Bildung im Wandel

Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht Hochschulrankings, Leitartikel und Titelthemen über die Situation an deutschen Unis berichten. Inzwischen dürfte klar sein, dass es sich um ein Thema von staatstragender Wichtigkeit handeln muss, an dem verschiedenste Akteure ein vitales Interesse haben.

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Die aktuelle Bildungsdebatte hat etwas Groteskes. Denn während einerseits das Wort von der Wissensgesellschaft in aller Munde ist und überall die Notwendigkeit von Bildung beschworen wird, wird andererseits ihre Finanzierung immer weiter zurück gefahren. Während die Pisa-Studie zeigt, dass Deutschland europaweit eines der sozial selektivsten Bildungssysteme besitzt, also Kinder aus sog. bildungsfernen, d.h. ärmeren, Schichten strukturell benachteiligt werden, führen die Länder Studiengebühren ein. Das ist erklärungsbedürftig.

Rückblick: Die Bildungsreform der 60er Jahre

Im Rahmen der ersten Bildungsreform in der BRD seit Anfang der 60er Jahre konnten viele Freiheiten innerhalb des Studiums erkämpft werden. Die deutsche Wirtschaft verzeichnete in dieser Zeit immense Wachstumsraten. Diese beruhten v.a. auf einem exportstarken qualitativ hochwertigen Industriesektor. Dem entsprach die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung und auch das Bildungssystem. Das dreigliedrige Schulsystem, das bis heute Bestand hat, festigte und reproduzierte die soziale Differenzierung durch seine frühe Selektion. Während sich aus den Haupt- und Realschulen die klassischen fordistischen Industriearbeiter rekrutierten, bildeten die Universitäten v.a. Funktionseliten (Ingenieure, Manager, usw.) aus.

Jedoch erhöhte sich in den 60er Jahren der Bedarf an gut qualifizierten Facharbeitern in dem Maße, dass das Bildungswesen mit seinen starken sozialen Selektionsmechanismen die Nachfrage nicht mehr decken konnte. In diesem Kontext steht die Bildungsdebatte der 60er und 70er Jahre. Die Hochschulen wurden nun geöffnet. 1970 wurden die Studiengebühren abgeschafft. Die Einführung des BAföG verringerte die schichtspezifischen Zugangsbarrieren zusätzlich. Der Anteil der ArbeiterInnenkinder an der Zusammensetzung der Studierenden erhöhte sich von 6% 1963 auf 16% 1982. Der Staat übernahm jetzt weitestgehend die Bildungskosten. Die Bildung wurde in dieser Zeit als sozialpolitisches Instrument entdeckt. Denn die Erweiterung der Studierendenschaft an Unis und Fachhochschulen konnte nur unter Einbeziehung breiterer Schichten erreicht werden. Deshalb wurde der Versuch unternommen, über die Bildungspolitik die soziale Mobilität von Kindern aus unteren Schichten zu erhöhen. Die Gründung von Fachhochschulen und Universitäten wurde bewusst zur Förderung strukturschwacher Regionen eingesetzt. In Niedersachsen z.B. wurde ein Netz kleinerer Universitätsstandorte über das Land gezogen, um die ländlichen Regionen zu entwickeln. Die expandierende Wirtschaft und das expandierende Bildungswesen bedingen sich also gegenseitig. Das extensive Wirtschaftswachstum erlaubte dem Staat die gesellschaftliche Infrastruktur – zu der auch die Bildung gehört – immer weiter auszubauen. Zugleich ist diese Infrastruktur Bedingung für den Erfolg der deutschen Wirtschaft. Weiterhin sicherte das dreigliedrige Schulsystem mit seinen frühzeitigen Selektionsmechanismen eine Unterschicht von Industriearbeitern, während die Anzahl der Studierenden erhöht und damit die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften bedient werden konnte. Schon damals war die Vorstellung von der freien Wissenschaft oder der freien Bildung also eine Illusion. Schon immer diente sie zur Ausbildung von ökonomischen Humanressourcen. Trotz allem ließ das System seit den Bildungsreformen der 60er Jahre größere Freiheiten innerhalb des akademischen Betriebs zu.

