gründe für den Erhalt sowie den Kampf um neue Freiräume sind vielfältig, liegen jedoch für die meisten Menschen nicht sofort auf der Hand. Es wird in dieser Artikelreihe im Allgemeinen drei Ebenen geben, anhand derer die Gründe für Freiräume eingehender dargelegt werden sollen. Die erste betrachtet den Umstand, dass es sich beim Kampf um Freiräumen immer um eine Antwort auf soziale Konflikte handelt, die aus den bestehenden ökonomischen Verhältnissen resultieren. Die Bewegungen in den Achtzigern in Dänemark, den Niederlanden, Deutschland, Spanien und anderen europäischen Ländern waren eine Antwort auf die Zustände, die dort vorherrschten. Zum einen war es eine Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen im Allgemeinen, zum anderen aber eine praktische Bewegung, die sich konkret gegen unzumutbare Mietpreise auflehnte. Die zweite Ebene stellt die Möglichkeit dar, in selbstverwalteten Räumen, andere Formen von Entscheidungs- und Diskussionsprozessen ausprobieren zu können. Damit dienen Freiräume auch der Bewusstseinsveränderung hin zu anti-autoritären Umgangsformen. Da die Treffen meist für alle offen sind, lassen sie zu, dass Menschen sich in der Selbstorganisation üben, was unausweichliche Bedingung für eine emanzipatorische Veränderung der Gesellschaft ist.
Die in dieser Reihe als letzte angeführte Ebene bezieht sich auf die strukturellen Verbesserungen der Lebensumstände, die durch die Aneignung von Lebensbedingungen resultiert. Sei es die Umsonstnutzung von Internet in kostenlosen Internetcafés oder das Lagern von Materialien, die so für alle zugänglich werden. In diesem Artikel soll im Besonderen zunächst auf den Konflikt der Mietpreise genauer eingegangen werden, welcher momentan wieder an Aktualität gewinnt, da mehr und mehr Menschen aus der Partizipation am gesellschaftlichen Leben (Wie Kino oder andere Unterhaltungsmedien) ausgeschlossen werden.
Freiräume vs. Mietpreise
Die Großstädte der westeuropäischen Staaten wurden in den Achtzigern im Zuge der ökonomischen Expansion Europas zunehmend teurer und dadurch unbezahlbar für jene, die unter der Logik des Kapitalismus am meisten litten. Dadurch wurden sie in die Peripherie gedrängt und waren mit zunehmend schlechteren Lebens- und Wohnbedingungen konfrontiert. Die Hausbesetzer_innenbewegung war zum Teil eine Antwort auf neue Konzepte für städtische Infrastruktur, die zu dieser Zeit entwickelt wurden. Diese zielten darauf ab Innenstädte zugänglicher für den Dienstleistungssektor zu machen, was mehr und mehr „Shoppingstreets“ entstehen ließ, die in einigen Metropolen bereits bekannt waren. Mehr und mehr wurden die Wohnräume modernisiert und damit gleichzeitig teurer.
Diesen Prozessen, die auf die Kommerzialisierung der Innenstädte abzielten, wollten die Hausbesetzer_innen etwas entgegensetzen. Es wurden Freiräume erkämpft und geöffnet für Menschen, die darin leben wollten. Sie boten eine gute und vor allem bezahlbare Alternative für jene, die sich die teuren Wohnungen in den Zentren nicht mehr leisten konnten. In den Niederlanden entstand so eine breite Bewegung, die sich vor allem auf den Widerstand gegen die Umstrukturierung der Innenstädte konzentrierte. Ebenso entstanden Treffen, an denen Menschen, die bis dahin nichts mit Gesellschaftskritik zu tun hatten, teilnehmen konnten, um zu erfahren, wo Räume leer standen und wie eine Hausbesetzung funktionierte. Dieses Prinzip dezentraler Organisation trug den Namen der sogenannten „Kraakspreekuren“2, die bis heute existieren.
Die Menschen, die anfangs unpolitisch einstiegen, nahmen an den Treffen primär teil, weil sie bei der Kommerzialisierung der Innenstädte unter die Räder gerieten. Denn im Zuge der Umstrukturierungen der Innenstädte wurde auch die Spekulation mit Immobilien und vor allem mit Grundstücken zunehmend attraktiver. So kam es bald zu dem Phänomen, dass Häuser, die gut bewohnbar, d.h. in gutem Zustand, waren, über Jahre hinweg leer standen, weil eine Bewohnung durch Mieter_innen den Preis „des Objektes“ gesenkt hätte. Dies zum einen, weil es schwierig ist, einen bestehenden Mietvertrag zu kündigen und zum anderen, weil die Bewohnung den Wert der betreffenden Immobilie abnutzt. So entschieden sich viele der Spekulant_innen ihre Immobilien leer stehen zu lassen und so eine dauerhafte Steigung des Immobilienwerts zu garantieren.
