Bachelor stärkt "Klassenbewusstsein"

Die Einführung des Bachelor wirkt sich erheblich auf das Miteinander von Studierenden und Dozierenden, Konkurrenz und Leistungsdruck und mögliche Perspektiven aus.

Kein Land in Sicht

Alle in einem Boot

Ein Bachelor-Studium ist kein Vergnügen: Gezeichnet von Stress und dem Bestreben sich an Vorgaben anzupassen, verunsichert angesichts zahlreicher undurchschaubarer Regelungen versuchen wir Bachelor-Studierenden uns in überfüllten Seminaren unser Studium zurecht zu puzzlen. Dabei fühlt es sich nur allzu oft so an, als habe man den Übergang von der Schule zur Uni verpasst: Genau die gleichen Mechanismen wie in einer Schulklasse („Klassenclown*in“, „Streber*in“ etc. inbegriffen) scheinen sich hier herauszubilden, was kein Wunder ist, man ist schließlich ein Jahrgang. Alle kennen sich, alle sitzen im gleichen Boot. Man könnte gar von einer neuen Art von „Klassenbewusstsein“ sprechen, nur dass der Begriff einmal eine ganz andere Form von Klasse meinte...

Woher kommt genau dieses „Klassenbewusstsein“, was ist scheiße daran und wie kommen wir da raus? Genauer: Was hat es für Auswirkungen auf das Verhältnis zu Wissenschaft, auf das Verhältnis zu anderen Studierenden, auf Konkurrenzbewusstsein und nicht zuletzt auf das Verhältnis von Studierenden und Dozierenden? Was könnten Perspektiven sein?

Zunächst soll darauf eingegangen werden, wie sich das Verhältnis von BA-Studierenden zur (kritischen) Wissenschaft durch die Veränderung der Studienstruktur gewandelt hat.

Anstatt einen Wissensaustausch in nach Semestern gemischten Seminaren zu erfahren, durchlaufen wir nun in vielen Studiengängen mindestens die ersten beiden Semester gemeinsam, nur ein paar wenige antiquiert daher kommende Exemplare „Magister“ verirren sich in die Veranstaltungen. Das führt dazu, dass ein Austausch an dieser Stelle kaum noch stattfinden kann: das Wissen, wie es geht, das Studieren, die Wissenschaft, das Hinterfragen, das sich Aneignen, das Diskutieren, die Selbstverständlichkeit von höheren Semestern zu lernen, kann nicht mehr weitergegeben werden. Und auch die Normalität, außerhalb von Lehrveranstaltungen sich auszutauschen, Problemen und Fragestellungen nachzugehen, mit verschiedensten Leuten zu diskutieren, wird verdrängt zugunsten des „Klassenbewusstseins“.

Für die Seminare bedeutet das, dass die Funktion von Diskussionen zumeist weniger die inhaltliche Auseinandersetzung ist, sondern diese eher zur Profilierung und Darstellung von „sozialem Kapital“ dienen. Was ist damit gemeint?

Das Ganze funktioniert auf verschiedenen Ebenen: durch schlagfertige Witze an der passenden Stelle, durch ein „Musst du gerade sagen!“ (signalisiert: den oder die kenn‘ ich besser und ihr alle nicht!), durch Inszenierung von „Bescheidwissen“. Das Problematisieren von Inhalten, die (theoretische) Auseinandersetzung, das wissenschaftliche oder politische Streiten um Ansichten treten dabei zwangsläufig total in den Hintergrund zugunsten einer bloßen Abwicklung des zu behandelnden Stoffes. Das merken beide Seiten, Dozierende und Studierende, was zu einem entsprechenden Umgang miteinander führt. In diesem Umfeld der Unwissenschaftlichkeit versuchen wir uns dennoch irgendwie zu behaupten. Das geschieht oft dadurch, dass sich der Anstrich von Können gegeben wird: es wird im Nebensatz geschickt eingeflochten, in welchem Buch man dies und das gelesen hat und was man sonst noch so drauf hat.1