Die doppelte Krise des Bildungssystems

Dieses System gerät jedoch spätestens in den 80er Jahren in eine Krise, die es bis heute nicht überwunden hat. Mit dem Ende des Nachkriegsbooms beginnt eine Politik, die versucht die Kosten der sozialen Infrastruktur zu senken. Der Staat reagiert auf die wirtschaftliche Entwicklung mit immer weiteren Steuerentlastungen für die Unternehmen. Der Anteil der Gewinnsteuern an den gesamten Steuereinnahmen reduziert sich von 32% im Jahre 1977 auf ca.12,3% im Jahr 1998. Während z.B. die USA auf diese Entwicklung mit einer massiven Ausweitung des Haushaltsdefizits reagieren, sprich Schulden machen, versuchen der deutsche Staat ebenso wie die Länder und Kommunen diesen Einschnitt zu kompensieren, indem sie versuchen ihre Ausgaben in allen Bereichen zu senken oder zumindest stabil zu halten. Dies gelingt jedoch nur bedingt und es kommt zu einem kontinuierlichen Anstieg des Haushaltsdefizits. Im Jahr 2003 belaufen sich die angehäuften Staatsschulden auf 1.300 Mrd. Euro. Bis zu 20% des Haushaltes wird zur Zinszahlung verwendet. Der Staat ebenso wie Länder und Kommunen gerät zunehmend in die Klemme einerseits die gesellschaftliche Infrastruktur aufrecht erhalten zu müssen, auf die die Wirtschaft angewiesen ist, andererseits hierfür immer weniger Mittel von der Wirtschaft abschöpfen zu können und zu wollen. Denn auch innerhalb dieser Logik sind es weiterhin politische Entscheidungen durch die Prioritäten gesetzt werden. So hat in der Steuerpolitik der letzten Jahre eine massive Entlastung von höheren Einkommen stattgefunden. Allein die letzte Stufe der rot-grünen Steuerreform mit der Absenkung des Spitzensteuersatzes von 47% auf 42% bringt Verluste um ca. sechs Milliarden Euro und entlastet v.a. die BezieherInnen von Jahreseinkommen zwischen 500.000 und 1.000.000 Euro. So finden innerhalb der allgemeinen Sparlogik Prioritätensetzungen statt, die durch politische Kämpfe veränderbar sind. Die gesellschaftlichen Umbrüche führen jedoch auch zu einer veränderten Bestimmung dessen, was Aufgabe von Bildung sein soll. Denn mit dem Bedeutungsverlust der Industrie, der mit einem Bedeutungszuwachs des Dienstleistungssektors einher geht, findet auch eine Umwälzung der Anforderungen an das Bildungssystem statt. Es ist der European Roundtable of Industrialists (ERT), der diese Veränderung kurz und bündig auf den Punkt bringt: „Erfolgreiche Kandidaten für traditionelle Berufe können natürlich durch eine frühe Spezialisierung in der Schule, vielleicht gefolgt von einer Ausbildung, produziert (produced) werden. Aber es muss eine Garantie geben, dass dieser Beruf auch noch nach Jahren da sein wird. Dieses System war gut für die langsame Vergangenheit, aber heute ist es unangemessen.” Und weiter: „Arbeitgeber brauchen Menschen mit Selbstdisziplin, die sich an ständige Veränderungen anpassen können und endlosen neuen Herausforderungen gewachsen sind”, schreibt der ERT in seinem Dossier „Towards the learning society”. Was hier bereits 1995 antizipiert worden ist wird zunehmend zur Realität. Es geht um die Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses und um das Ende kontinuierlicher Arbeitsbiographien. Der klassische fordistische Arbeiter, der auf der Grundlage von einmal erworbenen Kenntnissen ein Leben lang eine Arbeit verrichten kann, gehört der Vergangenheit an. Im Zeitalter von ‚flachen Hierarchien’ und Just-in-Time-Produktion geht es nicht mehr darum den Menschen in tayloristisch1 zergliederte Arbeitsabläufe zu pressen, die möglichst monoton verrichtet werden können, sondern darum, den Menschen in seiner ganzen Persönlichkeit der Arbeit zu unterwerfen, oder wie es im Managementdeutsch heißt: Es geht darum das Gold in den Köpfen der Menschen zu heben. Darauf ist jedoch das bisherige Bildungssystem, mit seiner frühen Selektion und der damit verbundenen geringen Qualifizierung nicht abgestimmt. Der oder die Haupt- und RealschülerIn mit tendenziell rudimentären Rechtschreib- und Mathematikkenntnissen und einer spezialisierten beruflichen Ausbildung ist für dieses Anforderungsprofil denkbar ungeeignet. Erfüllte die Schule mit ihrem disziplinierenden Instrumentarium bisher also durchaus ihren Zweck, wird sie nun zum Hemmschuh. Denn ab sofort „ist der ganze Mensch gefragt, mit seinen individuellen Möglichkeiten, seiner Offenheit, seinem Talent und seiner Leidenschaft” hier in den Worten von Peter Hartz über den Arbeitnehmer der Zukunft.2 Wer diesen Anforderungen nicht entsprechen kann oder wessen Arbeitskraft aus anderen Gründen aktuell nicht nachgefragt wird, gehört zu den ca. 5 Millionen Menschen, die mit Arbeitslosengeld II entweder bedroht oder bereits schikaniert werden.