Unter diesen Umständen kam und kommt es zu der abstrusen Situation, dass Menschen auf der Straße sitzen, obwohl Gebäude zuhauf leerstehen. Nicht etwa, weil die Mieter_innen zu gut geschützt wären und auch nicht, weil die Spekulant_innen böse Absichten hätten. Sie folgen lediglich stringent einer ökonomischen Logik. In den Niederlanden kam es durch das Konzept der dezentralen Organisation recht schnell zu einer Popularisierung des Mietkampfes. Auch in Deutschland, vor allem in Berlin, kam es zu vielen Besetzungen leerstehender Häuser, die so wieder bewohnbar gemacht wurden. Dies hatte zum einen die Konsequenz, dass Bewohner_innen keine Miete bezahlen mussten und zum anderen, dass dem konkreten Problem der Wohnungsnot durch Selbstorganisation Abhilfe geschaffen wurde.
Dadurch senkten sich die allgemeinen Mietpreise zwar nicht erheblich, aber es wurden Freiräume erkämpft, was auch erstmals richtig die Aufmerksamkeit der Politik erregte, die daraufhin versuchte, es wieder in „geordnete“ Bahnen zu lenken. Dies führte zu verschiedenen Ansätzen, wie etwa das Konzept des „Sozialen Wohnungsbaus“, das sich vor allem dafür zuständig sah, erschwingliche Wohnräume in der Nähe der Zentren zur Verfügung zu stellen. Diese erkämpften Verbesserungen der Miet- und Wohnzustände sorgten kurzfristig - jedoch nicht auf Dauer - dafür, dass sich das Problem der Behausung entschärfte. Doch Heute tritt das Problem der hohen Mietpreise in den Zentren wieder auf. Hohe Arbeitslosenzahlen und weitere Einschnitte in den Sozialstaat führen dazu, dass jene, die durch das gesellschaftliche Raster fallen, sich wieder mit der nackten Tatsache konfrontiert sehen, dass sie nicht wissen, wie sie bis zum Ende des Monats finanziell überleben sollen. Darüberhinaus kommt es seit der Einführung von Harz IV vermehrt dazu, dass Menschen aus ihren Wohnungen geschmissen werden, weil sie angeblich „über ihre Verhältnisse“ Leben würden.
Zum Schluss soll noch ein konkretes Beispiel aus Göttingen dazu dienen, die gesamte Thematik noch einmal zu veranschaulichen. Die Studierendenwohnheime im Kreuzbergring sollten in den Achtzigern abgerissen werden, um den Kreuzbergring um eine zweite Spur zu vergrößern. Zwar war die Wohnungsnot in einem doch provinziell geprägten Göttingen nicht sonderlich hoch, es boten sich dennoch genug Gründe, die gegen eine Vergrößerung des Kreuzbergrings und für eine Besetzung der Wohnheime sprachen. Wer sich den strukturellen Mangel an bezahlbaren Studierendenunterkünften in Göttingen anschaut, wird einsehen, dass es auch aus diesem Grund noch heute Sinn machen würde derart zentral gelegene Wohnräume wieder bewohnbar zu machen. Durch die Besetzungen wurden zum einen neue Studierendenwohnheime geschaffen, die nun immer noch von vielen bewohnt werden und zum anderen entstand Druck auf die Verwaltung, mehr bezahlbare Wohnräume zur Verfügung zu stellen.
Mietpreise sollen gehen...und das Ganze drumherum
Wir haben gesehen, dass die Erkämpfung von Freiräumen viel mit konkreten menschlichen Bedürfnissen zu tun hat, deren Erfüllung dieser Gesellschaft immer wieder aufs Neue abgerungen werden muss. Ohne eine gesellschaftliche Perspektive über jene absurde Verwertungslogik, die es „sinnvoller“ erscheinen lässt, Wohnraum ungenutzt zu lassen als ihn Menschen zur Verfügung zu stellen, hinaus, bleiben solche Kämpfe jedoch Kämpfe gegen Windmühlen. Deshalb betrachten wir nur solche Freiräume als emanzipatorisch, die zwei Dinge kombinieren. Zum einen die unmittelbare Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen und zum anderen jene, die die Möglichkeit einer emanzipatorischen Veränderung der Gesellschaft aufrecht erhalten und erweitern. Im nächsten Artikel dieser Reihe wird es darum gehen, wie die Existenz von Freiräumen zu einer strukturellen Verbesserung der Lebensbedingungen führen kann und welche Initiativen sich konkret in und im Umfeld von Freiräumen entwickeln können.
1) Vgl. hierzu "Das Studentenwerk droht den selbstverwalteten Häusern"
2) dt.: Besetzungssprechstunden