Zusammenhang #20 - Mai 09

Zeitung des Basisdemokratischen Bündnis - Zusammenschluss aller Basisgruppen

[Zusammenhang #20]
Zusammenhang #20

Editorial

Inzwischen ist der Bachelor-Studiengang an der Göttinger Uni zur Normalität geworden und hat den Charakter des Studiums sichtbar verändert. Die großen Versprechen, etwa auf mehr „Flexibilität“ beim Studienortwechsel, haben sich inzwischen praktisch als jene legitimatorischen Lügen entlarvt, als die sie bereits vor der Einführung von Seiten kritischer Studierender bezeichnet wurden. Die Befürchtungen hingegen, die bereits damals formuliert wurden, haben sich bewahrheitet: Der Leistungsdruck ist so enorm angestiegen, dass Abbruchquoten gestiegen sind, dass die psychosozialen Beratungsstellen kaum mehr hinterher kommen, dass tiefgehende Auseinandersetzung mit den Inhalten oder spannende Seminare über Pflichtveranstaltungen hinaus besuchen zu können Dinge sind, die man bestenfalls aus Erzählungen alter Magister/Diplom-Studis kennt, die sich zufällig sich in ein Einführungsseminar verlaufen haben. Der Bachelor ist nicht nur ein autoritär-durchreguliertes Agglomerat von Vorgaben und Leistungsprüfungen, die jeder freien Gestaltung des Studienverlaufts entsprechend den Interessen oder der Lebenssituationen (zB nebenbei Arbeiten zu müssen) der Studis im Wege stehen, sondern auch noch eins, dass über seine eigenen Füße stolpert: Etwa wenn sich Pflichtveranstaltungen so überschneiden, dass selbst ein Regelstudium unmöglich wird. Das alles trägt selbstverständlich nicht dazu bei, dass diese Zumutung wieder abgeschafft wird, sondern wird auf dem Rücken der Studierenden ausgetragen.

Doch auch wenn die Zeit für politische Aktivität knapp geworden, regt sich jetzt Widerstand derjenigen, die die Schnauze davon voll haben, herumgestoßen und dafür auch noch als „halbgebildete BAs“ belächelt zu werden: Im Sommer sind bundesweite Proteste unter dem Label „Bildungsstreik“ geplant, Bündnisse mit Schüler*Innen und anderen werden geschmiedet – die ersten Vollversammlungen in Göttingen Anfang Mai, die in fast allen Fachbereichen stattfanden, waren sichtlich gut besucht und haben zahlreiche Kleingruppen gebildet, die Protest-Aktionen vorbereiten und konkrete Entschärfungen der Zumutungen an ihren Fachbereichen erkämpfen, sowie eine grundlegende Kritik an dem Bildungsverständnis ausformulieren wollen, das sich im BA materialisiert hat. Zeit aktiv zu werden! Hier findet ihr Infos und Termine zum Bildungsstreik 2009 in Göttingen.

Bereits letztes Jahr erkämpften sich Studierende das Autonomicum Freiraum-Café, dass sich als Gegenpol zu den oben genannten Zumutungen versteht. Mehr darüber lest ihr in "La estrategia del caracol".

Die Göttinger Lokalpresse indes macht es sich gern einfach und skandalisiert lieber ein paar gezinkte Forschungsanträge, als eben jenen Umbau der Hochschullandschaft in den Blick zu nehmen und zu kritisieren, der den Universitäten und Forscher*Innen das Geld zunächst weggekürzt und sie dann darum in einen erbitterten Konkurrenzkampf versetzt hat, worin Geklüngel und Betrügerei geradezu vorprogrammiert sind ("Uni Göttingen bescheißt bei Forschungsanträgen"). Über einen Streit um die Wahl der Fachgruppensprecherin, deren Wahlsieg unter fadenscheinigen Begründungen angezweifelt wird, berichten wir in ("AK Germanistik inszeniert Benachteiligung...".