Verschiedene Antworten

Die Politik hat also zwei zentrale Probleme ausgemacht: Das Bildungswesen ist unterfinanziert und nicht angemessen an den wirtschaftlichen Anforderungen ausgerichtet. Als Antwort auf diese Probleme lassen sich im wesentlichen drei Stränge ausmachen, die sich teilweise ergänzen zum Teil aber auch einander widersprechen.

1. Reform der Studienstruktur: ‚lebenslanges Lernen’

Der wichtigsten Ansatz zur Reformierung der Studienstrukturen ist das Konzept des 'lebenslangen Lernens '. Was sich oberflächlich betrachtet zunächst als ein emanzipatorischer Begriff ausnimmt, hat es jedoch wahrhaft neoliberal in sich. Was sich nämlich hinter diesem Begriff verbirgt ist das Konzept der 'employability ', was übersetzt 'Beschäftigungsfähigkeit ' heißt. Peter Hartz, dessen sozialpolitischen Vorstellung inzwischen Gesetzeskraft erlangt haben, formuliert das so: „eine neue Jobmoral, in der sich die Menschen nicht nur als Inhaber ihrer Arbeitskraft verstehen (sozusagen als shareholder ihrer Human Assets), sondern die Verantwortung für ihre Beschäftigungsfähigkeit übernehmen, also sich als ‚workholder’ als Bewahrer und aktiver Entwickler ihrer Chancen und Arbeitsplätze verhalten”. Um für diese Aufgabe gerüstet zu sein, „muss den Menschen gelehrt werden, wie man denkt und lernt” (ERT). Und damit wäre auch schon fast abschließend die Aufgabe des Bachelor umrissen oder wie es das ‘Centrum für Hochschulentwicklung’ (CHE)3 ausdrückt: „Eine zentrale Funktion von Bachelorstudiengängen unabhängig vom Studienfach, besteht darin, die Lernfähigkeit der Studierenden auf hohem Niveau zu entwickeln (...) damit sie den Anforderungen ständiger Weiterqualifikation zum Erhalt ihrer Berufsfähigkeit (...) Rechnung tragen können.” Bei diesen Parallelen bis in die Formulierungen hinein wäre es fast angebracht die aktuellen Bildungsreformen als Hartz V zu bezeichnen. Es ist klar, dass hier nicht die möglichst freie Entfaltung des Menschen auf dem Programm steht. Nicht mehr die gesellschaftlichen Verhältnisse sollen dem Menschen - sondern anders herum der Mensch soll den gesellschaftlichen Verhältnissen angepasst werden. Das Leitbild dieser Bildungsreform ist die Ich-AG, der selbstverantwortliche Arbeitskraftunternehmer, der die Bildung als „hochrentable Investition in die eigene berufliche und private Zukunft” betrachtet, wie uns der niedersächsische Bildungsminister Lutz Stratmann erklärt. Dass die Menschen sich einem solchen Leitbild nicht ohne Angst und äußeren Druck anpassen, versteht sich aus dem Kontext der Erklärung von allein: Es geht um die Rechtfertigung von Studiengebühren. In diesem Zusammenhang sind die Ankündigung der BildungsministerInnen durchaus ernst zu nehmen, die eine Erhöhung der Studierendenzahlen versprechen. Mit dem verstümmelten Studiengang des Bachelors können größere Zahlen von Studierenden in immer kürzerer Zeit durch die Universität geschleust werden. Die Studiengebühren werden ihr Übriges tun, um den Wunsch nach einer möglichst kurzen Verweildauer an der Universität auch bei den Studierenden zu verankern. Der Master, der bei weitem nicht allen BachelorabsolventInnen offen stehen wird, entwickelt sich so von ganz allein zu einem Elitenförderungsprogramm. Dies kann sogar teilweise kostenneutral geschehen, durch eine Umverteilung der Finanzen weg von der breiten Massenbildung, die durch den Bachelor immer weiter formalisiert und damit verschult wird, hin zur Elitenbildung in den ausgedünnten Masterstudiengängen. Das Konzept Bachelor – zumindest wie es in Deutschland umgesetzt wird – wird also nur verständlich, wenn man es im Zusammenhang mit dem Konzept des 'lebenslangen Lernens ' betrachtet. Es geht dabei um eine Neujustierung des Bildungssystems, und die Schaffung von zunehmend unsichereren Arbeitsverhältnissen auf die der Mensch mit mehr 'Flexibilität ' antworten soll. Damit ist es Teil des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft.

