Vom Bildungs- zum Streik
Kommentar
Nicht nur Studierende, auch Angestellte in Forschung und Lehre (insbesondere der Mittelbau), aber vor allem die niedrigen Lohngruppen sollen die Einsparungen an den Unis tragen – damit der Laden überhaupt noch weiter laufen kann, ohne dass sofort auffällt, dass Lehr- und Forschungsbetrieb ohne angemessene Finanzierung überhaupt nicht funktionieren können. „Effizienzsteigerung“, „Optimierung“, „die Uni als Unternehmen begreifen“ sind die Übersetzungen von Lohndrückerei, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Stellenabbau im Neusprech der Kürzungsverwalter*Innen.
Von Seiten der Studierenden und Schüler*Innen geht schon länger Widerstand gegen Kürzungen und den zunehmenden Zumutungen im Bildungssektor aus – diesen Sommer im bundesweiten Bildungsstreik 2009, der es in Göttingen auf seinem Höhepunkt schaffte, rund 10.000 Menschen zu mobilisieren, die auf der Großdemo die Straßen der Göttinger Innenstadt füllten. Der Bildungsstreik soll weiter gehen und wird es auch.
Der Name „Bildungsstreik“ deutet aber bereits ein Dilemma der Studierenden an: Denn gestreikt wurde nicht wirklich. „Streik“ steht eher für eine Analogie – denn von Lehrveranstaltungen fernbleibende Studierende schaden der Uni nicht wie etwa Beschäftigte, die die Produktion in einer Fabrik lahmlegen. Ein solches Druckmittel haben sie gar nicht. Mehr als ein symbolischer Appell an Politik und Uni-Leitung scheint da also gar nicht möglich zu sein.
Sehr wohl im Besitz dieses Druckmittels sind allerdings Arbeiter*Innen und Angestellte im Uni-Betrieb. Und von denen haben auch einige gestreikt: Nämlich Beschäftige in Gastronomie und Hauswirtschaftlichen Dienst im Klinikum, und zwar gegen Lohndrückerei und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Beschäftigungseverhältnisse – alles Resultate aus derselben Quelle, wie die Verschlechterungen der Studienbedingungen: Die systematischen Kürzungen der Uni-Haushalte und der allgemeine Kürzungszwang im Bildungseinrichtungen.
In Deutschland ist es – im Gegensatz z.B. zu Frankreich – allerdings trotz überschneidender Ziele recht unüblich, dass Studierende und Lohnabhängige gemeinsam auf die Straße gehen. Beim Bildungsstreik in Göttingen allerdings gab es erste Versuche der Zusammenarbeit: Beschäftigte vom Klinikum besuchten den Bildungsstreik. Sie erklärten auf der Demo in einem Redebeitrag und auf Vollversammlungen ihre Solidarität mit den Zielen der Schüler*Innen und Studierenden. Studierende wiederum, wenn auch noch sehr wenige, vorwiegend aus Basisgruppenzusammenhängen, unterstützten Streikaktionen und einen Demozug vom Klinikum zum Präsidium.
Erste Schritte für einen gemeinsamen Kampf verschiedener Statusgruppen um bessere Lebensbedingungen hat es also gegeben – und ohne diese wäre wohl ein solcher Mobilisierungserfolg kaum möglich gewesen. Man stelle sich nun aber vor, was alles passieren könnte, wenn wir über Solidaritätsbekundungen hinaus kämen: Was würden wohl die Vorstände und Uni-Leitung sagen, stünden nicht nur 100 Beschäftigten mit einer kleinen Demo, sondern mit ihnen Seite an Seite tausende Studierende vor dem Klinikum und würden angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen fordern? Wie müsste wohl Herr Uni-Präsident von Figura und die Landesregierung reagieren, würden die Studierenden nicht nur kreative Protestaktionen, sondern einen echten Streik – zusammen mit Beschäftigten und Angestellten verschiedener Bereiche der Universität – auf die Beine stellen und die Uni solange lahm legen, bis endlich Forschung, Lehre, und diejenigen, die diese täglich an der Uni möglich machen, anständig bezahlt und behandelt würden?
Schwer zu sagen, denn das hat es hier noch nie gegeben. Das wäre also mal was ganz Neues – wahrhaft „kreativ“. Ein Grund mehr, sich für die nächste Bildungsstreikrunde Gedanken zu machen, wie verschiedene Statusgruppen zusammengebracht werden können. Wenn wir – die Studierenden – wirklich etwas erreichen wollen, dann können wir uns nicht damit abfinden, dass auf Kosten der Beschäftigten ganz vielleicht ein bisschen weniger an der Lehre herumgekürzt wird. Und wir können allein auch nicht viel mit unseren beschränkten Mitteln erreichen. Die Kürzungsrunden treffen viele Statusgruppen, also sollten wir auch alle gemeinsam darauf antworten. So abgedroschen es klingen mag: Gemeinsam sind wir stark, allein, machen sie uns ein. Lasst den Bildungsstreik zum Streik werden.