Darüber hinaus ist dieses „soziale Kapital“ bereits dem erschreckend ähnlich, was der Bachelor unter dem Begriff „soft skills“ zu einer seiner wichtigsten Ressourcen gemacht hat. „Soft skills“ sollen im Sinne von Teamfähigkeit, sozialer Kompetenz, (Self-)Management etc. unter verwertungslogischen Maßstäben zu einem wichtigen Bestandteil der „Lehre“ gemacht werden. Dass hier unter „Lehre“ nicht die Vermittlung und das Heranführen an wissenschaftliche und theoretische Konzepte und Themengebiete verstanden wird, sondern eine marktwirtschaftliche Ausbildung im Vordergrund steht, liegt auf der Hand. Der vermittelte Stellenwert dieser „soft skills“ ist jedoch anscheinend so weit ins Bewusstsein der Studierenden eingedrungen, dass unbewusst auch das soziale Leben darauf ausgerichtet wird.

Auch das Verhältnis von Studierenden und Dozierenden unterliegt einem gravierenden Wandel. Es bestärken sich beide Seiten in einem schulähnlichen Miteinander. Während die Dozierenden fleißig Hausaufgaben aufgeben und die Stunden abwickeln, erwarten die Studierenden „objektives“ Wissen vermittelt zu bekommen. Die Einführungs- oder Basisveranstaltungen, die es am Anfang des Studiums obligatorisch zu belegen gilt, wollen Handwerkszeug vermitteln und uns an das jeweilige Fach heranführen. Doch noch etwas bringen sie mit sich: durch den schematischen Aufbau ihres Inhalts (meistens, zumindest in den Geisteswissenschaften: Vermittlung wichtiger Theorien, ein Ausflug in die Geschichte des Faches, grundlegende Methodik etc. - und das alles im Zeitraffer) drängt sich einer*m der Eindruck von „objektiver“ Gültigkeit des Dargebrachten auf, als sei jenes die logische Konsequenz aus diesem, jene Theorie von dieser längst überholt und eigentlich völlig veraltet. Für eine genauere Auseinandersetzung mit dem, was als Lehrmeinung für die Klausur auswendig zu lernen ist, oder gar mit Ansätzen, die diese kritisieren, bleibt ohnehin keine Zeit. Dass es verschiedene theoretische und politische Ansätze gibt, Wissenschaft zu betreiben, tritt völlig dabei völlig in den Hintergrund. So ist z.B. Marx seit über 100 Jahren tot und damit auch nicht halb so relevant wie die Postmoderne und so weiter.

Auch in den Seminaren herrscht nur allzu oft Lehrer*innen-Mentalität. Die notwendigerweise aufgrund der Kürze des BA-Studiums zusammenschrumpfenden Inhalte werden einfach abgewickelt, dazu kommt, dass am Ende nicht etwa im Vordergrund steht, eine coole Hausarbeit zu schreiben, sondern diese einfach abzuliefern, formal dem Mindeststandard entsprechend, oder lieber gleich eine Klausur zu schreiben. Dazu kommen Hausaufgaben wie Inhaltsangaben oder Exzerpte und auf die Präsentation von Referaten wird mehr Gewicht gelegt, als auf deren Inhalt. Gelernt wird hier längst nicht mehr, sich kritisch mit den Inhalten auseinander zu setzen und sich nach den eigenen Interessen und Bedürfnissen weiter zu entwickeln, sondern sich möglichst effizient den strengen Anforderungen des BA-Studiums anzupassen und im Uni-Betrieb zu funktionieren – ganz so, wie es später für die widerstandslose Verwurstung auf dem Arbeitsmarkt erwünscht ist.

Mit dem Strom

Ein weiterer Punkt, der aus der homogenen Zusammensetzung der Seminare resultiert, ist die Einstellung der Einzelnen gegenüber dem Studium. Es gilt sich durch das Bachelor-Puzzle zu manövrieren. Klug ist, wer Veranstaltungen belegt, die keinen großen Arbeitsaufwand mit sich bringen, außerdem passen die am interessantesten klingenden Veranstaltungen meist eh nicht in den Stundenplan. So wird meistens darauf geguckt, womit sich eine Veranstaltung abschließen lässt: steht da Hausarbeit von 15 oder von 20 Seiten? Dadurch, dass die Modulpakete so fest geschnürt sind, ist es selten möglich „gute“ Seminare oder Vorlesungen zum Beispiel vorzuziehen, die Möglichkeit aufgrund des straffen Ablaufs eigentlich auch nicht wirklich vorhanden. So steht das Individuum scheinbar ohnmächtig vorm unüberschaubaren Uni-Apparat – Welcome to the machine!