2. Finanzierung

Der zweite Strang umfasst die Bildungsfinanzierung, die durch die bewusst leer gesparten öffentlichen Kassen nicht mehr zu leisten ist. Daher wird erstens versucht das Studium durchzurationalisieren, also die Kosten pro Studierenden in der Masse zu senken und zweitens weitere Geldquellen aufzutun. Mit dem Bachelor-/Mastersystem und seiner effizienteren Selektion ist hierfür eine erste zentrale Weiche gestellt. Ein weiterer Schritt ist der Versuch zunehmend sogenannte Drittmittel aus der Wirtschaft zu gewinnen bzw. die Unis zu zwingen, sich um solche zu bemühen.4 Das bedeutet nichts anderes als eine weitere Ausrichtung der Unis an der Wirtschaft. Damit wird jedoch ein entscheidendes Moment unterlaufen, weshalb der Staat Bildung und Forschung bisher als seine hoheitliche Aufgabe angesehen hat. Denn die notwendige Grundlagenforschung wird in den seltensten Fällen von betriebswirtschaftlich kalkulierenden Unternehmen gefördert werden, wenn die Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse noch in den Sternen steht. Zu guter Letzt sollen Studiengebühren gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie sollen disziplinierend wirken und so die Studienzeiten quasi von allein verkürzen. Weiterhin fungieren sie als Geldquelle für die leer gesparten Unihaushalte. Hinzu kommt jedoch noch eine weitere Hoffnung: Studiengebühren sollen marktwirtschaftliche Mechanismen in der Bildungslandschaft etablieren. Die Studierenden, so die Ideologie, würden dann mit der Geldbörse über die Studienqualität abstimmen. Damit würden die Unis gezwungen, sich um ihre Kunden zu bemühen und ihre Angebote, also die Lehre, entsprechend „kundenfreundlicher” zu gestalten. So sollen Studiengebühren nicht nur auf die Studierenden disziplinierend wirken sondern auch auf die Unis. Wahrhaft demokratisch.5