Der „Umbau“ des Bildungssystems ist aber im größeren Kontext betrachtet nur ein Aspekt in Sachen Zumutungen und (soziale) Auseinandersetzung: Jene Gesellschaftsform, die sich für die beste aller Zeiten hält und dabei solche Paradoxien zustande bringt, wie dass vielen Menschen ein schönes Leben versagt wird und sie hungern und leiden müssen, nicht nur trotz sondern weil soviel Zeug hergestellt werden kann, dass gar nicht alle zum Arbeiten abgestellt werden müssen, hat sich in eine seiner tiefsten Krisen seit langem gestürzt: Die Rede ist selbstverständlich vom Kapitalismus. In Frankfurt und Berlin demonstrierten über 50.000 Menschen gegen die Zumutungen von dessen Krise. Dabei stieß der Auftritt von Oskar Lafontaine (Linkspartei) in Frankfurt, der bereits im Vorfeld ob seiner rassistischen und autoritären „Lösungen“ für gesellschaftliche Probleme umstritten war, auf den Unmut einiger Demonstrant*Innen und erntete Pfiffe und fliegende Eier ("Mehrere Zehntausend auf Krisendemos..."). Nicht erst mit der Krise aber wird deutlich, dass es allerhöchste Zeit ist, sinnvollere Alternativen zum kapitalistischen Blödsinn auszuprobieren. Über einen Ansatz berichten wir in "NutzerInnen-Gemeinschaften: Mit Schick, Chance und Methode".

Die Kundgebungen und Demonstrationen, die jährlich am 1. Mai soziale Auseinandersetzungen austragen, haben indes mit einem ganz anderen Kaliber zu tun: Rechtsradikale versuchen seit langem den 1. Mai für ihren reaktionären Müll zu instrumentalisieren. Zunehmend bedrohen sie aber auch gewaltsam linke Kundgebungen und Gewerkschafts-Demos. Während in Göttingen betrunkene Burschenschafter die Veranstaltung „nur“ mit dummen Sprüchen stören konnten und weiteres dadurch verhindert wurde, dass sie recht schnell von Teilnehmer*Innen der Kundgebung vom Marktplatz geschoben wurde, kam es in etwa in Dortmund zu einem Angriff durch „Autonome Nationalisten“ gegen die DGB-Demo, wobei es mehrere Menschen verletzt wurden. Die Polizei indes war zu beschäftigt Linke zu kriminalisieren, die sich wehrten, statt einen Schutz zu bieten ("Burschenschafter stören 1. Mai Kundgebung...").

Auch in Göttingen ist es der Polizei eher darum getan, soziale Auseinandersetzung mundtot zu machen und zu kriminalisieren – so geschehen etwa bei einer Soli-Demo wegen der Räumung eines besetzten Hauses in Erfurt, bei der ohne ersichtlichen Grund gleich die gesamte Demo eingekesselt und des Landfriedensbruchs bezichtigt wurde ("PM zur Antifa-Demo in Friedland...").

Während die Stadt Göttingen damit beschäftigt ist, ALG-II Empfänger*Innen mit allen noch so fragwürdigen Mitteln die Bezüge zu kürzen, hat sich ein Seminar an der Geographie daran gemacht, einen wissenschaftlichen Armutsbericht für Göttingen zu verfassen. Die Ergebnisse haben wir in "Armut in Göttingen" zusammen gefasst. In den Banlieus in Frankreich toben soziale Auseinandersetzung seit langem schon heftiger, als wir es hier gewohnt sind. Eine Analyse von Marinus Van Der Lubbe vor Ort haben wir euch daher übersetzt und in "Ihr könnt uns nicht umbringen - wir sind schon tot" abgedruckt.

Zuguterletzt wollen wir euch noch auf das Antifee-Festival hinweisen, dass auch dieses Jahr im Juni wieder zum Feiern gegen Sexismus und Nationalismus auf den Campus lädt ("Antifee Festival 2009" ).

Viel Spaß beim Lesen,

euer Basisdemokratisches Bündnis

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Erschienen am: 12.06.2009 zuletzt aktualisiert: 12.06.2009 19:11 AutorIn: email-address