Eine kleine Protestgeschichte
Die Protest- und Streikgeschichte an der Uni Göttingen ist lang. Es gibt also eine Geschichte, auf die wir mit unseren Protesten aufbauen. Um also nicht völlig geschichtslos zu verfahren, haben wir im Folgenden zumindest einen kurzen Überblick über den Streik 2003 zusammengestellt.
Unistreik 2003
Im Spätsommer 2003 hatte die niedersächsische Landesregierung beschlossen, mit zwei „Hochschuloptimierungskonzepten“ die Mittel an allen Universitäten im Land zusammenzustreichen. Gleichzeitig wurde ein Ersatz der bald fehlenden Mittel durch Studiengebühren angekündigt. Es regte sich jedoch Widerstand gegen diese Pläne und in Göttingen organisierte sich dieser Widerstand im „Bündnis gegen Bildungsklau“, das mehrere Vollversammlung an den Fachbereichen sowie für die gesamte Uni organisierte. Zu diesem Anlass entstand übrigens auch die noch heute genutzte Bildungsklau-Mailingliste1.
Bereits bei der ersten Vollversammlung fanden 1.500 Studierende den Weg ins ZHG, bei der zweiten waren es bereits 4.000. Hier wurde dann auch ein "Aktionsstreik" beschlossen, während unter Rückgriff auf unterschiedlichste Protestformen darauf hingewiesen wurde, dass weite Teile der Studierendenschaft unter einer Optimierung ihres Studiums etwas anderes verstehen als die Landesregierung.
Gleichzeitig wurden vom AstA zwei Demonstrationen organisiert, bei denen dem „Bündnis gegen Bildungsklau“ jedoch jede Mitwirkung untersagt wurde. Nachdem die dort aktiven Studierenden dann auch noch so dreist waren, auf der zweiten Demonstration einen Lautsprecherwagen zur Verfügung zu stellen, der von allen Studierenden genutzt werden sollte, um ihren Unmut auszudrücken, ließ der AstA den Wagen von der Polizei stoppen. Erst als die Demo nicht bereit war ohne den Lautsprecherwagen weiter zu gehen, war der AstA bereit ihn mitgehen zu lassen.
Und auch darüber hinaus hat sich der seinerzeit aus ADF und RCDS bestehende AstA während der Proteste nicht gerade mit Ruhm bekleckert. So hat er sich von Anfang an geweigert, neben den Kürzungen an der Uni Göttingen auch über die Kürzungen an anderen Universitäten zu reden. Ganz im Gegenteil dazu gab es sogar den Vorschlag, statt in Göttingen doch lieber in Vechta zu sparen. Da verwundert es dann auch nicht, das über Bildungskürzungen im außeruniversitären Bereich ebenfalls geschwiegen wurde. Die studentischen Gremien dürften lediglich über Hochschulbildung reden, alles andere sei nicht ihre Aufgabe. Völlig aus dem Blickfeld waren dann freilich andere Kürzungsmaßnahmen, die von der Landesregierung zeitgleich mit den Hochschuloptimierungskonzepten verabschiedet wurden. Und so hat sich der AstA dann auch geweigert, zu einer Großdemo in Hannover aufzurufen, die am Tag der Entscheidung vor dem niedersächsischen Landtag auflaufen sollte. Begründung: dafür mobilisieren auch Gewerkschaften (!).
Und selbst noch eine Thematisierung von Studiengebühren hielt der AstA für nicht sinnvoll. Hierzu der damalige AstA-Vorsitzende Daniel Flore: „Das überfordert die Studierenden, von den Kürzungen und den Studiengebühren zu erfahren“. Und so nimmt es dann auch nicht Wunder, dass wir nun 2 mal im Jahr je 500 Euro überweisen müssen, schließlich hätte uns der Protest dagegen ja anscheinend überfordert.