Das Resultat ist eine gewisse Teilnahmslosigkeit, was das eigene Studium angeht. Kein Wunder, ist es nicht frustrierend, Dinge zu belegen, die kein bisschen interessieren, einen ungeheuren Workload zu bewältigen, obwohl da auch noch ein Job, Freund_innen, das eigene Leben sind... doch: was soll man machen? Die Fremdbestimmung ist augenscheinlich. Eigenständiges Forschen, kritisches Hinterfragen, sich in ein Thema zu vertiefen, eigene Schwerpunkte und Akzente zu setzen, das Studium politisch zu begreifen – das ist im Bachelor-Studium nahezu unmöglich. „Kinder, das könnt ihr ja dann noch im Master“, klingt es zynisch in unseren Ohren, schaffen es doch wahrscheinlich nur wenige von uns bis dahin!

Die Zusammensetzung der „Bachelor-Jahrgänge“ schafft ein abstruses Gemisch zwischen Konkurrenz und Gemeinschaftsgefühl. Das Identifikationspotential mit „meiner Jahrgangsstufe“ ist hoch, sitzen wir doch alle in einem Boot. Auch die Tatsache, der neuen Bachelor-Generation anzugehören, über die in Politik und Medien so wild spekuliert und diskutiert wird, die ohne Unterlass bewertet und von Magister-Studierenden-Seite meist nur mitleidig abgeschätzt wird, verstärkt das Wir-Gefühl.

Und trotzdem: die Gemeinschaft reicht nur bis zur nächsten Klausurenphase, denn die Hürde zum Master ist schwer zu erklimmen, die Zeit ist knapp. Das haben alle im Hinterkopf.

Was dieser Konkurrenzdruck bedeutet, und wie man ihm begegnen könnte, darum geht es im nächsten Abschnitt.

Schiffbruch

So kommt es, dass alle misstrauisch nach rechts und links schielen, dass Menschen resigniert ihr Studium an den Nagel hängen, dass manche irgendwann einfach nicht mehr mitkommen.2 Da wo ehemals „Klassengemeinschaft“ existierte und alles so super schien – Schule nur ohne Klassenlehrer*in, ohne Mathe als Pflichtfach und mit eigener Wohnung – da wird irgendwann das Tempo angezogen, da wird irgendwann klar, dass eigentlich alle Konkurrent*innen sind. So sammeln wir emsig Credit Points, machen Praktika, knüpfen Kontakte und so weiter. Den Blick nach vorn gerichtet, im Sog der Geschwindigkeit (Studiengebühren im Nacken!), mit der das Studium irgendwie einfach ohne unseren Einfluss voran schreitet.

Die Konkurrenz ist allgegenwärtig, sichtbar in Form von Profilierungsbestrebungen, oberflächlicher Kritik und anderen Formen des Ausbootens. Sie drückt sich aus in der „Anwesenheitslisten-Mentalität“: Hauptsache der*die Dozierende findet hier meine Unterschrift, sodass meine Credit Points gesichert sind. Die Konkurrenz ist hochgradig spürbar, so sind die Plätze im Master rar, die Notengrenze hoch. Aus der Ungewissheit (das Wissen darum, „Versuchskaninchen“ für das Bologna-Experiment zu sein, trägt seinen Teil dazu bei), was mit einem Bachelor-Abschluss überhaupt anzufangen sein wird, der Überforderung, der Notwendigkeit, Studiengebühren auftreiben zu müssen und der Fremdbestimmung resultieren Zukunftsängste, die sich nicht selten in der Abwertung der Anderen bzw. Demonstration von Überlegenheit, von Alles-im-Griff-haben ausdrücken. Auf der Gewinner*innenseite zu stehen stellt das höchste Ziel im Bildungschaos dar.

