Hausdurchsuchungen in Göttingen

Es scheint ein gefundenes Fressen für den Göttinger Staatsschutz gewesen zu sein, dass am 7. September in einem Haus in der Geismar Landstraße vermeindlich explosive Chemikalien gefunden wurden. Die Polizei evakuierte die Hausbewohner_innen mit dem Hinweis auf die Gefahrenlage, schließlich könnten die im Keller gelagerten Stoffe das ganze Haus in die Luft sprengen. Die freiwillig gegangenen Bewohner_innen staunten nicht schlecht, als sie später von der Straße aus beobachteten, wie Beamt_innen in einer Wohnung im Erdgeschoss Wände und Schreibtische abfotografierten. Obwohl die Durchsuchung von der hinzugerufenen Vermieterin begleitet wurden durfte, verwehrte man den Bewohner_innen das Beisein mit Hinweis auf die Gefahrenlage. So einfach kann das sein.

Später stellte sich heraus, dass alle WGs des Hauses durchsucht worden waren. Es waren Türen aufgebrochen und Schreibtische durchsucht, Schubladen und Schränke geöffnet, Gegenstände umgeworfen sowie Unterlagen durchwühlt worden. Weil sie sie von Demonstrationen kannten, erkannten die Durchsuchten auch Beamt_innen des polizeilichen Staatsschutzes im Rahmen dieser Aktion. Die Polizei behauptet im Nachinein zwar, die Beamten des Staatsschutzes seien nur routinemässig hinzugezogen worden und wären nicht aktiv an der Durchsuchung beteiligt gewesen1. Das stößt auf Seiten der Hausbewohner_innen jedoch auf Skepsis. Sie glauben nicht an einen routinemäßigen Zufall. „Wir glauben, dass sie die Wohnungen durchsucht haben, weil sie Einblick in linke Strukturen haben wollten“ sagte der Hausbewohner Markus N.2

Die offizielle Begründung der Polizei ist freilich eine andere. Man habe weitere Gefahrenquellen gesucht und evtl. noch weitere Personen evakuieren wollen. Der Rechtsanwalt Sven Adam bezeichnete dieses Vorgehen als unverhältnismässig und sprach von einem rechtswidrigen Eingriff in den Kernbereich der Privatsphäre der Bewohner_innen. Er vertritt einen von ihnen, der Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Durchsuchung eingereicht hat.

Die gefundenen Chemikalien hatten indes nichts mit den durchsuchten Mieter_innen zu tun. Sie gehörten einem ehemaligen Mieter, der sie beim Auszug vergessen hatte. Ob die Chemikalien tatsächlich so gefährlich waren, wie zunächst angenommen, ist nach wie vor unklar. Sie befinden sich immer noch zur Untersuchung beim LKA in Hannover.

Die Choreographie der Repression

Es ist immer wieder das gleiche Schema, nach dem die Ermittlungsbehörden vorgehen: die Choreographie der Repression. Polizeiliche Maßnahmen werden, vermeindliche Rechtswidrigkeit hin oder her, einfach erstmal gemacht. Ob im konkreten Fall über rechtliche Handlungsgrundlagen überhaupt nachgedacht wird, ist eigentlich unerheblich. Es sind die Gerichte, die dann mit vielen Monaten Verzögerung feststellen, dass das amtliche Handeln nicht rechtens war. Konsequenzen für die Verantwortlichen hat das in den seltensten Fällen. Der gewünschte Effekt ist trotzdem eingetreten: Menschen werden eingeschüchtert, Demonstrationen verhindert, Wohnungen durchschnüffelt.

Den Betroffenen bleibt nicht viel mehr, als im Nachinein die Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen, selten haben sie noch einen Anspruch auf Schandensersatz. Aber diese Möglichkeit sollten sie auch nutzen. Das fatalste, was der Linken diesbezüglich passieren kann, ist ein Gewöhnungseffekt. Viel zu oft werden vermeintliche Kleinigkeiten ob eines Ohnmachtsgefühls geschluckt, obwohl eigentlich jede_r wissen sollte, dass viele repressive Maßnahmen gegen unsere politische Praxis eben keine Rechtsgrundlage haben. Und genau da gilt es, den Staat mit seinen Mitteln zu schlagen: der Justiz. Zwar macht auch diese Oft keinen Hehl daraus, dass ihre Entscheidungen politisch motiviert sind3 – genauso gibt es aber auch Erfolge4. Der Ausgang des Klageverfahrens in Sachen „Geismar Landstraße“ darf mit Spannung erwartet werden.


1) Vgl. Taz vom 9. Oktober 2008.

2) ebenda.

3) So begründete ein Richter am Amtsgericht Göttingen sein hartes Urteil im November 2007 damit, dass er den vermeindlichen Täter dem schwazen Block zurechnete, siehe auch „Schmusen is‘ nich“ in Jungle World Nr. 47 vom 22. November 2007, http://jungle-world.com/artikel/2007/47/20727.html

4) z.B. hat das Göttinger Verwaltungsgericht im April einer Demoanmelderin Recht gegeben, die gegen die Auflagen der Stadt geklagt hatte, vgl. http://monsters.blogsport.de/2008/04/10/1020/

Erschienen am: 04.12.2008 zuletzt aktualisiert: 04.12.2008 10:49 AutorIn: email-address