Als dann aber bei einer weiteren Vollversammlung beschlossen wurde, die Uni an den letzten zwei Tagen vor der Abstimmung tatsächlich dicht zu machen, erreichte die Entsolidarisierung des AstA ihren Höhepunkt. Nicht nur, dass Delegationen des AstA versuchten, Studierende in die Hörsäle zu schleusen, sie forderten eine gewaltsame Beendigung des Protestes und so lies Uni-Präsi Horst Kern nach Rücksprache mit dem AstA-Vorsitzenden Flore schließlich 200 Studierende aus dem Sozio-Oeconomicum schleifen. Flankiert wurde die Aktion durch die vor allem vom RCDS verbreitete Propagandalüge, es habe sich bei den Protestierenden vor allem um zugereiste Gewalttäter*Innen aus Kassel.
Umstrukturierung der Sowi-Fakultät
Entsprechend reserviert waren dann auch alle Beteiligten, als im Herbst 2005 der neue Uni-Präsident Kurt von Figura ankündigte, er wolle nicht nur die Universität in ein naturwissenschaftlich-medizinisches Elite-Institut verwandeln, sondern zudem im Rahmen umfassender Umstrukturierungen auch bei Sport und Politik ordentlich kürzen. Kurt von Figura sprach in diesem Zusammenhang im sozialhygienischen Jargon vom „Ausmerzen von Schwachstellen“. Auf eine Unterstützung des AstA wagte keine*R zu hoffen und so war es vor allem am Fachschaftsrat Sozialwissenschaften (damals wie heute von Basisgruppen, Kontrastgrün und Jusos getragen), den sich entfaltenden breiten Protest zu koordinieren und zu unterstützen. Es gab Aktionstage, Demonstrationen und schließlich eine Besetzung der Räume des Uni-Präsidenten, die nach zwei Tagen einem Polizeieinsatz zuvorkommend geräumt wurde.
Die Besetzter*Innen ließen aber verlauten, dass sie bald widerkommen werden. Daraufhin gab es eine laute und kraftvolle Spontandemo mit etwa 150 Teilnehmern*Innen, die nach einigen Runden durch die Göttinger Innenstadt auf dem Campus endete. Im November dann folgte ein uniweiter Aktionstag mit Podiumsdiskussionen und Workshops zum Thema Bildungsklau. Die anschließende Demo mit bis zu 3.000 Studierenden richtete sich vor allem gegen Schließungspläne, Studiengebühren und BA/MA Studiengänge. Stattdessen wurde eine kritische Wissenschaft gefordert sowie selbstbestimmtes Leben und Lernen. Die Demo, die von Fachschaften und Basisgruppen organisiert wurde, sollte dabei den Ausgangspunkt für weitere Proteste bilden.
Ein erster Teilerfolg war, dass Fächer wie Politik und Sport nicht gekürzt wurden. Doch von Figura wollte von seinem Ziel, von der Vollendung der Ökonomisierung des Studiums, nicht abweichen. Schließlich ging es darum, wirtschaftlich nicht-verwertbare Bildungsmöglichkeiten einzuschränken bzw. vollständig zu beseitigen - „auszumerzen“ wie von Figura es genannt hat.
Im Januar 2006 folgte dann die Ankündigung, dass an allen Fakultäten mit Kürzungen von bis zu 17% zu rechnen sei. Den Anfang wollte von Figura bei der Philosophischen Fakultät machen. Großzügig kündigte er an, die Fakultäten hätten nun die Möglichkeit selber zu entscheiden, an welcher Stelle gekürzt werden soll. Dabei fanden die Zuständigen scheinbar Einkürzungspotenzial bei Mittelbau und Angestellten.
Wir müssen uns nun Fragen, was wir aus den vorangegangen Protesten lernen können. Eines zumindest scheint auf der Hand zu liegen, weder können wir auf den ADF-AstA setzen, noch kann Kurt von Figura kein Anprechpartner sein. Genauso verhält es sich mit Professoren und Professorinnen, die sich zu Erfüllungsgehilfen des Bologna-Prozess machen und unseren Interessen diametral gegenüberstehen.
1) Eintragen kann mensch sich unter: http://lists.stud.uni-goettingen.de/mailman/listinfo/bildungsklau