Ready to enter

Demgegenüber kann nur ein solidarisches Studieren dazu führen, ein Bewusstsein für die übergreifende Problematik des BA zu entwickeln. Ein solidarisches Studieren wäre eins, in dem die Leute nicht nachhaken, ob es Anwesenheitslisten gibt, sondern ihre Nachbar*innen mit eintragen, wenn diese fehlen. Besser noch wäre es, die Anwesenheitslisten verloren gehen zu lassen, gibt es doch Leute, die Lohnerwerbsarbeit nachgehen müssen um sich über Wasser halten zu können, sodass sie überhaupt nicht die Möglichkeit haben die Vorlesung regelmäßig zu besuchen, an der Prüfung aber trotzdem teilnehmen wollen. Ein solidarisches Studieren wäre eins, in dem gemeinsam protestiert wird, wenn der Arbeitsaufwand für eine Veranstaltung zu hoch ist. Wenn sich der*die Dozierende regelmäßig nette kleine Hausaufgaben ausdenkt, die tendenziell eher überflüssig sind und wie Schule wirken, dann könnte ein solidarisches Handeln sein, sich gemeinsam gegen die Belastung einzusetzen und gegebenenfalls die Teilnahme zu verweigern, anstatt vereinzelt den Arbeitsaufwand zu bewältigen.

Es geht darum zu begreifen, dass die Vorgaben des Bachelors nicht unveränderbar sind, sondern durch direktes Handeln beeinflusst werden können.

Es geht nicht darum, in eine konservative Kritik zu verfallen und die alten Magister- und Diplomstudiengänge als vergangene paradiesische Zustände heraufzubeschwören. Es geht vielmehr darum, die bestehenden Umwälzungen auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen und anhand der Widersprüche, Ungerechtigkeiten und ökonomischen Zielsetzungen eine radikale Kritik zu formulieren, die eine Veränderung in emanzipatorische Richtung zum Ziel hat.

Und gleichzeitig kann jede*r versuchen, das eigene Studium außerhalb von Konkurrenz, Leistungsdruck und Verwertungslogik zu begreifen. Das hieße zum Beispiel, mehr als 6 Semester zu studieren, auch wenn Deutschland und die Wirtschaft wollen, dass wir ganz schnell fertige, arbeitswillige und anpassungsfähige Bachelor-Absolvent*innen werden. Das hieße, den unflexiblen Bachelor auf seine Spielräume abzuklopfen und die Veranstaltungen zu belegen, die dem eigenen Interesse entgegenkommen, dabei dazu beizutragen, die starre Abfolge durch Drängen auf die Belegung der eigentlich nicht adäquaten Veranstaltungen aufzulösen. Weitere Forderungen sollten in die Richtung gehen, eine höhere Anzahl Credit-Points für den gleichen Arbeitsaufwand zu bekommen (ist in anderen Ländern der Fall), Termine für die Abgabe von Hausarbeiten abzuschaffen, was meisten ohnehin nicht im Interesse der Dozierenden sondern an der Programmierung von Flex Now (!) liegt.

Proteste, Formen der Auflehung, des Hinterfragens, Kämpfe – und vor allem eine solidarische Perspektive können an der Struktur des Bachelors etwas verändern. Es gilt sich zu organisieren, die Vereinzelung zu durchbrechen, radikale Kritik zu formulieren, um der zur Ausbildungsfabrik degradierten Uni etwas entgegenzusetzen.


1) Dieses Verhalten geht übrigens ziemlich oft von Typen aus, denn Wissenschaftlichkeit ist ein männlich konnotiertes Feld, in dem Männern in Bezug auf Sachverstand und Durchsetzungsvermögen mehr zugetraut wird. Durch einen entsprechenden Habitus können sie sich bereits vor Mitstudierenden und Dozierenden profilieren.

2) Da verwundert es auch nicht, dass entgegen dem frommen Wunsch der Bildungs-Reformer*innen die Abrecher*innenquote seit Einfühung des BA nicht gesunken, sondern deutlich gestiegen ist. Etwa jede*r dritte BA-Studierende bricht ihr Studium am – gegenüber jede*r fünften im Gesamtdurchschnitt. Vgl. http://www.heise.de/newsticker/Jeder-Fuenfte-kehrt-der-Hochschule-vorzeitig-den-Ruecken--/meldung/103528

Erschienen am: 04.12.2008 zuletzt aktualisiert: 04.12.2008 10:48 AutorIn: email-address