3. Vermarktung der Bildung

Der dritte und mitunter brisanteste Strang wird in der Öffentlichkeit gern unter dem Begriff ‚Privatisierung der Bildung’ verhandelt. Das trifft die Sache jedoch nur zur Hälfte. Denn worum es hier geht ist nicht einfach nur ein juristischer Eigentumswechsel – von öffentlicher in private Hand – sondern es geht um die Zurechtstutzung der Bildung zu einem marktförmigen Gut. Dabei gibt es eigentlich zwei Prozesse. Der erste ist die Kostenreduzierung. Das heißt genauer, dass die Kosten für den Staat reduziert werden, indem er sie den privaten NachfragerInnen auferlegt. Studiengebühren sind hier das Mittel der Wahl. Und wenn die Kunden dann einmal bezahlen müssen, überlässt man es am besten gleich der Wirtschaft, die den Umgang mit Kunden ohnehin besser beherrscht als der Staat. V.a. in der beruflichen Weiterbildung ist dieses Phänomen bereits weit verbreitet. So weit, so bekannt. Doch der zweite Prozess könnte einen Wandel einleiten, dessen tiefgreifenden Konsequenzen wir noch nicht einmal erahnen können. Mit der Krise der auf industrieller Massenproduktion basierenden Nachkriegswirtschaft, macht sich das Kapital zunehmend auf die Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten. Nachdem der dotcom-Traum zusammen mit der ‚New Economy’ Ende der 90er Jahre geplatzt ist, gerät nun die Bildung zunehmend in den Fokus wirtschaftlicher Interessen. Immerhin werden nach Schätzungen der ‘Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung’ (OECD) weltweit 1,9 Billionen Dollar jährlich im Bildungsbereich umgesetzt. Erschien dieses gewaltige Volumen bisher in erster Linie als Belastung für den Staatshaushalt, wird es in den letzten Jahren zunehmend als Anlagemöglichkeit entdeckt. In diesem Zusammenhang werden mit Blick auf die Pisa-Studie auch einige Dinge verständlich. Diese hatte ja bekanntlich gezeigt, dass das deutsch Bildungssystem sozial hoch selektiv ist. Vor diesem Hintergrund ist es für den naiven Betrachter zunächst verwunderlich, warum in den bildungspolitischen Debatten wenig in die skandinavischen Länder geschaut wird, die in dieser Frage recht passabel abgeschnitten hatten, sondern das angelsächsische und v.a. das australische Bildungswesen als Vorbild herangezogen wird. Das wird erst verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es beim Bolognaprozess in erster Linie um die „Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulraums” (Bologna´99) geht. Hier geht es implizit um die Konkurrenz zu Ländern wie USA oder Australien. Immerhin erwarben ausländische Studierende 2003 in den USA für 13,6 Milliarden Dollar Bildungsdienstleistungen. Das ist fast die Hälfte aller Einnahmen, die die OECD Staaten 1999 im Handel mit Hochschuldienstleistungen erwirtschaftet haben (ca. 30 Milliarden). In Australien machen die „Einnahmen durch ausländische Studierende rund 12 Prozent der Außenhandelsbilanz aus.” (Deutschlandfunk 8.9.03) Großbritannien und Australien setzen dabei v.a. auf den Export von modularisierten Studiengängen. Die Gewinne stammen hauptsächlich aus Schwellenländern, die sich, meist nachdem die 'Welthandelsorganisation’ (WTO) sie im Rahmen von sogenannten Strukturanpassungsprogrammen verpflichtet hatte, die eigenen Hochschulen kaputt zu kürzen, den ausländischen AnbieterInnen geöffnet haben. Johanna Witte vom CHE hat 2001 für den „Deutschen Akademischen Austauschdienst” (DAAD) untersucht, „was deutsche Hochschulen von den ausländischen Vorreitern auf diesem Feld lernen können”. Es ist die selbe Johanna Witte, die im Juni 2003 „Das Positionspapier II zu Bachelor und Masterstudiengängen” des CHE mit vorgelegt hat, in dem Empfehlungen zur Umsetzung des Bolognaprozesses gemacht werden. In ihrer Untersuchung von 2001 stellt sie fest, dass als wesentliche Voraussetzung für den Export der Studiengänge „die Lehrinhalte in Form von modularisierten Einheiten aufbereitet sein” müssen. Ein weiterer „Hauptknackpunkt” sei, „wie die Gleichwertigkeit der Abschlüsse (...) gesichert werden” könne. Damit wären dann auch alle zentralen Aspekte des Bolognaprozesses benannt: Modularisierung, und die „Einführung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse” (Bologna ´99). Bliebe noch die verbesserte Mobilität der Studierenden: Da es jedoch den Hochschulen überlassen bleibt ihre Studiengänge zu Modularisieren, wird es weder innerhalb von Deutschland und erst recht nicht europaweit leichter werden, während des Studiums zu wechseln. Die Bildung selbst ist also zum Objekt wirtschaftlicher Interessen geworden. Nicht wie bisher nur ihre Ergebnisse (hochqualifizierte Arbeitskräfte und Forschungsergebnisse), sondern die Bildung als Ware, als Dienstleistung, soll der Kapitalverwertung nutzbar gemacht werden. Hierbei wird auf den bereits existierenden riesigen Markt gesetzt, aber auch auf die weitere Zunahme der Relevanz von Bildung für jedeN einzelneN. Denn wenn Fort- und Weiterbildung zum entscheidenden Faktor der 'employability ' werden, geht es nicht mehr um den Luxus, etwa der „Universität im dritten Lebensalter”, sondern um die existenzielle Frage, ob man in dem immer raueren Klima des Arbeitsmarktes bestehen kann oder nicht. Wichtiger Motor dieser Entwicklung ist also schlicht Angst. Denn in dem Moment, wo der Zugang zur Bildung für die Menschen zu einer solch existenziellen Frage wird, lohnt es sich die Bildung zu verknappen und damit zur Ware zu machen. Genau dieser Prozess ist in vollem Gange. Dabei ist natürlich auch die aktuelle GATS – Runde relevant, in der über die Liberalisierung des Bildungssektors in den Metropolen verhandelt wird. Doch auch ganz unabhängig davon existiert bereits ein riesiger Bildungsmarkt, an dem die europäischen Staaten offensichtlich Interesse haben zu partizipieren. Insgesamt erscheint es klar, dass wir es mit einem widersprüchlichen Prozess zu tun haben. Eine wirkliche Weiterentwicklung z.B. von Institutionen des 'lebenslangen Lernens ' kann jedenfalls nicht kostenneutral geschehen. Auch ist es einigermaßen evident, dass Studiengebühren den Hochschulzugang für die breite Masse erschweren, genau wie jede andere Form von Privatisierung, die den Zugang zur Bildung vom Geldbeutel abhängig macht. Kostenreduzierung und Vermehrung der Studierendenzahlen schließen sich langfristig also eigentlich aus. Trotzdem wird beides versucht. Hier schießen eindeutig mehrere Interessen durcheinander, die kaum miteinander vereinbar sind.

Was tun?

Wir müssen uns die Frage jedoch ohnehin anders herum stellen. Wir dürfen uns nicht fragen, welche Bildung die Wirtschaft von uns verlangt. Im Vordergrund muss die Frage stehen, welche Bildung wir möchten. Was kann lebenslanges Lernen noch bedeuten, außer dem ständigen Rattenrennen, um mit meinen Qualifikationen ständig up to date zu sein? Wie ist lebenslanges Lernen als emanzipatorischer Prozess denkbar, der das eigene Leben begleitet und reflektiert? Wie ist Bildung als Selbstbewusstwerdungsprozess denkbar? Emanzipation hat immer den Abstand zu den gesellschaftlichen Verhältnissen zur Voraussetzung, da nur durch einen solchen ein eigenständiger und unideologischer Meinungsbildungsprozess stattfinden kann. Gerade in Zeiten, in denen Bildung also aus ökonomischen Gründen abgeschafft wird und sich in einen reinen Zulieferbetrieb verwandelt, gilt es auf ihre Wichtigkeit für die Entwicklung des Menschen zu beharren und sich gegen ihre Degradierung zur Ausbildung zu wehren. Dabei darf man sich auch nicht von den ökonomischen Sachzwängen Irre machen lassen - im Gegenteil müssen wir offensiv mit ihnen brechen. Denn die aktuellen ökonomischen Verwerfungen beruht gerade nicht auf Mangel, sondern auf Überfluss. Es sind im Wirtschaftsjargon sogenannte „Überkapazitäten und Überproduktion“, die die Wirtschaft weltweit in die Knie gezwungen haben. Es ist also gerade das „Überangebot” an stofflichem Reichtum, also an real verfügbaren Gütern, wegen dem wir sparen sollen. Das ist irrational und schlichtweg abzulehnen. Es wird also höchste Zeit, eigene Vorstellungen zu entwickeln, was Bildung sein, und wozu sie dienen soll. Nur dann können wir den aktuellen Angriffen auf unsere Bildung mit den Namen Bolognaprozess und Studiengebühren etwas Positives entgegensetzen. Das solche Überlegungen nicht auf die Bildung beschränkt bleiben können, sondern nur gedacht werden können im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die sie eingebettet sind, sollte aus dem bisher Dargestelltem offensichtlich sein. So wäre einmal zu fragen, was von einer Gesellschaft zu halten ist, deren zentrales Movens mehr und mehr die Angst ist. Dafür gibt es jedoch keine Blaupausen, sondern so etwas ist nur in einem gemeinsamen Prozess möglich. Die aktuellen Bildungsreformen konnten v.a. deshalb so gut durchgesetzt werden, weil wir Studierenden den neoliberalen Leitbildern keine eigenen Vorstellungen entgegensetzen konnten. An solchen Perspektiven zu arbeiten ist die Aufgabe von Hochschulpolitik in den nächsten Jahren.


1) Das Fließband ist ein typischer Fall von tayloristischer Arbeitsorganisation. Diese beruht darauf, komplexere Arbeit in einzelne Arbeitsschrittezu zerlegen, die möglichst anspruchslos und monoton zu verrichten sind.

2) Natürlich gibt es wenig Gründe dieser Vergangenheit nachzutrauern. So waren diese Verhältnisse geprägt, von zahlreichen (patriarchalen) Normierungen, die auf vielfache Weise freie Entfaltung verhindert haben. Insofern kann die neoliberale Ideologie hier durchaus an begründetes Unbehagen gegenüber diesen bornierten und bevormundenden Strukturen ansetzen. Gegenüber diesen verknöcherten Verhältnissen fällt es natürlich nicht schwer die neuen Formen der Anpassung als Freiheit zu verkaufen.

3) Das CHE ist ein Thinktank, der u.a. von dem Medienkonzern Bertelsmann finanziert wird und mit seiner Lobbyarbeit starken Einfluss auf bildungspolitische Entscheidungen nimmt. Um Studiengebühren salonfähig zu machen, hat es z.B. eine Umfrage, in Auftrag gegeben die ‘heraus gefunden’ hat, dass ein Großteil der Studierenden für Studiengebühren sei. Kein Wunder: war die Option, dass man gegen Studiengebühren sei bei den Antworten gar nicht möglich.

4) Dies soll z.B. geschehen indem staatliche Mittel an die zusätzliche Akquirierung von Drittmittel gebunden werden. Auf der Ebene der einzelnen Lehrstühle gibt es an der Uni Göttingen die sog. Leistungsorientiere Mittelvergabe (LOM) nach der ein Teil des Budgets ausgeschüttet wird. Neben anderen Faktoren wird hier auch die Einwerbung von Drittmitteln belohnt.

5) Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass mit den sog. Bildungsgutscheinen, die von ihren Befürwortern als ein demokratisches und sozialverträgliches Modell dargestellt werden, in Chile als einem der ersten Länder unter der Diktatur Pinochets experimentiert wurde.

Erschienen am: 07.01.2008 zuletzt aktualisiert: 07.01.2008 03:15 AutorIn: email-address